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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zur Auswanderung nach Brasilien

betroffen, lind man ging wirklich mit Feuer und Schwert vor, säuberte von
Deutschen besetzte Striche und gab sie Italienern. Das gab denn nun doch
der germanischen Langmut einen Stoß, ein gewaltiges Murren erhob sich, es
hagelte Proteste. Selbst der deutsche Gesandte in Rio de Janeiro, Herr
Baron von Treutler, wurde angerufen und ging dorthin, um sich den Fall
anzusehen, erklärte jedoch diese Angelegenheit für außerhalb des Bereichs seiner
Kompetenz liegend, da die geschädigten Kolonisten nicht mehr deutsche Neichs-
angehörige wären. Jedenfalls merkte die Regierung, daß sich der Sturm nicht
so leicht würde beschwichtigen lassen, und hielt es für angemessen, abzuwiegeln.
Sie erklärte, die Angelegenheit auf sich beruhen lassen und den Kolonisten, die
schon gezahlt hatten, das Geld zurückerstatten oder ihnen Land anweisen zu
wollen. Diese Entschädigung der Expropriierten ist bis jetzt noch nicht zum
Abschluß gelangt, und es werden darüber Klagen der Kolonisten laut, daß das
ihnen angewiesne Land kein vollwertiger Ersatz für das Verlorne sei.

Die Aufregung über die "Landbereinigung" hatte sich noch nicht gelegt,
als auch Professor Dr. Jannasch in Rio Grande eintraf, um nochmals die
Bedingungen für deutsche Einwandrung an Ort und Stelle zu studieren. Er
wurde von der Regierung mit großer Freundlichkeit behandelt, mit Aufmerk¬
samkeiten überhäuft, es wurde ihm aber bedeutet, daß Rio Grande nicht für
die Aufnahme von Immigranten vorbereitet sei, daß es erst die hier befind¬
lichen fremden Elemente "assimilieren" müßte.

Jetzt, wo die Bundesregierung alle Hebel in Bewegung setzt, um die
äußerst günstige Konjunktur der nordamerikanischen Übersättigung mit Leuten
und der Brasilien von Europa entgegengebrachten Sympathie zur Ablenkung
des Auswandrerstroms hierher zu benutzen, erklärt die Riograndenser Staats¬
regierung peremptorisch, daß sie Guarany als Staatskolonie betrachte, auf die
sie der Bundesregierung keinen Einfluß einräume, und daß die von dieser ge¬
machten Versprechungen keine bindende Kraft für Rio Grande hätten.

Vielleicht wird die Bundesregierung, die doch nicht gern als wortbrüchig
wird dastehn wollen, irgend etwas tun, damit die enormen Summen, die sie
zu Besiedlungszwecken ausgibt, nicht einfach eine Propaganda für den Mi߬
kredit Brasiliens unterhalten und dazu dienen, allen Auswandrungslustigeu
einen heilsamen Schrecken einzujagen; hoffentlich übt sie einen sanften Druck
auf die Riograndenser Staatsregierung aus, um dieser ein besseres Verständnis
für die enormen Vorteile der Einwandrung aufzunötigen, oder sie schließt
Rio Grande aus ihrem Kolonisationsprogramm aus. Jedenfalls ist von einer
Auswandrung nach Rio Grande do Sui, solange die dortige Regierung nicht
ihren Standpunkt radikal ändert, entschieden abzuraten.




Zur Auswanderung nach Brasilien

betroffen, lind man ging wirklich mit Feuer und Schwert vor, säuberte von
Deutschen besetzte Striche und gab sie Italienern. Das gab denn nun doch
der germanischen Langmut einen Stoß, ein gewaltiges Murren erhob sich, es
hagelte Proteste. Selbst der deutsche Gesandte in Rio de Janeiro, Herr
Baron von Treutler, wurde angerufen und ging dorthin, um sich den Fall
anzusehen, erklärte jedoch diese Angelegenheit für außerhalb des Bereichs seiner
Kompetenz liegend, da die geschädigten Kolonisten nicht mehr deutsche Neichs-
angehörige wären. Jedenfalls merkte die Regierung, daß sich der Sturm nicht
so leicht würde beschwichtigen lassen, und hielt es für angemessen, abzuwiegeln.
Sie erklärte, die Angelegenheit auf sich beruhen lassen und den Kolonisten, die
schon gezahlt hatten, das Geld zurückerstatten oder ihnen Land anweisen zu
wollen. Diese Entschädigung der Expropriierten ist bis jetzt noch nicht zum
Abschluß gelangt, und es werden darüber Klagen der Kolonisten laut, daß das
ihnen angewiesne Land kein vollwertiger Ersatz für das Verlorne sei.

Die Aufregung über die „Landbereinigung" hatte sich noch nicht gelegt,
als auch Professor Dr. Jannasch in Rio Grande eintraf, um nochmals die
Bedingungen für deutsche Einwandrung an Ort und Stelle zu studieren. Er
wurde von der Regierung mit großer Freundlichkeit behandelt, mit Aufmerk¬
samkeiten überhäuft, es wurde ihm aber bedeutet, daß Rio Grande nicht für
die Aufnahme von Immigranten vorbereitet sei, daß es erst die hier befind¬
lichen fremden Elemente „assimilieren" müßte.

Jetzt, wo die Bundesregierung alle Hebel in Bewegung setzt, um die
äußerst günstige Konjunktur der nordamerikanischen Übersättigung mit Leuten
und der Brasilien von Europa entgegengebrachten Sympathie zur Ablenkung
des Auswandrerstroms hierher zu benutzen, erklärt die Riograndenser Staats¬
regierung peremptorisch, daß sie Guarany als Staatskolonie betrachte, auf die
sie der Bundesregierung keinen Einfluß einräume, und daß die von dieser ge¬
machten Versprechungen keine bindende Kraft für Rio Grande hätten.

Vielleicht wird die Bundesregierung, die doch nicht gern als wortbrüchig
wird dastehn wollen, irgend etwas tun, damit die enormen Summen, die sie
zu Besiedlungszwecken ausgibt, nicht einfach eine Propaganda für den Mi߬
kredit Brasiliens unterhalten und dazu dienen, allen Auswandrungslustigeu
einen heilsamen Schrecken einzujagen; hoffentlich übt sie einen sanften Druck
auf die Riograndenser Staatsregierung aus, um dieser ein besseres Verständnis
für die enormen Vorteile der Einwandrung aufzunötigen, oder sie schließt
Rio Grande aus ihrem Kolonisationsprogramm aus. Jedenfalls ist von einer
Auswandrung nach Rio Grande do Sui, solange die dortige Regierung nicht
ihren Standpunkt radikal ändert, entschieden abzuraten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/123>, abgerufen am 22.07.2024.