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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Lines Toren Waldfahrt

Natürlich war ich im Walde, Jung. Ja, da ist es ja ganz fein im Sommer,
schattig und nett. Aber sonst ist es nichts für unsereiner auf der Geest, man
kann sich ja nicht mal ordentlich umgucken, überall stößt du mit der Nase gegen
einen Baum, einen Wall oder sonst was. Und auch die Leute sind anders. Alles
durcheinander. Bauern und Knechte arbeiten miteinander und sitzen miteinander
am Tisch! Und Sonntags gingen wir zusammen zu Tanz. Und es wäre gar
nicht so unmöglich für mich gewesen, da Bauernfrau zu werden. Aber ich bin nicht
für solche Vermengerei -- jeder in seine Ecke! Ich war froh, als mein Jahr
um war und ich wieder hierher kam, wo alles ordentlich auseinander ist, wie
sichs gehört.

Als Momme Tetens etwas später im Dunkeln heimging nach Heesholm zu,
versuchte er in Gedanken, Boie Mars Hartwich und seine Frau auf einem hecken¬
umzäunten Hof in der Nähe des Waldes anzusiedeln. Es gelang ihm auch alles
ganz gut, nur als er sich kühnlich zu einer Mahlzeit bei ihnen am Tische nieder¬
lassen wollte, erschrak er insgeheim wegen solcher Anmaßung und zog sich bescheiden
wieder in die Küche zurück. Am Sonntag jedoch . . . sollte er nicht den Mut
haben, mit Frauke Hartwich zum Tanz zu gehn? Gewiß würde er es tun! O,
wie die Musik lockte und jubelte! Und er tanzte, tanzte . . . immer wieder mit
Franke! . . . Und nachher gehn sie zusammen nach Haus, durch den Wald nach
Haus. Und nicht auszusagende Wunder birgt der Wald, wenn sie Hand in Hand
hindurchgehn . ..




Momme Tetens war wie trunken durch das Glück, das ihm bevorstand: er
würde die Waldfahrt mitmachen! Sein Traum würde in Erfüllung gehn. Der
Bauer hatte so viele Vorhaltungen seiner Frau anhören müssen wegen seines Planes,
selbst mitzufahren, daß er ihn seufzend aufgegeben hatte; nun sollte Momme ihn
vertreten und vor allen Dingen über das Wohlbefinden der beiden Füchse wachen.
Er versuchte jetzt schon jeden Tag, seine ganze Vertrauenswürdigkeit durch rast¬
losen Eifer in Stall und Hof immer aufs neue zu beweisen; noch nie war dem
Lebenden, das unter seiner Hand stand, ein so vollgerüttelt Maß um Pflege und
Futter geworden wie in diesen Tagen. Und dabei fand er doch noch Zeit, all
die zerrissenen Bücher in seiner Lade noch einmal wieder zu lesen -- so war er
denn wohl ausgerüstet für seine Fahrt und wußte genau, was ihm begegnen würde
im Dunkel ragender Bäume. Seine Hände sind geöffnet, und sein Herz ist voller
Sehnsucht, in Andacht und Entzücken deine Schönheit zu schauen, o Wald! Wird
dein wundersamstes Märchen der Wunder genug bergen? Wird dein geheimnis¬
vollstes Dämmern seine Seele genug erschauern lassen? Werden deine Vögel süß
genug jauchzen und klagen, deine Blumen genug leuchten und duften? Wird das
Rauschen und Flüstern, das durch deine Kronen geht, genug zu offenbaren haben?
Wird das zitternde Spiel der Sonnenlichter, die durch deine grünen Schleier
schlüpfen, leuchtend und schimmernd genug sein?

Rüste dich, o Wald, ein Tor wird gläubig an deine Pforten pochen!

(Schluß folgt)




Grenzboten III 19096
Lines Toren Waldfahrt

Natürlich war ich im Walde, Jung. Ja, da ist es ja ganz fein im Sommer,
schattig und nett. Aber sonst ist es nichts für unsereiner auf der Geest, man
kann sich ja nicht mal ordentlich umgucken, überall stößt du mit der Nase gegen
einen Baum, einen Wall oder sonst was. Und auch die Leute sind anders. Alles
durcheinander. Bauern und Knechte arbeiten miteinander und sitzen miteinander
am Tisch! Und Sonntags gingen wir zusammen zu Tanz. Und es wäre gar
nicht so unmöglich für mich gewesen, da Bauernfrau zu werden. Aber ich bin nicht
für solche Vermengerei — jeder in seine Ecke! Ich war froh, als mein Jahr
um war und ich wieder hierher kam, wo alles ordentlich auseinander ist, wie
sichs gehört.

Als Momme Tetens etwas später im Dunkeln heimging nach Heesholm zu,
versuchte er in Gedanken, Boie Mars Hartwich und seine Frau auf einem hecken¬
umzäunten Hof in der Nähe des Waldes anzusiedeln. Es gelang ihm auch alles
ganz gut, nur als er sich kühnlich zu einer Mahlzeit bei ihnen am Tische nieder¬
lassen wollte, erschrak er insgeheim wegen solcher Anmaßung und zog sich bescheiden
wieder in die Küche zurück. Am Sonntag jedoch . . . sollte er nicht den Mut
haben, mit Frauke Hartwich zum Tanz zu gehn? Gewiß würde er es tun! O,
wie die Musik lockte und jubelte! Und er tanzte, tanzte . . . immer wieder mit
Franke! . . . Und nachher gehn sie zusammen nach Haus, durch den Wald nach
Haus. Und nicht auszusagende Wunder birgt der Wald, wenn sie Hand in Hand
hindurchgehn . ..




Momme Tetens war wie trunken durch das Glück, das ihm bevorstand: er
würde die Waldfahrt mitmachen! Sein Traum würde in Erfüllung gehn. Der
Bauer hatte so viele Vorhaltungen seiner Frau anhören müssen wegen seines Planes,
selbst mitzufahren, daß er ihn seufzend aufgegeben hatte; nun sollte Momme ihn
vertreten und vor allen Dingen über das Wohlbefinden der beiden Füchse wachen.
Er versuchte jetzt schon jeden Tag, seine ganze Vertrauenswürdigkeit durch rast¬
losen Eifer in Stall und Hof immer aufs neue zu beweisen; noch nie war dem
Lebenden, das unter seiner Hand stand, ein so vollgerüttelt Maß um Pflege und
Futter geworden wie in diesen Tagen. Und dabei fand er doch noch Zeit, all
die zerrissenen Bücher in seiner Lade noch einmal wieder zu lesen — so war er
denn wohl ausgerüstet für seine Fahrt und wußte genau, was ihm begegnen würde
im Dunkel ragender Bäume. Seine Hände sind geöffnet, und sein Herz ist voller
Sehnsucht, in Andacht und Entzücken deine Schönheit zu schauen, o Wald! Wird
dein wundersamstes Märchen der Wunder genug bergen? Wird dein geheimnis¬
vollstes Dämmern seine Seele genug erschauern lassen? Werden deine Vögel süß
genug jauchzen und klagen, deine Blumen genug leuchten und duften? Wird das
Rauschen und Flüstern, das durch deine Kronen geht, genug zu offenbaren haben?
Wird das zitternde Spiel der Sonnenlichter, die durch deine grünen Schleier
schlüpfen, leuchtend und schimmernd genug sein?

Rüste dich, o Wald, ein Tor wird gläubig an deine Pforten pochen!

(Schluß folgt)




Grenzboten III 19096
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/49>, abgerufen am 22.07.2024.