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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Ästerreichs Grenzschutz gegen Rußland

Lage der Dinge gewinnt natürlich die Frage an Aktualität, wie Österreich seine
Grenzen gegen Nußland gesichert hat, und ob die getroffnen Anordnungen
ausreichen, den neuen Maßnahmen des russischen Nachbarn die Wagschale
zu halten.

Die Gestalt der Grenze Galiziens gegen Nußland ist eine 750 Kilometer
lange gebrochne Linie, die in russisches Gebiet hineinragt und im allgemeinen
zwei Fronten hat; die nördliche längs der Linie Krakau - Sokal mit 350 Kilo¬
metern Länge ist gegen den Warschauer Militärbezirk, die östliche Front längs
der Linie Sokal - Czernowitz mit 230 Kilometern Länge gegen den Militärbezirk
Kijew gerichtet. Die Grenze ist, abgesehen von der Weichselbarriere von Krakau
bis Zawichost und der Tanewregion, offen und ohne Schwierigkeiten über¬
schreitbar.

Die Weichsel, unterhalb Krakau für militärische Operationen ein bedeutendes
Hindernis, ist 300 bis 600 Meter breit, 2 bis 4 Meter tief und innerhalb der
Grenze abwärts Krakau nicht mehr überbrückt, die Verbindung beider Ufer wird
durch Fähren hergestellt. Die Weichsel gibt daher eine gute Verteidigungsline
ab; ihre Bedeutung wächst dadurch, daß beide Flanken eine gute Anlehnung
haben, links die Festung Krakau, rechts den San mit den Befestigungen von
Przemysl, Jaroslau und Sieniawa-Zarczeze.

Krakau liegt am rechten Ufer der Weichsel, mit Ausnahme der kleinen
Vorstadt Podgorze; es ist ein großer Kommunikationsknoten und wichtiger
Übergangspunkt über das Stromhindernis; die Festung schützt die Verteidigungs¬
linie an der Weichsel in der linken Flanke, sichert den Uferwechsel des Ver¬
teidigers und zwingt, bei dem Umstände, daß sie auf dem kürzesten Wege
von Russisch-Polen nach Wien liegt, eine in dieser Richtung angreifende
Armee zur Detachierung bedeutender Kräfte behufs Einschließung der Festung
und erschwert demnach bis zu einem gewissen Grade die Umgehung der Karpaten¬
linie; sie schützt die aus dem Innern der Monarchie, aus Wien und Nord¬
böhmen heranzuschiebenden Zufuhren für die im ressourcenarmen West- oder
Mittelgalizien und den anschließenden Teilen Russisch-Polens operierenden
Truppen, sie bietet durch ihre großen Proviantvorräte und dank der getroffnen
Verpflegungsvorsorgen selbst bedeutenden Kräften für längere Zeit Unterhalt und
Unterkunft, ist ein wertvoller Stützpunkt für die Verteidigung und Beobachtung
der Grenze und schützt den Uferwechsel eigner Kräfte am Südufer der Weichsel.
Die Festung wird zum Depotplatz für die artilleristischen Angriffe auf die
russischen Befestigungen und zum Ausgangspunkt der Weichselschiffahrt, die die
über diesen Fluß operierenden Truppen mit Verpflegungsvorräten und Kriegs¬
material versorgen soll, besouders dann, wenn die russischen Bahnen zerstört
sind, und der Bau von feldmäßigen und flüchtigen Eisenbahnen in Angriff
genommen wird. Die Weichsel ist in Krakau durch zwei Eisenbahn- und eine
Straßenbrücke übersetzt, der Fluß 70 bis 120 Meter breit und 1 bis 2 Meter
tief, das Tal 7 bis 8 Kilometer breit der Überschwemmung ausgesetzt. An die


Ästerreichs Grenzschutz gegen Rußland

Lage der Dinge gewinnt natürlich die Frage an Aktualität, wie Österreich seine
Grenzen gegen Nußland gesichert hat, und ob die getroffnen Anordnungen
ausreichen, den neuen Maßnahmen des russischen Nachbarn die Wagschale
zu halten.

Die Gestalt der Grenze Galiziens gegen Nußland ist eine 750 Kilometer
lange gebrochne Linie, die in russisches Gebiet hineinragt und im allgemeinen
zwei Fronten hat; die nördliche längs der Linie Krakau - Sokal mit 350 Kilo¬
metern Länge ist gegen den Warschauer Militärbezirk, die östliche Front längs
der Linie Sokal - Czernowitz mit 230 Kilometern Länge gegen den Militärbezirk
Kijew gerichtet. Die Grenze ist, abgesehen von der Weichselbarriere von Krakau
bis Zawichost und der Tanewregion, offen und ohne Schwierigkeiten über¬
schreitbar.

Die Weichsel, unterhalb Krakau für militärische Operationen ein bedeutendes
Hindernis, ist 300 bis 600 Meter breit, 2 bis 4 Meter tief und innerhalb der
Grenze abwärts Krakau nicht mehr überbrückt, die Verbindung beider Ufer wird
durch Fähren hergestellt. Die Weichsel gibt daher eine gute Verteidigungsline
ab; ihre Bedeutung wächst dadurch, daß beide Flanken eine gute Anlehnung
haben, links die Festung Krakau, rechts den San mit den Befestigungen von
Przemysl, Jaroslau und Sieniawa-Zarczeze.

Krakau liegt am rechten Ufer der Weichsel, mit Ausnahme der kleinen
Vorstadt Podgorze; es ist ein großer Kommunikationsknoten und wichtiger
Übergangspunkt über das Stromhindernis; die Festung schützt die Verteidigungs¬
linie an der Weichsel in der linken Flanke, sichert den Uferwechsel des Ver¬
teidigers und zwingt, bei dem Umstände, daß sie auf dem kürzesten Wege
von Russisch-Polen nach Wien liegt, eine in dieser Richtung angreifende
Armee zur Detachierung bedeutender Kräfte behufs Einschließung der Festung
und erschwert demnach bis zu einem gewissen Grade die Umgehung der Karpaten¬
linie; sie schützt die aus dem Innern der Monarchie, aus Wien und Nord¬
böhmen heranzuschiebenden Zufuhren für die im ressourcenarmen West- oder
Mittelgalizien und den anschließenden Teilen Russisch-Polens operierenden
Truppen, sie bietet durch ihre großen Proviantvorräte und dank der getroffnen
Verpflegungsvorsorgen selbst bedeutenden Kräften für längere Zeit Unterhalt und
Unterkunft, ist ein wertvoller Stützpunkt für die Verteidigung und Beobachtung
der Grenze und schützt den Uferwechsel eigner Kräfte am Südufer der Weichsel.
Die Festung wird zum Depotplatz für die artilleristischen Angriffe auf die
russischen Befestigungen und zum Ausgangspunkt der Weichselschiffahrt, die die
über diesen Fluß operierenden Truppen mit Verpflegungsvorräten und Kriegs¬
material versorgen soll, besouders dann, wenn die russischen Bahnen zerstört
sind, und der Bau von feldmäßigen und flüchtigen Eisenbahnen in Angriff
genommen wird. Die Weichsel ist in Krakau durch zwei Eisenbahn- und eine
Straßenbrücke übersetzt, der Fluß 70 bis 120 Meter breit und 1 bis 2 Meter
tief, das Tal 7 bis 8 Kilometer breit der Überschwemmung ausgesetzt. An die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/300>, abgerufen am 22.07.2024.