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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen

man mir einen Christus am Kreuz von van Dyck. Ich will die frühgotische
Dreikönigskapelle betreten und finde einen Schafstall. Ich schleudere in der
Mittagsonne um Mauer und Stadt. In den Gräben sind Gärten und An¬
lagen, auf den Wällen Promenaden, lustiger und grüner als in Nördlingen.
Die stillen Weiher, das träge Wörnitzwasser leuchten gelb und weiß von See¬
rosen. Über weißblühende Spierstauden, über Schilf und Igelkolben des
Ufers geht heiße Luft. Nüstern und hängende Weidenzweige legen ihre
schwanken Schatten auf Wasserblumen und sattgrüne Schwimmblätter. Blaue
Storchschnabelwiesen, hier und dort von glänzenden Flecken bleichender Wäsche
unterbrochen, dehnen sich sommerfroh ins Land hinein. Drüben aber begleitet
mich getreulich die Mauer mit Toren und Türmen. Es ist ein rhythmisches
Auf und Ab des Malerischen, das sich an manchen Stellen, wie am Rothen-
burger Tor, am Bäuerlinsturm, an der wehrhaften Stadtmühle, zu den
Prächtigsten Bildern steigert. In einen breiten Lindenschatten, der abseits,
neben Feldern und verwitterten Bildstöcken, den Rasen kühlt, lege ich mich
hin, Windrauschen über mir und lautes Bienengetön.

Der Hechtwirt im Zwinger am Segringer Tor ist ein gesprächiger Mann
und läßt mich nicht los. Wie ihm die stolzen "Nor'kluger" nicht gefallen
wollen, wie er sich nach einer kurzen Reise immer herzlich freue, wenn er wieder
daheim auf seinem Dinkelsbühl sei, wie Studenten und studierte Leute, Dänen
und Norweger, die vor Jahren in seinem schattigen Zwingergärtle gesessen
hätten, immer noch Grüße schickten, wie die Goldne Kanne durch neumodische
Aufmachung und Feinheit die Goldne Rose übertrumpfen wolle, und wie sich
der Kannenwirt dabei hoffentlich verrechne, wie bedauerlich es sei, daß ich nicht
am Tage der Kinderzeche, des alten jährlichen Sommerspiels, dagewesen sei,
wie man dann, wenn die Kanonen donnern, wahrhaftig glauben könne, die
Schweden stünden wieder vor den Toren, wer hörte das alles nicht gern an?

Manche Dinkelsbühler Häuser tragen Tafeln, die von Kaiserbesuchen
künden: hier wohnte Karl der Fünfte, da drüben Maximilian, dort Karl der
Sechste. Wer nicht weiß, daß dereinst eine wichtige Heer- und Handelsstraße,
Donau und Main verbindend, durch die fränkisch-schwäbischen Grenzgaue lief,
mag erstaunt vor solchen Daten der Reichsstadt stehen, die so weit ab vom
großen Verkehr der Gegenwart liegt.

Als Goethe im Jahre 1797 hier durchreiste, machte er sich die kurze
Notiz: "Die Stadt hat eine fruchtbare Lage, ist alt, aber reinlich, und hat
zwei Wälle." Seine Zeit war noch reicher an dem, was wir, vielerlei Un-
gestalten entfliehend, heute suchen und schätzen, und hatte es nicht nötig,
Ausdrucksformen besonders zu bewundern, die an das Höchstmaß der Kunst
nicht heranreichen wollen. Ich sprach heute mit zwei Amerikanern, die
zum erstenmal Deutschland besuchten. Ihre Großeltern waren nach Texas aus¬
gewanderte Deutsche gewesen. Was zog die beiden in dieses vielen Deutschen
ganz unbekannte Städtchen, da das Stammhaus ihrer Vorfahren doch in andern


Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen

man mir einen Christus am Kreuz von van Dyck. Ich will die frühgotische
Dreikönigskapelle betreten und finde einen Schafstall. Ich schleudere in der
Mittagsonne um Mauer und Stadt. In den Gräben sind Gärten und An¬
lagen, auf den Wällen Promenaden, lustiger und grüner als in Nördlingen.
Die stillen Weiher, das träge Wörnitzwasser leuchten gelb und weiß von See¬
rosen. Über weißblühende Spierstauden, über Schilf und Igelkolben des
Ufers geht heiße Luft. Nüstern und hängende Weidenzweige legen ihre
schwanken Schatten auf Wasserblumen und sattgrüne Schwimmblätter. Blaue
Storchschnabelwiesen, hier und dort von glänzenden Flecken bleichender Wäsche
unterbrochen, dehnen sich sommerfroh ins Land hinein. Drüben aber begleitet
mich getreulich die Mauer mit Toren und Türmen. Es ist ein rhythmisches
Auf und Ab des Malerischen, das sich an manchen Stellen, wie am Rothen-
burger Tor, am Bäuerlinsturm, an der wehrhaften Stadtmühle, zu den
Prächtigsten Bildern steigert. In einen breiten Lindenschatten, der abseits,
neben Feldern und verwitterten Bildstöcken, den Rasen kühlt, lege ich mich
hin, Windrauschen über mir und lautes Bienengetön.

Der Hechtwirt im Zwinger am Segringer Tor ist ein gesprächiger Mann
und läßt mich nicht los. Wie ihm die stolzen „Nor'kluger" nicht gefallen
wollen, wie er sich nach einer kurzen Reise immer herzlich freue, wenn er wieder
daheim auf seinem Dinkelsbühl sei, wie Studenten und studierte Leute, Dänen
und Norweger, die vor Jahren in seinem schattigen Zwingergärtle gesessen
hätten, immer noch Grüße schickten, wie die Goldne Kanne durch neumodische
Aufmachung und Feinheit die Goldne Rose übertrumpfen wolle, und wie sich
der Kannenwirt dabei hoffentlich verrechne, wie bedauerlich es sei, daß ich nicht
am Tage der Kinderzeche, des alten jährlichen Sommerspiels, dagewesen sei,
wie man dann, wenn die Kanonen donnern, wahrhaftig glauben könne, die
Schweden stünden wieder vor den Toren, wer hörte das alles nicht gern an?

Manche Dinkelsbühler Häuser tragen Tafeln, die von Kaiserbesuchen
künden: hier wohnte Karl der Fünfte, da drüben Maximilian, dort Karl der
Sechste. Wer nicht weiß, daß dereinst eine wichtige Heer- und Handelsstraße,
Donau und Main verbindend, durch die fränkisch-schwäbischen Grenzgaue lief,
mag erstaunt vor solchen Daten der Reichsstadt stehen, die so weit ab vom
großen Verkehr der Gegenwart liegt.

Als Goethe im Jahre 1797 hier durchreiste, machte er sich die kurze
Notiz: „Die Stadt hat eine fruchtbare Lage, ist alt, aber reinlich, und hat
zwei Wälle." Seine Zeit war noch reicher an dem, was wir, vielerlei Un-
gestalten entfliehend, heute suchen und schätzen, und hatte es nicht nötig,
Ausdrucksformen besonders zu bewundern, die an das Höchstmaß der Kunst
nicht heranreichen wollen. Ich sprach heute mit zwei Amerikanern, die
zum erstenmal Deutschland besuchten. Ihre Großeltern waren nach Texas aus¬
gewanderte Deutsche gewesen. Was zog die beiden in dieses vielen Deutschen
ganz unbekannte Städtchen, da das Stammhaus ihrer Vorfahren doch in andern


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[0279] Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen man mir einen Christus am Kreuz von van Dyck. Ich will die frühgotische Dreikönigskapelle betreten und finde einen Schafstall. Ich schleudere in der Mittagsonne um Mauer und Stadt. In den Gräben sind Gärten und An¬ lagen, auf den Wällen Promenaden, lustiger und grüner als in Nördlingen. Die stillen Weiher, das träge Wörnitzwasser leuchten gelb und weiß von See¬ rosen. Über weißblühende Spierstauden, über Schilf und Igelkolben des Ufers geht heiße Luft. Nüstern und hängende Weidenzweige legen ihre schwanken Schatten auf Wasserblumen und sattgrüne Schwimmblätter. Blaue Storchschnabelwiesen, hier und dort von glänzenden Flecken bleichender Wäsche unterbrochen, dehnen sich sommerfroh ins Land hinein. Drüben aber begleitet mich getreulich die Mauer mit Toren und Türmen. Es ist ein rhythmisches Auf und Ab des Malerischen, das sich an manchen Stellen, wie am Rothen- burger Tor, am Bäuerlinsturm, an der wehrhaften Stadtmühle, zu den Prächtigsten Bildern steigert. In einen breiten Lindenschatten, der abseits, neben Feldern und verwitterten Bildstöcken, den Rasen kühlt, lege ich mich hin, Windrauschen über mir und lautes Bienengetön. Der Hechtwirt im Zwinger am Segringer Tor ist ein gesprächiger Mann und läßt mich nicht los. Wie ihm die stolzen „Nor'kluger" nicht gefallen wollen, wie er sich nach einer kurzen Reise immer herzlich freue, wenn er wieder daheim auf seinem Dinkelsbühl sei, wie Studenten und studierte Leute, Dänen und Norweger, die vor Jahren in seinem schattigen Zwingergärtle gesessen hätten, immer noch Grüße schickten, wie die Goldne Kanne durch neumodische Aufmachung und Feinheit die Goldne Rose übertrumpfen wolle, und wie sich der Kannenwirt dabei hoffentlich verrechne, wie bedauerlich es sei, daß ich nicht am Tage der Kinderzeche, des alten jährlichen Sommerspiels, dagewesen sei, wie man dann, wenn die Kanonen donnern, wahrhaftig glauben könne, die Schweden stünden wieder vor den Toren, wer hörte das alles nicht gern an? Manche Dinkelsbühler Häuser tragen Tafeln, die von Kaiserbesuchen künden: hier wohnte Karl der Fünfte, da drüben Maximilian, dort Karl der Sechste. Wer nicht weiß, daß dereinst eine wichtige Heer- und Handelsstraße, Donau und Main verbindend, durch die fränkisch-schwäbischen Grenzgaue lief, mag erstaunt vor solchen Daten der Reichsstadt stehen, die so weit ab vom großen Verkehr der Gegenwart liegt. Als Goethe im Jahre 1797 hier durchreiste, machte er sich die kurze Notiz: „Die Stadt hat eine fruchtbare Lage, ist alt, aber reinlich, und hat zwei Wälle." Seine Zeit war noch reicher an dem, was wir, vielerlei Un- gestalten entfliehend, heute suchen und schätzen, und hatte es nicht nötig, Ausdrucksformen besonders zu bewundern, die an das Höchstmaß der Kunst nicht heranreichen wollen. Ich sprach heute mit zwei Amerikanern, die zum erstenmal Deutschland besuchten. Ihre Großeltern waren nach Texas aus¬ gewanderte Deutsche gewesen. Was zog die beiden in dieses vielen Deutschen ganz unbekannte Städtchen, da das Stammhaus ihrer Vorfahren doch in andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/279>, abgerufen am 22.12.2024.