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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Fränkisch < schwäbische Grenzwanderungen

Gauen stand? Was andres als etwas, was drüben keine Landschaft und keine
Stadt ihrer heimlich entbehrenden Seele geben kann: ein reiner Ausdruck des
Deutschheimatlichen.

Ich fand jüngst in dem Buche eines Naturforschers eine feinsinnige
Parallele gezogen zwischen gerade diesem Städtchen und einem tierischen oder
pflanzlichen Organismus. Die Parallele ist mehr als ein Vergleich. Es ist
mehr als ein Vergleich, wenn die Zweckmäßigkeiten der Lage, des Baus, der
Befestigung den Zweckmäßigkeiten der organischen Natur an die Seite gestellt,
wenn der höchste Turm des Städtchens sein Sinnesorgan genannt, wenn als
treibender Entwicklungsfaktor der Stadt wie des organisierten Körpers die schützende
Vereinigung erkannt wird. Wohl birgt sich das Wesen des Organismus in
jedem gewordnen Gebilde der Kultur. Aber hier, in solch unzerstörtem kleinem
Stadtwesen, offenbart es sich klar und übersichtlich wie selten. Und die Über¬
sichtlichkeit der wirkenden Kräfte läßt hier manche jener mehr ahnenden als
erkennenden Rückblicke in das innere Getriebe des lebendigen Naturkörpers wach
werden, die der zünftige Naturforscher so leicht und so vorschnell zurückzuweisen
geneigt ist. --

Wälder, in denen kein Wandrer war außer mir, abendstille Gründe, wo
Mühlen gingen und das Heu duftete, habe ich genossen. Und nun hält mich
ein Talstädtchen fest, das weder Maler noch Fremde sonst zu beherberge" scheint,
das die Fenster öffnet, wenn mein Schritt durch die Gassen hallt. Unter dem
breiten gestaffelten Giebel der Post zu Feuchtwangen bin ich eingekehrt. Vor
meinem Fenster liegt der große Marktplatz stumm und menschenlos in der
Spätsonne. Nur ein Röhrenbrunnen mit einem verwitterten Heiligen, ich weiß
nicht welchem, auf schlanker Brunnensäule, singt seine Urmelodie. Eine schlank-
fenstrige gotische Kirchenapsis tritt ernst und schön an den Platz heran. Über
dunkelrote Ziegeldächer blicken die romanischen Rundbogenfriese schlicht feier¬
licher Türme. Beim Krämer drüben geht die Ladenklingel.

Ich gerate in ein unsäglich behagliches schleudern. Ich bleibe verwundert
vor den Resten eines zierlichen Klosterkreuzgangs stehen, dessen romanische
Säulchen da und dort in die Erdgeschosse von Bürgerhäusern eingemauert sind.
Ich gehe unter den Rundbogen des Stiftskirchenportals hindurch und lasse mir
einen Marienaltar von Michael Wohlgemut, Dürers Lehrer, zeigen. Ich finde
ein Stadttor und hohe Mauerreste. Im Wehrgang schaukelt eine Mutter die
Wiege. Seltsame Ziehbrunnen stehen in den Gassenwinkeln. Neben einem, dem
Taubenbrünnle, hängt eine Tafel und verkündet eine uralte Klosterstiftungssage:
Eine Taube habe einst Karl dem Großen, als er auf der Jagd fiebernd und
halbverschmachtet nach Wasser gelechzt habe, den klaren Quell gezeigt. Ich
entdecke ein kleines volkstümliches Heimatmuseum. Was ist hier alles in kurzer
Frist liebevoll zusammengetragen und der Zeit aus den Klauen gerückt worden:
eine prächtige Sammlung fränkischer Fayencen, Schränke und Trachten, eine
ganze fränkische Bauernstube, Lebkuchenformen und vergilbte Liebesbriefe mit


Fränkisch < schwäbische Grenzwanderungen

Gauen stand? Was andres als etwas, was drüben keine Landschaft und keine
Stadt ihrer heimlich entbehrenden Seele geben kann: ein reiner Ausdruck des
Deutschheimatlichen.

Ich fand jüngst in dem Buche eines Naturforschers eine feinsinnige
Parallele gezogen zwischen gerade diesem Städtchen und einem tierischen oder
pflanzlichen Organismus. Die Parallele ist mehr als ein Vergleich. Es ist
mehr als ein Vergleich, wenn die Zweckmäßigkeiten der Lage, des Baus, der
Befestigung den Zweckmäßigkeiten der organischen Natur an die Seite gestellt,
wenn der höchste Turm des Städtchens sein Sinnesorgan genannt, wenn als
treibender Entwicklungsfaktor der Stadt wie des organisierten Körpers die schützende
Vereinigung erkannt wird. Wohl birgt sich das Wesen des Organismus in
jedem gewordnen Gebilde der Kultur. Aber hier, in solch unzerstörtem kleinem
Stadtwesen, offenbart es sich klar und übersichtlich wie selten. Und die Über¬
sichtlichkeit der wirkenden Kräfte läßt hier manche jener mehr ahnenden als
erkennenden Rückblicke in das innere Getriebe des lebendigen Naturkörpers wach
werden, die der zünftige Naturforscher so leicht und so vorschnell zurückzuweisen
geneigt ist. —

Wälder, in denen kein Wandrer war außer mir, abendstille Gründe, wo
Mühlen gingen und das Heu duftete, habe ich genossen. Und nun hält mich
ein Talstädtchen fest, das weder Maler noch Fremde sonst zu beherberge» scheint,
das die Fenster öffnet, wenn mein Schritt durch die Gassen hallt. Unter dem
breiten gestaffelten Giebel der Post zu Feuchtwangen bin ich eingekehrt. Vor
meinem Fenster liegt der große Marktplatz stumm und menschenlos in der
Spätsonne. Nur ein Röhrenbrunnen mit einem verwitterten Heiligen, ich weiß
nicht welchem, auf schlanker Brunnensäule, singt seine Urmelodie. Eine schlank-
fenstrige gotische Kirchenapsis tritt ernst und schön an den Platz heran. Über
dunkelrote Ziegeldächer blicken die romanischen Rundbogenfriese schlicht feier¬
licher Türme. Beim Krämer drüben geht die Ladenklingel.

Ich gerate in ein unsäglich behagliches schleudern. Ich bleibe verwundert
vor den Resten eines zierlichen Klosterkreuzgangs stehen, dessen romanische
Säulchen da und dort in die Erdgeschosse von Bürgerhäusern eingemauert sind.
Ich gehe unter den Rundbogen des Stiftskirchenportals hindurch und lasse mir
einen Marienaltar von Michael Wohlgemut, Dürers Lehrer, zeigen. Ich finde
ein Stadttor und hohe Mauerreste. Im Wehrgang schaukelt eine Mutter die
Wiege. Seltsame Ziehbrunnen stehen in den Gassenwinkeln. Neben einem, dem
Taubenbrünnle, hängt eine Tafel und verkündet eine uralte Klosterstiftungssage:
Eine Taube habe einst Karl dem Großen, als er auf der Jagd fiebernd und
halbverschmachtet nach Wasser gelechzt habe, den klaren Quell gezeigt. Ich
entdecke ein kleines volkstümliches Heimatmuseum. Was ist hier alles in kurzer
Frist liebevoll zusammengetragen und der Zeit aus den Klauen gerückt worden:
eine prächtige Sammlung fränkischer Fayencen, Schränke und Trachten, eine
ganze fränkische Bauernstube, Lebkuchenformen und vergilbte Liebesbriefe mit


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[0280] Fränkisch < schwäbische Grenzwanderungen Gauen stand? Was andres als etwas, was drüben keine Landschaft und keine Stadt ihrer heimlich entbehrenden Seele geben kann: ein reiner Ausdruck des Deutschheimatlichen. Ich fand jüngst in dem Buche eines Naturforschers eine feinsinnige Parallele gezogen zwischen gerade diesem Städtchen und einem tierischen oder pflanzlichen Organismus. Die Parallele ist mehr als ein Vergleich. Es ist mehr als ein Vergleich, wenn die Zweckmäßigkeiten der Lage, des Baus, der Befestigung den Zweckmäßigkeiten der organischen Natur an die Seite gestellt, wenn der höchste Turm des Städtchens sein Sinnesorgan genannt, wenn als treibender Entwicklungsfaktor der Stadt wie des organisierten Körpers die schützende Vereinigung erkannt wird. Wohl birgt sich das Wesen des Organismus in jedem gewordnen Gebilde der Kultur. Aber hier, in solch unzerstörtem kleinem Stadtwesen, offenbart es sich klar und übersichtlich wie selten. Und die Über¬ sichtlichkeit der wirkenden Kräfte läßt hier manche jener mehr ahnenden als erkennenden Rückblicke in das innere Getriebe des lebendigen Naturkörpers wach werden, die der zünftige Naturforscher so leicht und so vorschnell zurückzuweisen geneigt ist. — Wälder, in denen kein Wandrer war außer mir, abendstille Gründe, wo Mühlen gingen und das Heu duftete, habe ich genossen. Und nun hält mich ein Talstädtchen fest, das weder Maler noch Fremde sonst zu beherberge» scheint, das die Fenster öffnet, wenn mein Schritt durch die Gassen hallt. Unter dem breiten gestaffelten Giebel der Post zu Feuchtwangen bin ich eingekehrt. Vor meinem Fenster liegt der große Marktplatz stumm und menschenlos in der Spätsonne. Nur ein Röhrenbrunnen mit einem verwitterten Heiligen, ich weiß nicht welchem, auf schlanker Brunnensäule, singt seine Urmelodie. Eine schlank- fenstrige gotische Kirchenapsis tritt ernst und schön an den Platz heran. Über dunkelrote Ziegeldächer blicken die romanischen Rundbogenfriese schlicht feier¬ licher Türme. Beim Krämer drüben geht die Ladenklingel. Ich gerate in ein unsäglich behagliches schleudern. Ich bleibe verwundert vor den Resten eines zierlichen Klosterkreuzgangs stehen, dessen romanische Säulchen da und dort in die Erdgeschosse von Bürgerhäusern eingemauert sind. Ich gehe unter den Rundbogen des Stiftskirchenportals hindurch und lasse mir einen Marienaltar von Michael Wohlgemut, Dürers Lehrer, zeigen. Ich finde ein Stadttor und hohe Mauerreste. Im Wehrgang schaukelt eine Mutter die Wiege. Seltsame Ziehbrunnen stehen in den Gassenwinkeln. Neben einem, dem Taubenbrünnle, hängt eine Tafel und verkündet eine uralte Klosterstiftungssage: Eine Taube habe einst Karl dem Großen, als er auf der Jagd fiebernd und halbverschmachtet nach Wasser gelechzt habe, den klaren Quell gezeigt. Ich entdecke ein kleines volkstümliches Heimatmuseum. Was ist hier alles in kurzer Frist liebevoll zusammengetragen und der Zeit aus den Klauen gerückt worden: eine prächtige Sammlung fränkischer Fayencen, Schränke und Trachten, eine ganze fränkische Bauernstube, Lebkuchenformen und vergilbte Liebesbriefe mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/280>, abgerufen am 22.12.2024.