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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Türkei und Ersten

daß el" Gentleman dort niemals einen andern Gentleman in Ruhe töten könne.
solle nuf dein Balkan eine Ehrensache ausgefochten werden, so tauchten gleich
neben den Beteiligten andre auf, die mit hineinreden und womöglich anfechten
wollen. Da käme" zuerst die serbischen Hammeldiebe, Brigänten der Schwarzen
Berge, reisige Arnauten, Kutzowalachen, nach Ruhm dürstende Hellenen. So¬
dann -- was am schlimmsten sei -- die Engländer, iliey awkiM must nefas
Kg-vo ttlsir oenas in ottior psopls pio. Wirth geht so weit, zu behaupten, daß
sich die Engländer am wohlsten fühlten, wenn überall Unruhen ausbrachen.
Insbesondre ist er der Ansicht, daß die Engländer alles tun. um das Zustande¬
kommen der Bagdadbahn zu verhindern oder zu erschweren, und meint, von
einem besondern deutschen Erfolge könne gar nicht die Rede sein. da die englische
Stellung in Mesopotamien nicht mehr zu erschüttern sei.

Es ist allerdings richtig, daß die Engländer so tun. als ob sie bereits
Herren dort wären, und daß der britische Generalkonsul in Bagdad, der den
irreführender Amtstitel Rosiäcmt ot Ussopowinm führt, die Allüren eines
Vizeköuigs angenommen hat. Aber ebenso sicher ist, daß eine wirkliche Macht
der Engländer bis jetzt in Mesopotamien noch nicht etabliert ist, und daß alle
Intrigen ihrerseits nicht verhindern konnten, daß sich das Bagdadunternehmen,
dessen Ausführung übrigens vom Sultan einer ottomanischen Gesellschaft an¬
vertraut worden ist, in der erfreulichste" Weise entwickelt. Die Engländer
handeln höchst unpolitisch, wenn sie sich an diesem Unternehmen nicht beteiligen,
in dem deutsches, französisches, österreichisches, italienisches, schweizerisches und
türkisches Kapital vertreten ist, das also einen ganz internationalen Charakter hat.

Persiens Bedeutung für uns erblickt Wirth hauptsächlich in dem Umstände,
daß sich alle unsre Bestrebungen, die mit der Bagdadbahn zusammenhängen,
in der Richtung auf persisches Gebiet bewegen. Nicht nur die konstitutionelle
Neuerung kräusele in Persien die Oberfläche der politischen See, sondern weit
tiefere Umwälzungen seien zu erwarten. Weit verbreitet sei im Volke der
Glaube, daß der jetzige Schah der letzte von dem 114 Jahre regierenden Hanse
der Kadscharen sein werde. Die Hauptursache für die traurigen Zustände Persiens
sieht Wirth in der mangelhaften wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Von
deu zahlreichen Eisenlmhnplänen, die seit mindestens zwölf Jahren fertig aus¬
gearbeitet seien, würde auch nicht einer verwirklicht. Die paar Kilometer Bahn,
die von Teheran nach einem Sommerpalast des Schäds führten, seien die
einzigen Persiens. das fünfmal so groß als Deutschland sei. Verhandlungen
mit der Türkei, die gelegentlich durch eine Greuzmobilisatio" veranlaßt wurden,
seien mit der größten Saumseligkeit geführt worden. Wer rührig wäre, das
seien allein die Gegner, die innern wie die äußern.

In der Tat ist nicht abzusehn. was aus Persien noch werden wird. Aber
da der Grundstock der Bevölkerung gut und kräftig ist, darf man die Hoffnung
nicht aufgeben, daß sich auch dieser alte Staat mit der Zeit den modernen
Verhältnissen anpassen und sich auch wirtschaftlich günstig entwickeln wird.


Türkei und Ersten

daß el» Gentleman dort niemals einen andern Gentleman in Ruhe töten könne.
solle nuf dein Balkan eine Ehrensache ausgefochten werden, so tauchten gleich
neben den Beteiligten andre auf, die mit hineinreden und womöglich anfechten
wollen. Da käme» zuerst die serbischen Hammeldiebe, Brigänten der Schwarzen
Berge, reisige Arnauten, Kutzowalachen, nach Ruhm dürstende Hellenen. So¬
dann — was am schlimmsten sei — die Engländer, iliey awkiM must nefas
Kg-vo ttlsir oenas in ottior psopls pio. Wirth geht so weit, zu behaupten, daß
sich die Engländer am wohlsten fühlten, wenn überall Unruhen ausbrachen.
Insbesondre ist er der Ansicht, daß die Engländer alles tun. um das Zustande¬
kommen der Bagdadbahn zu verhindern oder zu erschweren, und meint, von
einem besondern deutschen Erfolge könne gar nicht die Rede sein. da die englische
Stellung in Mesopotamien nicht mehr zu erschüttern sei.

Es ist allerdings richtig, daß die Engländer so tun. als ob sie bereits
Herren dort wären, und daß der britische Generalkonsul in Bagdad, der den
irreführender Amtstitel Rosiäcmt ot Ussopowinm führt, die Allüren eines
Vizeköuigs angenommen hat. Aber ebenso sicher ist, daß eine wirkliche Macht
der Engländer bis jetzt in Mesopotamien noch nicht etabliert ist, und daß alle
Intrigen ihrerseits nicht verhindern konnten, daß sich das Bagdadunternehmen,
dessen Ausführung übrigens vom Sultan einer ottomanischen Gesellschaft an¬
vertraut worden ist, in der erfreulichste» Weise entwickelt. Die Engländer
handeln höchst unpolitisch, wenn sie sich an diesem Unternehmen nicht beteiligen,
in dem deutsches, französisches, österreichisches, italienisches, schweizerisches und
türkisches Kapital vertreten ist, das also einen ganz internationalen Charakter hat.

Persiens Bedeutung für uns erblickt Wirth hauptsächlich in dem Umstände,
daß sich alle unsre Bestrebungen, die mit der Bagdadbahn zusammenhängen,
in der Richtung auf persisches Gebiet bewegen. Nicht nur die konstitutionelle
Neuerung kräusele in Persien die Oberfläche der politischen See, sondern weit
tiefere Umwälzungen seien zu erwarten. Weit verbreitet sei im Volke der
Glaube, daß der jetzige Schah der letzte von dem 114 Jahre regierenden Hanse
der Kadscharen sein werde. Die Hauptursache für die traurigen Zustände Persiens
sieht Wirth in der mangelhaften wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Von
deu zahlreichen Eisenlmhnplänen, die seit mindestens zwölf Jahren fertig aus¬
gearbeitet seien, würde auch nicht einer verwirklicht. Die paar Kilometer Bahn,
die von Teheran nach einem Sommerpalast des Schäds führten, seien die
einzigen Persiens. das fünfmal so groß als Deutschland sei. Verhandlungen
mit der Türkei, die gelegentlich durch eine Greuzmobilisatio» veranlaßt wurden,
seien mit der größten Saumseligkeit geführt worden. Wer rührig wäre, das
seien allein die Gegner, die innern wie die äußern.

In der Tat ist nicht abzusehn. was aus Persien noch werden wird. Aber
da der Grundstock der Bevölkerung gut und kräftig ist, darf man die Hoffnung
nicht aufgeben, daß sich auch dieser alte Staat mit der Zeit den modernen
Verhältnissen anpassen und sich auch wirtschaftlich günstig entwickeln wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/79>, abgerufen am 23.07.2024.