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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die Teutoburger Schlacht

täuschen und in die Falle zu locken, das alles ist im einzelnen nicht nachzu¬
weisen. Genug, es gelang, und gegen die Römer führte er offenbar nicht etwa
Haufen von Freiwilligen, sondern das Aufgebot der verbündeten Stämme in
den Hundertschaften ihrer freien Männer, die in diesen engen verwandtschaft¬
lichen und nachbarschaftlichen Verbunden den Legionen furchtbare Gegner waren,
zumal auf ihrem heimischen Boden.

Die Schlacht entschied die Vernichtung der römischen Herrschaft über das
nordwestdeutsche Binnenland rechts vom Rheine, während die Nordseeküste noch
einige Jahrzehnte lang römisch blieb. Im ersten Schrecken fürchtete man in
Rom sogar einen Angriff auf den Rhein und Gallien, und vielleicht hat Armin
einen solchen auch beabsichtigt. Wenn er den Kopf des Varus an Marbod sandte,
so sollte das wohl nicht nur ein Beweis seines Sieges sein, sondern auch eine
Aufforderung zum Angriff auf die Donaulinie. Aber Marbod blieb auch jetzt
untätig; zu einem Zusammenwirken mit dem Cheruskerbunde kam es jetzt so
wenig wie früher. Andrerseits machte Augustus keinen Versuch zur Wieder¬
eroberung der Verlornen Provinz Germanien, und sein Nachfolger Tiberius
(14 bis 37) ließ zwar 14 bis 16 mehrere große Feldzüge seines Neffen und
Adoptivsohnes Germanicus zu; aber als die römische Waffenehre wiederher¬
gestellt schien, ohne daß die Germanen unterworfen worden wären, da berief
er ihn ab und stellte die verlustvollen Unternehmungen ein. Zum erstenmal
gab Rom eine gewonnene Provinz wieder auf, wich vor den Barbaren zurück;
das erst vollendete die welthistorische Wendung. Denn es kann keinem Zweifel
unterliegen, daß das Weltreich, wenn es seine ungeheuern Machtmittel mit
allem Ernste an die Unterwerfung der Germanen hätte setzen wollen, sie durch¬
zuführen vermocht hätte; hat es doch noch hundert Jahre später die kriegerischen
Dacier unterworfen. Wenn es den Germanen gegenüber darauf verzichtete, so
muß den römischen Staatsmännern der Preis des Kampfes nicht wert erschienen
sein, und in der Tat haben sie das für sie Notwendigste, die Ruhe vor germanischen
Angriffen, wie Tiberius voraussah, mit andern Mitteln noch auf fast zwei
Jahrhunderte erreicht. Mit Marbods Sturze löste sich das Markomcmnenreich
auf, und mit der Ermordung des großen Befreiers Armin durch seine eignen
Geschlechtsgenossen auch der Cheruskerbund. Sein Andenken aber lebte noch
lange fort im Heldenliede seines Volkes und vielleicht noch in der Sage vom
starken Siegfried, der jung und siegreich wie er vom Speere des grimmen
Hagen fällt.




Die Teutoburger Schlacht

täuschen und in die Falle zu locken, das alles ist im einzelnen nicht nachzu¬
weisen. Genug, es gelang, und gegen die Römer führte er offenbar nicht etwa
Haufen von Freiwilligen, sondern das Aufgebot der verbündeten Stämme in
den Hundertschaften ihrer freien Männer, die in diesen engen verwandtschaft¬
lichen und nachbarschaftlichen Verbunden den Legionen furchtbare Gegner waren,
zumal auf ihrem heimischen Boden.

Die Schlacht entschied die Vernichtung der römischen Herrschaft über das
nordwestdeutsche Binnenland rechts vom Rheine, während die Nordseeküste noch
einige Jahrzehnte lang römisch blieb. Im ersten Schrecken fürchtete man in
Rom sogar einen Angriff auf den Rhein und Gallien, und vielleicht hat Armin
einen solchen auch beabsichtigt. Wenn er den Kopf des Varus an Marbod sandte,
so sollte das wohl nicht nur ein Beweis seines Sieges sein, sondern auch eine
Aufforderung zum Angriff auf die Donaulinie. Aber Marbod blieb auch jetzt
untätig; zu einem Zusammenwirken mit dem Cheruskerbunde kam es jetzt so
wenig wie früher. Andrerseits machte Augustus keinen Versuch zur Wieder¬
eroberung der Verlornen Provinz Germanien, und sein Nachfolger Tiberius
(14 bis 37) ließ zwar 14 bis 16 mehrere große Feldzüge seines Neffen und
Adoptivsohnes Germanicus zu; aber als die römische Waffenehre wiederher¬
gestellt schien, ohne daß die Germanen unterworfen worden wären, da berief
er ihn ab und stellte die verlustvollen Unternehmungen ein. Zum erstenmal
gab Rom eine gewonnene Provinz wieder auf, wich vor den Barbaren zurück;
das erst vollendete die welthistorische Wendung. Denn es kann keinem Zweifel
unterliegen, daß das Weltreich, wenn es seine ungeheuern Machtmittel mit
allem Ernste an die Unterwerfung der Germanen hätte setzen wollen, sie durch¬
zuführen vermocht hätte; hat es doch noch hundert Jahre später die kriegerischen
Dacier unterworfen. Wenn es den Germanen gegenüber darauf verzichtete, so
muß den römischen Staatsmännern der Preis des Kampfes nicht wert erschienen
sein, und in der Tat haben sie das für sie Notwendigste, die Ruhe vor germanischen
Angriffen, wie Tiberius voraussah, mit andern Mitteln noch auf fast zwei
Jahrhunderte erreicht. Mit Marbods Sturze löste sich das Markomcmnenreich
auf, und mit der Ermordung des großen Befreiers Armin durch seine eignen
Geschlechtsgenossen auch der Cheruskerbund. Sein Andenken aber lebte noch
lange fort im Heldenliede seines Volkes und vielleicht noch in der Sage vom
starken Siegfried, der jung und siegreich wie er vom Speere des grimmen
Hagen fällt.




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[0508] Die Teutoburger Schlacht täuschen und in die Falle zu locken, das alles ist im einzelnen nicht nachzu¬ weisen. Genug, es gelang, und gegen die Römer führte er offenbar nicht etwa Haufen von Freiwilligen, sondern das Aufgebot der verbündeten Stämme in den Hundertschaften ihrer freien Männer, die in diesen engen verwandtschaft¬ lichen und nachbarschaftlichen Verbunden den Legionen furchtbare Gegner waren, zumal auf ihrem heimischen Boden. Die Schlacht entschied die Vernichtung der römischen Herrschaft über das nordwestdeutsche Binnenland rechts vom Rheine, während die Nordseeküste noch einige Jahrzehnte lang römisch blieb. Im ersten Schrecken fürchtete man in Rom sogar einen Angriff auf den Rhein und Gallien, und vielleicht hat Armin einen solchen auch beabsichtigt. Wenn er den Kopf des Varus an Marbod sandte, so sollte das wohl nicht nur ein Beweis seines Sieges sein, sondern auch eine Aufforderung zum Angriff auf die Donaulinie. Aber Marbod blieb auch jetzt untätig; zu einem Zusammenwirken mit dem Cheruskerbunde kam es jetzt so wenig wie früher. Andrerseits machte Augustus keinen Versuch zur Wieder¬ eroberung der Verlornen Provinz Germanien, und sein Nachfolger Tiberius (14 bis 37) ließ zwar 14 bis 16 mehrere große Feldzüge seines Neffen und Adoptivsohnes Germanicus zu; aber als die römische Waffenehre wiederher¬ gestellt schien, ohne daß die Germanen unterworfen worden wären, da berief er ihn ab und stellte die verlustvollen Unternehmungen ein. Zum erstenmal gab Rom eine gewonnene Provinz wieder auf, wich vor den Barbaren zurück; das erst vollendete die welthistorische Wendung. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Weltreich, wenn es seine ungeheuern Machtmittel mit allem Ernste an die Unterwerfung der Germanen hätte setzen wollen, sie durch¬ zuführen vermocht hätte; hat es doch noch hundert Jahre später die kriegerischen Dacier unterworfen. Wenn es den Germanen gegenüber darauf verzichtete, so muß den römischen Staatsmännern der Preis des Kampfes nicht wert erschienen sein, und in der Tat haben sie das für sie Notwendigste, die Ruhe vor germanischen Angriffen, wie Tiberius voraussah, mit andern Mitteln noch auf fast zwei Jahrhunderte erreicht. Mit Marbods Sturze löste sich das Markomcmnenreich auf, und mit der Ermordung des großen Befreiers Armin durch seine eignen Geschlechtsgenossen auch der Cheruskerbund. Sein Andenken aber lebte noch lange fort im Heldenliede seines Volkes und vielleicht noch in der Sage vom starken Siegfried, der jung und siegreich wie er vom Speere des grimmen Hagen fällt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/508>, abgerufen am 22.12.2024.