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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der Blockgedanke

Vordem, verstand sich von selbst; nur dadurch konnte man die Mitwirkung der
Linksliberalen erlangen. In deren Lager wurden bange Zweifel rege, ob sie, die
ständig Oppositionellen, zur Regierung übergehn könnten, ohne den nicht un¬
beträchtlichen Teil ihrer ständigen Wähler vielleicht zu verlieren, der sich zu ihnen
eben um dieser Opposition willen bekannte. Und weiter: wollte man die der
Sozialdemokratie abtrünnig gewordnen und die frühern Mitläufer dauernd den
Genossen entfremden, so mußte man ihnen beweisen, daß gerade nachdem der
Einfluß der Sozialdemokraten gebrochen war, die Möglichkeit für eine liberalere
Politik als vordem gegeben war. So wurden tatsächlich einige Wünsche der
Liberalen in der Gesetzgebung erfüllt, während in der Verwaltung alles beim alten
blieb. Daß der Einfluß, der dem Liberalismus eingeräumt wurde, zu un¬
bedeutend war, um die Liberalen befriedigen zu können, darauf wird noch zurück¬
zukommen sein! er genügte aber, die Konservativen zu verärgern und in ihnen
die Ansicht aufkommen zu lassen, man wolle mit konservativen Streitkräften
liberale Politik treiben. Die Regierung des Fürsten Bülow hat diese Stimmung
der Konservativen nicht genügend beachtet; das war ihr entscheidender Fehler,
und durch diesen Grundfehler sind ihre sonstigen zweifellosen Verdienste ver¬
nichtet worden. Die Regierung hielt das konservative Gewissen der rechts¬
stehenden Parteien in ständiger Aufregung, anstatt sich an ihr nationales
Gewissen zu wenden. Dem Reichstag, der unter der Parole: "Los vom
Zentrum!" gewählt worden war, ist nicht ein Entwurf zugegangen, der auch
nur den Erfolg hätte haben können, Bresche in den Zentrumsturm zu legen; er
hat vom Regierungstische auch nicht ein Wort zu hören bekommen, das eine
grundsätzliche Absage an die ultramontane Partei enthalten Hütte. Das Ver¬
halten der konservativen Reichstagsfraktion hat unter den konser¬
vativen Wählern am meisten deshalb Mißbilligung gefunden,
weil es dem Zentrum wieder zur Macht persans. Aufgabe einer weit¬
sichtigen Regierung würde es gewesen sein, diese vorhandnen zentrumsfeind¬
lichen Tendenzen so zu stärken, daß den Konservativen ein Zusammengehn mit
denen um spähn und Erzberger unmöglich wurde.

Als im vergangnen Herbst der Staatssekretär des Reichsschatzamts Sydvw
in seinem sattsam bekannten Artikel die Vereitwilligkeit der Regierung erklärte,
die Reichsfinanzreform auch mit dem Zentrum machen zu wollen, da stellten ein¬
sichtige liberale Politiker schon die Frage, ob der Block überhaupt uoch bestehe.
Er bestand weiter, weil das Zentrum seine Zeit noch nicht gekommen sah, ein
klägliches Schauspiel: der gegen das Zentrum gerichtete Block als ein
Block von Zentrums Gnaden. Ein Schauspiel, das nur durch die Halb¬
heit der Regierung verschuldet worden ist.'-) Bülow ist nicht, wie so vielfach
behauptet wird, gefallen, weil er den Kampf gegen das Zentrum aufgenommen



*) Freilich ist Bülow in seiner Haltung bestärkt worden durch das zeitweilig flatterhafte Aus¬
t Anm. d. Red. reten des Abg. Paasche in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Finanzkommission.
Der Blockgedanke

Vordem, verstand sich von selbst; nur dadurch konnte man die Mitwirkung der
Linksliberalen erlangen. In deren Lager wurden bange Zweifel rege, ob sie, die
ständig Oppositionellen, zur Regierung übergehn könnten, ohne den nicht un¬
beträchtlichen Teil ihrer ständigen Wähler vielleicht zu verlieren, der sich zu ihnen
eben um dieser Opposition willen bekannte. Und weiter: wollte man die der
Sozialdemokratie abtrünnig gewordnen und die frühern Mitläufer dauernd den
Genossen entfremden, so mußte man ihnen beweisen, daß gerade nachdem der
Einfluß der Sozialdemokraten gebrochen war, die Möglichkeit für eine liberalere
Politik als vordem gegeben war. So wurden tatsächlich einige Wünsche der
Liberalen in der Gesetzgebung erfüllt, während in der Verwaltung alles beim alten
blieb. Daß der Einfluß, der dem Liberalismus eingeräumt wurde, zu un¬
bedeutend war, um die Liberalen befriedigen zu können, darauf wird noch zurück¬
zukommen sein! er genügte aber, die Konservativen zu verärgern und in ihnen
die Ansicht aufkommen zu lassen, man wolle mit konservativen Streitkräften
liberale Politik treiben. Die Regierung des Fürsten Bülow hat diese Stimmung
der Konservativen nicht genügend beachtet; das war ihr entscheidender Fehler,
und durch diesen Grundfehler sind ihre sonstigen zweifellosen Verdienste ver¬
nichtet worden. Die Regierung hielt das konservative Gewissen der rechts¬
stehenden Parteien in ständiger Aufregung, anstatt sich an ihr nationales
Gewissen zu wenden. Dem Reichstag, der unter der Parole: „Los vom
Zentrum!" gewählt worden war, ist nicht ein Entwurf zugegangen, der auch
nur den Erfolg hätte haben können, Bresche in den Zentrumsturm zu legen; er
hat vom Regierungstische auch nicht ein Wort zu hören bekommen, das eine
grundsätzliche Absage an die ultramontane Partei enthalten Hütte. Das Ver¬
halten der konservativen Reichstagsfraktion hat unter den konser¬
vativen Wählern am meisten deshalb Mißbilligung gefunden,
weil es dem Zentrum wieder zur Macht persans. Aufgabe einer weit¬
sichtigen Regierung würde es gewesen sein, diese vorhandnen zentrumsfeind¬
lichen Tendenzen so zu stärken, daß den Konservativen ein Zusammengehn mit
denen um spähn und Erzberger unmöglich wurde.

Als im vergangnen Herbst der Staatssekretär des Reichsschatzamts Sydvw
in seinem sattsam bekannten Artikel die Vereitwilligkeit der Regierung erklärte,
die Reichsfinanzreform auch mit dem Zentrum machen zu wollen, da stellten ein¬
sichtige liberale Politiker schon die Frage, ob der Block überhaupt uoch bestehe.
Er bestand weiter, weil das Zentrum seine Zeit noch nicht gekommen sah, ein
klägliches Schauspiel: der gegen das Zentrum gerichtete Block als ein
Block von Zentrums Gnaden. Ein Schauspiel, das nur durch die Halb¬
heit der Regierung verschuldet worden ist.'-) Bülow ist nicht, wie so vielfach
behauptet wird, gefallen, weil er den Kampf gegen das Zentrum aufgenommen



*) Freilich ist Bülow in seiner Haltung bestärkt worden durch das zeitweilig flatterhafte Aus¬
t Anm. d. Red. reten des Abg. Paasche in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Finanzkommission.
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[0405] Der Blockgedanke Vordem, verstand sich von selbst; nur dadurch konnte man die Mitwirkung der Linksliberalen erlangen. In deren Lager wurden bange Zweifel rege, ob sie, die ständig Oppositionellen, zur Regierung übergehn könnten, ohne den nicht un¬ beträchtlichen Teil ihrer ständigen Wähler vielleicht zu verlieren, der sich zu ihnen eben um dieser Opposition willen bekannte. Und weiter: wollte man die der Sozialdemokratie abtrünnig gewordnen und die frühern Mitläufer dauernd den Genossen entfremden, so mußte man ihnen beweisen, daß gerade nachdem der Einfluß der Sozialdemokraten gebrochen war, die Möglichkeit für eine liberalere Politik als vordem gegeben war. So wurden tatsächlich einige Wünsche der Liberalen in der Gesetzgebung erfüllt, während in der Verwaltung alles beim alten blieb. Daß der Einfluß, der dem Liberalismus eingeräumt wurde, zu un¬ bedeutend war, um die Liberalen befriedigen zu können, darauf wird noch zurück¬ zukommen sein! er genügte aber, die Konservativen zu verärgern und in ihnen die Ansicht aufkommen zu lassen, man wolle mit konservativen Streitkräften liberale Politik treiben. Die Regierung des Fürsten Bülow hat diese Stimmung der Konservativen nicht genügend beachtet; das war ihr entscheidender Fehler, und durch diesen Grundfehler sind ihre sonstigen zweifellosen Verdienste ver¬ nichtet worden. Die Regierung hielt das konservative Gewissen der rechts¬ stehenden Parteien in ständiger Aufregung, anstatt sich an ihr nationales Gewissen zu wenden. Dem Reichstag, der unter der Parole: „Los vom Zentrum!" gewählt worden war, ist nicht ein Entwurf zugegangen, der auch nur den Erfolg hätte haben können, Bresche in den Zentrumsturm zu legen; er hat vom Regierungstische auch nicht ein Wort zu hören bekommen, das eine grundsätzliche Absage an die ultramontane Partei enthalten Hütte. Das Ver¬ halten der konservativen Reichstagsfraktion hat unter den konser¬ vativen Wählern am meisten deshalb Mißbilligung gefunden, weil es dem Zentrum wieder zur Macht persans. Aufgabe einer weit¬ sichtigen Regierung würde es gewesen sein, diese vorhandnen zentrumsfeind¬ lichen Tendenzen so zu stärken, daß den Konservativen ein Zusammengehn mit denen um spähn und Erzberger unmöglich wurde. Als im vergangnen Herbst der Staatssekretär des Reichsschatzamts Sydvw in seinem sattsam bekannten Artikel die Vereitwilligkeit der Regierung erklärte, die Reichsfinanzreform auch mit dem Zentrum machen zu wollen, da stellten ein¬ sichtige liberale Politiker schon die Frage, ob der Block überhaupt uoch bestehe. Er bestand weiter, weil das Zentrum seine Zeit noch nicht gekommen sah, ein klägliches Schauspiel: der gegen das Zentrum gerichtete Block als ein Block von Zentrums Gnaden. Ein Schauspiel, das nur durch die Halb¬ heit der Regierung verschuldet worden ist.'-) Bülow ist nicht, wie so vielfach behauptet wird, gefallen, weil er den Kampf gegen das Zentrum aufgenommen *) Freilich ist Bülow in seiner Haltung bestärkt worden durch das zeitweilig flatterhafte Aus¬ t Anm. d. Red. reten des Abg. Paasche in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Finanzkommission.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/405>, abgerufen am 23.07.2024.