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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Lines Toren Waldfahrt

Boie Mars Hartwich legte die Zeitung zusammen, die er beim Kaffeetrinken
gelesen hatte, und schob das letzte Stück Kandiszucker, das noch auf dem Räude
der Kaffeetasse lag, in den Mund, als seine Tochter ungestüm die Tür aufriß und
ins Zimmer trat. So konnte er es seiner Frau überlassen, das Türwerfen zu
rügen; sie hatte auch schon gefahrdrohend die glatte Stirn gerunzelt und sagte
jetzt scharf und verweisend: Franke! Kannst du nicht noch etwas mehr Lärm machen?
Was ist denn los? Brennt es im Dorf?

Dem jungen Mädchen war ein tiefes Rot ins Gesicht gestiegen; sie preßte
trotzig die Lippen zusammen und schickte sich an, gleich wieder hinauszugehen. Das,
was sie soeben jubelnd hatte erzählen Wollen, verschob sie auf eine gelegenere Zeit,
wo sie den Vater allein treffen würde. Dem aber war es nicht entgangen, daß
all das Frohe, Strahlende aus dem Gesicht seines Kindes jetzt plötzlich wieder wie
ausgelöscht schien; er räusperte sich hastig und rief die Weggehende zurück: Frauke,
erzähl doch erst! Dn hattest doch was ans dem Herzen, nicht?

Das Mädchen drehte sich um, sah noch einmal flüchtig zur Mutter hinüber,
und dann siegte doch in ihr wieder die Freude von vorhin.

Ach, sagte sie glücklich, mit einem Leuchten in den jungen Augen, ich wollte
nur erzählen, Vater -- eben haben wir abgemacht, daß die Liedertafel Sonntag
in acht Tagen eine Ausfahrt machen soll nach Schwabstedt! Nach dem Walde, Vater!
Das sind vier Stunden zu fahren, und alle Bauern sollen Wagen und Pferde stellen.
Du auch, Vater!

Donner! lachte der behaglich auf, Franke, ihr mögt es tun! Wir Alten
werden wohl gar nicht erst gefragt?

Was für'n Einfall, unterbrach ihn seine Frau tadelnd, was soll das heiße",
nach der Geest zu fahren -- was ist da eigentlich zu sehen? Macht doch eine Rund¬
fahrt durch die Marsch, auf den Deichen entlang! Davon hat man doch was!

Aber wir wollen doch gerade mal in den Wald! Niemand von uns hat noch
einen Wald gesehen! antwortete Frauke etwas unsicher, dabei flehend den Vater
anblickend.

Der kam ihr auch richtig zu Hilfe: Na meinetwegen fahrt man los! Ich will
auch nichts sagen, das mag ja ganz nett sein, sichs mal anzusehen. Wenn man
jung ist, hat man immer Grappen im Kopf -- Hans Hinnerk Behm und ich
haben früher auch immer viel davon geschnackt, mal hinzufahren, das ist aber nie
so weit gekommen. Nun kann ich dich ja hinfahren, mein Deern!

Franke nickte ihm dankend zu und schlüpfte hinaus. In der Tür hörte sie
noch, wie die Mutter weiter über den kindischen Einfall schalt und sich ganz energisch
das Mitfahren ihres Mannes verbat. Das Mädchen lachte leise auf -- es schadete
weiter nichts, wenn der Vater diesmal nachgab; eigentlich hatten sie im Kirchspiel¬
krug abgemacht, daß das junge Volk die Fahrt allein unternehmen wolle. Sie
brachte Jacke und Hut an ihren Platz und ging dann halblaut singend über die
lange kühle Diele nach dem Hinterhaus. Als sie an der Küchentür vorbei, kam,
öffnete sie sie vorsichtig und rief dem Mädchen drinnen zu: Mine -- weißt du
was? Die Liedertafel fährt nach Schwabstedt!

Jeses! schrie die erschrocken auf und setzte dann mißbilligend hinzu: Seid ihr
unklug geworden? Nach der Geest?

Da ging Frauke Hartwich weiter und suchte den letzten im Hause auf, um
ihm ihre Freude zu sagen.

Momme Tetens stand auf der großen Loodiele bei der Häckselmaschine und
drehte langsam und mit Bedacht das Rad herum, sodaß die Schnippelchen Bohnen-


Lines Toren Waldfahrt

Boie Mars Hartwich legte die Zeitung zusammen, die er beim Kaffeetrinken
gelesen hatte, und schob das letzte Stück Kandiszucker, das noch auf dem Räude
der Kaffeetasse lag, in den Mund, als seine Tochter ungestüm die Tür aufriß und
ins Zimmer trat. So konnte er es seiner Frau überlassen, das Türwerfen zu
rügen; sie hatte auch schon gefahrdrohend die glatte Stirn gerunzelt und sagte
jetzt scharf und verweisend: Franke! Kannst du nicht noch etwas mehr Lärm machen?
Was ist denn los? Brennt es im Dorf?

Dem jungen Mädchen war ein tiefes Rot ins Gesicht gestiegen; sie preßte
trotzig die Lippen zusammen und schickte sich an, gleich wieder hinauszugehen. Das,
was sie soeben jubelnd hatte erzählen Wollen, verschob sie auf eine gelegenere Zeit,
wo sie den Vater allein treffen würde. Dem aber war es nicht entgangen, daß
all das Frohe, Strahlende aus dem Gesicht seines Kindes jetzt plötzlich wieder wie
ausgelöscht schien; er räusperte sich hastig und rief die Weggehende zurück: Frauke,
erzähl doch erst! Dn hattest doch was ans dem Herzen, nicht?

Das Mädchen drehte sich um, sah noch einmal flüchtig zur Mutter hinüber,
und dann siegte doch in ihr wieder die Freude von vorhin.

Ach, sagte sie glücklich, mit einem Leuchten in den jungen Augen, ich wollte
nur erzählen, Vater — eben haben wir abgemacht, daß die Liedertafel Sonntag
in acht Tagen eine Ausfahrt machen soll nach Schwabstedt! Nach dem Walde, Vater!
Das sind vier Stunden zu fahren, und alle Bauern sollen Wagen und Pferde stellen.
Du auch, Vater!

Donner! lachte der behaglich auf, Franke, ihr mögt es tun! Wir Alten
werden wohl gar nicht erst gefragt?

Was für'n Einfall, unterbrach ihn seine Frau tadelnd, was soll das heiße»,
nach der Geest zu fahren — was ist da eigentlich zu sehen? Macht doch eine Rund¬
fahrt durch die Marsch, auf den Deichen entlang! Davon hat man doch was!

Aber wir wollen doch gerade mal in den Wald! Niemand von uns hat noch
einen Wald gesehen! antwortete Frauke etwas unsicher, dabei flehend den Vater
anblickend.

Der kam ihr auch richtig zu Hilfe: Na meinetwegen fahrt man los! Ich will
auch nichts sagen, das mag ja ganz nett sein, sichs mal anzusehen. Wenn man
jung ist, hat man immer Grappen im Kopf — Hans Hinnerk Behm und ich
haben früher auch immer viel davon geschnackt, mal hinzufahren, das ist aber nie
so weit gekommen. Nun kann ich dich ja hinfahren, mein Deern!

Franke nickte ihm dankend zu und schlüpfte hinaus. In der Tür hörte sie
noch, wie die Mutter weiter über den kindischen Einfall schalt und sich ganz energisch
das Mitfahren ihres Mannes verbat. Das Mädchen lachte leise auf — es schadete
weiter nichts, wenn der Vater diesmal nachgab; eigentlich hatten sie im Kirchspiel¬
krug abgemacht, daß das junge Volk die Fahrt allein unternehmen wolle. Sie
brachte Jacke und Hut an ihren Platz und ging dann halblaut singend über die
lange kühle Diele nach dem Hinterhaus. Als sie an der Küchentür vorbei, kam,
öffnete sie sie vorsichtig und rief dem Mädchen drinnen zu: Mine — weißt du
was? Die Liedertafel fährt nach Schwabstedt!

Jeses! schrie die erschrocken auf und setzte dann mißbilligend hinzu: Seid ihr
unklug geworden? Nach der Geest?

Da ging Frauke Hartwich weiter und suchte den letzten im Hause auf, um
ihm ihre Freude zu sagen.

Momme Tetens stand auf der großen Loodiele bei der Häckselmaschine und
drehte langsam und mit Bedacht das Rad herum, sodaß die Schnippelchen Bohnen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/44>, abgerufen am 22.12.2024.