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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Lines Tore" lvaldfahrt

Das Mädchen ließ plötzlich die Hand ihres Gefährten los und sah sich um:
Du, Jan, müssen wir nicht umkehren? Wenn wir uns nnn verirren?

Und nie wieder heraus finden? Wäre das so schlimm, Franke? Denk mal, du
und ich immer allein! Aber sei ruhig, ich weiß genau den Rückweg. Komm, laß
uns noch einen Augenblick hier sitzen, hier auf dieser Baumwurzel I Komm!

Und nun sagten sie sichs wieder und wieder, das Wort, das ihnen dieser Tag
vor kurzer Zeit gebracht hatte: Ich hab dich lieb! Und berauschten sich an seinem
seligen Klang und an dem Bewußtsein, sich nach bitterm Entbehren wiedergefunden
zu haben. Dabei kam Franke wieder die Erinnerung an die Ursache der trüben
Stunden gestern und heute morgen.

Jan, wie ist es möglich, daß Momme Tetens dir das sagen konnte? Wie
unglücklich bin ich gewesen deshalb! -- Ich anch, Frauke! Der Bengel hat uns
beide belogen!

Das junge Mädchen stand ans und strich sich das Haar zurecht; ihre Stirn
faltete sich zornig, als sie antwortete: Pfui, wie ist das häßlich! Momme lügt -- das
hätte ich ihm nie zugetraut! Ich mag ihn gar nicht wiedersehen -- bald hätte er
uns beide unglücklich gemacht. Was wird Vater sagen, wenn er das hört?

Jan Ions legte den Arm um ihren Nacken: Denk jetzt nicht mehr dran, Lieb!
Komm, wir müssen zurück, sonst suchen sie uns!----

Momme Tetens kam schwerfällig hoch. Taumelnd stemmte er beide Hände
an den Baumstamm und preßte dann seinen Kopf dagegen: Was nun? Herr Gott,
was nun? War es denn wirklich wahr, was er soeben erlebt hatte? Sein
schönster, sein heimlichster Traum wie sprödes Glas zersprungen... Und das im
Wald, in seinem Wald? Er hatte hier gelegen und gewartet, daß das Glück
kommen würde -- er hatte es so sicher gewußt, daß der Wald seine Schönheit
noch krönen würde mit einem Übermaß von Wunderbarem, mit einem letzten seligsten
Schmuck! Und nun? -- Er lachte höhnisch auf, während ihm die Tränen in die
Augen schössen: gerade hier hatte ers lernen müssen, wie weit sich seine Träume
verstiegen hatten. Die bittere Enttäuschung machte sich Luft in einem blindwütigen
Zorn; er ballte die Hände und schüttelte sie drohend gegen die Bäume: Bin ich
darum hergekommen? Hab ich mich darum so gefreut, daß ich die Nächte hindurch
wach gelegen habe? Jawohl, das lohnte sich auch! Jawohl -- ich bin ein armer
Knecht -- und sie und der andre -- ist das hier auch so? Rechnest du auch so?

Er sah sich wirr im Kreise um -- sahen ihn die Bäume nicht alle mit höhnisch
lächelnden Gesichtern an? Sie freuten sich alle des Toren, des großen blinden
Toren! Da übermannte ihn das Weh und das Mitleid mit sich selbst, er warf
sich auf den Boden und wühlte feinen Kopf in das Moos, um das Schluchzen zu
ersticken.

Aber nach einem kurzen Augenblick sprang er wieder auf, er wollte hinaus
i"s Freie, er ertrug es hier nicht länger -- wie Haß gegen den Wald brannte
es ihm im Herzen. Noch einmal kam ihm blitzartig die Erinnerung an die Tage,
wo ihn die heiße Sehnsucht hierher ganz ausgefüllt hatte, wo sein ganzes Sinnen
und Trachten der heutigen Fahrt gegolten hatte. Ja. recht hast du, Franke
Hartwich! -- gelogen hatte er deshalb! Ihre verurteilenden Worte brausten ihm
im Ohr, und ihm war, als müßte er sich dagegen wehren, als dürfe es nicht wahr
sein, was sie gesagt hatte. Und dennoch wußte er nur zu genau, daß sie recht
hatte mit ihrer Verachtung. Gestern hatte er anders darüber gedacht, gestern war
ihm seine Lüge wie der erste eigne Verdienst am künftigen Glück vorgekommen --
nicht anders, als ob er sich selber ein Stück Brot genommen hätte, das die Mutter
vergaß, ihm hinzustellen. Und jetzt suchte er vergeblich nach einem Rest von dem


Grenzboten til I90S ^
Lines Tore» lvaldfahrt

Das Mädchen ließ plötzlich die Hand ihres Gefährten los und sah sich um:
Du, Jan, müssen wir nicht umkehren? Wenn wir uns nnn verirren?

Und nie wieder heraus finden? Wäre das so schlimm, Franke? Denk mal, du
und ich immer allein! Aber sei ruhig, ich weiß genau den Rückweg. Komm, laß
uns noch einen Augenblick hier sitzen, hier auf dieser Baumwurzel I Komm!

Und nun sagten sie sichs wieder und wieder, das Wort, das ihnen dieser Tag
vor kurzer Zeit gebracht hatte: Ich hab dich lieb! Und berauschten sich an seinem
seligen Klang und an dem Bewußtsein, sich nach bitterm Entbehren wiedergefunden
zu haben. Dabei kam Franke wieder die Erinnerung an die Ursache der trüben
Stunden gestern und heute morgen.

Jan, wie ist es möglich, daß Momme Tetens dir das sagen konnte? Wie
unglücklich bin ich gewesen deshalb! — Ich anch, Frauke! Der Bengel hat uns
beide belogen!

Das junge Mädchen stand ans und strich sich das Haar zurecht; ihre Stirn
faltete sich zornig, als sie antwortete: Pfui, wie ist das häßlich! Momme lügt — das
hätte ich ihm nie zugetraut! Ich mag ihn gar nicht wiedersehen — bald hätte er
uns beide unglücklich gemacht. Was wird Vater sagen, wenn er das hört?

Jan Ions legte den Arm um ihren Nacken: Denk jetzt nicht mehr dran, Lieb!
Komm, wir müssen zurück, sonst suchen sie uns!--—

Momme Tetens kam schwerfällig hoch. Taumelnd stemmte er beide Hände
an den Baumstamm und preßte dann seinen Kopf dagegen: Was nun? Herr Gott,
was nun? War es denn wirklich wahr, was er soeben erlebt hatte? Sein
schönster, sein heimlichster Traum wie sprödes Glas zersprungen... Und das im
Wald, in seinem Wald? Er hatte hier gelegen und gewartet, daß das Glück
kommen würde — er hatte es so sicher gewußt, daß der Wald seine Schönheit
noch krönen würde mit einem Übermaß von Wunderbarem, mit einem letzten seligsten
Schmuck! Und nun? — Er lachte höhnisch auf, während ihm die Tränen in die
Augen schössen: gerade hier hatte ers lernen müssen, wie weit sich seine Träume
verstiegen hatten. Die bittere Enttäuschung machte sich Luft in einem blindwütigen
Zorn; er ballte die Hände und schüttelte sie drohend gegen die Bäume: Bin ich
darum hergekommen? Hab ich mich darum so gefreut, daß ich die Nächte hindurch
wach gelegen habe? Jawohl, das lohnte sich auch! Jawohl — ich bin ein armer
Knecht — und sie und der andre — ist das hier auch so? Rechnest du auch so?

Er sah sich wirr im Kreise um — sahen ihn die Bäume nicht alle mit höhnisch
lächelnden Gesichtern an? Sie freuten sich alle des Toren, des großen blinden
Toren! Da übermannte ihn das Weh und das Mitleid mit sich selbst, er warf
sich auf den Boden und wühlte feinen Kopf in das Moos, um das Schluchzen zu
ersticken.

Aber nach einem kurzen Augenblick sprang er wieder auf, er wollte hinaus
i»s Freie, er ertrug es hier nicht länger — wie Haß gegen den Wald brannte
es ihm im Herzen. Noch einmal kam ihm blitzartig die Erinnerung an die Tage,
wo ihn die heiße Sehnsucht hierher ganz ausgefüllt hatte, wo sein ganzes Sinnen
und Trachten der heutigen Fahrt gegolten hatte. Ja. recht hast du, Franke
Hartwich! — gelogen hatte er deshalb! Ihre verurteilenden Worte brausten ihm
im Ohr, und ihm war, als müßte er sich dagegen wehren, als dürfe es nicht wahr
sein, was sie gesagt hatte. Und dennoch wußte er nur zu genau, daß sie recht
hatte mit ihrer Verachtung. Gestern hatte er anders darüber gedacht, gestern war
ihm seine Lüge wie der erste eigne Verdienst am künftigen Glück vorgekommen —
nicht anders, als ob er sich selber ein Stück Brot genommen hätte, das die Mutter
vergaß, ihm hinzustellen. Und jetzt suchte er vergeblich nach einem Rest von dem


Grenzboten til I90S ^
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[0101] Lines Tore» lvaldfahrt Das Mädchen ließ plötzlich die Hand ihres Gefährten los und sah sich um: Du, Jan, müssen wir nicht umkehren? Wenn wir uns nnn verirren? Und nie wieder heraus finden? Wäre das so schlimm, Franke? Denk mal, du und ich immer allein! Aber sei ruhig, ich weiß genau den Rückweg. Komm, laß uns noch einen Augenblick hier sitzen, hier auf dieser Baumwurzel I Komm! Und nun sagten sie sichs wieder und wieder, das Wort, das ihnen dieser Tag vor kurzer Zeit gebracht hatte: Ich hab dich lieb! Und berauschten sich an seinem seligen Klang und an dem Bewußtsein, sich nach bitterm Entbehren wiedergefunden zu haben. Dabei kam Franke wieder die Erinnerung an die Ursache der trüben Stunden gestern und heute morgen. Jan, wie ist es möglich, daß Momme Tetens dir das sagen konnte? Wie unglücklich bin ich gewesen deshalb! — Ich anch, Frauke! Der Bengel hat uns beide belogen! Das junge Mädchen stand ans und strich sich das Haar zurecht; ihre Stirn faltete sich zornig, als sie antwortete: Pfui, wie ist das häßlich! Momme lügt — das hätte ich ihm nie zugetraut! Ich mag ihn gar nicht wiedersehen — bald hätte er uns beide unglücklich gemacht. Was wird Vater sagen, wenn er das hört? Jan Ions legte den Arm um ihren Nacken: Denk jetzt nicht mehr dran, Lieb! Komm, wir müssen zurück, sonst suchen sie uns!--— Momme Tetens kam schwerfällig hoch. Taumelnd stemmte er beide Hände an den Baumstamm und preßte dann seinen Kopf dagegen: Was nun? Herr Gott, was nun? War es denn wirklich wahr, was er soeben erlebt hatte? Sein schönster, sein heimlichster Traum wie sprödes Glas zersprungen... Und das im Wald, in seinem Wald? Er hatte hier gelegen und gewartet, daß das Glück kommen würde — er hatte es so sicher gewußt, daß der Wald seine Schönheit noch krönen würde mit einem Übermaß von Wunderbarem, mit einem letzten seligsten Schmuck! Und nun? — Er lachte höhnisch auf, während ihm die Tränen in die Augen schössen: gerade hier hatte ers lernen müssen, wie weit sich seine Träume verstiegen hatten. Die bittere Enttäuschung machte sich Luft in einem blindwütigen Zorn; er ballte die Hände und schüttelte sie drohend gegen die Bäume: Bin ich darum hergekommen? Hab ich mich darum so gefreut, daß ich die Nächte hindurch wach gelegen habe? Jawohl, das lohnte sich auch! Jawohl — ich bin ein armer Knecht — und sie und der andre — ist das hier auch so? Rechnest du auch so? Er sah sich wirr im Kreise um — sahen ihn die Bäume nicht alle mit höhnisch lächelnden Gesichtern an? Sie freuten sich alle des Toren, des großen blinden Toren! Da übermannte ihn das Weh und das Mitleid mit sich selbst, er warf sich auf den Boden und wühlte feinen Kopf in das Moos, um das Schluchzen zu ersticken. Aber nach einem kurzen Augenblick sprang er wieder auf, er wollte hinaus i»s Freie, er ertrug es hier nicht länger — wie Haß gegen den Wald brannte es ihm im Herzen. Noch einmal kam ihm blitzartig die Erinnerung an die Tage, wo ihn die heiße Sehnsucht hierher ganz ausgefüllt hatte, wo sein ganzes Sinnen und Trachten der heutigen Fahrt gegolten hatte. Ja. recht hast du, Franke Hartwich! — gelogen hatte er deshalb! Ihre verurteilenden Worte brausten ihm im Ohr, und ihm war, als müßte er sich dagegen wehren, als dürfe es nicht wahr sein, was sie gesagt hatte. Und dennoch wußte er nur zu genau, daß sie recht hatte mit ihrer Verachtung. Gestern hatte er anders darüber gedacht, gestern war ihm seine Lüge wie der erste eigne Verdienst am künftigen Glück vorgekommen — nicht anders, als ob er sich selber ein Stück Brot genommen hätte, das die Mutter vergaß, ihm hinzustellen. Und jetzt suchte er vergeblich nach einem Rest von dem Grenzboten til I90S ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/101>, abgerufen am 22.12.2024.