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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

Justesens Augen wurden rund, und er schwappte mit den Lippen:

Nichts, Herr Referendar, oder alles mögliche, aber mein Mund bleibt ge¬
schlossen. Der Herr Bürgermeister hält ja alle Leute für Engel, das ist nun mal
seine Gewohnheit, und ich werde mich schön hüten, mit Vermutungen zu kommen.

Der Referendar sah von seinem Pfandregister auf. Sie sind ein richtiger
Polizeihund, Justesen. Sie glaubten ja, wie der Rechtsanwalt im Herbst, daß
Hilmer selbst Deichhof angesteckt hatte. Der Rechtsanwalt war rasend darüber,
daß er um das Salär für die große Pfändung gekommen ist, und nnn ist Hilmer
ja obenauf.

Justesen lachte.

Der Rechtsanwalt stand mit dem Amtsgericht nicht auf dem besten Fuße.
Penther mischte sich in das Gespräch: Hier in der Stadt sagten sie ja alle, daß
das Feuer angelegt sei; das ist ja auch leicht möglich. Jetzt lachen sie uns wieder
aus. Es ist die sechste unaufgeklärte Feuersbrunst. Der Alte ist ganz außer sich.
Gestern hat ihm das Ministerium geschrieben -- Richter kommt hier herunter.
Und fängt der erst an, dann nimmt er den Brand auf Deichhof wieder auf. Und
dann soll sich Hilmer in acht nehmen.

Allgemeines Schweigen.

Was sagen Sie, Penther, rief Seydewitz, die Brandkommtssion? Na, dann
gratuliere ich unserm Alten. Ich werde also meiner Arbeit enthoben. Was sagen
Sie, Justesen?

Justesen schaukelte sich auf einem alten Lederstuhl.

Ich warte, sagte er, mögen die Kopenhagner sich amüsieren. Sie wollens doch
gern. Es wird schon Arbeit für sie geben, und wir können uns solange ausruhen.

Das ärgert den Alten mörderlich, sagte Penther, er fauchte gestern abend
darüber, als das Schreiben kam. Ich war zufällig hier, und das kann ich sagen,
der hat was geschimpft. Aber eigentlich kann man es ihnen drinnen nicht ver¬
denken, daß sie es satt haben. . .

Die Tür knirschte.

Es war der Bürgermeister.

Der Bürgermeister war ein kleiner, runder Mann mit weißem Bart und
hübschen, braunen Augen. Kahlköpfig war er wie eine Billardkugel, eifrig und
rastlos in seinen Bewegungen. Er sprach viel und gut, aber cholerisch war er,
besonders morgens, wenn er Pech gehabt hatte.

Guten Morgen, sagte er kurz. Justesen, kommen Sie herein, ich habe etwas
mit Ihnen zu besprechen.

Justesen trat ehrerbietig näher. Die Tür zum Bureau des Bürgermeisters schloß
steh- Assessor Imsen blickte über das Pincenez zu Seydewitz hinüber. Keimen Sie
Richter, Seydewitz?

Sehr wenig, er ist ein scharfer Herr, und ich wette eine Flasche darauf, daß
er und unser Alter sich gleich bei der ersten Begegnung verkrachen. Er ist schrecklich
überlegen und sehr wenig rücksichtsvoll. Es gibt Krieg bis aufs Messer. Und
der Bürgermeister kriegt zu tun, wenn er die Hand über Hilmer halten will,
Richter stößt herab wie ein Geier. Der alte Mortensen oben muß sehen, daß er
in den Arrestzellen Platz schafft. Wir kriegen mindestens fünf Verhaftungen, oder
vielleicht für jeden Brand ein paar Stück. Richter arretiert haufenweise, und dann
Kommen sie auf die Folterbank, die armen Kerle, bis sie klein beigeben. Hans
Jepsen im Myrehause ist seines Loses gewiß.

Geht uns nichts an, sagte Imsen phlegmatisch. Mögen sich die Herren amü¬
sieren. Hilmer ist in höhern Kreisen gut angeschrieben, und ihn wird man Wohl


Der rote Hahn

Justesens Augen wurden rund, und er schwappte mit den Lippen:

Nichts, Herr Referendar, oder alles mögliche, aber mein Mund bleibt ge¬
schlossen. Der Herr Bürgermeister hält ja alle Leute für Engel, das ist nun mal
seine Gewohnheit, und ich werde mich schön hüten, mit Vermutungen zu kommen.

Der Referendar sah von seinem Pfandregister auf. Sie sind ein richtiger
Polizeihund, Justesen. Sie glaubten ja, wie der Rechtsanwalt im Herbst, daß
Hilmer selbst Deichhof angesteckt hatte. Der Rechtsanwalt war rasend darüber,
daß er um das Salär für die große Pfändung gekommen ist, und nnn ist Hilmer
ja obenauf.

Justesen lachte.

Der Rechtsanwalt stand mit dem Amtsgericht nicht auf dem besten Fuße.
Penther mischte sich in das Gespräch: Hier in der Stadt sagten sie ja alle, daß
das Feuer angelegt sei; das ist ja auch leicht möglich. Jetzt lachen sie uns wieder
aus. Es ist die sechste unaufgeklärte Feuersbrunst. Der Alte ist ganz außer sich.
Gestern hat ihm das Ministerium geschrieben — Richter kommt hier herunter.
Und fängt der erst an, dann nimmt er den Brand auf Deichhof wieder auf. Und
dann soll sich Hilmer in acht nehmen.

Allgemeines Schweigen.

Was sagen Sie, Penther, rief Seydewitz, die Brandkommtssion? Na, dann
gratuliere ich unserm Alten. Ich werde also meiner Arbeit enthoben. Was sagen
Sie, Justesen?

Justesen schaukelte sich auf einem alten Lederstuhl.

Ich warte, sagte er, mögen die Kopenhagner sich amüsieren. Sie wollens doch
gern. Es wird schon Arbeit für sie geben, und wir können uns solange ausruhen.

Das ärgert den Alten mörderlich, sagte Penther, er fauchte gestern abend
darüber, als das Schreiben kam. Ich war zufällig hier, und das kann ich sagen,
der hat was geschimpft. Aber eigentlich kann man es ihnen drinnen nicht ver¬
denken, daß sie es satt haben. . .

Die Tür knirschte.

Es war der Bürgermeister.

Der Bürgermeister war ein kleiner, runder Mann mit weißem Bart und
hübschen, braunen Augen. Kahlköpfig war er wie eine Billardkugel, eifrig und
rastlos in seinen Bewegungen. Er sprach viel und gut, aber cholerisch war er,
besonders morgens, wenn er Pech gehabt hatte.

Guten Morgen, sagte er kurz. Justesen, kommen Sie herein, ich habe etwas
mit Ihnen zu besprechen.

Justesen trat ehrerbietig näher. Die Tür zum Bureau des Bürgermeisters schloß
steh- Assessor Imsen blickte über das Pincenez zu Seydewitz hinüber. Keimen Sie
Richter, Seydewitz?

Sehr wenig, er ist ein scharfer Herr, und ich wette eine Flasche darauf, daß
er und unser Alter sich gleich bei der ersten Begegnung verkrachen. Er ist schrecklich
überlegen und sehr wenig rücksichtsvoll. Es gibt Krieg bis aufs Messer. Und
der Bürgermeister kriegt zu tun, wenn er die Hand über Hilmer halten will,
Richter stößt herab wie ein Geier. Der alte Mortensen oben muß sehen, daß er
in den Arrestzellen Platz schafft. Wir kriegen mindestens fünf Verhaftungen, oder
vielleicht für jeden Brand ein paar Stück. Richter arretiert haufenweise, und dann
Kommen sie auf die Folterbank, die armen Kerle, bis sie klein beigeben. Hans
Jepsen im Myrehause ist seines Loses gewiß.

Geht uns nichts an, sagte Imsen phlegmatisch. Mögen sich die Herren amü¬
sieren. Hilmer ist in höhern Kreisen gut angeschrieben, und ihn wird man Wohl


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[0333] Der rote Hahn Justesens Augen wurden rund, und er schwappte mit den Lippen: Nichts, Herr Referendar, oder alles mögliche, aber mein Mund bleibt ge¬ schlossen. Der Herr Bürgermeister hält ja alle Leute für Engel, das ist nun mal seine Gewohnheit, und ich werde mich schön hüten, mit Vermutungen zu kommen. Der Referendar sah von seinem Pfandregister auf. Sie sind ein richtiger Polizeihund, Justesen. Sie glaubten ja, wie der Rechtsanwalt im Herbst, daß Hilmer selbst Deichhof angesteckt hatte. Der Rechtsanwalt war rasend darüber, daß er um das Salär für die große Pfändung gekommen ist, und nnn ist Hilmer ja obenauf. Justesen lachte. Der Rechtsanwalt stand mit dem Amtsgericht nicht auf dem besten Fuße. Penther mischte sich in das Gespräch: Hier in der Stadt sagten sie ja alle, daß das Feuer angelegt sei; das ist ja auch leicht möglich. Jetzt lachen sie uns wieder aus. Es ist die sechste unaufgeklärte Feuersbrunst. Der Alte ist ganz außer sich. Gestern hat ihm das Ministerium geschrieben — Richter kommt hier herunter. Und fängt der erst an, dann nimmt er den Brand auf Deichhof wieder auf. Und dann soll sich Hilmer in acht nehmen. Allgemeines Schweigen. Was sagen Sie, Penther, rief Seydewitz, die Brandkommtssion? Na, dann gratuliere ich unserm Alten. Ich werde also meiner Arbeit enthoben. Was sagen Sie, Justesen? Justesen schaukelte sich auf einem alten Lederstuhl. Ich warte, sagte er, mögen die Kopenhagner sich amüsieren. Sie wollens doch gern. Es wird schon Arbeit für sie geben, und wir können uns solange ausruhen. Das ärgert den Alten mörderlich, sagte Penther, er fauchte gestern abend darüber, als das Schreiben kam. Ich war zufällig hier, und das kann ich sagen, der hat was geschimpft. Aber eigentlich kann man es ihnen drinnen nicht ver¬ denken, daß sie es satt haben. . . Die Tür knirschte. Es war der Bürgermeister. Der Bürgermeister war ein kleiner, runder Mann mit weißem Bart und hübschen, braunen Augen. Kahlköpfig war er wie eine Billardkugel, eifrig und rastlos in seinen Bewegungen. Er sprach viel und gut, aber cholerisch war er, besonders morgens, wenn er Pech gehabt hatte. Guten Morgen, sagte er kurz. Justesen, kommen Sie herein, ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen. Justesen trat ehrerbietig näher. Die Tür zum Bureau des Bürgermeisters schloß steh- Assessor Imsen blickte über das Pincenez zu Seydewitz hinüber. Keimen Sie Richter, Seydewitz? Sehr wenig, er ist ein scharfer Herr, und ich wette eine Flasche darauf, daß er und unser Alter sich gleich bei der ersten Begegnung verkrachen. Er ist schrecklich überlegen und sehr wenig rücksichtsvoll. Es gibt Krieg bis aufs Messer. Und der Bürgermeister kriegt zu tun, wenn er die Hand über Hilmer halten will, Richter stößt herab wie ein Geier. Der alte Mortensen oben muß sehen, daß er in den Arrestzellen Platz schafft. Wir kriegen mindestens fünf Verhaftungen, oder vielleicht für jeden Brand ein paar Stück. Richter arretiert haufenweise, und dann Kommen sie auf die Folterbank, die armen Kerle, bis sie klein beigeben. Hans Jepsen im Myrehause ist seines Loses gewiß. Geht uns nichts an, sagte Imsen phlegmatisch. Mögen sich die Herren amü¬ sieren. Hilmer ist in höhern Kreisen gut angeschrieben, und ihn wird man Wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/333>, abgerufen am 22.12.2024.