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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Ver rote Hahn

Vater, sagte Jnger; sie konnte es Seydewitz ansehen, daß es jetzt überkoche,
und sie wollte nicht, daß es so ende.

Aber es war zu spät. Seydewitz war erst vierundzwanzig Jahre alt, und
jetzt war er wütend.

Ich habe Ihnen nicht gedroht, Herr Gutsbesitzer, sagte er, und der Zorn
wuchs in ihm mit dem Tone seiner Worte, aber Sie haben geglaubt, Sie könnten
mich wie einen Knaben behandeln. Das bin ich nicht. Ich kann sehr wohl sagen,
was ich zu sagen habe, und das will ich, da Sie mich dazu zwingen. Assessor
Imsen will nicht mehr, und in unserm Amtszimmer liegt ein Gesuch vom Kredit¬
verein, die ganze Sache hier zu pfände". Wir wissen alle miteinander, daß Sie
sich da nicht heraushelfen können -- und wenn ich wiederkomme, dann wird es,
wie ich sagte, Ernst. Nun wissen Sie es. Jetzt darf ich vielleicht um meinen
Wagen bitten.

Damit ging Seydewitz zitternd vor Wut und mit dem Gefühl, daß er etwas
Bedeutendes gesagt habe. An dem allen war Juliens Tagebuch schuld.

Flegel, zischte ihm der Gutsbesitzer nach; aber Klein-Jnger stand bleich in der
Gartentür mit geballten Händen. Vater, Vater, ist es wahr, daß man dir den Hof
fortnehmen will?

Und mit einem Sprung lag sie an seinem Halse und schluchzte.

Ruhig, Kind, ruhig! sagte die Mutter. In diesem Augenblick zeigte sich die
verwachsne Gestalt des Myggefjedmannes unten an der Gartentreppe.

Ich möchte gern mit dem Herrn Gutsbesitzer sprechen, sagte er.

Jnger ließ den Vater los, und Hilmer ging die Treppe hinunter zu Ole
Mathem. Aber Jnger eilte zur Mutter, sie schluchzte noch.

Ist es wahr, Mutter, ist es wahr -- nein, das kann der liebe Gott nicht
zugeben.

Frau Hilmer antwortete nicht; sie wußte, daß es wahr sein mußte, und sie
saß lange schweigend auf dem Stuhl an der Tür, während sie das Haar ihrer
Tochter streichelte. Ihr Inneres war erkaltet, aber sie hatte das schweigend ver¬
borgen. Nun wollte es gleichsam auskauen, weil sie zum erstenmale so recht einsah,
wer am meisten darunter leiden würde. Das war Klein-Jnger.

Auf dem Heimwege sagte Seydewitz kein Wort zu Justesen, und während
er saß und darüber nachdachte, ging es ihm auf, daß er heute vielleicht doch keinen
besonders glücklichen Tag gehabt hätte. Aber er verschlief es, und am nächsten
Tage gab er Imsen einen Bericht, in dem sich sein Ich nicht wenig aufblähte.

Imsen brummte -- das pflegte Zustimmung zu bedeuten, konnte aber auch
das Gegenteil sein. --

An diesem Tage um drei Uhr brannten die Wirtschaftsgebäude auf Deichhof
herunter bis auf den Grund, und beinahe der ganze Viehstand ging verloren.
Es wurde eine Reihe von Verhören abgehalten, aber die Ursache des Feuers wurde
nicht aufgeklärt.

Und die Leute klatschten, wie sie es immer tun.

(Fortsetzung folgt)




Ver rote Hahn

Vater, sagte Jnger; sie konnte es Seydewitz ansehen, daß es jetzt überkoche,
und sie wollte nicht, daß es so ende.

Aber es war zu spät. Seydewitz war erst vierundzwanzig Jahre alt, und
jetzt war er wütend.

Ich habe Ihnen nicht gedroht, Herr Gutsbesitzer, sagte er, und der Zorn
wuchs in ihm mit dem Tone seiner Worte, aber Sie haben geglaubt, Sie könnten
mich wie einen Knaben behandeln. Das bin ich nicht. Ich kann sehr wohl sagen,
was ich zu sagen habe, und das will ich, da Sie mich dazu zwingen. Assessor
Imsen will nicht mehr, und in unserm Amtszimmer liegt ein Gesuch vom Kredit¬
verein, die ganze Sache hier zu pfände». Wir wissen alle miteinander, daß Sie
sich da nicht heraushelfen können — und wenn ich wiederkomme, dann wird es,
wie ich sagte, Ernst. Nun wissen Sie es. Jetzt darf ich vielleicht um meinen
Wagen bitten.

Damit ging Seydewitz zitternd vor Wut und mit dem Gefühl, daß er etwas
Bedeutendes gesagt habe. An dem allen war Juliens Tagebuch schuld.

Flegel, zischte ihm der Gutsbesitzer nach; aber Klein-Jnger stand bleich in der
Gartentür mit geballten Händen. Vater, Vater, ist es wahr, daß man dir den Hof
fortnehmen will?

Und mit einem Sprung lag sie an seinem Halse und schluchzte.

Ruhig, Kind, ruhig! sagte die Mutter. In diesem Augenblick zeigte sich die
verwachsne Gestalt des Myggefjedmannes unten an der Gartentreppe.

Ich möchte gern mit dem Herrn Gutsbesitzer sprechen, sagte er.

Jnger ließ den Vater los, und Hilmer ging die Treppe hinunter zu Ole
Mathem. Aber Jnger eilte zur Mutter, sie schluchzte noch.

Ist es wahr, Mutter, ist es wahr — nein, das kann der liebe Gott nicht
zugeben.

Frau Hilmer antwortete nicht; sie wußte, daß es wahr sein mußte, und sie
saß lange schweigend auf dem Stuhl an der Tür, während sie das Haar ihrer
Tochter streichelte. Ihr Inneres war erkaltet, aber sie hatte das schweigend ver¬
borgen. Nun wollte es gleichsam auskauen, weil sie zum erstenmale so recht einsah,
wer am meisten darunter leiden würde. Das war Klein-Jnger.

Auf dem Heimwege sagte Seydewitz kein Wort zu Justesen, und während
er saß und darüber nachdachte, ging es ihm auf, daß er heute vielleicht doch keinen
besonders glücklichen Tag gehabt hätte. Aber er verschlief es, und am nächsten
Tage gab er Imsen einen Bericht, in dem sich sein Ich nicht wenig aufblähte.

Imsen brummte — das pflegte Zustimmung zu bedeuten, konnte aber auch
das Gegenteil sein. —

An diesem Tage um drei Uhr brannten die Wirtschaftsgebäude auf Deichhof
herunter bis auf den Grund, und beinahe der ganze Viehstand ging verloren.
Es wurde eine Reihe von Verhören abgehalten, aber die Ursache des Feuers wurde
nicht aufgeklärt.

Und die Leute klatschten, wie sie es immer tun.

(Fortsetzung folgt)




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[0287] Ver rote Hahn Vater, sagte Jnger; sie konnte es Seydewitz ansehen, daß es jetzt überkoche, und sie wollte nicht, daß es so ende. Aber es war zu spät. Seydewitz war erst vierundzwanzig Jahre alt, und jetzt war er wütend. Ich habe Ihnen nicht gedroht, Herr Gutsbesitzer, sagte er, und der Zorn wuchs in ihm mit dem Tone seiner Worte, aber Sie haben geglaubt, Sie könnten mich wie einen Knaben behandeln. Das bin ich nicht. Ich kann sehr wohl sagen, was ich zu sagen habe, und das will ich, da Sie mich dazu zwingen. Assessor Imsen will nicht mehr, und in unserm Amtszimmer liegt ein Gesuch vom Kredit¬ verein, die ganze Sache hier zu pfände». Wir wissen alle miteinander, daß Sie sich da nicht heraushelfen können — und wenn ich wiederkomme, dann wird es, wie ich sagte, Ernst. Nun wissen Sie es. Jetzt darf ich vielleicht um meinen Wagen bitten. Damit ging Seydewitz zitternd vor Wut und mit dem Gefühl, daß er etwas Bedeutendes gesagt habe. An dem allen war Juliens Tagebuch schuld. Flegel, zischte ihm der Gutsbesitzer nach; aber Klein-Jnger stand bleich in der Gartentür mit geballten Händen. Vater, Vater, ist es wahr, daß man dir den Hof fortnehmen will? Und mit einem Sprung lag sie an seinem Halse und schluchzte. Ruhig, Kind, ruhig! sagte die Mutter. In diesem Augenblick zeigte sich die verwachsne Gestalt des Myggefjedmannes unten an der Gartentreppe. Ich möchte gern mit dem Herrn Gutsbesitzer sprechen, sagte er. Jnger ließ den Vater los, und Hilmer ging die Treppe hinunter zu Ole Mathem. Aber Jnger eilte zur Mutter, sie schluchzte noch. Ist es wahr, Mutter, ist es wahr — nein, das kann der liebe Gott nicht zugeben. Frau Hilmer antwortete nicht; sie wußte, daß es wahr sein mußte, und sie saß lange schweigend auf dem Stuhl an der Tür, während sie das Haar ihrer Tochter streichelte. Ihr Inneres war erkaltet, aber sie hatte das schweigend ver¬ borgen. Nun wollte es gleichsam auskauen, weil sie zum erstenmale so recht einsah, wer am meisten darunter leiden würde. Das war Klein-Jnger. Auf dem Heimwege sagte Seydewitz kein Wort zu Justesen, und während er saß und darüber nachdachte, ging es ihm auf, daß er heute vielleicht doch keinen besonders glücklichen Tag gehabt hätte. Aber er verschlief es, und am nächsten Tage gab er Imsen einen Bericht, in dem sich sein Ich nicht wenig aufblähte. Imsen brummte — das pflegte Zustimmung zu bedeuten, konnte aber auch das Gegenteil sein. — An diesem Tage um drei Uhr brannten die Wirtschaftsgebäude auf Deichhof herunter bis auf den Grund, und beinahe der ganze Viehstand ging verloren. Es wurde eine Reihe von Verhören abgehalten, aber die Ursache des Feuers wurde nicht aufgeklärt. Und die Leute klatschten, wie sie es immer tun. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/287>, abgerufen am 23.07.2024.