Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Uhlands Einfluß auf die Poesie Hebbels

schöner Symbolisierung dem Morde zwei Vögel beiwohnen, den Raben und
die Taube, und die Taube erzählt, wie der Knabe geweint und gebetet habe.
Eine verwandte Stelle dazu bildet übrigens den Schluß eines Liedes in des
Knaben Wunderhorn: Jncognito, wo ebenfalls ein Mord geschildert wird:

[Beginn Spaltensatz] Und wo ein Tröpfchen Blut hinsprang,
Da saß ein Engel ein Jahr und sang.
[Spaltenumbruch] Und wo der Mörder das Schwert hinlegt,
Da saß ein Rabe ein Jahr und kräht.
[Ende Spaltensatz]

Das Thema von dem Kinde, das in Räuberhand fällt, hat Hebbel aber
noch einmal beschäftigt in dem Gedicht aus seinem Nachlaß: "Wohin so flink,
du junges Kind." Hier ist es aber ein Mädchen, was übrigens bei Uhland
im Räuber auch wiederkehrt. Doch hier wird der Räuber von der Unschuld
des Mädchens gerührt und läßt sie unversehrt ziehn. Merkwürdig ist, daß
Des Knaben Tod augenscheinlich auch noch ein andres Gedicht Hebbels beeinflußt
hat, nämlich den "Knabentod". Hier ertrinkt der Knabe. Man vergleiche außer
dem Titel noch die Stellen:


Uhland:

Hebbel:

und

Der Knabe trinkt, von Durst ermattet, stürzt dabei in den Wildbach und ertrinkt.

Ein andres Gedicht Hebbels, das den Titel eines Uhlandschen trägt, "Der
Schäfer", deutet auch auf die Erinnerung an dieses hin, zunächst schon in dem
ganz eigentümlich gleichmäßig gestalteten Strophenbau (vier Jambenzeilen, von
denen die letzte um eine Hebung verkürzt ist). Die Anfänge lauten:


[Beginn Spaltensatz] Uhland:
[Spaltenumbruch]
Hebbel:
[Ende Spaltensatz]

Im weitern ist das Hebbelsche Gedicht fast eine Fortsetzung des Uhlandschen-
Bei Uhland stirbt die Königstochter, und dem Schäfer antwortet nur noch ein
Geisterlaut auf seine Liebesklage. Bei Hebbel redet überhaupt nur eine Geister¬
stimme Liebesworte mit dem Schäfer, und das innige Hineinleben in diesen
übernatürlichen Liebesgenuß bringt dem Schäfer zuletzt den Tod. Die Ideen-
Verwandtschaft ist also unverkennbar.

Noch deutlicher tritt sie aber bei den beiden Gedichten "Ritter Paris" und
"Ritter Fortunat" zutage. Uhlands Ritter Paris wird von allen Damen
vergöttert, er will aber Heldenruhm statt Minneglück erwerben und macht sich
zu Roß auf. Da erscheint ein geharnischter Ritter mit geschloßnem Visier. Er


Uhlands Einfluß auf die Poesie Hebbels

schöner Symbolisierung dem Morde zwei Vögel beiwohnen, den Raben und
die Taube, und die Taube erzählt, wie der Knabe geweint und gebetet habe.
Eine verwandte Stelle dazu bildet übrigens den Schluß eines Liedes in des
Knaben Wunderhorn: Jncognito, wo ebenfalls ein Mord geschildert wird:

[Beginn Spaltensatz] Und wo ein Tröpfchen Blut hinsprang,
Da saß ein Engel ein Jahr und sang.
[Spaltenumbruch] Und wo der Mörder das Schwert hinlegt,
Da saß ein Rabe ein Jahr und kräht.
[Ende Spaltensatz]

Das Thema von dem Kinde, das in Räuberhand fällt, hat Hebbel aber
noch einmal beschäftigt in dem Gedicht aus seinem Nachlaß: „Wohin so flink,
du junges Kind." Hier ist es aber ein Mädchen, was übrigens bei Uhland
im Räuber auch wiederkehrt. Doch hier wird der Räuber von der Unschuld
des Mädchens gerührt und läßt sie unversehrt ziehn. Merkwürdig ist, daß
Des Knaben Tod augenscheinlich auch noch ein andres Gedicht Hebbels beeinflußt
hat, nämlich den „Knabentod". Hier ertrinkt der Knabe. Man vergleiche außer
dem Titel noch die Stellen:


Uhland:

Hebbel:

und

Der Knabe trinkt, von Durst ermattet, stürzt dabei in den Wildbach und ertrinkt.

Ein andres Gedicht Hebbels, das den Titel eines Uhlandschen trägt, „Der
Schäfer", deutet auch auf die Erinnerung an dieses hin, zunächst schon in dem
ganz eigentümlich gleichmäßig gestalteten Strophenbau (vier Jambenzeilen, von
denen die letzte um eine Hebung verkürzt ist). Die Anfänge lauten:


[Beginn Spaltensatz] Uhland:
[Spaltenumbruch]
Hebbel:
[Ende Spaltensatz]

Im weitern ist das Hebbelsche Gedicht fast eine Fortsetzung des Uhlandschen-
Bei Uhland stirbt die Königstochter, und dem Schäfer antwortet nur noch ein
Geisterlaut auf seine Liebesklage. Bei Hebbel redet überhaupt nur eine Geister¬
stimme Liebesworte mit dem Schäfer, und das innige Hineinleben in diesen
übernatürlichen Liebesgenuß bringt dem Schäfer zuletzt den Tod. Die Ideen-
Verwandtschaft ist also unverkennbar.

Noch deutlicher tritt sie aber bei den beiden Gedichten „Ritter Paris" und
„Ritter Fortunat" zutage. Uhlands Ritter Paris wird von allen Damen
vergöttert, er will aber Heldenruhm statt Minneglück erwerben und macht sich
zu Roß auf. Da erscheint ein geharnischter Ritter mit geschloßnem Visier. Er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314077"/>
          <fw type="header" place="top"> Uhlands Einfluß auf die Poesie Hebbels</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1714" prev="#ID_1713"> schöner Symbolisierung dem Morde zwei Vögel beiwohnen, den Raben und<lb/>
die Taube, und die Taube erzählt, wie der Knabe geweint und gebetet habe.<lb/>
Eine verwandte Stelle dazu bildet übrigens den Schluß eines Liedes in des<lb/>
Knaben Wunderhorn: Jncognito, wo ebenfalls ein Mord geschildert wird:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_33" type="poem">
            <l><cb type="start"/>
Und wo ein Tröpfchen Blut hinsprang,<lb/>
Da saß ein Engel ein Jahr und sang.<lb/><lb/>
<cb/>
Und wo der Mörder das Schwert hinlegt,<lb/>
Da saß ein Rabe ein Jahr und kräht.<lb/><cb type="end"/>
</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1715"> Das Thema von dem Kinde, das in Räuberhand fällt, hat Hebbel aber<lb/>
noch einmal beschäftigt in dem Gedicht aus seinem Nachlaß: &#x201E;Wohin so flink,<lb/>
du junges Kind." Hier ist es aber ein Mädchen, was übrigens bei Uhland<lb/>
im Räuber auch wiederkehrt. Doch hier wird der Räuber von der Unschuld<lb/>
des Mädchens gerührt und läßt sie unversehrt ziehn. Merkwürdig ist, daß<lb/>
Des Knaben Tod augenscheinlich auch noch ein andres Gedicht Hebbels beeinflußt<lb/>
hat, nämlich den &#x201E;Knabentod". Hier ertrinkt der Knabe. Man vergleiche außer<lb/>
dem Titel noch die Stellen:</p><lb/>
          <note type="bibl"> Uhland: </note><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_34" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <note type="bibl"> Hebbel: </note><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_35" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1716"> und</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_36" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1717"> Der Knabe trinkt, von Durst ermattet, stürzt dabei in den Wildbach und ertrinkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1718"> Ein andres Gedicht Hebbels, das den Titel eines Uhlandschen trägt, &#x201E;Der<lb/>
Schäfer", deutet auch auf die Erinnerung an dieses hin, zunächst schon in dem<lb/>
ganz eigentümlich gleichmäßig gestalteten Strophenbau (vier Jambenzeilen, von<lb/>
denen die letzte um eine Hebung verkürzt ist). Die Anfänge lauten:</p><lb/>
          <cb type="start"/>
          <note type="bibl"> Uhland:</note>
          <lg xml:id="POEMID_37" type="poem">
            <l/>
          </lg>
          <cb/><lb/>
          <note type="bibl"> Hebbel:</note>
          <lg xml:id="POEMID_38" type="poem">
            <l/>
          </lg>
          <cb type="end"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1719"> Im weitern ist das Hebbelsche Gedicht fast eine Fortsetzung des Uhlandschen-<lb/>
Bei Uhland stirbt die Königstochter, und dem Schäfer antwortet nur noch ein<lb/>
Geisterlaut auf seine Liebesklage. Bei Hebbel redet überhaupt nur eine Geister¬<lb/>
stimme Liebesworte mit dem Schäfer, und das innige Hineinleben in diesen<lb/>
übernatürlichen Liebesgenuß bringt dem Schäfer zuletzt den Tod. Die Ideen-<lb/>
Verwandtschaft ist also unverkennbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1720" next="#ID_1721"> Noch deutlicher tritt sie aber bei den beiden Gedichten &#x201E;Ritter Paris" und<lb/>
&#x201E;Ritter Fortunat" zutage. Uhlands Ritter Paris wird von allen Damen<lb/>
vergöttert, er will aber Heldenruhm statt Minneglück erwerben und macht sich<lb/>
zu Roß auf. Da erscheint ein geharnischter Ritter mit geschloßnem Visier. Er</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] Uhlands Einfluß auf die Poesie Hebbels schöner Symbolisierung dem Morde zwei Vögel beiwohnen, den Raben und die Taube, und die Taube erzählt, wie der Knabe geweint und gebetet habe. Eine verwandte Stelle dazu bildet übrigens den Schluß eines Liedes in des Knaben Wunderhorn: Jncognito, wo ebenfalls ein Mord geschildert wird: Und wo ein Tröpfchen Blut hinsprang, Da saß ein Engel ein Jahr und sang. Und wo der Mörder das Schwert hinlegt, Da saß ein Rabe ein Jahr und kräht. Das Thema von dem Kinde, das in Räuberhand fällt, hat Hebbel aber noch einmal beschäftigt in dem Gedicht aus seinem Nachlaß: „Wohin so flink, du junges Kind." Hier ist es aber ein Mädchen, was übrigens bei Uhland im Räuber auch wiederkehrt. Doch hier wird der Räuber von der Unschuld des Mädchens gerührt und läßt sie unversehrt ziehn. Merkwürdig ist, daß Des Knaben Tod augenscheinlich auch noch ein andres Gedicht Hebbels beeinflußt hat, nämlich den „Knabentod". Hier ertrinkt der Knabe. Man vergleiche außer dem Titel noch die Stellen: Uhland: Hebbel: und Der Knabe trinkt, von Durst ermattet, stürzt dabei in den Wildbach und ertrinkt. Ein andres Gedicht Hebbels, das den Titel eines Uhlandschen trägt, „Der Schäfer", deutet auch auf die Erinnerung an dieses hin, zunächst schon in dem ganz eigentümlich gleichmäßig gestalteten Strophenbau (vier Jambenzeilen, von denen die letzte um eine Hebung verkürzt ist). Die Anfänge lauten: Uhland: Hebbel: Im weitern ist das Hebbelsche Gedicht fast eine Fortsetzung des Uhlandschen- Bei Uhland stirbt die Königstochter, und dem Schäfer antwortet nur noch ein Geisterlaut auf seine Liebesklage. Bei Hebbel redet überhaupt nur eine Geister¬ stimme Liebesworte mit dem Schäfer, und das innige Hineinleben in diesen übernatürlichen Liebesgenuß bringt dem Schäfer zuletzt den Tod. Die Ideen- Verwandtschaft ist also unverkennbar. Noch deutlicher tritt sie aber bei den beiden Gedichten „Ritter Paris" und „Ritter Fortunat" zutage. Uhlands Ritter Paris wird von allen Damen vergöttert, er will aber Heldenruhm statt Minneglück erwerben und macht sich zu Roß auf. Da erscheint ein geharnischter Ritter mit geschloßnem Visier. Er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/374>, abgerufen am 22.12.2024.