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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und unmaßgebliches

muß ich mich als Leser und Buchkäufer im vorliegenden Falle eigentlich getäuscht
fühlen, da der Inhalt das nicht bietet, was mir der Titel verspricht.

Noch eine andre Stelle des Werkes hat mir in ähnlicher Weise Kopfschütteln
verursacht. Da heißt es: "Wir sind nun zu der letzten Frage gekommen, wie der
Ewigkeitsbegriff auf die Existenz des Lebens überhaupt angewendet werden kann.
Im allgemeinen neigen die Naturforscher zu der Annahme, daß Lebendiges durch
heute noch wirksame physikalische und chemische Kräfte auf der Erde entstanden
sei. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Auffassung der Mehrzahl nicht
sonderlich von derjenigen der Naturvölker. Die Lehre jedoch, daß das Leben aus
dem Weltenraume zur Erde kam, die wir schon in der nordischen Sage finden, in
der Erzählung von der Einwandrung unsrer Götter und eines Menschenpaares aus
dem Hain bei Mines Brunn (dem Weltenraum entsprechend) auf die Erde, hat
ganz hervorragende Anhänger gefunden, wie den berühmten Botaniker Ferdinand
Cohn und den vielleicht größten Physiker unsrer Zeit, Lord Kelvin. Die großen
Schwierigkeiten, die dieser Ansicht bisher ohne Zweifel anhafteten, habe ich dadurch
zu beseitigen gesucht, daß ich den Strahlungsdrnck als treibende Kraft für den
Transport der Keime dnrch den Weltenraum einführte. Die Ursache, warum diese
Ansicht trotz der großen Schwierigkeiten, rin denen auch sie zu kämpfen hatte, doch
mehrere Anhänger gewann, liegt darin, daß man es endlich müde wurde, die alljährlich
auftauchenden sanguinischen Angaben, es sei endlich geglückt, ohne Keime tote Materie
zu beleben, immer wieder als irrtümlich aufzuklären. Die Frage ist ungefähr in dem¬
selben Stadium wie das Problem des "Perpetuum mobile" vor einem halben Jahr¬
hundert. Es scheint daher höchst wahrscheinlich, daß das Problem der "Urzeugung"
in seiner gegenwärtigen Form wie früher das des "Perpetuum mobile" vom wissen-
schaftlichen Programm abgesetzt wird. Es bleibt kaum etwas andres übrig, als anzu¬
nehmen, daß das Leben ans dem Weltenraume, das heißt von früher belebten Welten
auf die Erde kam, und daß das Leben gleich der Materie und der Energie ewig Ist."

Diese Art der Spekulativ" hat unbestreitbar eines für sich: sie ist außerordent¬
lich bequem. Sie erinnert aber den aufmerksamen Leser doch zu sehr an eine Vogel
Stranßpolitik, als daß sie ihn befriedigen könnte. Schaffe ich dadurch die Frage
nach dem Ursprung des Lebens ans der Welt, wenn ich sage, daß es von früher
belebten Welten auf die Erde kam? Wenn Arrhenius, um sich einen Beweis für
seine Ansicht zu schaffen, zu bedenken gibt: "Eine so alles umstürzende Entdeckung,
wie die von der Messung der Lebensquantität, wird wohl nie gemacht werden,
aber die ewige Dauer des Lebens können wir uns doch leicht vorstellen, wenn
wir annehmen, daß es im ewigen Kreislauf der Natur stets Himmelskörper gibt,
die dem Leben günstig sind und darum auch jedenfalls Lebewesen beherbergen", so
kann ich ihm aus eben dieser Anschauung entgegenhalten, daß alle diese vielleicht
belebten Himmelskörper seinen eignen Ausführungen nach Stadien durchgemacht
haben, die nicht nur der Entwicklung jedes Lebens ungeeignet sein mußten, sondern
in denen auch etwa vorhcmdues Leben unbedingt zugrunde gegangen sein muß.
Arrhenius sagt aber selbst wenige Zeilen vorher: "Jedoch bleibt, wenigstens bis
auf weiteres, ein ganz wesentlicher Unterschied übrig, der den Beweis der Ewig¬
keit des Lebens erschwert, nämlich daß wir es nicht in seinen verschiednen Formen
quantitativ messen können wie Materie und Energie. Es kann ja offenbar Leben
plötzlich vernichtet werden, ohne daß nachweisbar andres Leben daraus entsteht."
Wir haben hier unmittelbar untereinander krasse Widersprüche, die auch die glänzendste
Dialektik nicht unter einen Hut bringen kann.

Bei der Durchsicht des eben Geschriebenen fällt mir auf, daß es fast den
Eindruck macht, als wollte ich das Werk von Arrhenius ablehnen. Nichts liegt mir
ferner. Im Gegenteil! Es enthält eine Überfülle ungemein fein Ergrübeltes,
abgesehen von dem reichen Material, das mit Bienenfleiß zusammengetragen ist.
Ablehnen muß ich nnr den Titel. Hätte Arrhenius sein Buch bescheiden: Bei-


Maßgebliches und unmaßgebliches

muß ich mich als Leser und Buchkäufer im vorliegenden Falle eigentlich getäuscht
fühlen, da der Inhalt das nicht bietet, was mir der Titel verspricht.

Noch eine andre Stelle des Werkes hat mir in ähnlicher Weise Kopfschütteln
verursacht. Da heißt es: „Wir sind nun zu der letzten Frage gekommen, wie der
Ewigkeitsbegriff auf die Existenz des Lebens überhaupt angewendet werden kann.
Im allgemeinen neigen die Naturforscher zu der Annahme, daß Lebendiges durch
heute noch wirksame physikalische und chemische Kräfte auf der Erde entstanden
sei. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Auffassung der Mehrzahl nicht
sonderlich von derjenigen der Naturvölker. Die Lehre jedoch, daß das Leben aus
dem Weltenraume zur Erde kam, die wir schon in der nordischen Sage finden, in
der Erzählung von der Einwandrung unsrer Götter und eines Menschenpaares aus
dem Hain bei Mines Brunn (dem Weltenraum entsprechend) auf die Erde, hat
ganz hervorragende Anhänger gefunden, wie den berühmten Botaniker Ferdinand
Cohn und den vielleicht größten Physiker unsrer Zeit, Lord Kelvin. Die großen
Schwierigkeiten, die dieser Ansicht bisher ohne Zweifel anhafteten, habe ich dadurch
zu beseitigen gesucht, daß ich den Strahlungsdrnck als treibende Kraft für den
Transport der Keime dnrch den Weltenraum einführte. Die Ursache, warum diese
Ansicht trotz der großen Schwierigkeiten, rin denen auch sie zu kämpfen hatte, doch
mehrere Anhänger gewann, liegt darin, daß man es endlich müde wurde, die alljährlich
auftauchenden sanguinischen Angaben, es sei endlich geglückt, ohne Keime tote Materie
zu beleben, immer wieder als irrtümlich aufzuklären. Die Frage ist ungefähr in dem¬
selben Stadium wie das Problem des »Perpetuum mobile« vor einem halben Jahr¬
hundert. Es scheint daher höchst wahrscheinlich, daß das Problem der »Urzeugung«
in seiner gegenwärtigen Form wie früher das des »Perpetuum mobile« vom wissen-
schaftlichen Programm abgesetzt wird. Es bleibt kaum etwas andres übrig, als anzu¬
nehmen, daß das Leben ans dem Weltenraume, das heißt von früher belebten Welten
auf die Erde kam, und daß das Leben gleich der Materie und der Energie ewig Ist."

Diese Art der Spekulativ» hat unbestreitbar eines für sich: sie ist außerordent¬
lich bequem. Sie erinnert aber den aufmerksamen Leser doch zu sehr an eine Vogel
Stranßpolitik, als daß sie ihn befriedigen könnte. Schaffe ich dadurch die Frage
nach dem Ursprung des Lebens ans der Welt, wenn ich sage, daß es von früher
belebten Welten auf die Erde kam? Wenn Arrhenius, um sich einen Beweis für
seine Ansicht zu schaffen, zu bedenken gibt: „Eine so alles umstürzende Entdeckung,
wie die von der Messung der Lebensquantität, wird wohl nie gemacht werden,
aber die ewige Dauer des Lebens können wir uns doch leicht vorstellen, wenn
wir annehmen, daß es im ewigen Kreislauf der Natur stets Himmelskörper gibt,
die dem Leben günstig sind und darum auch jedenfalls Lebewesen beherbergen", so
kann ich ihm aus eben dieser Anschauung entgegenhalten, daß alle diese vielleicht
belebten Himmelskörper seinen eignen Ausführungen nach Stadien durchgemacht
haben, die nicht nur der Entwicklung jedes Lebens ungeeignet sein mußten, sondern
in denen auch etwa vorhcmdues Leben unbedingt zugrunde gegangen sein muß.
Arrhenius sagt aber selbst wenige Zeilen vorher: „Jedoch bleibt, wenigstens bis
auf weiteres, ein ganz wesentlicher Unterschied übrig, der den Beweis der Ewig¬
keit des Lebens erschwert, nämlich daß wir es nicht in seinen verschiednen Formen
quantitativ messen können wie Materie und Energie. Es kann ja offenbar Leben
plötzlich vernichtet werden, ohne daß nachweisbar andres Leben daraus entsteht."
Wir haben hier unmittelbar untereinander krasse Widersprüche, die auch die glänzendste
Dialektik nicht unter einen Hut bringen kann.

Bei der Durchsicht des eben Geschriebenen fällt mir auf, daß es fast den
Eindruck macht, als wollte ich das Werk von Arrhenius ablehnen. Nichts liegt mir
ferner. Im Gegenteil! Es enthält eine Überfülle ungemein fein Ergrübeltes,
abgesehen von dem reichen Material, das mit Bienenfleiß zusammengetragen ist.
Ablehnen muß ich nnr den Titel. Hätte Arrhenius sein Buch bescheiden: Bei-


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[0297] Maßgebliches und unmaßgebliches muß ich mich als Leser und Buchkäufer im vorliegenden Falle eigentlich getäuscht fühlen, da der Inhalt das nicht bietet, was mir der Titel verspricht. Noch eine andre Stelle des Werkes hat mir in ähnlicher Weise Kopfschütteln verursacht. Da heißt es: „Wir sind nun zu der letzten Frage gekommen, wie der Ewigkeitsbegriff auf die Existenz des Lebens überhaupt angewendet werden kann. Im allgemeinen neigen die Naturforscher zu der Annahme, daß Lebendiges durch heute noch wirksame physikalische und chemische Kräfte auf der Erde entstanden sei. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Auffassung der Mehrzahl nicht sonderlich von derjenigen der Naturvölker. Die Lehre jedoch, daß das Leben aus dem Weltenraume zur Erde kam, die wir schon in der nordischen Sage finden, in der Erzählung von der Einwandrung unsrer Götter und eines Menschenpaares aus dem Hain bei Mines Brunn (dem Weltenraum entsprechend) auf die Erde, hat ganz hervorragende Anhänger gefunden, wie den berühmten Botaniker Ferdinand Cohn und den vielleicht größten Physiker unsrer Zeit, Lord Kelvin. Die großen Schwierigkeiten, die dieser Ansicht bisher ohne Zweifel anhafteten, habe ich dadurch zu beseitigen gesucht, daß ich den Strahlungsdrnck als treibende Kraft für den Transport der Keime dnrch den Weltenraum einführte. Die Ursache, warum diese Ansicht trotz der großen Schwierigkeiten, rin denen auch sie zu kämpfen hatte, doch mehrere Anhänger gewann, liegt darin, daß man es endlich müde wurde, die alljährlich auftauchenden sanguinischen Angaben, es sei endlich geglückt, ohne Keime tote Materie zu beleben, immer wieder als irrtümlich aufzuklären. Die Frage ist ungefähr in dem¬ selben Stadium wie das Problem des »Perpetuum mobile« vor einem halben Jahr¬ hundert. Es scheint daher höchst wahrscheinlich, daß das Problem der »Urzeugung« in seiner gegenwärtigen Form wie früher das des »Perpetuum mobile« vom wissen- schaftlichen Programm abgesetzt wird. Es bleibt kaum etwas andres übrig, als anzu¬ nehmen, daß das Leben ans dem Weltenraume, das heißt von früher belebten Welten auf die Erde kam, und daß das Leben gleich der Materie und der Energie ewig Ist." Diese Art der Spekulativ» hat unbestreitbar eines für sich: sie ist außerordent¬ lich bequem. Sie erinnert aber den aufmerksamen Leser doch zu sehr an eine Vogel Stranßpolitik, als daß sie ihn befriedigen könnte. Schaffe ich dadurch die Frage nach dem Ursprung des Lebens ans der Welt, wenn ich sage, daß es von früher belebten Welten auf die Erde kam? Wenn Arrhenius, um sich einen Beweis für seine Ansicht zu schaffen, zu bedenken gibt: „Eine so alles umstürzende Entdeckung, wie die von der Messung der Lebensquantität, wird wohl nie gemacht werden, aber die ewige Dauer des Lebens können wir uns doch leicht vorstellen, wenn wir annehmen, daß es im ewigen Kreislauf der Natur stets Himmelskörper gibt, die dem Leben günstig sind und darum auch jedenfalls Lebewesen beherbergen", so kann ich ihm aus eben dieser Anschauung entgegenhalten, daß alle diese vielleicht belebten Himmelskörper seinen eignen Ausführungen nach Stadien durchgemacht haben, die nicht nur der Entwicklung jedes Lebens ungeeignet sein mußten, sondern in denen auch etwa vorhcmdues Leben unbedingt zugrunde gegangen sein muß. Arrhenius sagt aber selbst wenige Zeilen vorher: „Jedoch bleibt, wenigstens bis auf weiteres, ein ganz wesentlicher Unterschied übrig, der den Beweis der Ewig¬ keit des Lebens erschwert, nämlich daß wir es nicht in seinen verschiednen Formen quantitativ messen können wie Materie und Energie. Es kann ja offenbar Leben plötzlich vernichtet werden, ohne daß nachweisbar andres Leben daraus entsteht." Wir haben hier unmittelbar untereinander krasse Widersprüche, die auch die glänzendste Dialektik nicht unter einen Hut bringen kann. Bei der Durchsicht des eben Geschriebenen fällt mir auf, daß es fast den Eindruck macht, als wollte ich das Werk von Arrhenius ablehnen. Nichts liegt mir ferner. Im Gegenteil! Es enthält eine Überfülle ungemein fein Ergrübeltes, abgesehen von dem reichen Material, das mit Bienenfleiß zusammengetragen ist. Ablehnen muß ich nnr den Titel. Hätte Arrhenius sein Buch bescheiden: Bei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/297>, abgerufen am 22.12.2024.