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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Kurpfuscher und soziale Pfuscher

Künstler und Pfuscher ... es ist der Angelpunkt der Betrachtung für diese
Dinge. Wer das nicht zu scheiden vermag, fällt den Pfuschern in die Hände
und spürt es über kurz oder lang an Kasse, Leib und Leben.

Daß der Arzt ein Künstler sein müsse, haben bedeutende Ärzte schon
immer betont: nicht nur Künstler aus der Hand, ein handfertiger. Handwerker¬
künstler, obgleich dies für den Operateur von der größten Wichtigkeit ist.
Nein, darüber hinaus: ein echter Künstler, der aus dem Herzen und aus Über¬
zeugung schafft, dem es ernst ist um das, was er kann, und der sein Wissen
immer wieder über die Flamme hält, um zu prüfen, ob es wahr und rein
bleibt. Daß es einzelne Ärzte gibt, die anders sind, soll nicht bestritten
werden, ebensowenig, daß es einzelne Kurpfuscher gibt, die diesen Anforderungen
entsprechen könnten, aber der Typus gibt den Ausschlag.

Dreierlei gehört zum Typus eines Kurpfuschers:

Erstens die Anpreisung, etwas Besondres zu leisten, "nicht von der
Menschen, sondern von Gottes Gnaden" ein Arzt zu sein, wie sich in der
Tat ein gewisser Kurpfuscher Jacoby in Berlin nannte, also übernatürliche
besondre Kräfte zu verwenden, und wäre dies auch nur Wasser, Lehm oder
Wahnvorstellung. Volksbeglücker geben sie vor zu sein, wie es manche
Soziologen, Sozialisten und Utopisten ebenso vorgeben.

Zweitens: die Heilkraft des Gebräus oder die Wunderkraft der Gebete
"luß geglaubt werden, obwohl oder gerade weil sie wissenschaftlich kausal nicht
bewiesen werden kann. Statt des langsamen Ganges der Kausalzusammenhänge
kürzeres Überspringen von Ursache zur Wirkung: Kurzschluß. Das Magentrünklein
wirkt nicht, weil es das Magenübel heilt, sondern durch Kurzschluß ins Gehirn,
das da glaubt, das Magentränklein heile das Übel. Also eine Anwendung nicht
kausal dienender Kräfte zu falschem Ergebnis, gerade so wie beim Spiel wirt¬
schaftliche Folgen an Voraussetzungen geknüpft werden, die in Wahrheit gar
nichts damit zu tun haben. Zum Volksbeglücker also kommt der Spieler.

Drittens: das Ganze muß gewerbsmäßig geschehen. Daß das Geld im
Kasten klingt, das ist der Endzweck, der "unter Ausbeutung der Notlage, des
Leichtsinns und der Unerfahrenheit" -- vulgo "der Dummheit" -- erreicht
wird. Damit berührt sich der Kurpfuscher mit dem Wucherer.

Volksbeglücker, Spieler und Wucherer; das wird uns bald den Aufschluß
über die verwandten sozialen Pfuscher geben. Doch zunächst noch ein paar
Worte über den Kurpfuscher!

Volksbeglückern, Spieler" und Wucherern schenkt aber keiner Gehör, der mit
offnen, wachen Sinnen durch die Welt geht und sich nicht durch Notlage, Leicht¬
sinn oder Unerfahrenheit bei seinem Handeln bestimmen läßt. Es gilt also, die
allgemeine Bildung zu heben, zu warnen vor den gefährdenden Heilkünstlern,
ihr Treiben offenkundig zu machen, ihre Praktiken niedriger zu Hunger.

Zunächst hüte man sich vor dem Menschenfreund, der -- lediglich aus
Dankbarkeit! -- ein Geheilter! -- in Zeitungsinseraten völlig gratis Leidenden


Grenzboten IN 1S09 16
Kurpfuscher und soziale Pfuscher

Künstler und Pfuscher ... es ist der Angelpunkt der Betrachtung für diese
Dinge. Wer das nicht zu scheiden vermag, fällt den Pfuschern in die Hände
und spürt es über kurz oder lang an Kasse, Leib und Leben.

Daß der Arzt ein Künstler sein müsse, haben bedeutende Ärzte schon
immer betont: nicht nur Künstler aus der Hand, ein handfertiger. Handwerker¬
künstler, obgleich dies für den Operateur von der größten Wichtigkeit ist.
Nein, darüber hinaus: ein echter Künstler, der aus dem Herzen und aus Über¬
zeugung schafft, dem es ernst ist um das, was er kann, und der sein Wissen
immer wieder über die Flamme hält, um zu prüfen, ob es wahr und rein
bleibt. Daß es einzelne Ärzte gibt, die anders sind, soll nicht bestritten
werden, ebensowenig, daß es einzelne Kurpfuscher gibt, die diesen Anforderungen
entsprechen könnten, aber der Typus gibt den Ausschlag.

Dreierlei gehört zum Typus eines Kurpfuschers:

Erstens die Anpreisung, etwas Besondres zu leisten, „nicht von der
Menschen, sondern von Gottes Gnaden" ein Arzt zu sein, wie sich in der
Tat ein gewisser Kurpfuscher Jacoby in Berlin nannte, also übernatürliche
besondre Kräfte zu verwenden, und wäre dies auch nur Wasser, Lehm oder
Wahnvorstellung. Volksbeglücker geben sie vor zu sein, wie es manche
Soziologen, Sozialisten und Utopisten ebenso vorgeben.

Zweitens: die Heilkraft des Gebräus oder die Wunderkraft der Gebete
"luß geglaubt werden, obwohl oder gerade weil sie wissenschaftlich kausal nicht
bewiesen werden kann. Statt des langsamen Ganges der Kausalzusammenhänge
kürzeres Überspringen von Ursache zur Wirkung: Kurzschluß. Das Magentrünklein
wirkt nicht, weil es das Magenübel heilt, sondern durch Kurzschluß ins Gehirn,
das da glaubt, das Magentränklein heile das Übel. Also eine Anwendung nicht
kausal dienender Kräfte zu falschem Ergebnis, gerade so wie beim Spiel wirt¬
schaftliche Folgen an Voraussetzungen geknüpft werden, die in Wahrheit gar
nichts damit zu tun haben. Zum Volksbeglücker also kommt der Spieler.

Drittens: das Ganze muß gewerbsmäßig geschehen. Daß das Geld im
Kasten klingt, das ist der Endzweck, der „unter Ausbeutung der Notlage, des
Leichtsinns und der Unerfahrenheit" — vulgo „der Dummheit" — erreicht
wird. Damit berührt sich der Kurpfuscher mit dem Wucherer.

Volksbeglücker, Spieler und Wucherer; das wird uns bald den Aufschluß
über die verwandten sozialen Pfuscher geben. Doch zunächst noch ein paar
Worte über den Kurpfuscher!

Volksbeglückern, Spieler« und Wucherern schenkt aber keiner Gehör, der mit
offnen, wachen Sinnen durch die Welt geht und sich nicht durch Notlage, Leicht¬
sinn oder Unerfahrenheit bei seinem Handeln bestimmen läßt. Es gilt also, die
allgemeine Bildung zu heben, zu warnen vor den gefährdenden Heilkünstlern,
ihr Treiben offenkundig zu machen, ihre Praktiken niedriger zu Hunger.

Zunächst hüte man sich vor dem Menschenfreund, der — lediglich aus
Dankbarkeit! — ein Geheilter! — in Zeitungsinseraten völlig gratis Leidenden


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[0125] Kurpfuscher und soziale Pfuscher Künstler und Pfuscher ... es ist der Angelpunkt der Betrachtung für diese Dinge. Wer das nicht zu scheiden vermag, fällt den Pfuschern in die Hände und spürt es über kurz oder lang an Kasse, Leib und Leben. Daß der Arzt ein Künstler sein müsse, haben bedeutende Ärzte schon immer betont: nicht nur Künstler aus der Hand, ein handfertiger. Handwerker¬ künstler, obgleich dies für den Operateur von der größten Wichtigkeit ist. Nein, darüber hinaus: ein echter Künstler, der aus dem Herzen und aus Über¬ zeugung schafft, dem es ernst ist um das, was er kann, und der sein Wissen immer wieder über die Flamme hält, um zu prüfen, ob es wahr und rein bleibt. Daß es einzelne Ärzte gibt, die anders sind, soll nicht bestritten werden, ebensowenig, daß es einzelne Kurpfuscher gibt, die diesen Anforderungen entsprechen könnten, aber der Typus gibt den Ausschlag. Dreierlei gehört zum Typus eines Kurpfuschers: Erstens die Anpreisung, etwas Besondres zu leisten, „nicht von der Menschen, sondern von Gottes Gnaden" ein Arzt zu sein, wie sich in der Tat ein gewisser Kurpfuscher Jacoby in Berlin nannte, also übernatürliche besondre Kräfte zu verwenden, und wäre dies auch nur Wasser, Lehm oder Wahnvorstellung. Volksbeglücker geben sie vor zu sein, wie es manche Soziologen, Sozialisten und Utopisten ebenso vorgeben. Zweitens: die Heilkraft des Gebräus oder die Wunderkraft der Gebete "luß geglaubt werden, obwohl oder gerade weil sie wissenschaftlich kausal nicht bewiesen werden kann. Statt des langsamen Ganges der Kausalzusammenhänge kürzeres Überspringen von Ursache zur Wirkung: Kurzschluß. Das Magentrünklein wirkt nicht, weil es das Magenübel heilt, sondern durch Kurzschluß ins Gehirn, das da glaubt, das Magentränklein heile das Übel. Also eine Anwendung nicht kausal dienender Kräfte zu falschem Ergebnis, gerade so wie beim Spiel wirt¬ schaftliche Folgen an Voraussetzungen geknüpft werden, die in Wahrheit gar nichts damit zu tun haben. Zum Volksbeglücker also kommt der Spieler. Drittens: das Ganze muß gewerbsmäßig geschehen. Daß das Geld im Kasten klingt, das ist der Endzweck, der „unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns und der Unerfahrenheit" — vulgo „der Dummheit" — erreicht wird. Damit berührt sich der Kurpfuscher mit dem Wucherer. Volksbeglücker, Spieler und Wucherer; das wird uns bald den Aufschluß über die verwandten sozialen Pfuscher geben. Doch zunächst noch ein paar Worte über den Kurpfuscher! Volksbeglückern, Spieler« und Wucherern schenkt aber keiner Gehör, der mit offnen, wachen Sinnen durch die Welt geht und sich nicht durch Notlage, Leicht¬ sinn oder Unerfahrenheit bei seinem Handeln bestimmen läßt. Es gilt also, die allgemeine Bildung zu heben, zu warnen vor den gefährdenden Heilkünstlern, ihr Treiben offenkundig zu machen, ihre Praktiken niedriger zu Hunger. Zunächst hüte man sich vor dem Menschenfreund, der — lediglich aus Dankbarkeit! — ein Geheilter! — in Zeitungsinseraten völlig gratis Leidenden Grenzboten IN 1S09 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/125>, abgerufen am 22.07.2024.