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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Eine Rechtsphilosophie

lichen Geisteskräfte, auf der andern Seite aber auch ein geständiges Zusammen¬
halten, damit die Menschheit nicht in Einzelwesen auseinanderfällt, damit nicht
unter lauter einzelpersönlichem Streben die Gesamtheit ihren Halt verliert, was
das Schlimmste wäre: denn nur durch das ständige aufopferungsvolle oder
mindestens erfolgreiche Zusammenwirken der Einzelnen kann etwas Großes und
Ganzes erreicht werden." Es handelt sich nicht bloß um das Große sondern
schon um das allerkleinste: daß der Mensch außerhalb des menschlichen Gesell¬
schaftsverbandes gar nicht einmal Mensch sein kann, sondern Tier bleibt.
Individuum und Gesellschaft stehn in einem polaren Gegensatz zueinander in
der Art, daß keins ohne das andre denkbar ist, Daseinsmöglichkeit hat, daß
sie ewig einander bekämpfen, voneinander loszukommen suchen, aber nicht von¬
einander loskommen. Zur Ksro^orsUix bekennt sich Kohler nicht. "Wenn man
behauptet hat, daß es immer nur einzelne Personen seien, die die Ereignisse
gestalteten, so ist dies bedeutend übertrieben. Richtig ist, daß in sehr vielen
Fällen gewaltige Geister die Kultur fortgeschoben haben, oft unter dem Un¬
geheuern Widerstande der andern, aber das war sihnen^ nur möglich, indem sie
ihre Gedanken in eine größere oder geringere Kleinere) Gemeinschaft hinein¬
trugen und diese für ihre Bestrebungen zu elektrisieren vermochten. Daraus
geht von selber hervor, daß die Weltgeschichte mit Gesamtheiten beginnen mußte
(Kollektivismus), dies auch schon deswegen, weil gerade in frühern Zeiten die
Feinde des Menschen so groß sso zahlreich und starkj waren, daß nur durch
einen starken Zusammenhalt die Gefahren beseitigt werden konnten." Gemein¬
schaftbildend wirke besonders das Schuld- und Vertragsrecht, das die Einzelnen
und ihre Interessen so vielfach verknüpfe. Die Religion wirke in der Urgesell¬
schaft zunächst dadurch mit, daß sämtliche Genossen eines Geschlechts als von
einem Geiste beseelt gedacht werden, dessen eigentliche Wohnstätte das heilige
Tier des Stammes (das Totem) ist. An die Stelle des Tieres seien dann
später Phantasiewesen als Götter getreten. Als unentbehrliches Hilfsmittel der
Kulturentwicklung wird der Güterbesitz, das Vermögen abgehandelt, das allen
Gebieten des geistigen Lebens dient. Allerdings sei es nicht für alle unbedingt
erforderlich, denn die Philosophie der Hindu und die wissenschaftliche Tätigkeit
der mittelalterlichen Mönche habe gerade die Abkehr vom Erwerbsleben zur
Voraussetzung gehabt; aber beide Lebensweisen seien wiederum doch nur dadurch
möglich geworden, daß eine Güter schaffende und erwerbende Bevölkerung vor¬
handenwar, die den Philosophen, den Mönchen, den Lebensunterhalt gewährte.
Erst der Ackerbau und die Kapitalbildung erlösen den Menschen von der Herr¬
schaft des Zufalls und bieten die Grundlage dar für eine ununterbrochne und
planmäßige Kulturtätigkeit. Daß die Rechtsordnung den Zweck habe, die Kultur¬
tätigkeit zu regeln und die Kulturgüter zu sichern, ist schon bemerkt worden,
wird aber in einem besondern Kapitel noch weiter ausgeführt. Das Recht regelt
vor allem den Verkehr, der dafür sorgt oder wenigstens dafür sorgen soll, daß
jedes Kulturgut an die Stelle gelange, wo es am notwendigsten gebraucht wird


Eine Rechtsphilosophie

lichen Geisteskräfte, auf der andern Seite aber auch ein geständiges Zusammen¬
halten, damit die Menschheit nicht in Einzelwesen auseinanderfällt, damit nicht
unter lauter einzelpersönlichem Streben die Gesamtheit ihren Halt verliert, was
das Schlimmste wäre: denn nur durch das ständige aufopferungsvolle oder
mindestens erfolgreiche Zusammenwirken der Einzelnen kann etwas Großes und
Ganzes erreicht werden." Es handelt sich nicht bloß um das Große sondern
schon um das allerkleinste: daß der Mensch außerhalb des menschlichen Gesell¬
schaftsverbandes gar nicht einmal Mensch sein kann, sondern Tier bleibt.
Individuum und Gesellschaft stehn in einem polaren Gegensatz zueinander in
der Art, daß keins ohne das andre denkbar ist, Daseinsmöglichkeit hat, daß
sie ewig einander bekämpfen, voneinander loszukommen suchen, aber nicht von¬
einander loskommen. Zur Ksro^orsUix bekennt sich Kohler nicht. „Wenn man
behauptet hat, daß es immer nur einzelne Personen seien, die die Ereignisse
gestalteten, so ist dies bedeutend übertrieben. Richtig ist, daß in sehr vielen
Fällen gewaltige Geister die Kultur fortgeschoben haben, oft unter dem Un¬
geheuern Widerstande der andern, aber das war sihnen^ nur möglich, indem sie
ihre Gedanken in eine größere oder geringere Kleinere) Gemeinschaft hinein¬
trugen und diese für ihre Bestrebungen zu elektrisieren vermochten. Daraus
geht von selber hervor, daß die Weltgeschichte mit Gesamtheiten beginnen mußte
(Kollektivismus), dies auch schon deswegen, weil gerade in frühern Zeiten die
Feinde des Menschen so groß sso zahlreich und starkj waren, daß nur durch
einen starken Zusammenhalt die Gefahren beseitigt werden konnten." Gemein¬
schaftbildend wirke besonders das Schuld- und Vertragsrecht, das die Einzelnen
und ihre Interessen so vielfach verknüpfe. Die Religion wirke in der Urgesell¬
schaft zunächst dadurch mit, daß sämtliche Genossen eines Geschlechts als von
einem Geiste beseelt gedacht werden, dessen eigentliche Wohnstätte das heilige
Tier des Stammes (das Totem) ist. An die Stelle des Tieres seien dann
später Phantasiewesen als Götter getreten. Als unentbehrliches Hilfsmittel der
Kulturentwicklung wird der Güterbesitz, das Vermögen abgehandelt, das allen
Gebieten des geistigen Lebens dient. Allerdings sei es nicht für alle unbedingt
erforderlich, denn die Philosophie der Hindu und die wissenschaftliche Tätigkeit
der mittelalterlichen Mönche habe gerade die Abkehr vom Erwerbsleben zur
Voraussetzung gehabt; aber beide Lebensweisen seien wiederum doch nur dadurch
möglich geworden, daß eine Güter schaffende und erwerbende Bevölkerung vor¬
handenwar, die den Philosophen, den Mönchen, den Lebensunterhalt gewährte.
Erst der Ackerbau und die Kapitalbildung erlösen den Menschen von der Herr¬
schaft des Zufalls und bieten die Grundlage dar für eine ununterbrochne und
planmäßige Kulturtätigkeit. Daß die Rechtsordnung den Zweck habe, die Kultur¬
tätigkeit zu regeln und die Kulturgüter zu sichern, ist schon bemerkt worden,
wird aber in einem besondern Kapitel noch weiter ausgeführt. Das Recht regelt
vor allem den Verkehr, der dafür sorgt oder wenigstens dafür sorgen soll, daß
jedes Kulturgut an die Stelle gelange, wo es am notwendigsten gebraucht wird


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[0568] Eine Rechtsphilosophie lichen Geisteskräfte, auf der andern Seite aber auch ein geständiges Zusammen¬ halten, damit die Menschheit nicht in Einzelwesen auseinanderfällt, damit nicht unter lauter einzelpersönlichem Streben die Gesamtheit ihren Halt verliert, was das Schlimmste wäre: denn nur durch das ständige aufopferungsvolle oder mindestens erfolgreiche Zusammenwirken der Einzelnen kann etwas Großes und Ganzes erreicht werden." Es handelt sich nicht bloß um das Große sondern schon um das allerkleinste: daß der Mensch außerhalb des menschlichen Gesell¬ schaftsverbandes gar nicht einmal Mensch sein kann, sondern Tier bleibt. Individuum und Gesellschaft stehn in einem polaren Gegensatz zueinander in der Art, daß keins ohne das andre denkbar ist, Daseinsmöglichkeit hat, daß sie ewig einander bekämpfen, voneinander loszukommen suchen, aber nicht von¬ einander loskommen. Zur Ksro^orsUix bekennt sich Kohler nicht. „Wenn man behauptet hat, daß es immer nur einzelne Personen seien, die die Ereignisse gestalteten, so ist dies bedeutend übertrieben. Richtig ist, daß in sehr vielen Fällen gewaltige Geister die Kultur fortgeschoben haben, oft unter dem Un¬ geheuern Widerstande der andern, aber das war sihnen^ nur möglich, indem sie ihre Gedanken in eine größere oder geringere Kleinere) Gemeinschaft hinein¬ trugen und diese für ihre Bestrebungen zu elektrisieren vermochten. Daraus geht von selber hervor, daß die Weltgeschichte mit Gesamtheiten beginnen mußte (Kollektivismus), dies auch schon deswegen, weil gerade in frühern Zeiten die Feinde des Menschen so groß sso zahlreich und starkj waren, daß nur durch einen starken Zusammenhalt die Gefahren beseitigt werden konnten." Gemein¬ schaftbildend wirke besonders das Schuld- und Vertragsrecht, das die Einzelnen und ihre Interessen so vielfach verknüpfe. Die Religion wirke in der Urgesell¬ schaft zunächst dadurch mit, daß sämtliche Genossen eines Geschlechts als von einem Geiste beseelt gedacht werden, dessen eigentliche Wohnstätte das heilige Tier des Stammes (das Totem) ist. An die Stelle des Tieres seien dann später Phantasiewesen als Götter getreten. Als unentbehrliches Hilfsmittel der Kulturentwicklung wird der Güterbesitz, das Vermögen abgehandelt, das allen Gebieten des geistigen Lebens dient. Allerdings sei es nicht für alle unbedingt erforderlich, denn die Philosophie der Hindu und die wissenschaftliche Tätigkeit der mittelalterlichen Mönche habe gerade die Abkehr vom Erwerbsleben zur Voraussetzung gehabt; aber beide Lebensweisen seien wiederum doch nur dadurch möglich geworden, daß eine Güter schaffende und erwerbende Bevölkerung vor¬ handenwar, die den Philosophen, den Mönchen, den Lebensunterhalt gewährte. Erst der Ackerbau und die Kapitalbildung erlösen den Menschen von der Herr¬ schaft des Zufalls und bieten die Grundlage dar für eine ununterbrochne und planmäßige Kulturtätigkeit. Daß die Rechtsordnung den Zweck habe, die Kultur¬ tätigkeit zu regeln und die Kulturgüter zu sichern, ist schon bemerkt worden, wird aber in einem besondern Kapitel noch weiter ausgeführt. Das Recht regelt vor allem den Verkehr, der dafür sorgt oder wenigstens dafür sorgen soll, daß jedes Kulturgut an die Stelle gelange, wo es am notwendigsten gebraucht wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/568>, abgerufen am 22.07.2024.