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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Meine Jugend und die Religion

wie auch Proviant (weil man sie dessen unterwegs nicht versichern kann) so viel
als sie auf der Reise nöthig haben werden mitzunehmen und abzuziehen. Weil er¬
weißlich im hiesigen Lande zumal keine Pferde zur Hand zu bringen, also sollen
so viele Schiffe, als in der Eile zu bekommen zu Abführung der Squadronstücklein,
Volk und Andern verschafft und im Fall am Volk und Anderem etwas dies Mal
nicht sogleich fortgeschast werden werden könnte, soll es eben so nachgefördert werden."
Die schwedische Herrschaft ging, wie sie begonnen hatte, in blutigen Kämpfen, aber
ohne Mord zu Ende, und mit ritterlicher Höflichkeit schieden Sieger und Besiegte.
Es ist möglich, daß der Würzburger Baumeister Kant, der den Schweden bei der
Verstärkung der Festungswerke geholfen hatte, sich dann aber von den Kaiserlichen
gefangennehmen ließ und seinen Glaubensgenossen beim Sturm auf die Stadt und
die Feste mit seiner Kenntnis der Werke beistand, in der Gestalt des Schornstein¬
fegers der Mordnachtsage fortlebt. So blutig sich das wahre Bild dieser Zeit
mir später enthüllte, so voll Blut und Tücke war es doch nicht wie die Sage, in
der der Fanatismus den Religionshaß heiß erhielt, und es heilte mich von dem
Grauen, womit mir die Sage die Seele krank gemacht hatte. Aber es dauerte
lange, bis das Volk Karls des Zwölften, des schönen Sven und Alss, des grauen
Helden, hoch und stolz vor mir ragte und mich mit hellen Augen freundlich ansah.
Ich glaube, Uhland hat bei dieser Wandlung mitgewirkt mit seiner Ballade von
den sterbenden Helden. Wenigstens weckte mir der Name Schweden später immer
Alss Worte:

Während ich so schwer träumend reifte, verdüsterte sich mein äußeres Lebe",
aber dieses Dunkel lastete nicht auf meiner Seele, es sah nur zu ihren Fenstern
herein, und wenn sie wachte und in ein Licht oder eine Herdflamme sah, die ein Buch
oder ein Traum entzündet hatte, dann schmiegte sich das Behagen an sie wie ein
warmes spinnendes Kätzchen, und das Dunkel draußen machte das Licht Heller
leuchten. Die Verkrümmung meiner Beine war entschieden und ohne Operation
nicht mehr heilbar, als meine Eltern Zeit und Mittel fanden, erst durch primitive,
selbsterdachte Schienen, dann dnrch einen Apparat, der in einer Werkstatt für
chirurgische und orthopädische Instrumente gemacht worden war, die Entstellung zu
bekämpfen. Diese Heilversuche machten mir viel Schmerzen beim Gehn und beim
Sitzen, mein Tagewerk war schwer. Ich schleppte mich mühsam in die Schule, saß
mit gestrecktem Bein auf der Kante der Bank und schleppte mich dann wieder heim.
Zu Hause teilte ich mit den Eltern die Angst vor der nahenden Not, dann, als sie
da war, freier atmend mit den Eltern und den Geschwistern die Not selbst. Das
Geschäft mußte verpachtet werden, und die Pachtsumme blieb oft aus. Meine Mutter
war nicht mehr imstande, die Anstrengungen der Geschäftsführung zu ertragen, sie
kam mit dem Keim ihrer Todeskrankheit nun auch herauf zu uns in die Enge und
war nun auch am Tage bei uns. Mir war, als kehrte sie heim.

Es war warm bei uns, auch wenn aus Mangel an anderm Heizmaterial die
Asche benetzt und wieder zum Heizen verwandt wurde. Meine Mutter erleichterte
uns mit ihrer pfälzischen, wohl aus Frankreich stammenden Kunst, auch die ärmste
Nahrung, die Kartoffel, in der verschiedensten Form schmackhaft zuzubereiten, solange
sie konnte, die Not. Als sie zusammenbrach, kochten meine Schwester, mein ältrer
Bruder und ich. Es gab oft Grießbrei als Mittagessen, den konnte auch ich kochen.
Milch und Grieß waren recht knapp gemessen. Ich fühle noch den Grieß aus der


Meine Jugend und die Religion

wie auch Proviant (weil man sie dessen unterwegs nicht versichern kann) so viel
als sie auf der Reise nöthig haben werden mitzunehmen und abzuziehen. Weil er¬
weißlich im hiesigen Lande zumal keine Pferde zur Hand zu bringen, also sollen
so viele Schiffe, als in der Eile zu bekommen zu Abführung der Squadronstücklein,
Volk und Andern verschafft und im Fall am Volk und Anderem etwas dies Mal
nicht sogleich fortgeschast werden werden könnte, soll es eben so nachgefördert werden."
Die schwedische Herrschaft ging, wie sie begonnen hatte, in blutigen Kämpfen, aber
ohne Mord zu Ende, und mit ritterlicher Höflichkeit schieden Sieger und Besiegte.
Es ist möglich, daß der Würzburger Baumeister Kant, der den Schweden bei der
Verstärkung der Festungswerke geholfen hatte, sich dann aber von den Kaiserlichen
gefangennehmen ließ und seinen Glaubensgenossen beim Sturm auf die Stadt und
die Feste mit seiner Kenntnis der Werke beistand, in der Gestalt des Schornstein¬
fegers der Mordnachtsage fortlebt. So blutig sich das wahre Bild dieser Zeit
mir später enthüllte, so voll Blut und Tücke war es doch nicht wie die Sage, in
der der Fanatismus den Religionshaß heiß erhielt, und es heilte mich von dem
Grauen, womit mir die Sage die Seele krank gemacht hatte. Aber es dauerte
lange, bis das Volk Karls des Zwölften, des schönen Sven und Alss, des grauen
Helden, hoch und stolz vor mir ragte und mich mit hellen Augen freundlich ansah.
Ich glaube, Uhland hat bei dieser Wandlung mitgewirkt mit seiner Ballade von
den sterbenden Helden. Wenigstens weckte mir der Name Schweden später immer
Alss Worte:

Während ich so schwer träumend reifte, verdüsterte sich mein äußeres Lebe»,
aber dieses Dunkel lastete nicht auf meiner Seele, es sah nur zu ihren Fenstern
herein, und wenn sie wachte und in ein Licht oder eine Herdflamme sah, die ein Buch
oder ein Traum entzündet hatte, dann schmiegte sich das Behagen an sie wie ein
warmes spinnendes Kätzchen, und das Dunkel draußen machte das Licht Heller
leuchten. Die Verkrümmung meiner Beine war entschieden und ohne Operation
nicht mehr heilbar, als meine Eltern Zeit und Mittel fanden, erst durch primitive,
selbsterdachte Schienen, dann dnrch einen Apparat, der in einer Werkstatt für
chirurgische und orthopädische Instrumente gemacht worden war, die Entstellung zu
bekämpfen. Diese Heilversuche machten mir viel Schmerzen beim Gehn und beim
Sitzen, mein Tagewerk war schwer. Ich schleppte mich mühsam in die Schule, saß
mit gestrecktem Bein auf der Kante der Bank und schleppte mich dann wieder heim.
Zu Hause teilte ich mit den Eltern die Angst vor der nahenden Not, dann, als sie
da war, freier atmend mit den Eltern und den Geschwistern die Not selbst. Das
Geschäft mußte verpachtet werden, und die Pachtsumme blieb oft aus. Meine Mutter
war nicht mehr imstande, die Anstrengungen der Geschäftsführung zu ertragen, sie
kam mit dem Keim ihrer Todeskrankheit nun auch herauf zu uns in die Enge und
war nun auch am Tage bei uns. Mir war, als kehrte sie heim.

Es war warm bei uns, auch wenn aus Mangel an anderm Heizmaterial die
Asche benetzt und wieder zum Heizen verwandt wurde. Meine Mutter erleichterte
uns mit ihrer pfälzischen, wohl aus Frankreich stammenden Kunst, auch die ärmste
Nahrung, die Kartoffel, in der verschiedensten Form schmackhaft zuzubereiten, solange
sie konnte, die Not. Als sie zusammenbrach, kochten meine Schwester, mein ältrer
Bruder und ich. Es gab oft Grießbrei als Mittagessen, den konnte auch ich kochen.
Milch und Grieß waren recht knapp gemessen. Ich fühle noch den Grieß aus der


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[0238] Meine Jugend und die Religion wie auch Proviant (weil man sie dessen unterwegs nicht versichern kann) so viel als sie auf der Reise nöthig haben werden mitzunehmen und abzuziehen. Weil er¬ weißlich im hiesigen Lande zumal keine Pferde zur Hand zu bringen, also sollen so viele Schiffe, als in der Eile zu bekommen zu Abführung der Squadronstücklein, Volk und Andern verschafft und im Fall am Volk und Anderem etwas dies Mal nicht sogleich fortgeschast werden werden könnte, soll es eben so nachgefördert werden." Die schwedische Herrschaft ging, wie sie begonnen hatte, in blutigen Kämpfen, aber ohne Mord zu Ende, und mit ritterlicher Höflichkeit schieden Sieger und Besiegte. Es ist möglich, daß der Würzburger Baumeister Kant, der den Schweden bei der Verstärkung der Festungswerke geholfen hatte, sich dann aber von den Kaiserlichen gefangennehmen ließ und seinen Glaubensgenossen beim Sturm auf die Stadt und die Feste mit seiner Kenntnis der Werke beistand, in der Gestalt des Schornstein¬ fegers der Mordnachtsage fortlebt. So blutig sich das wahre Bild dieser Zeit mir später enthüllte, so voll Blut und Tücke war es doch nicht wie die Sage, in der der Fanatismus den Religionshaß heiß erhielt, und es heilte mich von dem Grauen, womit mir die Sage die Seele krank gemacht hatte. Aber es dauerte lange, bis das Volk Karls des Zwölften, des schönen Sven und Alss, des grauen Helden, hoch und stolz vor mir ragte und mich mit hellen Augen freundlich ansah. Ich glaube, Uhland hat bei dieser Wandlung mitgewirkt mit seiner Ballade von den sterbenden Helden. Wenigstens weckte mir der Name Schweden später immer Alss Worte: Während ich so schwer träumend reifte, verdüsterte sich mein äußeres Lebe», aber dieses Dunkel lastete nicht auf meiner Seele, es sah nur zu ihren Fenstern herein, und wenn sie wachte und in ein Licht oder eine Herdflamme sah, die ein Buch oder ein Traum entzündet hatte, dann schmiegte sich das Behagen an sie wie ein warmes spinnendes Kätzchen, und das Dunkel draußen machte das Licht Heller leuchten. Die Verkrümmung meiner Beine war entschieden und ohne Operation nicht mehr heilbar, als meine Eltern Zeit und Mittel fanden, erst durch primitive, selbsterdachte Schienen, dann dnrch einen Apparat, der in einer Werkstatt für chirurgische und orthopädische Instrumente gemacht worden war, die Entstellung zu bekämpfen. Diese Heilversuche machten mir viel Schmerzen beim Gehn und beim Sitzen, mein Tagewerk war schwer. Ich schleppte mich mühsam in die Schule, saß mit gestrecktem Bein auf der Kante der Bank und schleppte mich dann wieder heim. Zu Hause teilte ich mit den Eltern die Angst vor der nahenden Not, dann, als sie da war, freier atmend mit den Eltern und den Geschwistern die Not selbst. Das Geschäft mußte verpachtet werden, und die Pachtsumme blieb oft aus. Meine Mutter war nicht mehr imstande, die Anstrengungen der Geschäftsführung zu ertragen, sie kam mit dem Keim ihrer Todeskrankheit nun auch herauf zu uns in die Enge und war nun auch am Tage bei uns. Mir war, als kehrte sie heim. Es war warm bei uns, auch wenn aus Mangel an anderm Heizmaterial die Asche benetzt und wieder zum Heizen verwandt wurde. Meine Mutter erleichterte uns mit ihrer pfälzischen, wohl aus Frankreich stammenden Kunst, auch die ärmste Nahrung, die Kartoffel, in der verschiedensten Form schmackhaft zuzubereiten, solange sie konnte, die Not. Als sie zusammenbrach, kochten meine Schwester, mein ältrer Bruder und ich. Es gab oft Grießbrei als Mittagessen, den konnte auch ich kochen. Milch und Grieß waren recht knapp gemessen. Ich fühle noch den Grieß aus der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/238>, abgerufen am 22.12.2024.