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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der Llockgedanke

als unberechtigt erwiesen. Zweierlei hatte das konservativ-liberale Zusammengehn
erreicht. Die Sozialdemokraten waren im Reichstag auf etwa die Hälfte ver¬
ringert, und der entscheidende Einfluß des Zentrums war gebrochen. Aber die
Vorgänge im Dezember 1906 hatten auch aufpeitschend wie Alkohol gewirkt.
Es blieb die Frage offen, wie sich die Dinge gestalten würden, wenn der
Rausch verflogen war. Immerhin blieb als dauernder Erfolg und somit auch
als dauerndes Verdienst des Fürsten Bülow die Gewißheit, daß auch der sozial¬
demokratischen Flut die Ebbe folge, und daß die Zentrumswirtschaft im Deutschen
Reich nicht als roousr as broruze stabilisieret sei -- beides unter der Voraus¬
setzung, daß das nichtultramontane Bürgertum in sich einig ist. Diese Gewi߬
heit war nicht hoch genug einzuschätzen; sie bedeutete die erste schwere Niederlage
der politischen Skeptiker und der politisch Gleichgiltigen; sie führte dem lässigen
Bürgertum vor Augen, daß es im Reiche des allgemeinen Wahlrechts aus die
Mitarbeit jedes einzelnen ankommt, daß auch das politische Recht, nicht anders
wie jedes andre, sei es öffentliches, sei es privates Recht, nur dann Segen
bringen kann, wenn der Berechtigte das Bewußtsein der mit dem Recht ver-
bundnen Pflicht hat und beendigt.

Auf dieser so gewonnenen Grundlage galt es weiter zu bauen. Aber die
große Zeit fand ein kleines Geschlecht. Zunächst bei den Regierenden. Ihnen
lag die Führung ob. Parteien, bei denen die gegenseitige Bekämpfung seit mehr
als einem Menschenalter selbstverständliche Überlieferung war, sollten zusammen
arbeiten. Nur eine zielbewußte, straffe Leitung konnte dieses ermöglichen. Daß
die Leitung den Gedanken zum Ausgangspunkt nehmen mußte, der bei den
Wahlen den Ausschlag gegeben hatte, hätte niemals verkannt werden dürfen.
Ob Fürst Bülow ihn erkannt hat, mag dahingestellt bleiben; hat er aber die
richtige Erkenntnis gehabt, so hat er nicht die Mittel angewandt, sie zielbewußt
zu betätigen. Der Ruf: "Los vom Zentrum!" blieb nicht die klare, unzweideutige
Parole. Immer und immer wieder wurde verkündet, man wolle das Zentrum
nicht ausschalten, nur sein übermächtiger und unzulässiger Einfluß solle beseitigt
werden. Hinter solchen Worten war kein Wille, sondern nur vorsichtige Taktik
zu erkennen. Unklare, zweideutige Worte, die bei den Massen den Eindruck ver¬
fehlten, und was schlimmer war, vorhandne Begeisterung einlullen mußten!
Fürst Bülow scheint, nachdem er das Volk gefragt hatte, nicht mit der Stimmung
im Volke, sondern nur mit der Stärke der Neichstagsfraktionen gerechnet zu
haben. Die Möglichkeit der Mitarbeit des Zentrums wollte er sich erhalten,
falls der Block versage. Die Verlängerung der Wahlperiode von drei auf fünf
Jahre, wie sie im Jahre 1888 Gesetz geworden war, rächte sich; hätte man
damit rechnen müssen, daß Ende 1909 neue Wahlen stattzufinden hätten, so
würde die Volksstimmung bei der Regierung und bei den Parteien mit ganz
andern Werten in die politische Rechnung eingestellt worden sein.

Den Worten der Regierung entsprachen ihre Taten! Daß dem Liberalismus
in Gesetzgebung und Verwaltung eine größere Beachtung zuteil wurde als


Der Llockgedanke

als unberechtigt erwiesen. Zweierlei hatte das konservativ-liberale Zusammengehn
erreicht. Die Sozialdemokraten waren im Reichstag auf etwa die Hälfte ver¬
ringert, und der entscheidende Einfluß des Zentrums war gebrochen. Aber die
Vorgänge im Dezember 1906 hatten auch aufpeitschend wie Alkohol gewirkt.
Es blieb die Frage offen, wie sich die Dinge gestalten würden, wenn der
Rausch verflogen war. Immerhin blieb als dauernder Erfolg und somit auch
als dauerndes Verdienst des Fürsten Bülow die Gewißheit, daß auch der sozial¬
demokratischen Flut die Ebbe folge, und daß die Zentrumswirtschaft im Deutschen
Reich nicht als roousr as broruze stabilisieret sei — beides unter der Voraus¬
setzung, daß das nichtultramontane Bürgertum in sich einig ist. Diese Gewi߬
heit war nicht hoch genug einzuschätzen; sie bedeutete die erste schwere Niederlage
der politischen Skeptiker und der politisch Gleichgiltigen; sie führte dem lässigen
Bürgertum vor Augen, daß es im Reiche des allgemeinen Wahlrechts aus die
Mitarbeit jedes einzelnen ankommt, daß auch das politische Recht, nicht anders
wie jedes andre, sei es öffentliches, sei es privates Recht, nur dann Segen
bringen kann, wenn der Berechtigte das Bewußtsein der mit dem Recht ver-
bundnen Pflicht hat und beendigt.

Auf dieser so gewonnenen Grundlage galt es weiter zu bauen. Aber die
große Zeit fand ein kleines Geschlecht. Zunächst bei den Regierenden. Ihnen
lag die Führung ob. Parteien, bei denen die gegenseitige Bekämpfung seit mehr
als einem Menschenalter selbstverständliche Überlieferung war, sollten zusammen
arbeiten. Nur eine zielbewußte, straffe Leitung konnte dieses ermöglichen. Daß
die Leitung den Gedanken zum Ausgangspunkt nehmen mußte, der bei den
Wahlen den Ausschlag gegeben hatte, hätte niemals verkannt werden dürfen.
Ob Fürst Bülow ihn erkannt hat, mag dahingestellt bleiben; hat er aber die
richtige Erkenntnis gehabt, so hat er nicht die Mittel angewandt, sie zielbewußt
zu betätigen. Der Ruf: „Los vom Zentrum!" blieb nicht die klare, unzweideutige
Parole. Immer und immer wieder wurde verkündet, man wolle das Zentrum
nicht ausschalten, nur sein übermächtiger und unzulässiger Einfluß solle beseitigt
werden. Hinter solchen Worten war kein Wille, sondern nur vorsichtige Taktik
zu erkennen. Unklare, zweideutige Worte, die bei den Massen den Eindruck ver¬
fehlten, und was schlimmer war, vorhandne Begeisterung einlullen mußten!
Fürst Bülow scheint, nachdem er das Volk gefragt hatte, nicht mit der Stimmung
im Volke, sondern nur mit der Stärke der Neichstagsfraktionen gerechnet zu
haben. Die Möglichkeit der Mitarbeit des Zentrums wollte er sich erhalten,
falls der Block versage. Die Verlängerung der Wahlperiode von drei auf fünf
Jahre, wie sie im Jahre 1888 Gesetz geworden war, rächte sich; hätte man
damit rechnen müssen, daß Ende 1909 neue Wahlen stattzufinden hätten, so
würde die Volksstimmung bei der Regierung und bei den Parteien mit ganz
andern Werten in die politische Rechnung eingestellt worden sein.

Den Worten der Regierung entsprachen ihre Taten! Daß dem Liberalismus
in Gesetzgebung und Verwaltung eine größere Beachtung zuteil wurde als


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[0404] Der Llockgedanke als unberechtigt erwiesen. Zweierlei hatte das konservativ-liberale Zusammengehn erreicht. Die Sozialdemokraten waren im Reichstag auf etwa die Hälfte ver¬ ringert, und der entscheidende Einfluß des Zentrums war gebrochen. Aber die Vorgänge im Dezember 1906 hatten auch aufpeitschend wie Alkohol gewirkt. Es blieb die Frage offen, wie sich die Dinge gestalten würden, wenn der Rausch verflogen war. Immerhin blieb als dauernder Erfolg und somit auch als dauerndes Verdienst des Fürsten Bülow die Gewißheit, daß auch der sozial¬ demokratischen Flut die Ebbe folge, und daß die Zentrumswirtschaft im Deutschen Reich nicht als roousr as broruze stabilisieret sei — beides unter der Voraus¬ setzung, daß das nichtultramontane Bürgertum in sich einig ist. Diese Gewi߬ heit war nicht hoch genug einzuschätzen; sie bedeutete die erste schwere Niederlage der politischen Skeptiker und der politisch Gleichgiltigen; sie führte dem lässigen Bürgertum vor Augen, daß es im Reiche des allgemeinen Wahlrechts aus die Mitarbeit jedes einzelnen ankommt, daß auch das politische Recht, nicht anders wie jedes andre, sei es öffentliches, sei es privates Recht, nur dann Segen bringen kann, wenn der Berechtigte das Bewußtsein der mit dem Recht ver- bundnen Pflicht hat und beendigt. Auf dieser so gewonnenen Grundlage galt es weiter zu bauen. Aber die große Zeit fand ein kleines Geschlecht. Zunächst bei den Regierenden. Ihnen lag die Führung ob. Parteien, bei denen die gegenseitige Bekämpfung seit mehr als einem Menschenalter selbstverständliche Überlieferung war, sollten zusammen arbeiten. Nur eine zielbewußte, straffe Leitung konnte dieses ermöglichen. Daß die Leitung den Gedanken zum Ausgangspunkt nehmen mußte, der bei den Wahlen den Ausschlag gegeben hatte, hätte niemals verkannt werden dürfen. Ob Fürst Bülow ihn erkannt hat, mag dahingestellt bleiben; hat er aber die richtige Erkenntnis gehabt, so hat er nicht die Mittel angewandt, sie zielbewußt zu betätigen. Der Ruf: „Los vom Zentrum!" blieb nicht die klare, unzweideutige Parole. Immer und immer wieder wurde verkündet, man wolle das Zentrum nicht ausschalten, nur sein übermächtiger und unzulässiger Einfluß solle beseitigt werden. Hinter solchen Worten war kein Wille, sondern nur vorsichtige Taktik zu erkennen. Unklare, zweideutige Worte, die bei den Massen den Eindruck ver¬ fehlten, und was schlimmer war, vorhandne Begeisterung einlullen mußten! Fürst Bülow scheint, nachdem er das Volk gefragt hatte, nicht mit der Stimmung im Volke, sondern nur mit der Stärke der Neichstagsfraktionen gerechnet zu haben. Die Möglichkeit der Mitarbeit des Zentrums wollte er sich erhalten, falls der Block versage. Die Verlängerung der Wahlperiode von drei auf fünf Jahre, wie sie im Jahre 1888 Gesetz geworden war, rächte sich; hätte man damit rechnen müssen, daß Ende 1909 neue Wahlen stattzufinden hätten, so würde die Volksstimmung bei der Regierung und bei den Parteien mit ganz andern Werten in die politische Rechnung eingestellt worden sein. Den Worten der Regierung entsprachen ihre Taten! Daß dem Liberalismus in Gesetzgebung und Verwaltung eine größere Beachtung zuteil wurde als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/404>, abgerufen am 22.12.2024.