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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Englische Eigenart

sein Heil in der allgemeinen Wehrpflicht suche. Mit dieser meiner Ansicht
wird das englische Volk nicht einverstanden sein. Aber ein schlimmes Zeichen
für England wird es sein, wenn einst gar niemand mehr, der es aufrichtig liebt,
so denkt wie ich.

Es ist weder wünschenswert noch notwendig, daß sich der Bauer mit
demselben Stumpfsinn abrackert wie das liebe Vieh, mit dem er arbeitet.
Die meisten wünschen auch, etwas andres zu werden, und man hört, daß
nur der dümmste Bauer heutzutage zufrieden ist, und daß sich auch seine
Kinder, sobald sie Zeitungen zu lesen gelernt haben, nach dem gelobten
Lande aufmachen, d. h. nach jener Stätte, wo die Zeitungen gedruckt
werden. Das ist von Übel, aber noch hat kein Weiser ein Mittel dagegen ge¬
funden.

Es ist total verkehrt, den landwirtschaftlichen Beruf in den Himmel zu
erheben, wie es in unsrer Zeit so häufig geschieht. Wenn man glaubt, die
Beschäftigung in Wald und Flur rege gemütvolle Stimmungen an, fördere
tiefsinniges Denken und alle möglichen Tugenden, so irrt man sich. Die Feld¬
arbeit ist von allen Arten von Arbeiten die, die am meisten die Kräfte er¬
schöpft; sie verträgt sich deshalb an und für sich am wenigsten mit anstrengender
geistiger Tätigkeit. Wenn trotzdem der Ackerbau in der Weltgeschichte als
Kulturmacht eine wichtige Rolle spielt, so liegt der Grund darin, daß er zu
Wohlstand verhilft, und daß der Wohlstand einen Teil der Menschheit von der
Arbeit des Pflügens befreit.

Enthusiasten machten das Experiment, selbst Bauern zu werden. Einer von
ihnen teilt uns seine Erfahrungen schließlich mit den bemerkenswerten Worten mit:
"Die Feldarbeit ist der Fluch der Welt! Wer sich ihr unterzieht, kann einer
stufenweisen Verlierung nicht entgehn- Wahrlich! ich verdiene kein Lob, daß
ich fünf kostbare Monate an die Fütterung von Kühen und Pferden vergeudet
habe." Nathaniel Hawthorne von der Brook Farm sagt dies. Er ärgerte sich
zu sehr über seinen Mißgriff und ging deshalb in der Verwünschung des
Landlebens zu weit. Arbeit mag und wird oft ein unerträgliches, ja er¬
niedrigendes Ding sein, aber ein Fluch der Welt ist sie sicherlich nicht; im
Gegenteil, sie ist der größte Segen der Welt. Hawthorne beging eine Dumm¬
heit; dafür mußte er mit dem Verlust seines geistigen Gleichgewichts be¬
zahlen. Für ihn paßte es offenbar nicht, Kühe und Pferde zu füttern.
Mancher andre dagegen würde die schönere und edlere Seite einer solchen Be¬
schäftigung begriffen haben, nämlich daß sie die Mittel zur Ernährung der
Menschheit beschafft. Das Interessante an diesem Beispiel ist übrigens das
Faktum, daß ein so intelligenter Mann wie Hawthorne in dieselbe geistige
Verkümmerung geriet, wie sie sich bei unsern Bauern zeigt, einzig und allein
aus Empörung gegen das Pflügen und Füttern. Nicht nur erschlaffte sein Ver¬
stand, sondern auch sein natürliches Gefühl hörte auf, ihm die richtigen Wege
zu weisen.


Englische Eigenart

sein Heil in der allgemeinen Wehrpflicht suche. Mit dieser meiner Ansicht
wird das englische Volk nicht einverstanden sein. Aber ein schlimmes Zeichen
für England wird es sein, wenn einst gar niemand mehr, der es aufrichtig liebt,
so denkt wie ich.

Es ist weder wünschenswert noch notwendig, daß sich der Bauer mit
demselben Stumpfsinn abrackert wie das liebe Vieh, mit dem er arbeitet.
Die meisten wünschen auch, etwas andres zu werden, und man hört, daß
nur der dümmste Bauer heutzutage zufrieden ist, und daß sich auch seine
Kinder, sobald sie Zeitungen zu lesen gelernt haben, nach dem gelobten
Lande aufmachen, d. h. nach jener Stätte, wo die Zeitungen gedruckt
werden. Das ist von Übel, aber noch hat kein Weiser ein Mittel dagegen ge¬
funden.

Es ist total verkehrt, den landwirtschaftlichen Beruf in den Himmel zu
erheben, wie es in unsrer Zeit so häufig geschieht. Wenn man glaubt, die
Beschäftigung in Wald und Flur rege gemütvolle Stimmungen an, fördere
tiefsinniges Denken und alle möglichen Tugenden, so irrt man sich. Die Feld¬
arbeit ist von allen Arten von Arbeiten die, die am meisten die Kräfte er¬
schöpft; sie verträgt sich deshalb an und für sich am wenigsten mit anstrengender
geistiger Tätigkeit. Wenn trotzdem der Ackerbau in der Weltgeschichte als
Kulturmacht eine wichtige Rolle spielt, so liegt der Grund darin, daß er zu
Wohlstand verhilft, und daß der Wohlstand einen Teil der Menschheit von der
Arbeit des Pflügens befreit.

Enthusiasten machten das Experiment, selbst Bauern zu werden. Einer von
ihnen teilt uns seine Erfahrungen schließlich mit den bemerkenswerten Worten mit:
„Die Feldarbeit ist der Fluch der Welt! Wer sich ihr unterzieht, kann einer
stufenweisen Verlierung nicht entgehn- Wahrlich! ich verdiene kein Lob, daß
ich fünf kostbare Monate an die Fütterung von Kühen und Pferden vergeudet
habe." Nathaniel Hawthorne von der Brook Farm sagt dies. Er ärgerte sich
zu sehr über seinen Mißgriff und ging deshalb in der Verwünschung des
Landlebens zu weit. Arbeit mag und wird oft ein unerträgliches, ja er¬
niedrigendes Ding sein, aber ein Fluch der Welt ist sie sicherlich nicht; im
Gegenteil, sie ist der größte Segen der Welt. Hawthorne beging eine Dumm¬
heit; dafür mußte er mit dem Verlust seines geistigen Gleichgewichts be¬
zahlen. Für ihn paßte es offenbar nicht, Kühe und Pferde zu füttern.
Mancher andre dagegen würde die schönere und edlere Seite einer solchen Be¬
schäftigung begriffen haben, nämlich daß sie die Mittel zur Ernährung der
Menschheit beschafft. Das Interessante an diesem Beispiel ist übrigens das
Faktum, daß ein so intelligenter Mann wie Hawthorne in dieselbe geistige
Verkümmerung geriet, wie sie sich bei unsern Bauern zeigt, einzig und allein
aus Empörung gegen das Pflügen und Füttern. Nicht nur erschlaffte sein Ver¬
stand, sondern auch sein natürliches Gefühl hörte auf, ihm die richtigen Wege
zu weisen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/260>, abgerufen am 23.07.2024.