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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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mit Hilfe der Methode gerecht werden können, die sich in andern Verfassungs¬
staaten eingebürgert hat, nämlich durch einen regelmäßigen Wechsel zweier
großer Parteigruppen in der Unterstützung der Regierung und in der Opposition.
Gewiß kann es auch bei uns abwechselnd eine konservative und eine liberale
Mehrheit geben, auf die sich dann die Regierung stützen kann, aber eine sichere
Mehrheit, die entschlossen ist, ein bestimmtes politisches Prinzip, dem durch eine
klare Bekundung des Volkswillens für eine Weile das Übergewicht zuerkannt
worden ist, zum Ausdruck zu bringen -- eine solche Mehrheit gibt es bei
uns in keinem Falle. Der Grund braucht kaum besonders gesagt zu werden;
er liegt in der Existenz und der eigenartigen Stellung des Zentrums und der
Sozialdemokratie. Darauf braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, da
die Gesichtspunkte, die gerade wegen dieser Eigenheit unsers Parteiwesens die
Wiederkehr der Blockpolitik notwendig machen, an dieser Stelle schon einmal
von andrer Seite erörtert worden sind. Bei der Unzuverlüssigkeit der Mehr¬
heitsbildung im Reichstag muß eine Versicherung gegen ein mögliches Über¬
gewicht von Parteien vorhanden sein, die das Wohl des nationalen Staats
nicht zum Ausgangspunkt ihres politischen Bekenntnisses wählen; diese Ver¬
sicherung kann nur darin bestehen, daß in allen Fragen, die durch antinationale
Parteibestrebungen gefährdet werden können, Konservative und Liberale grund¬
sätzlich eine Verständigung suchen und auf dieser Grundlage gemeinsam handeln.

Wenn wir auf Wesen und Notwendigkeit der Blockpolitik hier noch einmal
eingegangen sind, obwohl dieses Thema in den Grenzboten schon mehrfach
behandelt worden ist, so ist das geschehen, weil wir einzelne Gesichtspunkte
hervorheben wollten, die wir zur Begründung des folgenden brauchen, namentlich
zur Begründung gewisser Punkte, in denen wir von einigen in der letzten Zeit zum
Ausdruck gebrachten Ansichten abweichen. Vor allem liegt uns daran, zu be¬
tonen, daß die Blockpolitik, richtig verstanden, keine Abschwächung
tieferliegender und berechtigter Unterschiede in den politischen
Grundanschauungen, keine Verwischung bedeutungsvoller Gegen¬
sätze, keine Lauheit in der Vertretung politischer Überzeugungen
bedeutet, sich nicht auf Parteimüdigkeit gründet und auch nicht zur
Parteimüdigkeit erziehen soll. Das wäre derselbe Fehlschluß, als wenn
man auf sittlichem Gebiet Selbstzucht auf Temperamentlosigkeit und Duldsamkeit
auf Gleichgiltigkeit zurückführen wollte. Wir glauben im Gegenteil, daß eine
Vertiefung der politischen Interessen, auch wenn sie sich zunächst in erhöhter
Anteilnahme am Parteileben bekundet, in ihren weitern Wirkungen der Ent¬
wicklung des Blockgedankcns nur dienlich sein kann. Denn nicht die Verschieden¬
heit der Auffassungen, sondern ihre Verflachung, die Zurückhaltung der tiefer
Gebildeten, die Herrschaft der Phrase und des Schlagworts -- diese Ursachen
sind es, die unsre Parteikämpfe zu dem widerlichen, unfruchtbaren Gezänk machen,
als das sie vielen unter uns ausschließlich erscheinen. Parteien und Parteikampf
sind aber Notwendigkeiten; in der innern Entwicklung der Völker bedeutet der
Kampf der Geister, der Welt- und Lebensanschauungen nichts andres als Leben


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mit Hilfe der Methode gerecht werden können, die sich in andern Verfassungs¬
staaten eingebürgert hat, nämlich durch einen regelmäßigen Wechsel zweier
großer Parteigruppen in der Unterstützung der Regierung und in der Opposition.
Gewiß kann es auch bei uns abwechselnd eine konservative und eine liberale
Mehrheit geben, auf die sich dann die Regierung stützen kann, aber eine sichere
Mehrheit, die entschlossen ist, ein bestimmtes politisches Prinzip, dem durch eine
klare Bekundung des Volkswillens für eine Weile das Übergewicht zuerkannt
worden ist, zum Ausdruck zu bringen — eine solche Mehrheit gibt es bei
uns in keinem Falle. Der Grund braucht kaum besonders gesagt zu werden;
er liegt in der Existenz und der eigenartigen Stellung des Zentrums und der
Sozialdemokratie. Darauf braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, da
die Gesichtspunkte, die gerade wegen dieser Eigenheit unsers Parteiwesens die
Wiederkehr der Blockpolitik notwendig machen, an dieser Stelle schon einmal
von andrer Seite erörtert worden sind. Bei der Unzuverlüssigkeit der Mehr¬
heitsbildung im Reichstag muß eine Versicherung gegen ein mögliches Über¬
gewicht von Parteien vorhanden sein, die das Wohl des nationalen Staats
nicht zum Ausgangspunkt ihres politischen Bekenntnisses wählen; diese Ver¬
sicherung kann nur darin bestehen, daß in allen Fragen, die durch antinationale
Parteibestrebungen gefährdet werden können, Konservative und Liberale grund¬
sätzlich eine Verständigung suchen und auf dieser Grundlage gemeinsam handeln.

Wenn wir auf Wesen und Notwendigkeit der Blockpolitik hier noch einmal
eingegangen sind, obwohl dieses Thema in den Grenzboten schon mehrfach
behandelt worden ist, so ist das geschehen, weil wir einzelne Gesichtspunkte
hervorheben wollten, die wir zur Begründung des folgenden brauchen, namentlich
zur Begründung gewisser Punkte, in denen wir von einigen in der letzten Zeit zum
Ausdruck gebrachten Ansichten abweichen. Vor allem liegt uns daran, zu be¬
tonen, daß die Blockpolitik, richtig verstanden, keine Abschwächung
tieferliegender und berechtigter Unterschiede in den politischen
Grundanschauungen, keine Verwischung bedeutungsvoller Gegen¬
sätze, keine Lauheit in der Vertretung politischer Überzeugungen
bedeutet, sich nicht auf Parteimüdigkeit gründet und auch nicht zur
Parteimüdigkeit erziehen soll. Das wäre derselbe Fehlschluß, als wenn
man auf sittlichem Gebiet Selbstzucht auf Temperamentlosigkeit und Duldsamkeit
auf Gleichgiltigkeit zurückführen wollte. Wir glauben im Gegenteil, daß eine
Vertiefung der politischen Interessen, auch wenn sie sich zunächst in erhöhter
Anteilnahme am Parteileben bekundet, in ihren weitern Wirkungen der Ent¬
wicklung des Blockgedankcns nur dienlich sein kann. Denn nicht die Verschieden¬
heit der Auffassungen, sondern ihre Verflachung, die Zurückhaltung der tiefer
Gebildeten, die Herrschaft der Phrase und des Schlagworts — diese Ursachen
sind es, die unsre Parteikämpfe zu dem widerlichen, unfruchtbaren Gezänk machen,
als das sie vielen unter uns ausschließlich erscheinen. Parteien und Parteikampf
sind aber Notwendigkeiten; in der innern Entwicklung der Völker bedeutet der
Kampf der Geister, der Welt- und Lebensanschauungen nichts andres als Leben


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[0450] Der N?eg zum neuen Block mit Hilfe der Methode gerecht werden können, die sich in andern Verfassungs¬ staaten eingebürgert hat, nämlich durch einen regelmäßigen Wechsel zweier großer Parteigruppen in der Unterstützung der Regierung und in der Opposition. Gewiß kann es auch bei uns abwechselnd eine konservative und eine liberale Mehrheit geben, auf die sich dann die Regierung stützen kann, aber eine sichere Mehrheit, die entschlossen ist, ein bestimmtes politisches Prinzip, dem durch eine klare Bekundung des Volkswillens für eine Weile das Übergewicht zuerkannt worden ist, zum Ausdruck zu bringen — eine solche Mehrheit gibt es bei uns in keinem Falle. Der Grund braucht kaum besonders gesagt zu werden; er liegt in der Existenz und der eigenartigen Stellung des Zentrums und der Sozialdemokratie. Darauf braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, da die Gesichtspunkte, die gerade wegen dieser Eigenheit unsers Parteiwesens die Wiederkehr der Blockpolitik notwendig machen, an dieser Stelle schon einmal von andrer Seite erörtert worden sind. Bei der Unzuverlüssigkeit der Mehr¬ heitsbildung im Reichstag muß eine Versicherung gegen ein mögliches Über¬ gewicht von Parteien vorhanden sein, die das Wohl des nationalen Staats nicht zum Ausgangspunkt ihres politischen Bekenntnisses wählen; diese Ver¬ sicherung kann nur darin bestehen, daß in allen Fragen, die durch antinationale Parteibestrebungen gefährdet werden können, Konservative und Liberale grund¬ sätzlich eine Verständigung suchen und auf dieser Grundlage gemeinsam handeln. Wenn wir auf Wesen und Notwendigkeit der Blockpolitik hier noch einmal eingegangen sind, obwohl dieses Thema in den Grenzboten schon mehrfach behandelt worden ist, so ist das geschehen, weil wir einzelne Gesichtspunkte hervorheben wollten, die wir zur Begründung des folgenden brauchen, namentlich zur Begründung gewisser Punkte, in denen wir von einigen in der letzten Zeit zum Ausdruck gebrachten Ansichten abweichen. Vor allem liegt uns daran, zu be¬ tonen, daß die Blockpolitik, richtig verstanden, keine Abschwächung tieferliegender und berechtigter Unterschiede in den politischen Grundanschauungen, keine Verwischung bedeutungsvoller Gegen¬ sätze, keine Lauheit in der Vertretung politischer Überzeugungen bedeutet, sich nicht auf Parteimüdigkeit gründet und auch nicht zur Parteimüdigkeit erziehen soll. Das wäre derselbe Fehlschluß, als wenn man auf sittlichem Gebiet Selbstzucht auf Temperamentlosigkeit und Duldsamkeit auf Gleichgiltigkeit zurückführen wollte. Wir glauben im Gegenteil, daß eine Vertiefung der politischen Interessen, auch wenn sie sich zunächst in erhöhter Anteilnahme am Parteileben bekundet, in ihren weitern Wirkungen der Ent¬ wicklung des Blockgedankcns nur dienlich sein kann. Denn nicht die Verschieden¬ heit der Auffassungen, sondern ihre Verflachung, die Zurückhaltung der tiefer Gebildeten, die Herrschaft der Phrase und des Schlagworts — diese Ursachen sind es, die unsre Parteikämpfe zu dem widerlichen, unfruchtbaren Gezänk machen, als das sie vielen unter uns ausschließlich erscheinen. Parteien und Parteikampf sind aber Notwendigkeiten; in der innern Entwicklung der Völker bedeutet der Kampf der Geister, der Welt- und Lebensanschauungen nichts andres als Leben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/450>, abgerufen am 03.07.2024.