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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Schauspielerelend

10000 Mark. Am Volkstheater zu Nürnberg schwankten die Monatsgagen zwischen
60 und 175 Mark. Selbst an größern Theatern sind die Gagen nicht immer
zureichend. An einer Hofbühne z.B. wurden erste Fächer mit nur 200 Mark,
zweite mit 75 bis 100 Mark bezahlt, während der Heldentenor 800 Mark monatlich
erhielt, und am Stadttheater zu Halle waren die Gagen für erste Schauspiel¬
fächer 300 bis 500 Mark, zweite 100 bis 200, Gehälter, die bei dem nötigen
großen Garderobe- und Kostümaufwand zweifellos nicht hoch genug sind.

Das wären einige typische Beispiele, deren Zahl leicht vervielfacht werden
könnte. Dabei ist vom Elend des Wandertheaters noch gar nicht einmal die
Rede. Hier sind die Verhältnisse noch weit ungünstiger. Mehr als 100 Mark
Pro Person wird nicht gezahlt, dafür aber um so öfter 65 bis 75 Mark, und
noch immer kommt es ziemlich häufig vor, daß der Herr Direktor mit der spärlich
gefüllten Kasse durchbrennt und sein Personal im Elende sitzen läßt.

Es wird behauptet, daß die Schuld an diesen Mißständen hauptsächlich
der Habgier und den Ausbeutungsgelüsten der Theaterdirektoren beizumessen sei.
Das ist jedoch in sehr vielen Fällen nicht zutreffend. Gewiß ist es richtig, daß
heute die meisten Theaterunternehmer die Kunst als die melkende Kuh betrachten,
die sie möglichst reichlich mit Butter versorgen soll, und viele Direktoren machen
in der Tat ganz erkleckliche Reingewinne. Aber gerade in der Provinz gibt
es ihrer eine Menge, die tüchtig würgen müssen, wenn sie sich nur über Wasser
halten wollen. Mir scheint, die Ursache der schlechten Verhältnisse ist vor allem
darin zu suchen, daß es viel zu viel Theater gibt, und daß das Angebot an
Arbeitskräften die Nachfrage bedeutend übersteigt. Solange jedes Nest sein eignes
Theater haben will und jeder dumme Junge, der in der Schule einmal wegen
guter Deklamation gelobt worden ist, glaubt, zum Schauspieler geboren zu sein,
so lange wird das Proletariat aus diesem Berufe nicht verschwinden. Gewiß
kann bis zu einem bestimmten Grade Abhilfe geschafft werden, wenn vor allem
die Bühnenangehörigen selbst mehr als bisher an der Verbesserung ihrer Lage
arbeiten. Durch den Abschluß von Tarifverträgen unter Festsetzung von Mindest¬
gagen und die Einbeziehung des Theaterpersonals in die künftige Pensions¬
versicherung der Privatangestellten wäre schon sehr viel gewonnen. Die leidige
Kostümfrage -- die Frage der Prostitution beim Theater -- könnte sehr wohl
auf Grund der bestehenden Gesetze in befriedigender Weise gelöst werden, denn
nach den Prinzipien des allgemeinen bürgerlichen Rechtes hat der Unternehmer
dem Angestellten die gesamten für die Berufsausübung nötigen Gegenstände zur
Verfügung zu stellen. Was sonst zu regeln ist, läßt sich im Rahmen eines Reichs¬
theatergesetzes zusammenfassen- Es sind hauptsächlich die folgenden Punkte: Kon¬
zessionserteilung, Vertragskündigung und -lösung, Gagenzahlnng im Krankheits¬
falle, Arbeits- und Ruhezeit, Schutz von Leben und Gesundheit im Bühnen-
betriebe. Einführung einer ständigen Bühneninspektion. Die Aufgabe dabei ist,
den gesetzlichen Schutz, den die übrigen Privatangestellten schon längst genießen,
in gleichem Maß und Umfang auch auf die Bühnenangehörigen auszudehnen.


Schauspielerelend

10000 Mark. Am Volkstheater zu Nürnberg schwankten die Monatsgagen zwischen
60 und 175 Mark. Selbst an größern Theatern sind die Gagen nicht immer
zureichend. An einer Hofbühne z.B. wurden erste Fächer mit nur 200 Mark,
zweite mit 75 bis 100 Mark bezahlt, während der Heldentenor 800 Mark monatlich
erhielt, und am Stadttheater zu Halle waren die Gagen für erste Schauspiel¬
fächer 300 bis 500 Mark, zweite 100 bis 200, Gehälter, die bei dem nötigen
großen Garderobe- und Kostümaufwand zweifellos nicht hoch genug sind.

Das wären einige typische Beispiele, deren Zahl leicht vervielfacht werden
könnte. Dabei ist vom Elend des Wandertheaters noch gar nicht einmal die
Rede. Hier sind die Verhältnisse noch weit ungünstiger. Mehr als 100 Mark
Pro Person wird nicht gezahlt, dafür aber um so öfter 65 bis 75 Mark, und
noch immer kommt es ziemlich häufig vor, daß der Herr Direktor mit der spärlich
gefüllten Kasse durchbrennt und sein Personal im Elende sitzen läßt.

Es wird behauptet, daß die Schuld an diesen Mißständen hauptsächlich
der Habgier und den Ausbeutungsgelüsten der Theaterdirektoren beizumessen sei.
Das ist jedoch in sehr vielen Fällen nicht zutreffend. Gewiß ist es richtig, daß
heute die meisten Theaterunternehmer die Kunst als die melkende Kuh betrachten,
die sie möglichst reichlich mit Butter versorgen soll, und viele Direktoren machen
in der Tat ganz erkleckliche Reingewinne. Aber gerade in der Provinz gibt
es ihrer eine Menge, die tüchtig würgen müssen, wenn sie sich nur über Wasser
halten wollen. Mir scheint, die Ursache der schlechten Verhältnisse ist vor allem
darin zu suchen, daß es viel zu viel Theater gibt, und daß das Angebot an
Arbeitskräften die Nachfrage bedeutend übersteigt. Solange jedes Nest sein eignes
Theater haben will und jeder dumme Junge, der in der Schule einmal wegen
guter Deklamation gelobt worden ist, glaubt, zum Schauspieler geboren zu sein,
so lange wird das Proletariat aus diesem Berufe nicht verschwinden. Gewiß
kann bis zu einem bestimmten Grade Abhilfe geschafft werden, wenn vor allem
die Bühnenangehörigen selbst mehr als bisher an der Verbesserung ihrer Lage
arbeiten. Durch den Abschluß von Tarifverträgen unter Festsetzung von Mindest¬
gagen und die Einbeziehung des Theaterpersonals in die künftige Pensions¬
versicherung der Privatangestellten wäre schon sehr viel gewonnen. Die leidige
Kostümfrage — die Frage der Prostitution beim Theater — könnte sehr wohl
auf Grund der bestehenden Gesetze in befriedigender Weise gelöst werden, denn
nach den Prinzipien des allgemeinen bürgerlichen Rechtes hat der Unternehmer
dem Angestellten die gesamten für die Berufsausübung nötigen Gegenstände zur
Verfügung zu stellen. Was sonst zu regeln ist, läßt sich im Rahmen eines Reichs¬
theatergesetzes zusammenfassen- Es sind hauptsächlich die folgenden Punkte: Kon¬
zessionserteilung, Vertragskündigung und -lösung, Gagenzahlnng im Krankheits¬
falle, Arbeits- und Ruhezeit, Schutz von Leben und Gesundheit im Bühnen-
betriebe. Einführung einer ständigen Bühneninspektion. Die Aufgabe dabei ist,
den gesetzlichen Schutz, den die übrigen Privatangestellten schon längst genießen,
in gleichem Maß und Umfang auch auf die Bühnenangehörigen auszudehnen.


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[0029] Schauspielerelend 10000 Mark. Am Volkstheater zu Nürnberg schwankten die Monatsgagen zwischen 60 und 175 Mark. Selbst an größern Theatern sind die Gagen nicht immer zureichend. An einer Hofbühne z.B. wurden erste Fächer mit nur 200 Mark, zweite mit 75 bis 100 Mark bezahlt, während der Heldentenor 800 Mark monatlich erhielt, und am Stadttheater zu Halle waren die Gagen für erste Schauspiel¬ fächer 300 bis 500 Mark, zweite 100 bis 200, Gehälter, die bei dem nötigen großen Garderobe- und Kostümaufwand zweifellos nicht hoch genug sind. Das wären einige typische Beispiele, deren Zahl leicht vervielfacht werden könnte. Dabei ist vom Elend des Wandertheaters noch gar nicht einmal die Rede. Hier sind die Verhältnisse noch weit ungünstiger. Mehr als 100 Mark Pro Person wird nicht gezahlt, dafür aber um so öfter 65 bis 75 Mark, und noch immer kommt es ziemlich häufig vor, daß der Herr Direktor mit der spärlich gefüllten Kasse durchbrennt und sein Personal im Elende sitzen läßt. Es wird behauptet, daß die Schuld an diesen Mißständen hauptsächlich der Habgier und den Ausbeutungsgelüsten der Theaterdirektoren beizumessen sei. Das ist jedoch in sehr vielen Fällen nicht zutreffend. Gewiß ist es richtig, daß heute die meisten Theaterunternehmer die Kunst als die melkende Kuh betrachten, die sie möglichst reichlich mit Butter versorgen soll, und viele Direktoren machen in der Tat ganz erkleckliche Reingewinne. Aber gerade in der Provinz gibt es ihrer eine Menge, die tüchtig würgen müssen, wenn sie sich nur über Wasser halten wollen. Mir scheint, die Ursache der schlechten Verhältnisse ist vor allem darin zu suchen, daß es viel zu viel Theater gibt, und daß das Angebot an Arbeitskräften die Nachfrage bedeutend übersteigt. Solange jedes Nest sein eignes Theater haben will und jeder dumme Junge, der in der Schule einmal wegen guter Deklamation gelobt worden ist, glaubt, zum Schauspieler geboren zu sein, so lange wird das Proletariat aus diesem Berufe nicht verschwinden. Gewiß kann bis zu einem bestimmten Grade Abhilfe geschafft werden, wenn vor allem die Bühnenangehörigen selbst mehr als bisher an der Verbesserung ihrer Lage arbeiten. Durch den Abschluß von Tarifverträgen unter Festsetzung von Mindest¬ gagen und die Einbeziehung des Theaterpersonals in die künftige Pensions¬ versicherung der Privatangestellten wäre schon sehr viel gewonnen. Die leidige Kostümfrage — die Frage der Prostitution beim Theater — könnte sehr wohl auf Grund der bestehenden Gesetze in befriedigender Weise gelöst werden, denn nach den Prinzipien des allgemeinen bürgerlichen Rechtes hat der Unternehmer dem Angestellten die gesamten für die Berufsausübung nötigen Gegenstände zur Verfügung zu stellen. Was sonst zu regeln ist, läßt sich im Rahmen eines Reichs¬ theatergesetzes zusammenfassen- Es sind hauptsächlich die folgenden Punkte: Kon¬ zessionserteilung, Vertragskündigung und -lösung, Gagenzahlnng im Krankheits¬ falle, Arbeits- und Ruhezeit, Schutz von Leben und Gesundheit im Bühnen- betriebe. Einführung einer ständigen Bühneninspektion. Die Aufgabe dabei ist, den gesetzlichen Schutz, den die übrigen Privatangestellten schon längst genießen, in gleichem Maß und Umfang auch auf die Bühnenangehörigen auszudehnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/29>, abgerufen am 22.07.2024.