Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen

zu fühlen, daß ihnen Widerstand gegen die Staatsregierung als eine Mon¬
strosität erschienen sein würde. Schwarzenberg hat dem Herrn von Schulte
einmal erzählt, er habe einen seiner Suffraganbischöfe auf das Tridentinische
Ehedekret aufmerksam gemacht, der aber habe erwidert, die Statthaltern habe
ihm die Tridentinischen Beschlüsse noch nicht einmal bekannt gemacht. Da¬
gegen hat sich der preußische Episkopat dem Staate gegenüber immer als
eine selbständige Macht gefühlt, was ganz selbstverständlich ist, da ja der
König zwar summus "zxiseoxus der evangelischen aber nicht der katholischen
Kirche ist; dieses kann er so wenig sein wie etwa Oberrabiner. Schulte er¬
kennt übrigens auch an, daß die Maigesetze nicht in alleweg untadlig ge¬
wesen seien, beklagt, daß man bei ihrer Ausarbeitung seine Ratschlüge nicht
befolgt habe, und zeichnet die Grundzüge für eine zukünftige bessere kirchen¬
politische Gesetzgebung, die vor allem keine Verletzung der Gewissen enthalten
dürfe. Leider ist die Grenze zwischen einer wirklichen und einer bloß einge¬
bildeten Verletzung der Gewissen recht schwer zu bestimmen. Sehr zu be¬
achten ist der Nachdruck, den Schulte auf wirkliche Gewissensfreiheit legt, zu
der gehöre, daß der Staat auf jeden Zwang in Beziehung auf die Be¬
stimmung der Konfession der Kinder verzichte. Diese gehe ihn gar nichts an.
Er habe sich in diese Dinge, die lediglich Sache der Eltern, Verwandten und
Vormünder sei, gar nicht einzumischen, habe also nicht anzuordnen, in welcher
Konfession die Sprößlinge gemischter Ehen zu erziehen seien, und dürfe in
der Schule keinen Religionsunterricht erteilen lassen. Katholischer Religions¬
unterricht bedeute unter den heutigen Umständen zwangsweise Einflößung
ultramontaner Gesinnung, und es sei doch absurd, daß eine protestantische
Regierung solchen Zwang ausübe. Schulte hat theoretisch vollkommen recht.
In praxi jedoch ist der preußische Staat so eng mit der evangelischen Kirche
verwachsen, daß er sich der ihm von dieser übertragnen Pflicht, für die
religiöse Unterweisung der Kinder zu sorgen, nicht gut entziehen kann, und
als paritätischer Staat hält er sich für verpflichtet, denselben Liebesdienst
(Wenns einer ist; bekanntlich erzeugt gerade der Religionsunterricht nicht
selten Haß gegen die Religion) auch seinen katholischen Untertanen zu er¬
weisen. Das vou der Mehrheit des Volkes gebilligte Schulunterhaltungs-
gesetz von 1906 hat denn auch die grundsätzliche Konfessionalität der Volks¬
schule aufs neue festgelegt. Die andre Forderung Schuttes könnte dagegen
leicht erfüllt werden. Wollte die Regierung darauf verzichten, sich in die
Wahl der Konfession für verwaiste Kinder einzumischen, so würde sie im Land¬
tage kaum auf ernstlichen Widerstand stoßen.

Kann man es den preußischen Bischöfen nicht verargen, daß sie den Mai-
gesetzen den Gehorsam verweigerten, so ist doch nicht jede einzelne ihrer
Kampfmaßregeln zu billigen. Mit Entrüstung hat mich erfüllt und erfüllt
wich heute noch die perfide Art, in der sie der Einführung der Zivilehe be¬
gegnet sind. Nach der katholischen Kirchenlehre ist die Ehe ein Kontrakt, der


Grenzboten III 1909 53
Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen

zu fühlen, daß ihnen Widerstand gegen die Staatsregierung als eine Mon¬
strosität erschienen sein würde. Schwarzenberg hat dem Herrn von Schulte
einmal erzählt, er habe einen seiner Suffraganbischöfe auf das Tridentinische
Ehedekret aufmerksam gemacht, der aber habe erwidert, die Statthaltern habe
ihm die Tridentinischen Beschlüsse noch nicht einmal bekannt gemacht. Da¬
gegen hat sich der preußische Episkopat dem Staate gegenüber immer als
eine selbständige Macht gefühlt, was ganz selbstverständlich ist, da ja der
König zwar summus «zxiseoxus der evangelischen aber nicht der katholischen
Kirche ist; dieses kann er so wenig sein wie etwa Oberrabiner. Schulte er¬
kennt übrigens auch an, daß die Maigesetze nicht in alleweg untadlig ge¬
wesen seien, beklagt, daß man bei ihrer Ausarbeitung seine Ratschlüge nicht
befolgt habe, und zeichnet die Grundzüge für eine zukünftige bessere kirchen¬
politische Gesetzgebung, die vor allem keine Verletzung der Gewissen enthalten
dürfe. Leider ist die Grenze zwischen einer wirklichen und einer bloß einge¬
bildeten Verletzung der Gewissen recht schwer zu bestimmen. Sehr zu be¬
achten ist der Nachdruck, den Schulte auf wirkliche Gewissensfreiheit legt, zu
der gehöre, daß der Staat auf jeden Zwang in Beziehung auf die Be¬
stimmung der Konfession der Kinder verzichte. Diese gehe ihn gar nichts an.
Er habe sich in diese Dinge, die lediglich Sache der Eltern, Verwandten und
Vormünder sei, gar nicht einzumischen, habe also nicht anzuordnen, in welcher
Konfession die Sprößlinge gemischter Ehen zu erziehen seien, und dürfe in
der Schule keinen Religionsunterricht erteilen lassen. Katholischer Religions¬
unterricht bedeute unter den heutigen Umständen zwangsweise Einflößung
ultramontaner Gesinnung, und es sei doch absurd, daß eine protestantische
Regierung solchen Zwang ausübe. Schulte hat theoretisch vollkommen recht.
In praxi jedoch ist der preußische Staat so eng mit der evangelischen Kirche
verwachsen, daß er sich der ihm von dieser übertragnen Pflicht, für die
religiöse Unterweisung der Kinder zu sorgen, nicht gut entziehen kann, und
als paritätischer Staat hält er sich für verpflichtet, denselben Liebesdienst
(Wenns einer ist; bekanntlich erzeugt gerade der Religionsunterricht nicht
selten Haß gegen die Religion) auch seinen katholischen Untertanen zu er¬
weisen. Das vou der Mehrheit des Volkes gebilligte Schulunterhaltungs-
gesetz von 1906 hat denn auch die grundsätzliche Konfessionalität der Volks¬
schule aufs neue festgelegt. Die andre Forderung Schuttes könnte dagegen
leicht erfüllt werden. Wollte die Regierung darauf verzichten, sich in die
Wahl der Konfession für verwaiste Kinder einzumischen, so würde sie im Land¬
tage kaum auf ernstlichen Widerstand stoßen.

Kann man es den preußischen Bischöfen nicht verargen, daß sie den Mai-
gesetzen den Gehorsam verweigerten, so ist doch nicht jede einzelne ihrer
Kampfmaßregeln zu billigen. Mit Entrüstung hat mich erfüllt und erfüllt
wich heute noch die perfide Art, in der sie der Einführung der Zivilehe be¬
gegnet sind. Nach der katholischen Kirchenlehre ist die Ehe ein Kontrakt, der


Grenzboten III 1909 53
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314122"/>
          <fw type="header" place="top"> Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1987" prev="#ID_1986"> zu fühlen, daß ihnen Widerstand gegen die Staatsregierung als eine Mon¬<lb/>
strosität erschienen sein würde. Schwarzenberg hat dem Herrn von Schulte<lb/>
einmal erzählt, er habe einen seiner Suffraganbischöfe auf das Tridentinische<lb/>
Ehedekret aufmerksam gemacht, der aber habe erwidert, die Statthaltern habe<lb/>
ihm die Tridentinischen Beschlüsse noch nicht einmal bekannt gemacht. Da¬<lb/>
gegen hat sich der preußische Episkopat dem Staate gegenüber immer als<lb/>
eine selbständige Macht gefühlt, was ganz selbstverständlich ist, da ja der<lb/>
König zwar summus «zxiseoxus der evangelischen aber nicht der katholischen<lb/>
Kirche ist; dieses kann er so wenig sein wie etwa Oberrabiner. Schulte er¬<lb/>
kennt übrigens auch an, daß die Maigesetze nicht in alleweg untadlig ge¬<lb/>
wesen seien, beklagt, daß man bei ihrer Ausarbeitung seine Ratschlüge nicht<lb/>
befolgt habe, und zeichnet die Grundzüge für eine zukünftige bessere kirchen¬<lb/>
politische Gesetzgebung, die vor allem keine Verletzung der Gewissen enthalten<lb/>
dürfe. Leider ist die Grenze zwischen einer wirklichen und einer bloß einge¬<lb/>
bildeten Verletzung der Gewissen recht schwer zu bestimmen. Sehr zu be¬<lb/>
achten ist der Nachdruck, den Schulte auf wirkliche Gewissensfreiheit legt, zu<lb/>
der gehöre, daß der Staat auf jeden Zwang in Beziehung auf die Be¬<lb/>
stimmung der Konfession der Kinder verzichte. Diese gehe ihn gar nichts an.<lb/>
Er habe sich in diese Dinge, die lediglich Sache der Eltern, Verwandten und<lb/>
Vormünder sei, gar nicht einzumischen, habe also nicht anzuordnen, in welcher<lb/>
Konfession die Sprößlinge gemischter Ehen zu erziehen seien, und dürfe in<lb/>
der Schule keinen Religionsunterricht erteilen lassen. Katholischer Religions¬<lb/>
unterricht bedeute unter den heutigen Umständen zwangsweise Einflößung<lb/>
ultramontaner Gesinnung, und es sei doch absurd, daß eine protestantische<lb/>
Regierung solchen Zwang ausübe. Schulte hat theoretisch vollkommen recht.<lb/>
In praxi jedoch ist der preußische Staat so eng mit der evangelischen Kirche<lb/>
verwachsen, daß er sich der ihm von dieser übertragnen Pflicht, für die<lb/>
religiöse Unterweisung der Kinder zu sorgen, nicht gut entziehen kann, und<lb/>
als paritätischer Staat hält er sich für verpflichtet, denselben Liebesdienst<lb/>
(Wenns einer ist; bekanntlich erzeugt gerade der Religionsunterricht nicht<lb/>
selten Haß gegen die Religion) auch seinen katholischen Untertanen zu er¬<lb/>
weisen. Das vou der Mehrheit des Volkes gebilligte Schulunterhaltungs-<lb/>
gesetz von 1906 hat denn auch die grundsätzliche Konfessionalität der Volks¬<lb/>
schule aufs neue festgelegt. Die andre Forderung Schuttes könnte dagegen<lb/>
leicht erfüllt werden. Wollte die Regierung darauf verzichten, sich in die<lb/>
Wahl der Konfession für verwaiste Kinder einzumischen, so würde sie im Land¬<lb/>
tage kaum auf ernstlichen Widerstand stoßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1988" next="#ID_1989"> Kann man es den preußischen Bischöfen nicht verargen, daß sie den Mai-<lb/>
gesetzen den Gehorsam verweigerten, so ist doch nicht jede einzelne ihrer<lb/>
Kampfmaßregeln zu billigen. Mit Entrüstung hat mich erfüllt und erfüllt<lb/>
wich heute noch die perfide Art, in der sie der Einführung der Zivilehe be¬<lb/>
gegnet sind.  Nach der katholischen Kirchenlehre ist die Ehe ein Kontrakt, der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1909 53</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen zu fühlen, daß ihnen Widerstand gegen die Staatsregierung als eine Mon¬ strosität erschienen sein würde. Schwarzenberg hat dem Herrn von Schulte einmal erzählt, er habe einen seiner Suffraganbischöfe auf das Tridentinische Ehedekret aufmerksam gemacht, der aber habe erwidert, die Statthaltern habe ihm die Tridentinischen Beschlüsse noch nicht einmal bekannt gemacht. Da¬ gegen hat sich der preußische Episkopat dem Staate gegenüber immer als eine selbständige Macht gefühlt, was ganz selbstverständlich ist, da ja der König zwar summus «zxiseoxus der evangelischen aber nicht der katholischen Kirche ist; dieses kann er so wenig sein wie etwa Oberrabiner. Schulte er¬ kennt übrigens auch an, daß die Maigesetze nicht in alleweg untadlig ge¬ wesen seien, beklagt, daß man bei ihrer Ausarbeitung seine Ratschlüge nicht befolgt habe, und zeichnet die Grundzüge für eine zukünftige bessere kirchen¬ politische Gesetzgebung, die vor allem keine Verletzung der Gewissen enthalten dürfe. Leider ist die Grenze zwischen einer wirklichen und einer bloß einge¬ bildeten Verletzung der Gewissen recht schwer zu bestimmen. Sehr zu be¬ achten ist der Nachdruck, den Schulte auf wirkliche Gewissensfreiheit legt, zu der gehöre, daß der Staat auf jeden Zwang in Beziehung auf die Be¬ stimmung der Konfession der Kinder verzichte. Diese gehe ihn gar nichts an. Er habe sich in diese Dinge, die lediglich Sache der Eltern, Verwandten und Vormünder sei, gar nicht einzumischen, habe also nicht anzuordnen, in welcher Konfession die Sprößlinge gemischter Ehen zu erziehen seien, und dürfe in der Schule keinen Religionsunterricht erteilen lassen. Katholischer Religions¬ unterricht bedeute unter den heutigen Umständen zwangsweise Einflößung ultramontaner Gesinnung, und es sei doch absurd, daß eine protestantische Regierung solchen Zwang ausübe. Schulte hat theoretisch vollkommen recht. In praxi jedoch ist der preußische Staat so eng mit der evangelischen Kirche verwachsen, daß er sich der ihm von dieser übertragnen Pflicht, für die religiöse Unterweisung der Kinder zu sorgen, nicht gut entziehen kann, und als paritätischer Staat hält er sich für verpflichtet, denselben Liebesdienst (Wenns einer ist; bekanntlich erzeugt gerade der Religionsunterricht nicht selten Haß gegen die Religion) auch seinen katholischen Untertanen zu er¬ weisen. Das vou der Mehrheit des Volkes gebilligte Schulunterhaltungs- gesetz von 1906 hat denn auch die grundsätzliche Konfessionalität der Volks¬ schule aufs neue festgelegt. Die andre Forderung Schuttes könnte dagegen leicht erfüllt werden. Wollte die Regierung darauf verzichten, sich in die Wahl der Konfession für verwaiste Kinder einzumischen, so würde sie im Land¬ tage kaum auf ernstlichen Widerstand stoßen. Kann man es den preußischen Bischöfen nicht verargen, daß sie den Mai- gesetzen den Gehorsam verweigerten, so ist doch nicht jede einzelne ihrer Kampfmaßregeln zu billigen. Mit Entrüstung hat mich erfüllt und erfüllt wich heute noch die perfide Art, in der sie der Einführung der Zivilehe be¬ gegnet sind. Nach der katholischen Kirchenlehre ist die Ehe ein Kontrakt, der Grenzboten III 1909 53

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/419>, abgerufen am 23.07.2024.