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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Eine Rechtsphilosophie

Ganzen vereinte. Die Rechtsphilosophie ist im Anschluß an Hegel als
Neuhegelianismus wiedererstanden, der unter Abstoßung des Veralteten und
in Anlehnung an die universale Nechtsforschung die Entwicklungslehre von
neuem in das Recht einführte. Einer der ersten aber, der die vergleichende
Rechtswissenschaft in ihrer Bedeutung erkannte, nicht ein Jurist, aber ein
Philosoph, wie ihn seit Hegel die Welt nicht gesehen, war -- Nietzsche."
Später wird Nietzschen als Mitbegründer der neuen Rechtsphilosophie uoch
Adolf Lasson an die Seite gestellt.

Nur als ein Teil der Weltphilosophie könne die Rechtsphilosophie Halt¬
bares leisten, weil die Bedeutung des Menschen nur richtig erfaßt werde, wenn
man ihn als einen Teil der Welt und als einen Hebel des Weltprozesses
erkenne, und weil die Entwicklung nur aus dem Weltganzen begriffen werden
könne. Vor allem müsse darum festgestellt werden, ob unsrer Vorstellung von
der Welt eine wirklich vorhandne Welt entspricht. Kohler bejaht natürlich die
Frage, weil ja von einem Einwirken auf die Außenwelt, wie sie das Recht
voraussetzt, nicht die Rede sein könnte, wenn eine solche Außenwelt nicht vor¬
handen, wenn sie ein bloßes Phänomen, ein Schatten oder Schemen, ein
Produkt unsrer Einbildung wäre. Er wendet sich darum sehr entschieden gegen
Kant, der die Welt zu einem solchen verflüchtigt habe. Seine Polemik gegen
Kant kann hier nicht ausführlich kritisiert werden; doch mögen ein paar
Bemerkungen den Weg zu einem Ausgleich andeuten. Es ist wahr, daß Kant
die Grenzen der menschlichen Erkenntnis zu eng zieht. Ganz richtig schreibt
Kohler, das Metaphysische sei keineswegs etwas von unserm Wesen so ver-
schiednes, daß wir es mit unserm Urteil nicht erreichen könnten. "Ist das
Metaphysische unsrer Anschauung nicht zugänglich, so ist es doch zugänglich
unserm Denken." Operierten wir doch mit dem unsern Sinnen unzugänglichen
Unendlichen sogar in der Mathematik. Daß die Kategorien nur so weit Geltung
haben, wie unsre Sinne reichen, sei nur für die der Quantität, dagegen nicht
für die der Modalität wahr. Trotzdem hat sich Kant mit seinem Versuch einer
Abgrenzung ein großes Verdienst erworben. Gewiß vermögen wir auf das
"Überzeitliche und Unrüumliche", wie Kohler das Metaphysische nennt, zu
schließen, aber nur, soweit unsre innere, seelische Erfahrung reicht, die außer
acht gelassen zu haben Kants Fehler ist. Wir dürfen und müssen schließen,
daß die Vernunft und Güte, die wir in uns finden, von unserm Urheber
stammen müsse, und wenn wir in unserm Lebenslaufe wunderbare, uns und
andern zum Heile gereichende Fügungen bemerken, so dürfen und müssen wir
es für wahrscheinlich halten, daß dieser Urheber auch unsern Lebensgang leitet.
Aber wir können über diesen Urheber und über die Art und Weise, wie er die
Welt geschaffen hat, wie er in ihr eins aus dem andern hervorgehn, wie er
das Körperliche und das Geistige aufeinander wirken läßt, nichts Genaueres
aussagen. Gegen die im Schließen auf das Übersinnliche gebotne Vorsicht und
Selbstbeschränkung wird um vielfach gesündigt, indem die Theologen das in


Eine Rechtsphilosophie

Ganzen vereinte. Die Rechtsphilosophie ist im Anschluß an Hegel als
Neuhegelianismus wiedererstanden, der unter Abstoßung des Veralteten und
in Anlehnung an die universale Nechtsforschung die Entwicklungslehre von
neuem in das Recht einführte. Einer der ersten aber, der die vergleichende
Rechtswissenschaft in ihrer Bedeutung erkannte, nicht ein Jurist, aber ein
Philosoph, wie ihn seit Hegel die Welt nicht gesehen, war — Nietzsche."
Später wird Nietzschen als Mitbegründer der neuen Rechtsphilosophie uoch
Adolf Lasson an die Seite gestellt.

Nur als ein Teil der Weltphilosophie könne die Rechtsphilosophie Halt¬
bares leisten, weil die Bedeutung des Menschen nur richtig erfaßt werde, wenn
man ihn als einen Teil der Welt und als einen Hebel des Weltprozesses
erkenne, und weil die Entwicklung nur aus dem Weltganzen begriffen werden
könne. Vor allem müsse darum festgestellt werden, ob unsrer Vorstellung von
der Welt eine wirklich vorhandne Welt entspricht. Kohler bejaht natürlich die
Frage, weil ja von einem Einwirken auf die Außenwelt, wie sie das Recht
voraussetzt, nicht die Rede sein könnte, wenn eine solche Außenwelt nicht vor¬
handen, wenn sie ein bloßes Phänomen, ein Schatten oder Schemen, ein
Produkt unsrer Einbildung wäre. Er wendet sich darum sehr entschieden gegen
Kant, der die Welt zu einem solchen verflüchtigt habe. Seine Polemik gegen
Kant kann hier nicht ausführlich kritisiert werden; doch mögen ein paar
Bemerkungen den Weg zu einem Ausgleich andeuten. Es ist wahr, daß Kant
die Grenzen der menschlichen Erkenntnis zu eng zieht. Ganz richtig schreibt
Kohler, das Metaphysische sei keineswegs etwas von unserm Wesen so ver-
schiednes, daß wir es mit unserm Urteil nicht erreichen könnten. „Ist das
Metaphysische unsrer Anschauung nicht zugänglich, so ist es doch zugänglich
unserm Denken." Operierten wir doch mit dem unsern Sinnen unzugänglichen
Unendlichen sogar in der Mathematik. Daß die Kategorien nur so weit Geltung
haben, wie unsre Sinne reichen, sei nur für die der Quantität, dagegen nicht
für die der Modalität wahr. Trotzdem hat sich Kant mit seinem Versuch einer
Abgrenzung ein großes Verdienst erworben. Gewiß vermögen wir auf das
„Überzeitliche und Unrüumliche", wie Kohler das Metaphysische nennt, zu
schließen, aber nur, soweit unsre innere, seelische Erfahrung reicht, die außer
acht gelassen zu haben Kants Fehler ist. Wir dürfen und müssen schließen,
daß die Vernunft und Güte, die wir in uns finden, von unserm Urheber
stammen müsse, und wenn wir in unserm Lebenslaufe wunderbare, uns und
andern zum Heile gereichende Fügungen bemerken, so dürfen und müssen wir
es für wahrscheinlich halten, daß dieser Urheber auch unsern Lebensgang leitet.
Aber wir können über diesen Urheber und über die Art und Weise, wie er die
Welt geschaffen hat, wie er in ihr eins aus dem andern hervorgehn, wie er
das Körperliche und das Geistige aufeinander wirken läßt, nichts Genaueres
aussagen. Gegen die im Schließen auf das Übersinnliche gebotne Vorsicht und
Selbstbeschränkung wird um vielfach gesündigt, indem die Theologen das in


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[0564] Eine Rechtsphilosophie Ganzen vereinte. Die Rechtsphilosophie ist im Anschluß an Hegel als Neuhegelianismus wiedererstanden, der unter Abstoßung des Veralteten und in Anlehnung an die universale Nechtsforschung die Entwicklungslehre von neuem in das Recht einführte. Einer der ersten aber, der die vergleichende Rechtswissenschaft in ihrer Bedeutung erkannte, nicht ein Jurist, aber ein Philosoph, wie ihn seit Hegel die Welt nicht gesehen, war — Nietzsche." Später wird Nietzschen als Mitbegründer der neuen Rechtsphilosophie uoch Adolf Lasson an die Seite gestellt. Nur als ein Teil der Weltphilosophie könne die Rechtsphilosophie Halt¬ bares leisten, weil die Bedeutung des Menschen nur richtig erfaßt werde, wenn man ihn als einen Teil der Welt und als einen Hebel des Weltprozesses erkenne, und weil die Entwicklung nur aus dem Weltganzen begriffen werden könne. Vor allem müsse darum festgestellt werden, ob unsrer Vorstellung von der Welt eine wirklich vorhandne Welt entspricht. Kohler bejaht natürlich die Frage, weil ja von einem Einwirken auf die Außenwelt, wie sie das Recht voraussetzt, nicht die Rede sein könnte, wenn eine solche Außenwelt nicht vor¬ handen, wenn sie ein bloßes Phänomen, ein Schatten oder Schemen, ein Produkt unsrer Einbildung wäre. Er wendet sich darum sehr entschieden gegen Kant, der die Welt zu einem solchen verflüchtigt habe. Seine Polemik gegen Kant kann hier nicht ausführlich kritisiert werden; doch mögen ein paar Bemerkungen den Weg zu einem Ausgleich andeuten. Es ist wahr, daß Kant die Grenzen der menschlichen Erkenntnis zu eng zieht. Ganz richtig schreibt Kohler, das Metaphysische sei keineswegs etwas von unserm Wesen so ver- schiednes, daß wir es mit unserm Urteil nicht erreichen könnten. „Ist das Metaphysische unsrer Anschauung nicht zugänglich, so ist es doch zugänglich unserm Denken." Operierten wir doch mit dem unsern Sinnen unzugänglichen Unendlichen sogar in der Mathematik. Daß die Kategorien nur so weit Geltung haben, wie unsre Sinne reichen, sei nur für die der Quantität, dagegen nicht für die der Modalität wahr. Trotzdem hat sich Kant mit seinem Versuch einer Abgrenzung ein großes Verdienst erworben. Gewiß vermögen wir auf das „Überzeitliche und Unrüumliche", wie Kohler das Metaphysische nennt, zu schließen, aber nur, soweit unsre innere, seelische Erfahrung reicht, die außer acht gelassen zu haben Kants Fehler ist. Wir dürfen und müssen schließen, daß die Vernunft und Güte, die wir in uns finden, von unserm Urheber stammen müsse, und wenn wir in unserm Lebenslaufe wunderbare, uns und andern zum Heile gereichende Fügungen bemerken, so dürfen und müssen wir es für wahrscheinlich halten, daß dieser Urheber auch unsern Lebensgang leitet. Aber wir können über diesen Urheber und über die Art und Weise, wie er die Welt geschaffen hat, wie er in ihr eins aus dem andern hervorgehn, wie er das Körperliche und das Geistige aufeinander wirken läßt, nichts Genaueres aussagen. Gegen die im Schließen auf das Übersinnliche gebotne Vorsicht und Selbstbeschränkung wird um vielfach gesündigt, indem die Theologen das in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/564>, abgerufen am 23.07.2024.