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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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glaubt jeder für sich, auf dem allein richtigen Wege zu sein; ohne diese Über¬
zeugung ist ein ernstes und nachhaltiges Interesse an politischen Fragen
unmöglich. Und ebenso selbstverständlich tritt jeder für das, was er für
richtig hält, mit ganzer Kraft und den: Eifer der wahren Überzeugung ein.
Er wird also danach trachten, den Geltungsbereich der eignen Meinung uach
Möglichkeit zu erweitern. Aber das wird natürlich nur bis zu einer gewissen
Grenze glücken. Diese Grenzen sind zu allen Zeiten vorhanden gewesen; bei
der Kompliziertheit der Lebensverhältnisse in einem modernen Staat sind sie
mehr denn je von Bedeutung. Ihre Beachtung im Sinne einer Anerkennung
der -- wenn auch vielleicht unerwünschten -- Tatsache kann auch ein enges
und sehr geschärftes politisches Gewissen niemals beschweren, wenn den poli¬
tischen Überzeugungen wirkliche Vaterlandsliebe, ein gesundes Gemeinschafts¬
gefühl mit den Interessen des ganzen Volks zugrunde liegt. Es kann also
jeder mit vollem Eifer auf das Ziel hinarbeiten, daß seine Partei an Aus¬
breitung und Einfluß gewinne, und es ist nicht einzusehen, warum dieser Eifer
erlahmen sollte, wenn er trotzdem die praktischen Konsequenzen aus der Tat¬
sache zieht, daß es andre Leute gibt und immer geben wird, die andrer
Meinung sind und aus den gleichen Gründen und mit dem gleichen Eifer für
ihre Partei arbeiten. Wenn daher der Meinungskampf auch unter den Par¬
teien, die auf dem Boden der Staatsordnung und des Staatsinteresses stehn,
oft Formen annimmt, die dem Gegner geradezu die Existenzberechtigung ab¬
streiten, so mag sich das im Einzelfall durch die Hitze des Gefechts und durch
die Mitwirkung von Elementen von mangelhafter politischer Intelligenz und
Bildung entschuldigen lassen, aber eine innere Berechtigung hat diese Form
des Parteigeistes nicht.

Gemähre wird vielleicht die Auffassung von der Alleinberechtigung einer
bestimmten Parteirichtung -- eine Auffassung, der alle geschichtlichen Er¬
fahrungen widersprechen -- durch die oft gehörte Behauptung, der preußische
Staat gebe ein Beispiel eines fast ausschließlich konservativ regierten Staats¬
wesens. Die Konservativen erklären daraus das gesunde Wachstum und die
Größe des Staats und die Erfolge seiner Politik; die Liberalen sehen darin
die wesentliche Ursache seiner Mängel und Schwächen. Unrecht haben beide,
denn die Behauptung ist falsch. Erst seit zwei Menschenaltern ist Preußen
Verfassungsstaat. Bis dahin haben die Beherrscher dieses Staats, deren Wille
allein das Gesetz schuf, sehr oft ihre ganze Energie und Autorität eingesetzt,
um dem entgegenzuwirken, was man uuter den damaligen Zeitverhältnissen
nach Analogie der heutigen etwa das konservative Prinzip nennen könnte.
Wie oft haben die Hohenzollern, wenn es die Zeitverhältnisse notwendig
machten, in ihrer Verwaltungspolitik einen gefunden Liberalismus vertreten!
Wie oft haben sie zu diesem Zwecke sogar das formelle Recht verletzt und
zerbrochen, um zum Heil ihres Staats einem höhern Recht den Eingang frei¬
zumachen! Man sehe sich nur einmal die braudenburgisch-preußische Geschichte
daraufhin näher an, allerdings nicht in den herkömmlichen volkstümlich-


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glaubt jeder für sich, auf dem allein richtigen Wege zu sein; ohne diese Über¬
zeugung ist ein ernstes und nachhaltiges Interesse an politischen Fragen
unmöglich. Und ebenso selbstverständlich tritt jeder für das, was er für
richtig hält, mit ganzer Kraft und den: Eifer der wahren Überzeugung ein.
Er wird also danach trachten, den Geltungsbereich der eignen Meinung uach
Möglichkeit zu erweitern. Aber das wird natürlich nur bis zu einer gewissen
Grenze glücken. Diese Grenzen sind zu allen Zeiten vorhanden gewesen; bei
der Kompliziertheit der Lebensverhältnisse in einem modernen Staat sind sie
mehr denn je von Bedeutung. Ihre Beachtung im Sinne einer Anerkennung
der — wenn auch vielleicht unerwünschten — Tatsache kann auch ein enges
und sehr geschärftes politisches Gewissen niemals beschweren, wenn den poli¬
tischen Überzeugungen wirkliche Vaterlandsliebe, ein gesundes Gemeinschafts¬
gefühl mit den Interessen des ganzen Volks zugrunde liegt. Es kann also
jeder mit vollem Eifer auf das Ziel hinarbeiten, daß seine Partei an Aus¬
breitung und Einfluß gewinne, und es ist nicht einzusehen, warum dieser Eifer
erlahmen sollte, wenn er trotzdem die praktischen Konsequenzen aus der Tat¬
sache zieht, daß es andre Leute gibt und immer geben wird, die andrer
Meinung sind und aus den gleichen Gründen und mit dem gleichen Eifer für
ihre Partei arbeiten. Wenn daher der Meinungskampf auch unter den Par¬
teien, die auf dem Boden der Staatsordnung und des Staatsinteresses stehn,
oft Formen annimmt, die dem Gegner geradezu die Existenzberechtigung ab¬
streiten, so mag sich das im Einzelfall durch die Hitze des Gefechts und durch
die Mitwirkung von Elementen von mangelhafter politischer Intelligenz und
Bildung entschuldigen lassen, aber eine innere Berechtigung hat diese Form
des Parteigeistes nicht.

Gemähre wird vielleicht die Auffassung von der Alleinberechtigung einer
bestimmten Parteirichtung — eine Auffassung, der alle geschichtlichen Er¬
fahrungen widersprechen — durch die oft gehörte Behauptung, der preußische
Staat gebe ein Beispiel eines fast ausschließlich konservativ regierten Staats¬
wesens. Die Konservativen erklären daraus das gesunde Wachstum und die
Größe des Staats und die Erfolge seiner Politik; die Liberalen sehen darin
die wesentliche Ursache seiner Mängel und Schwächen. Unrecht haben beide,
denn die Behauptung ist falsch. Erst seit zwei Menschenaltern ist Preußen
Verfassungsstaat. Bis dahin haben die Beherrscher dieses Staats, deren Wille
allein das Gesetz schuf, sehr oft ihre ganze Energie und Autorität eingesetzt,
um dem entgegenzuwirken, was man uuter den damaligen Zeitverhältnissen
nach Analogie der heutigen etwa das konservative Prinzip nennen könnte.
Wie oft haben die Hohenzollern, wenn es die Zeitverhältnisse notwendig
machten, in ihrer Verwaltungspolitik einen gefunden Liberalismus vertreten!
Wie oft haben sie zu diesem Zwecke sogar das formelle Recht verletzt und
zerbrochen, um zum Heil ihres Staats einem höhern Recht den Eingang frei¬
zumachen! Man sehe sich nur einmal die braudenburgisch-preußische Geschichte
daraufhin näher an, allerdings nicht in den herkömmlichen volkstümlich-


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[0448] Der U)eg zum neuen Block glaubt jeder für sich, auf dem allein richtigen Wege zu sein; ohne diese Über¬ zeugung ist ein ernstes und nachhaltiges Interesse an politischen Fragen unmöglich. Und ebenso selbstverständlich tritt jeder für das, was er für richtig hält, mit ganzer Kraft und den: Eifer der wahren Überzeugung ein. Er wird also danach trachten, den Geltungsbereich der eignen Meinung uach Möglichkeit zu erweitern. Aber das wird natürlich nur bis zu einer gewissen Grenze glücken. Diese Grenzen sind zu allen Zeiten vorhanden gewesen; bei der Kompliziertheit der Lebensverhältnisse in einem modernen Staat sind sie mehr denn je von Bedeutung. Ihre Beachtung im Sinne einer Anerkennung der — wenn auch vielleicht unerwünschten — Tatsache kann auch ein enges und sehr geschärftes politisches Gewissen niemals beschweren, wenn den poli¬ tischen Überzeugungen wirkliche Vaterlandsliebe, ein gesundes Gemeinschafts¬ gefühl mit den Interessen des ganzen Volks zugrunde liegt. Es kann also jeder mit vollem Eifer auf das Ziel hinarbeiten, daß seine Partei an Aus¬ breitung und Einfluß gewinne, und es ist nicht einzusehen, warum dieser Eifer erlahmen sollte, wenn er trotzdem die praktischen Konsequenzen aus der Tat¬ sache zieht, daß es andre Leute gibt und immer geben wird, die andrer Meinung sind und aus den gleichen Gründen und mit dem gleichen Eifer für ihre Partei arbeiten. Wenn daher der Meinungskampf auch unter den Par¬ teien, die auf dem Boden der Staatsordnung und des Staatsinteresses stehn, oft Formen annimmt, die dem Gegner geradezu die Existenzberechtigung ab¬ streiten, so mag sich das im Einzelfall durch die Hitze des Gefechts und durch die Mitwirkung von Elementen von mangelhafter politischer Intelligenz und Bildung entschuldigen lassen, aber eine innere Berechtigung hat diese Form des Parteigeistes nicht. Gemähre wird vielleicht die Auffassung von der Alleinberechtigung einer bestimmten Parteirichtung — eine Auffassung, der alle geschichtlichen Er¬ fahrungen widersprechen — durch die oft gehörte Behauptung, der preußische Staat gebe ein Beispiel eines fast ausschließlich konservativ regierten Staats¬ wesens. Die Konservativen erklären daraus das gesunde Wachstum und die Größe des Staats und die Erfolge seiner Politik; die Liberalen sehen darin die wesentliche Ursache seiner Mängel und Schwächen. Unrecht haben beide, denn die Behauptung ist falsch. Erst seit zwei Menschenaltern ist Preußen Verfassungsstaat. Bis dahin haben die Beherrscher dieses Staats, deren Wille allein das Gesetz schuf, sehr oft ihre ganze Energie und Autorität eingesetzt, um dem entgegenzuwirken, was man uuter den damaligen Zeitverhältnissen nach Analogie der heutigen etwa das konservative Prinzip nennen könnte. Wie oft haben die Hohenzollern, wenn es die Zeitverhältnisse notwendig machten, in ihrer Verwaltungspolitik einen gefunden Liberalismus vertreten! Wie oft haben sie zu diesem Zwecke sogar das formelle Recht verletzt und zerbrochen, um zum Heil ihres Staats einem höhern Recht den Eingang frei¬ zumachen! Man sehe sich nur einmal die braudenburgisch-preußische Geschichte daraufhin näher an, allerdings nicht in den herkömmlichen volkstümlich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/448>, abgerufen am 03.07.2024.