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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Englische Eigenart

daß man in einem englischen Gasthaus kein ehrliches, schmackhaftes Beefsteak
oder Hammelkotelett mehr bekommt. Wiederholt begegnete es mir, daß mir
sehniges, zusammengekratztes Zeug vorgesetzt wurde, wobei mir der schönste
Appetit verging. In einem Hotel -- sage, Hotel! -- flößten mir einmal die
zermcmtschten Kartoffeln und der zähklebrige Kohl einen solchen Ekel ein, daß
ich beinah erkrankte. Als Lendenbraten figuriert gewöhnlich ein Stück Fleisch,
das mager, saftlos und im Ofenrohr gedörrt ist. Mit dem Frühstücksbrot ist
es um kein Haar besser; es schmeckt nach Salpeter. Von dem giftig bittern
Tee und den: Spülwasser von Kaffee mag ich gar nicht reden, um mich nicht
gar zu sehr zu ärgern. Und dieses Ale! Woher kommt die allgemeine Un¬
zufriedenheit damit? Noch liefern die meisten Brauereien ein gesundes, er¬
frischendes Getränk, aber es gibt sehr viele und betrübende Ausnahmen. Die
Schuld liegt ohne Zweifel an der Abnahme der Geschicklichkeit beim Brauen
und an der Zunahme der Unachtsamkeit, wenn nicht gar an niederträchtiger
Verfälschung. Es wird noch so weit kommen -- ich seh es voraus --, daß die
Engländer das Bierbrauen ganz verlernen; dann wird unsre einzige Rettung
sein -- ein Schluck kräftigen Münchner Bieres.

Allgemein verbreitet ist das herbe Urteil über unsre englische Küche.
Unsre Köchinnen nennt man schwerfällige und geistig beschränkte Geschöpfe, die
nur das sieben und Braten verstehn. Unsre Gerichte gelten als fad und
sogar als widerlich, einzig für Menschen mit Wolfshunger genießbar; unser
Brot als das schlechteste und unverdaulichste in ganz Europa, unser Gemüse
als ein Mischmasch, woran sich höchstens ein gefräßiges Ungeheuer, doch kein
gebildeter Mensch laben könnte. Unsre warmen Getränke, dem Namen nach
Kaffee und Tee, werden so nachlässig und unverständig hergerichtet, daß sie all
der Vorzüge entbehren, derentwegen sie im Auslande geschätzt sind.

Zur Entschuldigung könnte man allerlei anführen, wie zum Beispiel, daß
die Volksklasse, die die Dienstboten liefert, ungeschliffen und dumm sei, und
was sie an Geschicklichkeit leistet, fast auf gleicher Höhe mit der Kunst der
Wilden stehe. Doch sind auch die Vorwürfe im allgemeinen nicht nur arg
übertrieben, sondern auch ungerecht. Ich möchte behaupten: im großen und
ganzen ist die englische Küche die gesündeste und schmackhafteste, die man in der
gemäßigten Zone finden kann. Nur läßt es sich nicht leugnen, diesen hohen
Standpunkt der Kultur haben wir ohne unser Zutun und Wissen erreicht.
Die gewöhnliche englische Köchin hat auf nichts andres Bedacht, als die
Speisen möglichst nahrhaft zu machen. Die fertigen Gerichte offenbaren ein
kulinarisches Prinzip, das nicht einfacher, zweckmäßiger und vernünftiger erdacht
werden kann, nämlich: aus dem rohen Stoff alles, was an Saft und natür¬
licher Würze darin enthalten ist, einem gesunden Gaumen schmeckbar zumachen.
In dieser Hinsicht sind wir Engländer entschieden eine hervorragende Nation,
vorausgesetzt, daß unsre Köchin nur ein bißchen angebornes oder angelerntes
Geschick hat. Unser Rindfleisch ist wirkliches Rindfleisch, das beste, das man
unter der Sonne zu essen bekommt. Unser Hammelbraten ist Hammelbraten


Englische Eigenart

daß man in einem englischen Gasthaus kein ehrliches, schmackhaftes Beefsteak
oder Hammelkotelett mehr bekommt. Wiederholt begegnete es mir, daß mir
sehniges, zusammengekratztes Zeug vorgesetzt wurde, wobei mir der schönste
Appetit verging. In einem Hotel — sage, Hotel! — flößten mir einmal die
zermcmtschten Kartoffeln und der zähklebrige Kohl einen solchen Ekel ein, daß
ich beinah erkrankte. Als Lendenbraten figuriert gewöhnlich ein Stück Fleisch,
das mager, saftlos und im Ofenrohr gedörrt ist. Mit dem Frühstücksbrot ist
es um kein Haar besser; es schmeckt nach Salpeter. Von dem giftig bittern
Tee und den: Spülwasser von Kaffee mag ich gar nicht reden, um mich nicht
gar zu sehr zu ärgern. Und dieses Ale! Woher kommt die allgemeine Un¬
zufriedenheit damit? Noch liefern die meisten Brauereien ein gesundes, er¬
frischendes Getränk, aber es gibt sehr viele und betrübende Ausnahmen. Die
Schuld liegt ohne Zweifel an der Abnahme der Geschicklichkeit beim Brauen
und an der Zunahme der Unachtsamkeit, wenn nicht gar an niederträchtiger
Verfälschung. Es wird noch so weit kommen — ich seh es voraus —, daß die
Engländer das Bierbrauen ganz verlernen; dann wird unsre einzige Rettung
sein — ein Schluck kräftigen Münchner Bieres.

Allgemein verbreitet ist das herbe Urteil über unsre englische Küche.
Unsre Köchinnen nennt man schwerfällige und geistig beschränkte Geschöpfe, die
nur das sieben und Braten verstehn. Unsre Gerichte gelten als fad und
sogar als widerlich, einzig für Menschen mit Wolfshunger genießbar; unser
Brot als das schlechteste und unverdaulichste in ganz Europa, unser Gemüse
als ein Mischmasch, woran sich höchstens ein gefräßiges Ungeheuer, doch kein
gebildeter Mensch laben könnte. Unsre warmen Getränke, dem Namen nach
Kaffee und Tee, werden so nachlässig und unverständig hergerichtet, daß sie all
der Vorzüge entbehren, derentwegen sie im Auslande geschätzt sind.

Zur Entschuldigung könnte man allerlei anführen, wie zum Beispiel, daß
die Volksklasse, die die Dienstboten liefert, ungeschliffen und dumm sei, und
was sie an Geschicklichkeit leistet, fast auf gleicher Höhe mit der Kunst der
Wilden stehe. Doch sind auch die Vorwürfe im allgemeinen nicht nur arg
übertrieben, sondern auch ungerecht. Ich möchte behaupten: im großen und
ganzen ist die englische Küche die gesündeste und schmackhafteste, die man in der
gemäßigten Zone finden kann. Nur läßt es sich nicht leugnen, diesen hohen
Standpunkt der Kultur haben wir ohne unser Zutun und Wissen erreicht.
Die gewöhnliche englische Köchin hat auf nichts andres Bedacht, als die
Speisen möglichst nahrhaft zu machen. Die fertigen Gerichte offenbaren ein
kulinarisches Prinzip, das nicht einfacher, zweckmäßiger und vernünftiger erdacht
werden kann, nämlich: aus dem rohen Stoff alles, was an Saft und natür¬
licher Würze darin enthalten ist, einem gesunden Gaumen schmeckbar zumachen.
In dieser Hinsicht sind wir Engländer entschieden eine hervorragende Nation,
vorausgesetzt, daß unsre Köchin nur ein bißchen angebornes oder angelerntes
Geschick hat. Unser Rindfleisch ist wirkliches Rindfleisch, das beste, das man
unter der Sonne zu essen bekommt. Unser Hammelbraten ist Hammelbraten


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[0167] Englische Eigenart daß man in einem englischen Gasthaus kein ehrliches, schmackhaftes Beefsteak oder Hammelkotelett mehr bekommt. Wiederholt begegnete es mir, daß mir sehniges, zusammengekratztes Zeug vorgesetzt wurde, wobei mir der schönste Appetit verging. In einem Hotel — sage, Hotel! — flößten mir einmal die zermcmtschten Kartoffeln und der zähklebrige Kohl einen solchen Ekel ein, daß ich beinah erkrankte. Als Lendenbraten figuriert gewöhnlich ein Stück Fleisch, das mager, saftlos und im Ofenrohr gedörrt ist. Mit dem Frühstücksbrot ist es um kein Haar besser; es schmeckt nach Salpeter. Von dem giftig bittern Tee und den: Spülwasser von Kaffee mag ich gar nicht reden, um mich nicht gar zu sehr zu ärgern. Und dieses Ale! Woher kommt die allgemeine Un¬ zufriedenheit damit? Noch liefern die meisten Brauereien ein gesundes, er¬ frischendes Getränk, aber es gibt sehr viele und betrübende Ausnahmen. Die Schuld liegt ohne Zweifel an der Abnahme der Geschicklichkeit beim Brauen und an der Zunahme der Unachtsamkeit, wenn nicht gar an niederträchtiger Verfälschung. Es wird noch so weit kommen — ich seh es voraus —, daß die Engländer das Bierbrauen ganz verlernen; dann wird unsre einzige Rettung sein — ein Schluck kräftigen Münchner Bieres. Allgemein verbreitet ist das herbe Urteil über unsre englische Küche. Unsre Köchinnen nennt man schwerfällige und geistig beschränkte Geschöpfe, die nur das sieben und Braten verstehn. Unsre Gerichte gelten als fad und sogar als widerlich, einzig für Menschen mit Wolfshunger genießbar; unser Brot als das schlechteste und unverdaulichste in ganz Europa, unser Gemüse als ein Mischmasch, woran sich höchstens ein gefräßiges Ungeheuer, doch kein gebildeter Mensch laben könnte. Unsre warmen Getränke, dem Namen nach Kaffee und Tee, werden so nachlässig und unverständig hergerichtet, daß sie all der Vorzüge entbehren, derentwegen sie im Auslande geschätzt sind. Zur Entschuldigung könnte man allerlei anführen, wie zum Beispiel, daß die Volksklasse, die die Dienstboten liefert, ungeschliffen und dumm sei, und was sie an Geschicklichkeit leistet, fast auf gleicher Höhe mit der Kunst der Wilden stehe. Doch sind auch die Vorwürfe im allgemeinen nicht nur arg übertrieben, sondern auch ungerecht. Ich möchte behaupten: im großen und ganzen ist die englische Küche die gesündeste und schmackhafteste, die man in der gemäßigten Zone finden kann. Nur läßt es sich nicht leugnen, diesen hohen Standpunkt der Kultur haben wir ohne unser Zutun und Wissen erreicht. Die gewöhnliche englische Köchin hat auf nichts andres Bedacht, als die Speisen möglichst nahrhaft zu machen. Die fertigen Gerichte offenbaren ein kulinarisches Prinzip, das nicht einfacher, zweckmäßiger und vernünftiger erdacht werden kann, nämlich: aus dem rohen Stoff alles, was an Saft und natür¬ licher Würze darin enthalten ist, einem gesunden Gaumen schmeckbar zumachen. In dieser Hinsicht sind wir Engländer entschieden eine hervorragende Nation, vorausgesetzt, daß unsre Köchin nur ein bißchen angebornes oder angelerntes Geschick hat. Unser Rindfleisch ist wirkliches Rindfleisch, das beste, das man unter der Sonne zu essen bekommt. Unser Hammelbraten ist Hammelbraten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/167>, abgerufen am 26.06.2024.