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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Lin deutsches Reichsblatt

soll das Blatt ebensosehr das Wissen der Staatsbürger über Bürgerkunde
fördern wie sie auch in parteipolitisch uubeeinflußter Weise über die Absichten
der Regierungen in wichtigen politischen und sonstigen Angelegenheiten unter¬
richten. Die Erscheinungsform ist so gedacht, daß es wöchentlich unentgeltlich
durch die Post jeder der etwa fünfzehn Millionen deutscher Haushaltungen zu¬
gestellt wird. Von Anzeigen und Reklamen soll es sich freihalten und überhaupt
nach aller Möglichkeit vermeiden, irgendwie der Presse geschäftlich Wettbewerb
zu bereiten. Die Kosten berechnet der Verfasser bei sorgfältiger Berücksichtigung
aller Ausgabeposten auf jährlich 6 bis 8 Millionen Mark. Er weist auch nach,
daß die gewaltige Auflage eines solchen Blattes mit den rund 600 Rotations¬
maschinen der Großstadtdruckereien leicht herzustellen ist, und erörtert als Fach¬
mann eingehend, wie die PostVerwaltungen ohne Schwierigkeiten selbst in den
kleinsten Landorten die regelmäßige Zustellung besorgen können.

Es ist nicht zweifelhaft, daß ein solches Blatt zahlreiche und erbitterte
Gegner finden würde, vornehmlich in Sozialdemokratie, Zentrum, Polentum usw.,
und daß diese Gegner mit allen Mitteln seine Wirksamkeit zu verhindern suchen
würden. Es kann wohl auch nicht verkannt werden, daß in der ersten Zeit die
politische Halbbildung und die Neigung zum Bierbankpolitisieren gefördert und
der politische Widerspruchsgeist, der dem Deutschen nun einmal angeboren zu
sein scheint, geradezu gestärkt werden würde. Aber diese Bedenken dürften kaum
stichhaltig sein. Die Wirkung des gedruckten Wortes ist nicht zu unterschätzen.
Wer zehnmal ein ihm regelmäßig und kostenlos zukommendes Blatt nur als
scheint- und Machwerk angesehen hat, betrachtet es trotzdem vielleicht schon beim
elftenmale mit milderen Augen; und dann ist die Zeit nicht mehr fern, wo er
dies und jenes darin ganz gern liest, und wo er dem Blatte Interesse entgegen¬
bringt und Anregung daraus entnimmt. Auf die Dauer behalten demgegenüber
weder die Bannflüche politischer Führer noch angeborne Nörgelsucht das Feld.

Es mag aber auch dahingestellt bleiben, ob die vorgeschlagne Form die
allein richtige ist, und ob sie den Erfolg in dem erwarteten Umfange verbürgt.
Der Grundgedanke des Vorschlags ist sicherlich praktischer Art und vom nationalen
und realpolitischen Standpunkte aus zu billigen. Das deutsche Volk bedarf bei
seinem Mangel an politischem Sinn der politischen Anregung und vorläufig auch
noch bis zu einem gewissen Grade in großen Fragen der politischen Führung.
Das beweist deutlich genug jeder Wahlkampf.

Daß sich auch die Regierung dieser Erkenntnis nicht mehr verschließt, haben
die letzten Jahre gezeigt. Man denke nur daran, mit welcher Entschiedenheit sie
nach der letzten Reichstagsauflösung ihr Blockprogramm vor der Öffentlichkeit
aufgestellt und vertreten hat. Völlig neu für Deutschland war der Weg, der
mit den, Silvesterbrief und mit den öffentlichen Kolvnialvorträgen Dernburgs
beschritten wurde. Damals zeigte auch schon der Reichskanzler Interesse für
die leitenden Gedanken der besprochnen Broschüre, die ihm zwar noch nicht schrift¬
lich formuliert, aber im wesentlichen Inhalt zur Kenntnis gebracht wurden, und


Lin deutsches Reichsblatt

soll das Blatt ebensosehr das Wissen der Staatsbürger über Bürgerkunde
fördern wie sie auch in parteipolitisch uubeeinflußter Weise über die Absichten
der Regierungen in wichtigen politischen und sonstigen Angelegenheiten unter¬
richten. Die Erscheinungsform ist so gedacht, daß es wöchentlich unentgeltlich
durch die Post jeder der etwa fünfzehn Millionen deutscher Haushaltungen zu¬
gestellt wird. Von Anzeigen und Reklamen soll es sich freihalten und überhaupt
nach aller Möglichkeit vermeiden, irgendwie der Presse geschäftlich Wettbewerb
zu bereiten. Die Kosten berechnet der Verfasser bei sorgfältiger Berücksichtigung
aller Ausgabeposten auf jährlich 6 bis 8 Millionen Mark. Er weist auch nach,
daß die gewaltige Auflage eines solchen Blattes mit den rund 600 Rotations¬
maschinen der Großstadtdruckereien leicht herzustellen ist, und erörtert als Fach¬
mann eingehend, wie die PostVerwaltungen ohne Schwierigkeiten selbst in den
kleinsten Landorten die regelmäßige Zustellung besorgen können.

Es ist nicht zweifelhaft, daß ein solches Blatt zahlreiche und erbitterte
Gegner finden würde, vornehmlich in Sozialdemokratie, Zentrum, Polentum usw.,
und daß diese Gegner mit allen Mitteln seine Wirksamkeit zu verhindern suchen
würden. Es kann wohl auch nicht verkannt werden, daß in der ersten Zeit die
politische Halbbildung und die Neigung zum Bierbankpolitisieren gefördert und
der politische Widerspruchsgeist, der dem Deutschen nun einmal angeboren zu
sein scheint, geradezu gestärkt werden würde. Aber diese Bedenken dürften kaum
stichhaltig sein. Die Wirkung des gedruckten Wortes ist nicht zu unterschätzen.
Wer zehnmal ein ihm regelmäßig und kostenlos zukommendes Blatt nur als
scheint- und Machwerk angesehen hat, betrachtet es trotzdem vielleicht schon beim
elftenmale mit milderen Augen; und dann ist die Zeit nicht mehr fern, wo er
dies und jenes darin ganz gern liest, und wo er dem Blatte Interesse entgegen¬
bringt und Anregung daraus entnimmt. Auf die Dauer behalten demgegenüber
weder die Bannflüche politischer Führer noch angeborne Nörgelsucht das Feld.

Es mag aber auch dahingestellt bleiben, ob die vorgeschlagne Form die
allein richtige ist, und ob sie den Erfolg in dem erwarteten Umfange verbürgt.
Der Grundgedanke des Vorschlags ist sicherlich praktischer Art und vom nationalen
und realpolitischen Standpunkte aus zu billigen. Das deutsche Volk bedarf bei
seinem Mangel an politischem Sinn der politischen Anregung und vorläufig auch
noch bis zu einem gewissen Grade in großen Fragen der politischen Führung.
Das beweist deutlich genug jeder Wahlkampf.

Daß sich auch die Regierung dieser Erkenntnis nicht mehr verschließt, haben
die letzten Jahre gezeigt. Man denke nur daran, mit welcher Entschiedenheit sie
nach der letzten Reichstagsauflösung ihr Blockprogramm vor der Öffentlichkeit
aufgestellt und vertreten hat. Völlig neu für Deutschland war der Weg, der
mit den, Silvesterbrief und mit den öffentlichen Kolvnialvorträgen Dernburgs
beschritten wurde. Damals zeigte auch schon der Reichskanzler Interesse für
die leitenden Gedanken der besprochnen Broschüre, die ihm zwar noch nicht schrift¬
lich formuliert, aber im wesentlichen Inhalt zur Kenntnis gebracht wurden, und


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[0024] Lin deutsches Reichsblatt soll das Blatt ebensosehr das Wissen der Staatsbürger über Bürgerkunde fördern wie sie auch in parteipolitisch uubeeinflußter Weise über die Absichten der Regierungen in wichtigen politischen und sonstigen Angelegenheiten unter¬ richten. Die Erscheinungsform ist so gedacht, daß es wöchentlich unentgeltlich durch die Post jeder der etwa fünfzehn Millionen deutscher Haushaltungen zu¬ gestellt wird. Von Anzeigen und Reklamen soll es sich freihalten und überhaupt nach aller Möglichkeit vermeiden, irgendwie der Presse geschäftlich Wettbewerb zu bereiten. Die Kosten berechnet der Verfasser bei sorgfältiger Berücksichtigung aller Ausgabeposten auf jährlich 6 bis 8 Millionen Mark. Er weist auch nach, daß die gewaltige Auflage eines solchen Blattes mit den rund 600 Rotations¬ maschinen der Großstadtdruckereien leicht herzustellen ist, und erörtert als Fach¬ mann eingehend, wie die PostVerwaltungen ohne Schwierigkeiten selbst in den kleinsten Landorten die regelmäßige Zustellung besorgen können. Es ist nicht zweifelhaft, daß ein solches Blatt zahlreiche und erbitterte Gegner finden würde, vornehmlich in Sozialdemokratie, Zentrum, Polentum usw., und daß diese Gegner mit allen Mitteln seine Wirksamkeit zu verhindern suchen würden. Es kann wohl auch nicht verkannt werden, daß in der ersten Zeit die politische Halbbildung und die Neigung zum Bierbankpolitisieren gefördert und der politische Widerspruchsgeist, der dem Deutschen nun einmal angeboren zu sein scheint, geradezu gestärkt werden würde. Aber diese Bedenken dürften kaum stichhaltig sein. Die Wirkung des gedruckten Wortes ist nicht zu unterschätzen. Wer zehnmal ein ihm regelmäßig und kostenlos zukommendes Blatt nur als scheint- und Machwerk angesehen hat, betrachtet es trotzdem vielleicht schon beim elftenmale mit milderen Augen; und dann ist die Zeit nicht mehr fern, wo er dies und jenes darin ganz gern liest, und wo er dem Blatte Interesse entgegen¬ bringt und Anregung daraus entnimmt. Auf die Dauer behalten demgegenüber weder die Bannflüche politischer Führer noch angeborne Nörgelsucht das Feld. Es mag aber auch dahingestellt bleiben, ob die vorgeschlagne Form die allein richtige ist, und ob sie den Erfolg in dem erwarteten Umfange verbürgt. Der Grundgedanke des Vorschlags ist sicherlich praktischer Art und vom nationalen und realpolitischen Standpunkte aus zu billigen. Das deutsche Volk bedarf bei seinem Mangel an politischem Sinn der politischen Anregung und vorläufig auch noch bis zu einem gewissen Grade in großen Fragen der politischen Führung. Das beweist deutlich genug jeder Wahlkampf. Daß sich auch die Regierung dieser Erkenntnis nicht mehr verschließt, haben die letzten Jahre gezeigt. Man denke nur daran, mit welcher Entschiedenheit sie nach der letzten Reichstagsauflösung ihr Blockprogramm vor der Öffentlichkeit aufgestellt und vertreten hat. Völlig neu für Deutschland war der Weg, der mit den, Silvesterbrief und mit den öffentlichen Kolvnialvorträgen Dernburgs beschritten wurde. Damals zeigte auch schon der Reichskanzler Interesse für die leitenden Gedanken der besprochnen Broschüre, die ihm zwar noch nicht schrift¬ lich formuliert, aber im wesentlichen Inhalt zur Kenntnis gebracht wurden, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/24>, abgerufen am 23.07.2024.