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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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der Mittel gegeben hatte, die Erhöhung der Veamtengehälter und der Löhne,
mußte natürlich auf die Städte stark einwirken. Auch dort steigende Lasten,
die abermals den Besitz und das Gewerbe zum guten Teile treffen.

Unter solchen Verhältnissen, wie sie Deutschland noch nie gesehn hat, kam
die Vorlage zur Ordnung des Reichshaushalts, und jedem einigermaßen un¬
befangen denkenden Reichstagsabgeordneten mußte klar sein, daß in dieser Lage
besondre Vorsicht geboten war, und daß die Regierung mit ihrer Abwägung
der indirekten gegenüber den neu geforderten direkten Lasten durchaus zweck¬
mäßig gehandelt hatte. Der Kampf spielte sich um die einzig große Besitzsteuer,
um die Erbschaftssteuer ab; sie wurde abgelehnt, nicht weil sie eine undurch¬
führbare und unerträgliche Steuer gewesen wäre, sondern weil sie zum Zielpunkt
Polnischer, nicht mit der Neichsfinanzreform, ja nicht einmal so sehr mit der
Reichspolitik überhaupt zusammenhängender Machtfragen gemacht wurde und
demgemäß, so wie die Dinge lagen, fallen mußte. Das alles berührt uns
als politisch denkende und tätige Menschen aufs tiefste, weil es den ganzen
Jammer der nie endenden Zerrissenheit im deutschen Volke wieder einmal offen¬
legt und zeigt, daß die heutige politische Parteiwirtschaft, von wem sie auch
betrieben werde, ein wahrer Krebsschaden in Deutschland ist. Aber es brauchte
den Gewerbetreibenden als solchen nicht sonderlich zu berühren, sobald nur die
Ersatzsteuern so gegriffen waren, daß die Quellen der wirtschaftlichen Arbeit
und Kapitalbildung nicht verstopft wurden. Es ist darum auch ganz ausgeschlossen,
daß sich ein solcher Sturm der Entrüstung unter den sonst allem politischen
Treiben abholden Gewerbetreibenden Deutschlands erhoben Hütte, sobald es sich
bei den Ersatzstenern nur um die Belastung des Besitzes handelte. Das geht
deutlich daraus hervor, daß die nun vom Reichstage angenommnen soge¬
nannten Besitz-, in Wirklichkeit Verkehrssteuern zwar kritisiert worden sind,
aber ruhig hingenommen wurden, weil sie sich eben ertragen lassen. Das war
aber bei den zuerst vom Reichstage vorgeschlagnen Ersatzsteuern nicht der Fall.
Und hier liegt der springende Punkt. Nicht, daß der Reichstag den Besitz
besteuerte, wie er ihn besteuern wollte, mußte notwendig zu einem einzigen
Schrei der Entrüstung des ganzen Gewerbes führen, da der Reichstag die Axt
an die Grundbedingungen der gewerblichen Arbeit und der internationalen
Stellung der deutschen Geldwirtschaft zu legen beabsichtigte. Im Zirkus Schumann
in Berlin sprach endlich einmal eine große Massenversammlung das aus, was
alle Handelskammern, alle, die wirtschaftliche Interessen vertreten, hundertmal
bitter gefühlt und gesagt haben, daß dem Reichstage nicht nur die volkswirt¬
schaftlichen Kenntnisse zur Führung der Wirtschaftspolitik häufig fehlen, sondern
auch der gute Wille, sie sich zu verschaffen, und das Verantwortlichkeitsgefühl
für sein Handeln und dessen Folgen. Das ist eine schwere Anklage, aber ich
erhebe sie mit vollem Bewußtsein ihrer Tragweite.

Es ist ganz klar, daß in einer Körperschaft, wie dem Reichstage, niemals
einseitige Interessen vertreten werden sollen und siegen dürfe", daß die wider-


Grenzboten III 1909 45

der Mittel gegeben hatte, die Erhöhung der Veamtengehälter und der Löhne,
mußte natürlich auf die Städte stark einwirken. Auch dort steigende Lasten,
die abermals den Besitz und das Gewerbe zum guten Teile treffen.

Unter solchen Verhältnissen, wie sie Deutschland noch nie gesehn hat, kam
die Vorlage zur Ordnung des Reichshaushalts, und jedem einigermaßen un¬
befangen denkenden Reichstagsabgeordneten mußte klar sein, daß in dieser Lage
besondre Vorsicht geboten war, und daß die Regierung mit ihrer Abwägung
der indirekten gegenüber den neu geforderten direkten Lasten durchaus zweck¬
mäßig gehandelt hatte. Der Kampf spielte sich um die einzig große Besitzsteuer,
um die Erbschaftssteuer ab; sie wurde abgelehnt, nicht weil sie eine undurch¬
führbare und unerträgliche Steuer gewesen wäre, sondern weil sie zum Zielpunkt
Polnischer, nicht mit der Neichsfinanzreform, ja nicht einmal so sehr mit der
Reichspolitik überhaupt zusammenhängender Machtfragen gemacht wurde und
demgemäß, so wie die Dinge lagen, fallen mußte. Das alles berührt uns
als politisch denkende und tätige Menschen aufs tiefste, weil es den ganzen
Jammer der nie endenden Zerrissenheit im deutschen Volke wieder einmal offen¬
legt und zeigt, daß die heutige politische Parteiwirtschaft, von wem sie auch
betrieben werde, ein wahrer Krebsschaden in Deutschland ist. Aber es brauchte
den Gewerbetreibenden als solchen nicht sonderlich zu berühren, sobald nur die
Ersatzsteuern so gegriffen waren, daß die Quellen der wirtschaftlichen Arbeit
und Kapitalbildung nicht verstopft wurden. Es ist darum auch ganz ausgeschlossen,
daß sich ein solcher Sturm der Entrüstung unter den sonst allem politischen
Treiben abholden Gewerbetreibenden Deutschlands erhoben Hütte, sobald es sich
bei den Ersatzstenern nur um die Belastung des Besitzes handelte. Das geht
deutlich daraus hervor, daß die nun vom Reichstage angenommnen soge¬
nannten Besitz-, in Wirklichkeit Verkehrssteuern zwar kritisiert worden sind,
aber ruhig hingenommen wurden, weil sie sich eben ertragen lassen. Das war
aber bei den zuerst vom Reichstage vorgeschlagnen Ersatzsteuern nicht der Fall.
Und hier liegt der springende Punkt. Nicht, daß der Reichstag den Besitz
besteuerte, wie er ihn besteuern wollte, mußte notwendig zu einem einzigen
Schrei der Entrüstung des ganzen Gewerbes führen, da der Reichstag die Axt
an die Grundbedingungen der gewerblichen Arbeit und der internationalen
Stellung der deutschen Geldwirtschaft zu legen beabsichtigte. Im Zirkus Schumann
in Berlin sprach endlich einmal eine große Massenversammlung das aus, was
alle Handelskammern, alle, die wirtschaftliche Interessen vertreten, hundertmal
bitter gefühlt und gesagt haben, daß dem Reichstage nicht nur die volkswirt¬
schaftlichen Kenntnisse zur Führung der Wirtschaftspolitik häufig fehlen, sondern
auch der gute Wille, sie sich zu verschaffen, und das Verantwortlichkeitsgefühl
für sein Handeln und dessen Folgen. Das ist eine schwere Anklage, aber ich
erhebe sie mit vollem Bewußtsein ihrer Tragweite.

Es ist ganz klar, daß in einer Körperschaft, wie dem Reichstage, niemals
einseitige Interessen vertreten werden sollen und siegen dürfe», daß die wider-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/355>, abgerufen am 22.07.2024.