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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

Ich weiß nichts, Herr Justesen, noch nicht, aber es kommt, es kommt eines
Tages. Und dann sollen Sie es erfahren, zum Dank für damals, als Sie gut an
uns gehandelt haben.

Sie können mir durch das Mädchen Nachricht zugehn lassen. Und Ole, wie
stehts mit dem? Trinkt er noch?

Die Alte schüttelte den Kopf.

In der letzten Zeit geht es ganz verkehrt. Seitdem er begonnen hat, nach
Deichhof zu gehn. Nun hat er sich acht Tage lang gehalten, aber so, wie er dort
hinüberkommt, geht es verkehrt, ganz verkehrt. Ole ist es hier oben nicht richtig,
Herr Justesen. Es ist mein eigner Sohn, aber er ist hier oben nicht richtig; Gott
weiß wohl, wozu auch das gut sein mag. Aber jeder muß ja zu den Seinen halten.

Und Ole ist es nicht? fragte Justesen scharf.

Die Alte erhob den Kopf und sah den Polizeibeamten mit dem merkwürdig
festen Blick ihrer blauen Augen an.

Nein. Herr Justesen, Ole ist es nicht.

Justesen räusperte sich.

Ich glaube Ihnen, Madame Mathem, wir sind ja alte Bekannte. Aber ich
sage Ihnen, ein paarmal hätte ich es beinahe angenommen.

Ole ist es nicht, sagte die Alte. Er führt den roten Hahn im Munde, aber
er tut niemand was zuleide.

Na, ja ja, sagte Justesen und reichte ihr die Hand, dann bleibt es also bei
unsrer Verabredung. Ich bekomme Nachricht, wenn es irgend etwas neues gibt.

Draußen vor dem südlichen Flügel standen die beiden jungen Leute noch immer.
Und erst als der Wagen auf den spitzen Steinen rasselte, riß Seydewitz sich los.

Der Myggefjedmann ging mürrisch und verdrießlich im Hofe umher. Seydewitz
bezahlte den Wein und wurde damit alles Geld los, was er bei sich hatte. Als
er sich von der Alten verabschiedete, blickte sie ihn forschend an.

Meinen Sie es mit dem Mädchen nicht ehrlich, dann lassen Sie sie zufrieden,
sagte sie ruhig, sie ist eines feinen Mannes Tochter und hat das warme Blut
ihrer Mutter.

Seydewitz errötete.

Der Wagen fuhr leer über das Wasser, und der Myggefjedmann ruderte
die Gäste auf einem Prahu hinüber. Als sie vom Steinufer fortrollten, war die
Sonne tief zum Deich hinabgesunken. Seydewitz starrte zu der Scheune zurück, vor
der signe stand.

Er hatte heiße Wangen.

Das war eine gute Idee, sagte er endlich, und das Mädel war wunderhübsch.

Justesen lachte mit seinem kurzen, trocknen Lachen.

Kann sein, daß der Herr Referendar und ich wieder mal nach Myggefjed
kommen. Ich überlasse dem Herrn Referendar die Junge, mich interessieren die Alten.

Und der Wagen krabbelte durch den Lehm über das Viehland hin, zwischen
Hecken und sturren Weidebäumen. Und der Schal wurde schwarz und verdeckte mit
dem Dunkel der Nacht die ganze Gegend.

(Fortsetzung folgt)




Der rote Hahn

Ich weiß nichts, Herr Justesen, noch nicht, aber es kommt, es kommt eines
Tages. Und dann sollen Sie es erfahren, zum Dank für damals, als Sie gut an
uns gehandelt haben.

Sie können mir durch das Mädchen Nachricht zugehn lassen. Und Ole, wie
stehts mit dem? Trinkt er noch?

Die Alte schüttelte den Kopf.

In der letzten Zeit geht es ganz verkehrt. Seitdem er begonnen hat, nach
Deichhof zu gehn. Nun hat er sich acht Tage lang gehalten, aber so, wie er dort
hinüberkommt, geht es verkehrt, ganz verkehrt. Ole ist es hier oben nicht richtig,
Herr Justesen. Es ist mein eigner Sohn, aber er ist hier oben nicht richtig; Gott
weiß wohl, wozu auch das gut sein mag. Aber jeder muß ja zu den Seinen halten.

Und Ole ist es nicht? fragte Justesen scharf.

Die Alte erhob den Kopf und sah den Polizeibeamten mit dem merkwürdig
festen Blick ihrer blauen Augen an.

Nein. Herr Justesen, Ole ist es nicht.

Justesen räusperte sich.

Ich glaube Ihnen, Madame Mathem, wir sind ja alte Bekannte. Aber ich
sage Ihnen, ein paarmal hätte ich es beinahe angenommen.

Ole ist es nicht, sagte die Alte. Er führt den roten Hahn im Munde, aber
er tut niemand was zuleide.

Na, ja ja, sagte Justesen und reichte ihr die Hand, dann bleibt es also bei
unsrer Verabredung. Ich bekomme Nachricht, wenn es irgend etwas neues gibt.

Draußen vor dem südlichen Flügel standen die beiden jungen Leute noch immer.
Und erst als der Wagen auf den spitzen Steinen rasselte, riß Seydewitz sich los.

Der Myggefjedmann ging mürrisch und verdrießlich im Hofe umher. Seydewitz
bezahlte den Wein und wurde damit alles Geld los, was er bei sich hatte. Als
er sich von der Alten verabschiedete, blickte sie ihn forschend an.

Meinen Sie es mit dem Mädchen nicht ehrlich, dann lassen Sie sie zufrieden,
sagte sie ruhig, sie ist eines feinen Mannes Tochter und hat das warme Blut
ihrer Mutter.

Seydewitz errötete.

Der Wagen fuhr leer über das Wasser, und der Myggefjedmann ruderte
die Gäste auf einem Prahu hinüber. Als sie vom Steinufer fortrollten, war die
Sonne tief zum Deich hinabgesunken. Seydewitz starrte zu der Scheune zurück, vor
der signe stand.

Er hatte heiße Wangen.

Das war eine gute Idee, sagte er endlich, und das Mädel war wunderhübsch.

Justesen lachte mit seinem kurzen, trocknen Lachen.

Kann sein, daß der Herr Referendar und ich wieder mal nach Myggefjed
kommen. Ich überlasse dem Herrn Referendar die Junge, mich interessieren die Alten.

Und der Wagen krabbelte durch den Lehm über das Viehland hin, zwischen
Hecken und sturren Weidebäumen. Und der Schal wurde schwarz und verdeckte mit
dem Dunkel der Nacht die ganze Gegend.

(Fortsetzung folgt)




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[0199] Der rote Hahn Ich weiß nichts, Herr Justesen, noch nicht, aber es kommt, es kommt eines Tages. Und dann sollen Sie es erfahren, zum Dank für damals, als Sie gut an uns gehandelt haben. Sie können mir durch das Mädchen Nachricht zugehn lassen. Und Ole, wie stehts mit dem? Trinkt er noch? Die Alte schüttelte den Kopf. In der letzten Zeit geht es ganz verkehrt. Seitdem er begonnen hat, nach Deichhof zu gehn. Nun hat er sich acht Tage lang gehalten, aber so, wie er dort hinüberkommt, geht es verkehrt, ganz verkehrt. Ole ist es hier oben nicht richtig, Herr Justesen. Es ist mein eigner Sohn, aber er ist hier oben nicht richtig; Gott weiß wohl, wozu auch das gut sein mag. Aber jeder muß ja zu den Seinen halten. Und Ole ist es nicht? fragte Justesen scharf. Die Alte erhob den Kopf und sah den Polizeibeamten mit dem merkwürdig festen Blick ihrer blauen Augen an. Nein. Herr Justesen, Ole ist es nicht. Justesen räusperte sich. Ich glaube Ihnen, Madame Mathem, wir sind ja alte Bekannte. Aber ich sage Ihnen, ein paarmal hätte ich es beinahe angenommen. Ole ist es nicht, sagte die Alte. Er führt den roten Hahn im Munde, aber er tut niemand was zuleide. Na, ja ja, sagte Justesen und reichte ihr die Hand, dann bleibt es also bei unsrer Verabredung. Ich bekomme Nachricht, wenn es irgend etwas neues gibt. Draußen vor dem südlichen Flügel standen die beiden jungen Leute noch immer. Und erst als der Wagen auf den spitzen Steinen rasselte, riß Seydewitz sich los. Der Myggefjedmann ging mürrisch und verdrießlich im Hofe umher. Seydewitz bezahlte den Wein und wurde damit alles Geld los, was er bei sich hatte. Als er sich von der Alten verabschiedete, blickte sie ihn forschend an. Meinen Sie es mit dem Mädchen nicht ehrlich, dann lassen Sie sie zufrieden, sagte sie ruhig, sie ist eines feinen Mannes Tochter und hat das warme Blut ihrer Mutter. Seydewitz errötete. Der Wagen fuhr leer über das Wasser, und der Myggefjedmann ruderte die Gäste auf einem Prahu hinüber. Als sie vom Steinufer fortrollten, war die Sonne tief zum Deich hinabgesunken. Seydewitz starrte zu der Scheune zurück, vor der signe stand. Er hatte heiße Wangen. Das war eine gute Idee, sagte er endlich, und das Mädel war wunderhübsch. Justesen lachte mit seinem kurzen, trocknen Lachen. Kann sein, daß der Herr Referendar und ich wieder mal nach Myggefjed kommen. Ich überlasse dem Herrn Referendar die Junge, mich interessieren die Alten. Und der Wagen krabbelte durch den Lehm über das Viehland hin, zwischen Hecken und sturren Weidebäumen. Und der Schal wurde schwarz und verdeckte mit dem Dunkel der Nacht die ganze Gegend. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/199>, abgerufen am 22.07.2024.