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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen

drücke auszugehn, ein Gefühl, worin ein feines Entdeckerglück mit der Ruhe
des Freien und doch schon der Scholle und dem Gemäuer wohnlich Ver-
bundnen insgeheim verschmilzt. Ich durchstreife Rothenburgs Plätze und
Gassen kreuz und quer, wie es der Zufall will, mir bei jedem Schritt einen
neuen Augenschmaus bereitend, bald zierliche Einzelheiten, bald geschlossene
Bilder und Bildchen genießend. Ich kann sie im Worte nicht festhalten alle,
die Brunnenwinkel und Erker, Sandsteinportale und bunten Türme, Kirchen¬
pfeiler und gestaffelten Giebel, die festen und die gebrechlichen Mauern und
verschwiegnen Höfe. Wozu sind denn auch die Maler und Malerinnen da, die
hier wie in Dinkelsbühl überall herumsitzen? Genug, es sind Stunden der
Bereicherung. Hier sind Nürnberger Anklänge, dort schwäbische. Hier schlängelt
sich ein ehrwürdiges Gäßlein mit fast nur gotischen Formen. Dort quellen
die lebendigen Steingestalten südlichen Ursprungs aus dem Ernste der deutschen
Mauern. Kein junges, seelenloses Machwerk stört.

Man nennt Rothenburg gern ein Renaissancestädtchen. Das Rathaus,
die Brunnen und eine stattliche Zahl von Bürgerhäusern berechtigen dazu.
Ich habe kaum an einem andern Orte, Nürnberg ausgenommen, eine so starke
Empfindung dafür gehabt, was deutsche Renaissance bedeutet, diese heimatliche
Umwandlung des fremdartig Italienischen, diese unbewußt, wie alle Kunst,
von der Seele des Künstlers geübte Anpassung getrennter Wesen, die um so
besser gelang, je tiefer die Künstlerseele im eignen Volkstum wurzelte. Als
schönster der bürgerlichen Bauten erscheint nur das Baumeisterhaus, ein
schlichter, aber edler Verwandter des üppigem Nürnberger Pellerhauses. Nach
den stattlichen, kunstvoll durchgebildeten Fachwerkhäusern, von denen ich in
Dinkelsbühl ein Prachtgewächs sah, suche ich hier vergeblich.

Am Klingentor steige ich zum Wehrgang der hohen Stadtmauer auf und
wandle langsam unter niederm Schutzdach entlang, auf der türmereichen Um¬
friedung. Sie ist hier nach der offnen Landseite hin besonders stark und
durch Bastionen bewehrt. Durch schmale Schießscharten blicke ich auf die
Neubauten der letzten Jahrzehnte. Sie liegen zum Glück draußen. Gilbendes
Feld, auf dem die Nachmittagsglut brennt, blitzt Augenblicke lang durch die
Scharten in meinen Schatten. Der Holzboden, auf dem ich gehe, ist holprig,
ausgetreten, verwittert. Ich muß auf die viereckigen Bodenöffnungen achten,
wo die schrägen Stiegen von unten einmünden. Steinmauer und Satteldach
geben den Schritten etwas hallendes. Seltsam beschleicht mich ein Gefühl
von Einsamkeit und Verlorner Zeitliche. Unter gemauerten Steinbogen der
Innenseite sehe ich unter mir Berge von Scheitholz aufgeschichtet. Das Ge¬
räusch des Holzhackens klingt herauf, dann Hahnenschrei aus winzig grünen
Gärtlein mit Malvenbeeten, die im Gefühl der Sicherheit noch Raum finden,
sich in den Mauerschutz hinzulegen, und doch ihr Teil Sonne dabei erHaschen.
Rote Dächer ducken sich mir zur Seite. Dachdeckergesellen rufen Grüß Gott!
herüber. Ich klettre an Seilergewinden vorbei wie in Nördlingen. Schwalben


Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen

drücke auszugehn, ein Gefühl, worin ein feines Entdeckerglück mit der Ruhe
des Freien und doch schon der Scholle und dem Gemäuer wohnlich Ver-
bundnen insgeheim verschmilzt. Ich durchstreife Rothenburgs Plätze und
Gassen kreuz und quer, wie es der Zufall will, mir bei jedem Schritt einen
neuen Augenschmaus bereitend, bald zierliche Einzelheiten, bald geschlossene
Bilder und Bildchen genießend. Ich kann sie im Worte nicht festhalten alle,
die Brunnenwinkel und Erker, Sandsteinportale und bunten Türme, Kirchen¬
pfeiler und gestaffelten Giebel, die festen und die gebrechlichen Mauern und
verschwiegnen Höfe. Wozu sind denn auch die Maler und Malerinnen da, die
hier wie in Dinkelsbühl überall herumsitzen? Genug, es sind Stunden der
Bereicherung. Hier sind Nürnberger Anklänge, dort schwäbische. Hier schlängelt
sich ein ehrwürdiges Gäßlein mit fast nur gotischen Formen. Dort quellen
die lebendigen Steingestalten südlichen Ursprungs aus dem Ernste der deutschen
Mauern. Kein junges, seelenloses Machwerk stört.

Man nennt Rothenburg gern ein Renaissancestädtchen. Das Rathaus,
die Brunnen und eine stattliche Zahl von Bürgerhäusern berechtigen dazu.
Ich habe kaum an einem andern Orte, Nürnberg ausgenommen, eine so starke
Empfindung dafür gehabt, was deutsche Renaissance bedeutet, diese heimatliche
Umwandlung des fremdartig Italienischen, diese unbewußt, wie alle Kunst,
von der Seele des Künstlers geübte Anpassung getrennter Wesen, die um so
besser gelang, je tiefer die Künstlerseele im eignen Volkstum wurzelte. Als
schönster der bürgerlichen Bauten erscheint nur das Baumeisterhaus, ein
schlichter, aber edler Verwandter des üppigem Nürnberger Pellerhauses. Nach
den stattlichen, kunstvoll durchgebildeten Fachwerkhäusern, von denen ich in
Dinkelsbühl ein Prachtgewächs sah, suche ich hier vergeblich.

Am Klingentor steige ich zum Wehrgang der hohen Stadtmauer auf und
wandle langsam unter niederm Schutzdach entlang, auf der türmereichen Um¬
friedung. Sie ist hier nach der offnen Landseite hin besonders stark und
durch Bastionen bewehrt. Durch schmale Schießscharten blicke ich auf die
Neubauten der letzten Jahrzehnte. Sie liegen zum Glück draußen. Gilbendes
Feld, auf dem die Nachmittagsglut brennt, blitzt Augenblicke lang durch die
Scharten in meinen Schatten. Der Holzboden, auf dem ich gehe, ist holprig,
ausgetreten, verwittert. Ich muß auf die viereckigen Bodenöffnungen achten,
wo die schrägen Stiegen von unten einmünden. Steinmauer und Satteldach
geben den Schritten etwas hallendes. Seltsam beschleicht mich ein Gefühl
von Einsamkeit und Verlorner Zeitliche. Unter gemauerten Steinbogen der
Innenseite sehe ich unter mir Berge von Scheitholz aufgeschichtet. Das Ge¬
räusch des Holzhackens klingt herauf, dann Hahnenschrei aus winzig grünen
Gärtlein mit Malvenbeeten, die im Gefühl der Sicherheit noch Raum finden,
sich in den Mauerschutz hinzulegen, und doch ihr Teil Sonne dabei erHaschen.
Rote Dächer ducken sich mir zur Seite. Dachdeckergesellen rufen Grüß Gott!
herüber. Ich klettre an Seilergewinden vorbei wie in Nördlingen. Schwalben


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[0380] Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen drücke auszugehn, ein Gefühl, worin ein feines Entdeckerglück mit der Ruhe des Freien und doch schon der Scholle und dem Gemäuer wohnlich Ver- bundnen insgeheim verschmilzt. Ich durchstreife Rothenburgs Plätze und Gassen kreuz und quer, wie es der Zufall will, mir bei jedem Schritt einen neuen Augenschmaus bereitend, bald zierliche Einzelheiten, bald geschlossene Bilder und Bildchen genießend. Ich kann sie im Worte nicht festhalten alle, die Brunnenwinkel und Erker, Sandsteinportale und bunten Türme, Kirchen¬ pfeiler und gestaffelten Giebel, die festen und die gebrechlichen Mauern und verschwiegnen Höfe. Wozu sind denn auch die Maler und Malerinnen da, die hier wie in Dinkelsbühl überall herumsitzen? Genug, es sind Stunden der Bereicherung. Hier sind Nürnberger Anklänge, dort schwäbische. Hier schlängelt sich ein ehrwürdiges Gäßlein mit fast nur gotischen Formen. Dort quellen die lebendigen Steingestalten südlichen Ursprungs aus dem Ernste der deutschen Mauern. Kein junges, seelenloses Machwerk stört. Man nennt Rothenburg gern ein Renaissancestädtchen. Das Rathaus, die Brunnen und eine stattliche Zahl von Bürgerhäusern berechtigen dazu. Ich habe kaum an einem andern Orte, Nürnberg ausgenommen, eine so starke Empfindung dafür gehabt, was deutsche Renaissance bedeutet, diese heimatliche Umwandlung des fremdartig Italienischen, diese unbewußt, wie alle Kunst, von der Seele des Künstlers geübte Anpassung getrennter Wesen, die um so besser gelang, je tiefer die Künstlerseele im eignen Volkstum wurzelte. Als schönster der bürgerlichen Bauten erscheint nur das Baumeisterhaus, ein schlichter, aber edler Verwandter des üppigem Nürnberger Pellerhauses. Nach den stattlichen, kunstvoll durchgebildeten Fachwerkhäusern, von denen ich in Dinkelsbühl ein Prachtgewächs sah, suche ich hier vergeblich. Am Klingentor steige ich zum Wehrgang der hohen Stadtmauer auf und wandle langsam unter niederm Schutzdach entlang, auf der türmereichen Um¬ friedung. Sie ist hier nach der offnen Landseite hin besonders stark und durch Bastionen bewehrt. Durch schmale Schießscharten blicke ich auf die Neubauten der letzten Jahrzehnte. Sie liegen zum Glück draußen. Gilbendes Feld, auf dem die Nachmittagsglut brennt, blitzt Augenblicke lang durch die Scharten in meinen Schatten. Der Holzboden, auf dem ich gehe, ist holprig, ausgetreten, verwittert. Ich muß auf die viereckigen Bodenöffnungen achten, wo die schrägen Stiegen von unten einmünden. Steinmauer und Satteldach geben den Schritten etwas hallendes. Seltsam beschleicht mich ein Gefühl von Einsamkeit und Verlorner Zeitliche. Unter gemauerten Steinbogen der Innenseite sehe ich unter mir Berge von Scheitholz aufgeschichtet. Das Ge¬ räusch des Holzhackens klingt herauf, dann Hahnenschrei aus winzig grünen Gärtlein mit Malvenbeeten, die im Gefühl der Sicherheit noch Raum finden, sich in den Mauerschutz hinzulegen, und doch ihr Teil Sonne dabei erHaschen. Rote Dächer ducken sich mir zur Seite. Dachdeckergesellen rufen Grüß Gott! herüber. Ich klettre an Seilergewinden vorbei wie in Nördlingen. Schwalben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/380>, abgerufen am 26.06.2024.