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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Uhlands Linfluß auf die Poesie Hebbels

besiegt ihn nach kurzem Kampfe, aber wie er dem Geworfnen hilfreich naht,
entdeckt er in ihm ein Weib. Es war die Minne, die ihn gesucht hatte,
und die ihm den schon im Geiste erstrittnen Lorbeer zunichte macht. Hebbels
Ritter Fortunat -- der übrigens in der Idee hier offenbar seinem Vorbilde
zurückbleibt -- wirft überdrüssig der genoßnen Liebe eine verwelkte Rose von
sich. Da naht der geharnischte fremde Ritter, ihn zu lehren, "wie man Fraun-
geschenke ehrt". Fortunat siegt, tritt dann ebenfalls helfend zu dem Gefallnen
und findet in ihm die verschmähte Geliebte, die lieber sterben als von ihm
verlassen sein wollte. Das Versmaß ist in beiden Gedichten das der vierzeiligen
trochäischen Romanze. Als letztes Gedichtpaar möge "Die Vätergruft" von
Uhland mit dem Gedicht "Vater und Sohn" zusammengestellt werden. Die
Anfänge -- wieder in völlig gleichem Versbau -- lauten:


[Beginn Spaltensatz] Uhland:
[Spaltenumbruch]
Hebbel:
[Ende Spaltensatz]

Der Inhalt beider Gedichte ist der, daß der in die Vätergruft tretende dort
eine Ahnung seines nahenden Todes empfängt. In beiden gibt ihm der Ge¬
danke, sich würdig an diese Heldenreihe anzuschließen, den Frieden des Todes,
mit dem er sich in den Sarg legt. Bei Hebbel wird dieser Friede allerdings
erst errungen durch eine Tat, nämlich durch den freiwilligen Verzicht auf den
Thron zugunsten eines Sohnes, der sich schon aufrührerisch der Herrschaft
bemächtigen will. In der Grundstimmung aber, den durch den Ahnengruß
hervorgerufnen Entschluß zum Tode, sind die Gedichte deutlich als Parallelen
erkennbar.

Ich möchte aber die Reihe nicht schließen, ohne darauf hinzuweisen, daß
auch eine Prosadichtung Hebbels eine merkwürdige Verwandtschaft mit einem
Gedichte Uhlands zeigt, nämlich mit der Mähderin, die, um den Geliebten zu
erringen, die übermenschliche Forderung ihres Brodherrn, eine Wiese in drei
Tagen zu mähen, erfüllt, aber darüber wahnsinnig wird. Es ist die Erzählung
..Anna". Wenn auch bei Anna, die auf Befehl ihres Herrn den ganzen Tag
bis in die sinkende Nacht Flachs hecheln muß. der Wahnsinn erst ausbricht, als
sie die Flammen um sich auflösen sieht, kann man sich doch des Gefühls einer
seelischen Verwandtschaft der beiden Gestalten nicht erwehren. Allerdings möchte
ich die Mähderin nicht als Vorbild Hebbels bezeichnen, sondern nur ein An¬
klingen der Situation an eine ihm aus Uhland bekannt gewordne ähnliche
vermuten.

Wie weit aber auch in all diesen Parallelen der Einfluß im einzelnen
gehn mag. sicher ist, daß der Dichter, der der Natur zurief:


Uhlands Linfluß auf die Poesie Hebbels

besiegt ihn nach kurzem Kampfe, aber wie er dem Geworfnen hilfreich naht,
entdeckt er in ihm ein Weib. Es war die Minne, die ihn gesucht hatte,
und die ihm den schon im Geiste erstrittnen Lorbeer zunichte macht. Hebbels
Ritter Fortunat — der übrigens in der Idee hier offenbar seinem Vorbilde
zurückbleibt — wirft überdrüssig der genoßnen Liebe eine verwelkte Rose von
sich. Da naht der geharnischte fremde Ritter, ihn zu lehren, „wie man Fraun-
geschenke ehrt". Fortunat siegt, tritt dann ebenfalls helfend zu dem Gefallnen
und findet in ihm die verschmähte Geliebte, die lieber sterben als von ihm
verlassen sein wollte. Das Versmaß ist in beiden Gedichten das der vierzeiligen
trochäischen Romanze. Als letztes Gedichtpaar möge „Die Vätergruft" von
Uhland mit dem Gedicht „Vater und Sohn" zusammengestellt werden. Die
Anfänge — wieder in völlig gleichem Versbau — lauten:


[Beginn Spaltensatz] Uhland:
[Spaltenumbruch]
Hebbel:
[Ende Spaltensatz]

Der Inhalt beider Gedichte ist der, daß der in die Vätergruft tretende dort
eine Ahnung seines nahenden Todes empfängt. In beiden gibt ihm der Ge¬
danke, sich würdig an diese Heldenreihe anzuschließen, den Frieden des Todes,
mit dem er sich in den Sarg legt. Bei Hebbel wird dieser Friede allerdings
erst errungen durch eine Tat, nämlich durch den freiwilligen Verzicht auf den
Thron zugunsten eines Sohnes, der sich schon aufrührerisch der Herrschaft
bemächtigen will. In der Grundstimmung aber, den durch den Ahnengruß
hervorgerufnen Entschluß zum Tode, sind die Gedichte deutlich als Parallelen
erkennbar.

Ich möchte aber die Reihe nicht schließen, ohne darauf hinzuweisen, daß
auch eine Prosadichtung Hebbels eine merkwürdige Verwandtschaft mit einem
Gedichte Uhlands zeigt, nämlich mit der Mähderin, die, um den Geliebten zu
erringen, die übermenschliche Forderung ihres Brodherrn, eine Wiese in drei
Tagen zu mähen, erfüllt, aber darüber wahnsinnig wird. Es ist die Erzählung
..Anna". Wenn auch bei Anna, die auf Befehl ihres Herrn den ganzen Tag
bis in die sinkende Nacht Flachs hecheln muß. der Wahnsinn erst ausbricht, als
sie die Flammen um sich auflösen sieht, kann man sich doch des Gefühls einer
seelischen Verwandtschaft der beiden Gestalten nicht erwehren. Allerdings möchte
ich die Mähderin nicht als Vorbild Hebbels bezeichnen, sondern nur ein An¬
klingen der Situation an eine ihm aus Uhland bekannt gewordne ähnliche
vermuten.

Wie weit aber auch in all diesen Parallelen der Einfluß im einzelnen
gehn mag. sicher ist, daß der Dichter, der der Natur zurief:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/375>, abgerufen am 22.07.2024.