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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die ZVehrbewegung in England

gab da auch allerlei Vorurteile zu überwinden, und der Kampf mit ihnen hat
nicht am wenigsten dazu beigetragen, den Monarchen des persönlichen Regiments
und andrer Taten zu beschuldigen, die in den Augen aller als Frevel angesehn
werden, bei denen gewisse liberale und staatsrechtliche Meinungen, die übrigens
bei uns nicht einmal verfassungsrechtliche Geltung haben, höher stehn als das
Wohl des Vaterlands. Wir haben noch heute Leute, die selbst den vaterländischen
Geist bekämpfen, wenn er nicht unter den von ihnen für allein richtig gehaltnen
Formen auftritt. Seit einer Reihe von Jahren ist das Ziel erreicht, und das
deutsche Volk hat sich wiederholt in seiner entschiednen Mehrheit dafür aus¬
gesprochen, daß es Flotte und Kolonien ebenso für unbedingte Erfordernisse
des Reichs ansieht wie die Armee, und daß es alle, die daran rühren, mit
der größten Entschiedenheit aus der Volksvertretung hinwegfegen wird. In
England liegt die Sache zurzeit noch anders, dort müssen noch Vorurteile
und Irrtümer überwunden werden, die der neuen politischen Orientierung im
Wege stehn.

Nun zeigt aber der.Unterschied der Methode, mit der man dort vorgeht,
daß dieses Land viel besser geschulte politische Führer hat als wir. Während
bei uns die politische Führerschaft und die in ihrem Sinne arbeitende Presse
das Vorgehn des Kaisers nur von ihrem doktrinären Standpunkte aus be¬
trachtete und sein persönliches Hervortreten als nicht mit ihren Ansichten vom
Verfassungsleben übereinstimmend behandelte und verurteilte, gehn in England
der Monarch und die politischen Führer von vornherein in Übereinstimmung
vor, sodaß der König gar nicht nötig hat, persönlich hervorzutreten. König
Eduard hat zwar gleich nach seinem Regierungsantritt den Nachteil der bis
dahin geübten Selbstisolierungspolitik erkannt und darum seine Liebenswürdig¬
keit auf die Eisenbahn gesetzt, um persönlich seinem Lande die diesem als erster
Seemacht gebührende Achtungsstellung von neuem zu erwerben, gerade so wie
es Kaiser Wilhelm in den Jahren vorher für Deutschland als erste Landmacht
bewerkstelligt hatte. Da dieser Schritt des englischen Königs mit einer zeit¬
weiligen Verstimmung zwischen den Höfen von Berlin und London zusammenfiel,
so suchten ihn deutschfeindliche Blätter als beabsichtigte Feindseligkeit gegen
Deutschland auszulegen, und die deutsche Presse, die leider noch immer mangels
eigner Orientierung die auswärtige Politik nach ausländischen Quellen beurteilt,
ließ sich dadurch betören. Auf dieser Unterlage hat sich die Fabel von der
sogenannten Einkreisungspolitik aufgebaut. Heute müssen auch die darüber lachen,
die früher ernsthaft daran geglaubt hatten, seitdem sich bei der diplomatischen
Behandlung der böhmischen Angelegenheit herausgestellt hat, daß alle Ententen-
Politik gegen das deutsch-österreichische Bündnis nicht das geringste auszurichten
imstande ist. Bei etwas mehr Verständnis für Machtverhältnisse hätte die deutsche
Presse auch von selbst wissen können, daß eine Einkreisungspolitik gegen Deutsch¬
land und seine Verbündeten gar nicht möglich ist. Ob freilich die schwächliche
Haltung unsrer sogenannten öffentlichen Meinung, hinter der aber auch in


Die ZVehrbewegung in England

gab da auch allerlei Vorurteile zu überwinden, und der Kampf mit ihnen hat
nicht am wenigsten dazu beigetragen, den Monarchen des persönlichen Regiments
und andrer Taten zu beschuldigen, die in den Augen aller als Frevel angesehn
werden, bei denen gewisse liberale und staatsrechtliche Meinungen, die übrigens
bei uns nicht einmal verfassungsrechtliche Geltung haben, höher stehn als das
Wohl des Vaterlands. Wir haben noch heute Leute, die selbst den vaterländischen
Geist bekämpfen, wenn er nicht unter den von ihnen für allein richtig gehaltnen
Formen auftritt. Seit einer Reihe von Jahren ist das Ziel erreicht, und das
deutsche Volk hat sich wiederholt in seiner entschiednen Mehrheit dafür aus¬
gesprochen, daß es Flotte und Kolonien ebenso für unbedingte Erfordernisse
des Reichs ansieht wie die Armee, und daß es alle, die daran rühren, mit
der größten Entschiedenheit aus der Volksvertretung hinwegfegen wird. In
England liegt die Sache zurzeit noch anders, dort müssen noch Vorurteile
und Irrtümer überwunden werden, die der neuen politischen Orientierung im
Wege stehn.

Nun zeigt aber der.Unterschied der Methode, mit der man dort vorgeht,
daß dieses Land viel besser geschulte politische Führer hat als wir. Während
bei uns die politische Führerschaft und die in ihrem Sinne arbeitende Presse
das Vorgehn des Kaisers nur von ihrem doktrinären Standpunkte aus be¬
trachtete und sein persönliches Hervortreten als nicht mit ihren Ansichten vom
Verfassungsleben übereinstimmend behandelte und verurteilte, gehn in England
der Monarch und die politischen Führer von vornherein in Übereinstimmung
vor, sodaß der König gar nicht nötig hat, persönlich hervorzutreten. König
Eduard hat zwar gleich nach seinem Regierungsantritt den Nachteil der bis
dahin geübten Selbstisolierungspolitik erkannt und darum seine Liebenswürdig¬
keit auf die Eisenbahn gesetzt, um persönlich seinem Lande die diesem als erster
Seemacht gebührende Achtungsstellung von neuem zu erwerben, gerade so wie
es Kaiser Wilhelm in den Jahren vorher für Deutschland als erste Landmacht
bewerkstelligt hatte. Da dieser Schritt des englischen Königs mit einer zeit¬
weiligen Verstimmung zwischen den Höfen von Berlin und London zusammenfiel,
so suchten ihn deutschfeindliche Blätter als beabsichtigte Feindseligkeit gegen
Deutschland auszulegen, und die deutsche Presse, die leider noch immer mangels
eigner Orientierung die auswärtige Politik nach ausländischen Quellen beurteilt,
ließ sich dadurch betören. Auf dieser Unterlage hat sich die Fabel von der
sogenannten Einkreisungspolitik aufgebaut. Heute müssen auch die darüber lachen,
die früher ernsthaft daran geglaubt hatten, seitdem sich bei der diplomatischen
Behandlung der böhmischen Angelegenheit herausgestellt hat, daß alle Ententen-
Politik gegen das deutsch-österreichische Bündnis nicht das geringste auszurichten
imstande ist. Bei etwas mehr Verständnis für Machtverhältnisse hätte die deutsche
Presse auch von selbst wissen können, daß eine Einkreisungspolitik gegen Deutsch¬
land und seine Verbündeten gar nicht möglich ist. Ob freilich die schwächliche
Haltung unsrer sogenannten öffentlichen Meinung, hinter der aber auch in


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[0497] Die ZVehrbewegung in England gab da auch allerlei Vorurteile zu überwinden, und der Kampf mit ihnen hat nicht am wenigsten dazu beigetragen, den Monarchen des persönlichen Regiments und andrer Taten zu beschuldigen, die in den Augen aller als Frevel angesehn werden, bei denen gewisse liberale und staatsrechtliche Meinungen, die übrigens bei uns nicht einmal verfassungsrechtliche Geltung haben, höher stehn als das Wohl des Vaterlands. Wir haben noch heute Leute, die selbst den vaterländischen Geist bekämpfen, wenn er nicht unter den von ihnen für allein richtig gehaltnen Formen auftritt. Seit einer Reihe von Jahren ist das Ziel erreicht, und das deutsche Volk hat sich wiederholt in seiner entschiednen Mehrheit dafür aus¬ gesprochen, daß es Flotte und Kolonien ebenso für unbedingte Erfordernisse des Reichs ansieht wie die Armee, und daß es alle, die daran rühren, mit der größten Entschiedenheit aus der Volksvertretung hinwegfegen wird. In England liegt die Sache zurzeit noch anders, dort müssen noch Vorurteile und Irrtümer überwunden werden, die der neuen politischen Orientierung im Wege stehn. Nun zeigt aber der.Unterschied der Methode, mit der man dort vorgeht, daß dieses Land viel besser geschulte politische Führer hat als wir. Während bei uns die politische Führerschaft und die in ihrem Sinne arbeitende Presse das Vorgehn des Kaisers nur von ihrem doktrinären Standpunkte aus be¬ trachtete und sein persönliches Hervortreten als nicht mit ihren Ansichten vom Verfassungsleben übereinstimmend behandelte und verurteilte, gehn in England der Monarch und die politischen Führer von vornherein in Übereinstimmung vor, sodaß der König gar nicht nötig hat, persönlich hervorzutreten. König Eduard hat zwar gleich nach seinem Regierungsantritt den Nachteil der bis dahin geübten Selbstisolierungspolitik erkannt und darum seine Liebenswürdig¬ keit auf die Eisenbahn gesetzt, um persönlich seinem Lande die diesem als erster Seemacht gebührende Achtungsstellung von neuem zu erwerben, gerade so wie es Kaiser Wilhelm in den Jahren vorher für Deutschland als erste Landmacht bewerkstelligt hatte. Da dieser Schritt des englischen Königs mit einer zeit¬ weiligen Verstimmung zwischen den Höfen von Berlin und London zusammenfiel, so suchten ihn deutschfeindliche Blätter als beabsichtigte Feindseligkeit gegen Deutschland auszulegen, und die deutsche Presse, die leider noch immer mangels eigner Orientierung die auswärtige Politik nach ausländischen Quellen beurteilt, ließ sich dadurch betören. Auf dieser Unterlage hat sich die Fabel von der sogenannten Einkreisungspolitik aufgebaut. Heute müssen auch die darüber lachen, die früher ernsthaft daran geglaubt hatten, seitdem sich bei der diplomatischen Behandlung der böhmischen Angelegenheit herausgestellt hat, daß alle Ententen- Politik gegen das deutsch-österreichische Bündnis nicht das geringste auszurichten imstande ist. Bei etwas mehr Verständnis für Machtverhältnisse hätte die deutsche Presse auch von selbst wissen können, daß eine Einkreisungspolitik gegen Deutsch¬ land und seine Verbündeten gar nicht möglich ist. Ob freilich die schwächliche Haltung unsrer sogenannten öffentlichen Meinung, hinter der aber auch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/497>, abgerufen am 25.08.2024.