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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Uhlands Einfluß auf die Poesie Hebbels

in unser Bewußtsein übergeht. So findet sich die Anfangszeile des Hebbelschen
Gedichts Das Venerabile in der Nacht "Auf benachbartem Balkone" wörtlich
bei Uhland in den Liebesklagen als Strophenanfang vorgebildet. Und wer
denkt nicht bei der Stelle in Schön Hedwig: Woher ich komm? Ich komm
von Gott, . . . wohin ich geh? nicht an die schönen vier Zeilen Uhlcmds
Auf den Tod eines Kindes, die aus gehn:

(Man beachte auch hier die Gleichheit des Metrums.) Wer wird nicht, wenn
er bei Hebbel in Schiffers Abschied liest:

dunkel daran erinnert, daß in Uhlands Wanderliedern das "Lebewohl" eben¬
falls unter dem blühenden Baum spielt und zwei Seiten weiter der Apfel¬
baum das Thema der "Einkehr" bildet, die wieder den gleichen Versbau
aufweist wie "Schiffers Abschied". Im Anschluß hieran sei noch das Hebbelsche
Scheidelied Ur. 2 erwähnt, das wieder eine rhythmische Parallele zu Uhlands
zweitem Wanderliede: "Scheiden und Meiden" liefert.

In Uhlands Lied "Im Herbste" finden wir das sonst seltne Versschema
aufeinanderfolgend gereimter weiblicher Trochäen:

Hebbels "Spaziergang am Herbstabend" bringt dieselben rhythmischen Wogen:

ebenso sein "Herbstgefühl".

Als Gegenstück sei Uhlands "Maiklage" erwähnt in achtzölliger Trochüen-
strophe, die beginnt:

mit der das wunderbare "Opfer des Frühlings":

wieder den Strophenbau teilt.

Auch manche der unter den Titelparallelen aufgeführten Gedichte zeigen
noch weitere Verwandtschaft.

Hebbels "An die Jünglinge" stimmt zunächst wieder im Strophenbau bis
auf den Umstand, daß Hebbel nur männliche Reime verwendet, mit Uhlands


Uhlands Einfluß auf die Poesie Hebbels

in unser Bewußtsein übergeht. So findet sich die Anfangszeile des Hebbelschen
Gedichts Das Venerabile in der Nacht „Auf benachbartem Balkone" wörtlich
bei Uhland in den Liebesklagen als Strophenanfang vorgebildet. Und wer
denkt nicht bei der Stelle in Schön Hedwig: Woher ich komm? Ich komm
von Gott, . . . wohin ich geh? nicht an die schönen vier Zeilen Uhlcmds
Auf den Tod eines Kindes, die aus gehn:

(Man beachte auch hier die Gleichheit des Metrums.) Wer wird nicht, wenn
er bei Hebbel in Schiffers Abschied liest:

dunkel daran erinnert, daß in Uhlands Wanderliedern das „Lebewohl" eben¬
falls unter dem blühenden Baum spielt und zwei Seiten weiter der Apfel¬
baum das Thema der „Einkehr" bildet, die wieder den gleichen Versbau
aufweist wie „Schiffers Abschied". Im Anschluß hieran sei noch das Hebbelsche
Scheidelied Ur. 2 erwähnt, das wieder eine rhythmische Parallele zu Uhlands
zweitem Wanderliede: „Scheiden und Meiden" liefert.

In Uhlands Lied „Im Herbste" finden wir das sonst seltne Versschema
aufeinanderfolgend gereimter weiblicher Trochäen:

Hebbels „Spaziergang am Herbstabend" bringt dieselben rhythmischen Wogen:

ebenso sein „Herbstgefühl".

Als Gegenstück sei Uhlands „Maiklage" erwähnt in achtzölliger Trochüen-
strophe, die beginnt:

mit der das wunderbare „Opfer des Frühlings":

wieder den Strophenbau teilt.

Auch manche der unter den Titelparallelen aufgeführten Gedichte zeigen
noch weitere Verwandtschaft.

Hebbels „An die Jünglinge" stimmt zunächst wieder im Strophenbau bis
auf den Umstand, daß Hebbel nur männliche Reime verwendet, mit Uhlands


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[0372] Uhlands Einfluß auf die Poesie Hebbels in unser Bewußtsein übergeht. So findet sich die Anfangszeile des Hebbelschen Gedichts Das Venerabile in der Nacht „Auf benachbartem Balkone" wörtlich bei Uhland in den Liebesklagen als Strophenanfang vorgebildet. Und wer denkt nicht bei der Stelle in Schön Hedwig: Woher ich komm? Ich komm von Gott, . . . wohin ich geh? nicht an die schönen vier Zeilen Uhlcmds Auf den Tod eines Kindes, die aus gehn: (Man beachte auch hier die Gleichheit des Metrums.) Wer wird nicht, wenn er bei Hebbel in Schiffers Abschied liest: dunkel daran erinnert, daß in Uhlands Wanderliedern das „Lebewohl" eben¬ falls unter dem blühenden Baum spielt und zwei Seiten weiter der Apfel¬ baum das Thema der „Einkehr" bildet, die wieder den gleichen Versbau aufweist wie „Schiffers Abschied". Im Anschluß hieran sei noch das Hebbelsche Scheidelied Ur. 2 erwähnt, das wieder eine rhythmische Parallele zu Uhlands zweitem Wanderliede: „Scheiden und Meiden" liefert. In Uhlands Lied „Im Herbste" finden wir das sonst seltne Versschema aufeinanderfolgend gereimter weiblicher Trochäen: Hebbels „Spaziergang am Herbstabend" bringt dieselben rhythmischen Wogen: ebenso sein „Herbstgefühl". Als Gegenstück sei Uhlands „Maiklage" erwähnt in achtzölliger Trochüen- strophe, die beginnt: mit der das wunderbare „Opfer des Frühlings": wieder den Strophenbau teilt. Auch manche der unter den Titelparallelen aufgeführten Gedichte zeigen noch weitere Verwandtschaft. Hebbels „An die Jünglinge" stimmt zunächst wieder im Strophenbau bis auf den Umstand, daß Hebbel nur männliche Reime verwendet, mit Uhlands

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/372>, abgerufen am 23.07.2024.