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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Neue Lyrik

diesen kleinen Stücken jugendlicher Sehnsucht. Lockende Träume umflattern
die junge Seele, die zwischen Erde und Himmel schwebt, die ihrer Kraft noch
nicht recht vertraut.

Max Dauthendey hat einst durch verstiegne, die Parodierung förmlich
herausfordernde Verse Aufsehen erregt; seine neuere Entwicklung zeigt aber,
daß er solche Verkleidung gar nicht braucht, daß er ein echter Poet ist. Nicht
eben von großer Tiefe. Aber seine Bände "Der weiße Schlaf" und "In sich
versunkene Lieder im Laub" (Stuttgart, Axel Juncker) geben frische, quellende
Liebesgedichte, unbefangne lyrische Darstellung, Herzenstöne einer Natur, die
in sich und um sich zu lauschen weiß. Der Tonfall von Dauthendeys Versen
ist jetzt schmucklos, natürlich, sein Klang hat echte Lebenswärme.

Als Verse eines früh Verstorbnen werden uns die "Gedichte" von Wolf
Grafen von Kalckreuth (Leipzig, Inselverlag) gebracht, und sie zeigen in der
Tat alle Eigenschaften, die wir immer wieder in der Kunst so zeitig Abberufner
finden. Da ist der ewige Kampf mit dem Leben, das den jungen Schultern
schon zu schwer dünkt, das den jungen Augen schon umdüstert erscheint, und
hinter dem sie die Hoffnung einer unbestimmten Erfüllung suchen. Das alles
drückt sich bei Kalckreuth noch nicht reif aus; aber die feine Färbung, mit der
er etwa holländische Landschaften und Städte festhielt, zeigt, daß die ererbte
Begabung hier fähig war, malerische Eindrücke in poetische umzusetzen. Da
heißt es in Scheveningen:

Unendlich dehnt das Meer sein graues Reich,
Verschwimmen" in dem Dunst der fahlen Weiten.
Die Lüfte schweigen, und die Wasser gleiten
Nur sacht empor an Sandgestad und Deich.
Der späte Regentag ward trüb und bleich
Und will in nahe Finsternis entschreiten,
Wo sich die riesenhaften Dünen breiten,
An uferloser Schwermut allzu reich.

Eine glücklichere Jugend tönt aus der "Rosenkante" von Hans Müller
(Berlin, Egon Fleischel Co.); da möchte ein für jeden weichen Eindruck der
Umwelt empfängliches Herz doch immer wieder des Lebens Schönheit preisen,
so oft ihm auch des Lebens Druck erscheint. Mit sehr viel heftigem Akkorden und
freilich mit nicht so reifer Beherrschung der Form sucht sich Armin T. Wegner
emporzuringen zur Lebensbejahung. Sein Buch "Zwischen zwei Städten"
(Berlin, Fleischel) ist lyrisch, überhaupt dichterisch nicht sehr stark. Trotzdem
steckt viel darin, wenn mans einmal rein als Dokument betrachtet. Wie ein
Kind die Weltstadt empfängt, wie der Jüngling zu Pflug und Sense zurück-


Neue Lyrik

diesen kleinen Stücken jugendlicher Sehnsucht. Lockende Träume umflattern
die junge Seele, die zwischen Erde und Himmel schwebt, die ihrer Kraft noch
nicht recht vertraut.

Max Dauthendey hat einst durch verstiegne, die Parodierung förmlich
herausfordernde Verse Aufsehen erregt; seine neuere Entwicklung zeigt aber,
daß er solche Verkleidung gar nicht braucht, daß er ein echter Poet ist. Nicht
eben von großer Tiefe. Aber seine Bände „Der weiße Schlaf" und „In sich
versunkene Lieder im Laub" (Stuttgart, Axel Juncker) geben frische, quellende
Liebesgedichte, unbefangne lyrische Darstellung, Herzenstöne einer Natur, die
in sich und um sich zu lauschen weiß. Der Tonfall von Dauthendeys Versen
ist jetzt schmucklos, natürlich, sein Klang hat echte Lebenswärme.

Als Verse eines früh Verstorbnen werden uns die „Gedichte" von Wolf
Grafen von Kalckreuth (Leipzig, Inselverlag) gebracht, und sie zeigen in der
Tat alle Eigenschaften, die wir immer wieder in der Kunst so zeitig Abberufner
finden. Da ist der ewige Kampf mit dem Leben, das den jungen Schultern
schon zu schwer dünkt, das den jungen Augen schon umdüstert erscheint, und
hinter dem sie die Hoffnung einer unbestimmten Erfüllung suchen. Das alles
drückt sich bei Kalckreuth noch nicht reif aus; aber die feine Färbung, mit der
er etwa holländische Landschaften und Städte festhielt, zeigt, daß die ererbte
Begabung hier fähig war, malerische Eindrücke in poetische umzusetzen. Da
heißt es in Scheveningen:

Unendlich dehnt das Meer sein graues Reich,
Verschwimmen» in dem Dunst der fahlen Weiten.
Die Lüfte schweigen, und die Wasser gleiten
Nur sacht empor an Sandgestad und Deich.
Der späte Regentag ward trüb und bleich
Und will in nahe Finsternis entschreiten,
Wo sich die riesenhaften Dünen breiten,
An uferloser Schwermut allzu reich.

Eine glücklichere Jugend tönt aus der „Rosenkante" von Hans Müller
(Berlin, Egon Fleischel Co.); da möchte ein für jeden weichen Eindruck der
Umwelt empfängliches Herz doch immer wieder des Lebens Schönheit preisen,
so oft ihm auch des Lebens Druck erscheint. Mit sehr viel heftigem Akkorden und
freilich mit nicht so reifer Beherrschung der Form sucht sich Armin T. Wegner
emporzuringen zur Lebensbejahung. Sein Buch „Zwischen zwei Städten"
(Berlin, Fleischel) ist lyrisch, überhaupt dichterisch nicht sehr stark. Trotzdem
steckt viel darin, wenn mans einmal rein als Dokument betrachtet. Wie ein
Kind die Weltstadt empfängt, wie der Jüngling zu Pflug und Sense zurück-


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[0180] Neue Lyrik diesen kleinen Stücken jugendlicher Sehnsucht. Lockende Träume umflattern die junge Seele, die zwischen Erde und Himmel schwebt, die ihrer Kraft noch nicht recht vertraut. Max Dauthendey hat einst durch verstiegne, die Parodierung förmlich herausfordernde Verse Aufsehen erregt; seine neuere Entwicklung zeigt aber, daß er solche Verkleidung gar nicht braucht, daß er ein echter Poet ist. Nicht eben von großer Tiefe. Aber seine Bände „Der weiße Schlaf" und „In sich versunkene Lieder im Laub" (Stuttgart, Axel Juncker) geben frische, quellende Liebesgedichte, unbefangne lyrische Darstellung, Herzenstöne einer Natur, die in sich und um sich zu lauschen weiß. Der Tonfall von Dauthendeys Versen ist jetzt schmucklos, natürlich, sein Klang hat echte Lebenswärme. Als Verse eines früh Verstorbnen werden uns die „Gedichte" von Wolf Grafen von Kalckreuth (Leipzig, Inselverlag) gebracht, und sie zeigen in der Tat alle Eigenschaften, die wir immer wieder in der Kunst so zeitig Abberufner finden. Da ist der ewige Kampf mit dem Leben, das den jungen Schultern schon zu schwer dünkt, das den jungen Augen schon umdüstert erscheint, und hinter dem sie die Hoffnung einer unbestimmten Erfüllung suchen. Das alles drückt sich bei Kalckreuth noch nicht reif aus; aber die feine Färbung, mit der er etwa holländische Landschaften und Städte festhielt, zeigt, daß die ererbte Begabung hier fähig war, malerische Eindrücke in poetische umzusetzen. Da heißt es in Scheveningen: Unendlich dehnt das Meer sein graues Reich, Verschwimmen» in dem Dunst der fahlen Weiten. Die Lüfte schweigen, und die Wasser gleiten Nur sacht empor an Sandgestad und Deich. Der späte Regentag ward trüb und bleich Und will in nahe Finsternis entschreiten, Wo sich die riesenhaften Dünen breiten, An uferloser Schwermut allzu reich. Eine glücklichere Jugend tönt aus der „Rosenkante" von Hans Müller (Berlin, Egon Fleischel Co.); da möchte ein für jeden weichen Eindruck der Umwelt empfängliches Herz doch immer wieder des Lebens Schönheit preisen, so oft ihm auch des Lebens Druck erscheint. Mit sehr viel heftigem Akkorden und freilich mit nicht so reifer Beherrschung der Form sucht sich Armin T. Wegner emporzuringen zur Lebensbejahung. Sein Buch „Zwischen zwei Städten" (Berlin, Fleischel) ist lyrisch, überhaupt dichterisch nicht sehr stark. Trotzdem steckt viel darin, wenn mans einmal rein als Dokument betrachtet. Wie ein Kind die Weltstadt empfängt, wie der Jüngling zu Pflug und Sense zurück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/180>, abgerufen am 22.12.2024.