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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

trägt, wie die Anwesenheit der Geschwister der Zarin und das Fehlen jedes diplo¬
matischen Apparats beweisen. Im übrigen dürfte Kaiser Nikolaus wie ganz Ru߬
land aus dem Verhalten der deutschen Presse entnehmen, daß sich in Deutschland
nirgends ein Gefühl enttäuschter Erwartungen geltend macht, denn wir haben von
Rußland nie mehr verlangt, als mit ihm in Frieden leben zu können.

Eine ganz merkwürdige, übrigens nach mißverständlichen ausländischen Auf¬
fassungen erst eingeschleppte Ansicht taucht wieder und wieder in den Blättern auf,
als ob es sich beim jüngsten Reichskanzlerwechsel um eine Art Wirkung des par¬
lamentarischen Systems gehandelt habe, weil Fürst Bülow einer Abstimmung im
Reichstage zum Opfer gefallen sei. Ein auf Oberflächlichkeit und leere Äußerlich¬
keiten gestütztes Urteil läuft wohl gelegentlich mit unter, aber selten hat eins so
wenig Grundlage gehabt wie gerade dieses. Daß ein Reichskanzler einen par¬
lamentarischen Vorgang als Anlaß benutzte, um vom Kaiser seine Entlassung zu
erbitten, ist zwar vorher noch nicht dagewesen, aber wir sind jetzt erst beim fünften
Reichskanzler. Bei der Entwicklung, die der deutsche Parlamentarismus gegen den
Willen und die Absicht des politischen Urhebers der deutschen Verfassung genommen
hat, dürften sich in Zukunft wohl noch öfter Gelegenheiten ergeben, bei denen es
ein Reichskanzler satt hat, mit unsrer parlamentarischen Mühle mahlen zu wollen.
Es ist nicht jeder persönlich damit so eng verwachsen, wie es der Altreichskanzler
war, der sich allerdings verpflichtet fühlte, sich mit seiner eignen Schöpfung bis
an das Ende seiner Dienstzeit herumzuquttlen. Der Monarch dürfte darum in
Zukunft noch oft in die Lage kommen, einen Reichskanzler, dem die Beschäftigung mit
dem Reichstag verleidet worden ist, die Entlassung nicht versagen zu können. Das
hat mit dem sogenannten parlamentarischen System, das bei uns nicht Rechtens ist
und es bei dem deutschen Fürstenbündnis auch nie werden wird -- am allerwenigsten
bei unserm jetzigen Parlamentarismus --, nicht das mindeste zu tun. Der Kaiser
kann einen Kanzler, der aus irgendeinem Grunde nicht bleiben will, nicht zwingen,
aber das berührt nicht sein verfassungsmäßiges Recht, den Reichskanzler ohne jede
Rücksicht auf den Reichstag zu ernennen. Das ist für ihn eine Zweckmäßigkeits¬
frage. Wie oft hätte Kaiser Wilhelm der Erste den Fürsten Bismarck entlassen
müssen, wenn er den Beschlüssen der Reichstagsmehrheiten Einfluß auf seine Ent¬
schließungen gewährt hätte! Das weiß man doch in den Blättern und Par¬
lamentarierkreisen, die der oben erwähnten Ansicht Eingang gewährt haben, auch
recht gut, und es scheint, daß man das nur getan hat, um wieder einmal die
Parlamentarische Regierung, die man seit den sogenannten Kaiserdebatten vom
November vorigen Jahres wieder aus der Versunkenheit hervorgeholt und durch
die bekannten liberalen Anträge einzuleiten versucht hat, zur Sprache zu bringen.
Man sollte doch eigentlich meinen, die Liberalen hätten in der jetzigen, von links
und rechts bedrängten Lage etwas besseres zu tun, als eine Frage anzurühren, die
nur zu ihrem Nachteil entschieden werden kann.

Die Verschmelzung der drei linksliberalen Parteien ist zwar in den letzten
Wochen wieder mehrfach angeregt worden, aber die Lösung rückt nicht näher. Es
scheint fast, als ob der günstige Moment wieder verpaßt werden sollte, obgleich die
Einigung zum Besten unsers öffentlichen und parlamentarischen Lebens dienen und
eigentlich von allen Seiten mindestens mit Zustimmung begrüßt werden würde. Trotz
heißer Mahnungen und wohlgemeinter Gelöbnisse ist man noch nicht recht vorwärts
gekommen; selbst bei den bevorstehenden Neichstagsnachwahlen zeigt sich keine rechte
Einigkeit, und der Hansabund, von dem mit Recht ein belebender Einfluß erwartet
wurde, läßt in den Blättern nur zahlreiche Beitrittserklärungen melden, von einer
Einleitung der praktischen Tätigkeit vernimmt man aber noch immer nichts. Die
Vermutung liegt nahe, daß es auf vielen Seiten mit den neuen liberalen Be¬
wegungen nicht recht ernst genommen wird, was freilich bei ihrem allein auf eine


Maßgebliches und Unmaßgebliches

trägt, wie die Anwesenheit der Geschwister der Zarin und das Fehlen jedes diplo¬
matischen Apparats beweisen. Im übrigen dürfte Kaiser Nikolaus wie ganz Ru߬
land aus dem Verhalten der deutschen Presse entnehmen, daß sich in Deutschland
nirgends ein Gefühl enttäuschter Erwartungen geltend macht, denn wir haben von
Rußland nie mehr verlangt, als mit ihm in Frieden leben zu können.

Eine ganz merkwürdige, übrigens nach mißverständlichen ausländischen Auf¬
fassungen erst eingeschleppte Ansicht taucht wieder und wieder in den Blättern auf,
als ob es sich beim jüngsten Reichskanzlerwechsel um eine Art Wirkung des par¬
lamentarischen Systems gehandelt habe, weil Fürst Bülow einer Abstimmung im
Reichstage zum Opfer gefallen sei. Ein auf Oberflächlichkeit und leere Äußerlich¬
keiten gestütztes Urteil läuft wohl gelegentlich mit unter, aber selten hat eins so
wenig Grundlage gehabt wie gerade dieses. Daß ein Reichskanzler einen par¬
lamentarischen Vorgang als Anlaß benutzte, um vom Kaiser seine Entlassung zu
erbitten, ist zwar vorher noch nicht dagewesen, aber wir sind jetzt erst beim fünften
Reichskanzler. Bei der Entwicklung, die der deutsche Parlamentarismus gegen den
Willen und die Absicht des politischen Urhebers der deutschen Verfassung genommen
hat, dürften sich in Zukunft wohl noch öfter Gelegenheiten ergeben, bei denen es
ein Reichskanzler satt hat, mit unsrer parlamentarischen Mühle mahlen zu wollen.
Es ist nicht jeder persönlich damit so eng verwachsen, wie es der Altreichskanzler
war, der sich allerdings verpflichtet fühlte, sich mit seiner eignen Schöpfung bis
an das Ende seiner Dienstzeit herumzuquttlen. Der Monarch dürfte darum in
Zukunft noch oft in die Lage kommen, einen Reichskanzler, dem die Beschäftigung mit
dem Reichstag verleidet worden ist, die Entlassung nicht versagen zu können. Das
hat mit dem sogenannten parlamentarischen System, das bei uns nicht Rechtens ist
und es bei dem deutschen Fürstenbündnis auch nie werden wird — am allerwenigsten
bei unserm jetzigen Parlamentarismus —, nicht das mindeste zu tun. Der Kaiser
kann einen Kanzler, der aus irgendeinem Grunde nicht bleiben will, nicht zwingen,
aber das berührt nicht sein verfassungsmäßiges Recht, den Reichskanzler ohne jede
Rücksicht auf den Reichstag zu ernennen. Das ist für ihn eine Zweckmäßigkeits¬
frage. Wie oft hätte Kaiser Wilhelm der Erste den Fürsten Bismarck entlassen
müssen, wenn er den Beschlüssen der Reichstagsmehrheiten Einfluß auf seine Ent¬
schließungen gewährt hätte! Das weiß man doch in den Blättern und Par¬
lamentarierkreisen, die der oben erwähnten Ansicht Eingang gewährt haben, auch
recht gut, und es scheint, daß man das nur getan hat, um wieder einmal die
Parlamentarische Regierung, die man seit den sogenannten Kaiserdebatten vom
November vorigen Jahres wieder aus der Versunkenheit hervorgeholt und durch
die bekannten liberalen Anträge einzuleiten versucht hat, zur Sprache zu bringen.
Man sollte doch eigentlich meinen, die Liberalen hätten in der jetzigen, von links
und rechts bedrängten Lage etwas besseres zu tun, als eine Frage anzurühren, die
nur zu ihrem Nachteil entschieden werden kann.

Die Verschmelzung der drei linksliberalen Parteien ist zwar in den letzten
Wochen wieder mehrfach angeregt worden, aber die Lösung rückt nicht näher. Es
scheint fast, als ob der günstige Moment wieder verpaßt werden sollte, obgleich die
Einigung zum Besten unsers öffentlichen und parlamentarischen Lebens dienen und
eigentlich von allen Seiten mindestens mit Zustimmung begrüßt werden würde. Trotz
heißer Mahnungen und wohlgemeinter Gelöbnisse ist man noch nicht recht vorwärts
gekommen; selbst bei den bevorstehenden Neichstagsnachwahlen zeigt sich keine rechte
Einigkeit, und der Hansabund, von dem mit Recht ein belebender Einfluß erwartet
wurde, läßt in den Blättern nur zahlreiche Beitrittserklärungen melden, von einer
Einleitung der praktischen Tätigkeit vernimmt man aber noch immer nichts. Die
Vermutung liegt nahe, daß es auf vielen Seiten mit den neuen liberalen Be¬
wegungen nicht recht ernst genommen wird, was freilich bei ihrem allein auf eine


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[0341] Maßgebliches und Unmaßgebliches trägt, wie die Anwesenheit der Geschwister der Zarin und das Fehlen jedes diplo¬ matischen Apparats beweisen. Im übrigen dürfte Kaiser Nikolaus wie ganz Ru߬ land aus dem Verhalten der deutschen Presse entnehmen, daß sich in Deutschland nirgends ein Gefühl enttäuschter Erwartungen geltend macht, denn wir haben von Rußland nie mehr verlangt, als mit ihm in Frieden leben zu können. Eine ganz merkwürdige, übrigens nach mißverständlichen ausländischen Auf¬ fassungen erst eingeschleppte Ansicht taucht wieder und wieder in den Blättern auf, als ob es sich beim jüngsten Reichskanzlerwechsel um eine Art Wirkung des par¬ lamentarischen Systems gehandelt habe, weil Fürst Bülow einer Abstimmung im Reichstage zum Opfer gefallen sei. Ein auf Oberflächlichkeit und leere Äußerlich¬ keiten gestütztes Urteil läuft wohl gelegentlich mit unter, aber selten hat eins so wenig Grundlage gehabt wie gerade dieses. Daß ein Reichskanzler einen par¬ lamentarischen Vorgang als Anlaß benutzte, um vom Kaiser seine Entlassung zu erbitten, ist zwar vorher noch nicht dagewesen, aber wir sind jetzt erst beim fünften Reichskanzler. Bei der Entwicklung, die der deutsche Parlamentarismus gegen den Willen und die Absicht des politischen Urhebers der deutschen Verfassung genommen hat, dürften sich in Zukunft wohl noch öfter Gelegenheiten ergeben, bei denen es ein Reichskanzler satt hat, mit unsrer parlamentarischen Mühle mahlen zu wollen. Es ist nicht jeder persönlich damit so eng verwachsen, wie es der Altreichskanzler war, der sich allerdings verpflichtet fühlte, sich mit seiner eignen Schöpfung bis an das Ende seiner Dienstzeit herumzuquttlen. Der Monarch dürfte darum in Zukunft noch oft in die Lage kommen, einen Reichskanzler, dem die Beschäftigung mit dem Reichstag verleidet worden ist, die Entlassung nicht versagen zu können. Das hat mit dem sogenannten parlamentarischen System, das bei uns nicht Rechtens ist und es bei dem deutschen Fürstenbündnis auch nie werden wird — am allerwenigsten bei unserm jetzigen Parlamentarismus —, nicht das mindeste zu tun. Der Kaiser kann einen Kanzler, der aus irgendeinem Grunde nicht bleiben will, nicht zwingen, aber das berührt nicht sein verfassungsmäßiges Recht, den Reichskanzler ohne jede Rücksicht auf den Reichstag zu ernennen. Das ist für ihn eine Zweckmäßigkeits¬ frage. Wie oft hätte Kaiser Wilhelm der Erste den Fürsten Bismarck entlassen müssen, wenn er den Beschlüssen der Reichstagsmehrheiten Einfluß auf seine Ent¬ schließungen gewährt hätte! Das weiß man doch in den Blättern und Par¬ lamentarierkreisen, die der oben erwähnten Ansicht Eingang gewährt haben, auch recht gut, und es scheint, daß man das nur getan hat, um wieder einmal die Parlamentarische Regierung, die man seit den sogenannten Kaiserdebatten vom November vorigen Jahres wieder aus der Versunkenheit hervorgeholt und durch die bekannten liberalen Anträge einzuleiten versucht hat, zur Sprache zu bringen. Man sollte doch eigentlich meinen, die Liberalen hätten in der jetzigen, von links und rechts bedrängten Lage etwas besseres zu tun, als eine Frage anzurühren, die nur zu ihrem Nachteil entschieden werden kann. Die Verschmelzung der drei linksliberalen Parteien ist zwar in den letzten Wochen wieder mehrfach angeregt worden, aber die Lösung rückt nicht näher. Es scheint fast, als ob der günstige Moment wieder verpaßt werden sollte, obgleich die Einigung zum Besten unsers öffentlichen und parlamentarischen Lebens dienen und eigentlich von allen Seiten mindestens mit Zustimmung begrüßt werden würde. Trotz heißer Mahnungen und wohlgemeinter Gelöbnisse ist man noch nicht recht vorwärts gekommen; selbst bei den bevorstehenden Neichstagsnachwahlen zeigt sich keine rechte Einigkeit, und der Hansabund, von dem mit Recht ein belebender Einfluß erwartet wurde, läßt in den Blättern nur zahlreiche Beitrittserklärungen melden, von einer Einleitung der praktischen Tätigkeit vernimmt man aber noch immer nichts. Die Vermutung liegt nahe, daß es auf vielen Seiten mit den neuen liberalen Be¬ wegungen nicht recht ernst genommen wird, was freilich bei ihrem allein auf eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/341>, abgerufen am 22.12.2024.