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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Türkei und persten

zusammentretender Parlament eine bedeutende Partei bilden können, die dereinst
vielleicht dieselbe Rolle spielen kann wie das Zentrum im deutschen Reichstage.

Günstig beurteilt er auch die Albaner und führt ein, daß Pyrrhos ganz,
Alexander halb epirotischen, also albanischen Blutes gewesen sei. Auch der
heutige Khedive sei ein Nachkomme des Albaners Mehemed. Die Albaner
könnten fechten, aber nicht politisch denken. Sie seien pünktlich in der Erfüllung
der Blutrache, aber unfähig, Bündnisse zu schließen, und daher die Beute jedes
klüger" Nachbarn.

Die Kurden, die jetzt bei den türkisch-persischen Grenzstreitigkeiten so viel
von sich reden machen, haben Wirth sehr gefallen, und er nimmt für sie gegen
die Armenier Partei. Er erwähnt, daß er ganz allein durch einen großen Teil
Kurdistans gereist sei und oft in ihren Dörfern oder Zeltlagern übernachtet
habe, ohne irgendeine Anfechtung zu erleiden; im Gegenteil habe er viel
Freundschaft und Hilfsbereitschaft von ihnen erfahren , und oft sehne er sich
nach den herrlichen Alpen Kurdistans und den schönen, hochgewachsnen Menschen¬
gestalten, die es durchziehen, zurück. Die Kurden hätten nur deshalb keine
Freunde in Europa und Amerika, die ihre Rechte vertreten, und keine schreib¬
gewandten Reporter, die ihr Lob in allen Zeitungen verkündeten, weil ihnen die
internationalen Beziehungen fehlten, die sich die Armenier in so glänzender
Weise zu schaffe" verstanden hatten. Da man nun stets nur vo" armenischer
und armenierfreundlicher Seite über die Vorgänge im Hochlande, wo der
Euphrat entspringt, hört, so seien natürlich fast alle Berichte parteiisch. In
Wirklichkeit seien aber die Armenier durchaus nicht so sanfte unschuldige Lämmer,
wie sie gewöhnlich dargestellt würden. Wer die Armenier aus der Nähe kenne,
ob Russe, ob Deutscher, könne gar nicht genug Adjektive finden, sie zu
charakterisieren. Man nenne sie bösartig, betrügerisch, eitel und aufgeblasen,
harte Bedrücker und Aufhänger, doppelzüngig. Man werde immerhin gut tun
wie bei Japan, solche Urteile nicht auf das ganze Volk auszudehnen, sondern
sie auf einen Stand, hier den kaufmännischen, zu beschränken. Armenische
Priester und Bauern hätten doch einen ganz andern Charakter. Übrigens hat
seit der letzten Umwälzung zwischen den Armeniern und den Türken eine be¬
deutsame Annäherung stattgefunden. Die armenische" Komitees in London "lib
in Genf haben sich wenig Monate vor der Proklamierung der Verfassung auf
einer Konferenz in Paris mit den Führern der jungtürkischen Partei zusammen¬
gefunden, ihre gemeinsamen Bestrebungen festgestellt und die Solidarität der
beiden Parteien proklamiert. Diese politische Solidarität hat sich seitdem
durchaus bewährt und besonders die Wahlen stark beeinflußt. Sie wird mög¬
licherweise im neuen Parlament zu einer Art Kartell führen, das der griechisch-
oppositionellen Partei gegenüberstelln wird. v ^

Die Bulgaren tut Wirth mit der Bemerkung ab: das eine sei sicher, daß
Bulgarien im Ernstfalle von den Türken nach allen Regeln der Kunst ab¬
geführt werden würde, aber das Bedenkliche bei allen Balkanfragen sei gerade,


Türkei und persten

zusammentretender Parlament eine bedeutende Partei bilden können, die dereinst
vielleicht dieselbe Rolle spielen kann wie das Zentrum im deutschen Reichstage.

Günstig beurteilt er auch die Albaner und führt ein, daß Pyrrhos ganz,
Alexander halb epirotischen, also albanischen Blutes gewesen sei. Auch der
heutige Khedive sei ein Nachkomme des Albaners Mehemed. Die Albaner
könnten fechten, aber nicht politisch denken. Sie seien pünktlich in der Erfüllung
der Blutrache, aber unfähig, Bündnisse zu schließen, und daher die Beute jedes
klüger» Nachbarn.

Die Kurden, die jetzt bei den türkisch-persischen Grenzstreitigkeiten so viel
von sich reden machen, haben Wirth sehr gefallen, und er nimmt für sie gegen
die Armenier Partei. Er erwähnt, daß er ganz allein durch einen großen Teil
Kurdistans gereist sei und oft in ihren Dörfern oder Zeltlagern übernachtet
habe, ohne irgendeine Anfechtung zu erleiden; im Gegenteil habe er viel
Freundschaft und Hilfsbereitschaft von ihnen erfahren , und oft sehne er sich
nach den herrlichen Alpen Kurdistans und den schönen, hochgewachsnen Menschen¬
gestalten, die es durchziehen, zurück. Die Kurden hätten nur deshalb keine
Freunde in Europa und Amerika, die ihre Rechte vertreten, und keine schreib¬
gewandten Reporter, die ihr Lob in allen Zeitungen verkündeten, weil ihnen die
internationalen Beziehungen fehlten, die sich die Armenier in so glänzender
Weise zu schaffe» verstanden hatten. Da man nun stets nur vo» armenischer
und armenierfreundlicher Seite über die Vorgänge im Hochlande, wo der
Euphrat entspringt, hört, so seien natürlich fast alle Berichte parteiisch. In
Wirklichkeit seien aber die Armenier durchaus nicht so sanfte unschuldige Lämmer,
wie sie gewöhnlich dargestellt würden. Wer die Armenier aus der Nähe kenne,
ob Russe, ob Deutscher, könne gar nicht genug Adjektive finden, sie zu
charakterisieren. Man nenne sie bösartig, betrügerisch, eitel und aufgeblasen,
harte Bedrücker und Aufhänger, doppelzüngig. Man werde immerhin gut tun
wie bei Japan, solche Urteile nicht auf das ganze Volk auszudehnen, sondern
sie auf einen Stand, hier den kaufmännischen, zu beschränken. Armenische
Priester und Bauern hätten doch einen ganz andern Charakter. Übrigens hat
seit der letzten Umwälzung zwischen den Armeniern und den Türken eine be¬
deutsame Annäherung stattgefunden. Die armenische» Komitees in London »lib
in Genf haben sich wenig Monate vor der Proklamierung der Verfassung auf
einer Konferenz in Paris mit den Führern der jungtürkischen Partei zusammen¬
gefunden, ihre gemeinsamen Bestrebungen festgestellt und die Solidarität der
beiden Parteien proklamiert. Diese politische Solidarität hat sich seitdem
durchaus bewährt und besonders die Wahlen stark beeinflußt. Sie wird mög¬
licherweise im neuen Parlament zu einer Art Kartell führen, das der griechisch-
oppositionellen Partei gegenüberstelln wird. v ^

Die Bulgaren tut Wirth mit der Bemerkung ab: das eine sei sicher, daß
Bulgarien im Ernstfalle von den Türken nach allen Regeln der Kunst ab¬
geführt werden würde, aber das Bedenkliche bei allen Balkanfragen sei gerade,


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[0078] Türkei und persten zusammentretender Parlament eine bedeutende Partei bilden können, die dereinst vielleicht dieselbe Rolle spielen kann wie das Zentrum im deutschen Reichstage. Günstig beurteilt er auch die Albaner und führt ein, daß Pyrrhos ganz, Alexander halb epirotischen, also albanischen Blutes gewesen sei. Auch der heutige Khedive sei ein Nachkomme des Albaners Mehemed. Die Albaner könnten fechten, aber nicht politisch denken. Sie seien pünktlich in der Erfüllung der Blutrache, aber unfähig, Bündnisse zu schließen, und daher die Beute jedes klüger» Nachbarn. Die Kurden, die jetzt bei den türkisch-persischen Grenzstreitigkeiten so viel von sich reden machen, haben Wirth sehr gefallen, und er nimmt für sie gegen die Armenier Partei. Er erwähnt, daß er ganz allein durch einen großen Teil Kurdistans gereist sei und oft in ihren Dörfern oder Zeltlagern übernachtet habe, ohne irgendeine Anfechtung zu erleiden; im Gegenteil habe er viel Freundschaft und Hilfsbereitschaft von ihnen erfahren , und oft sehne er sich nach den herrlichen Alpen Kurdistans und den schönen, hochgewachsnen Menschen¬ gestalten, die es durchziehen, zurück. Die Kurden hätten nur deshalb keine Freunde in Europa und Amerika, die ihre Rechte vertreten, und keine schreib¬ gewandten Reporter, die ihr Lob in allen Zeitungen verkündeten, weil ihnen die internationalen Beziehungen fehlten, die sich die Armenier in so glänzender Weise zu schaffe» verstanden hatten. Da man nun stets nur vo» armenischer und armenierfreundlicher Seite über die Vorgänge im Hochlande, wo der Euphrat entspringt, hört, so seien natürlich fast alle Berichte parteiisch. In Wirklichkeit seien aber die Armenier durchaus nicht so sanfte unschuldige Lämmer, wie sie gewöhnlich dargestellt würden. Wer die Armenier aus der Nähe kenne, ob Russe, ob Deutscher, könne gar nicht genug Adjektive finden, sie zu charakterisieren. Man nenne sie bösartig, betrügerisch, eitel und aufgeblasen, harte Bedrücker und Aufhänger, doppelzüngig. Man werde immerhin gut tun wie bei Japan, solche Urteile nicht auf das ganze Volk auszudehnen, sondern sie auf einen Stand, hier den kaufmännischen, zu beschränken. Armenische Priester und Bauern hätten doch einen ganz andern Charakter. Übrigens hat seit der letzten Umwälzung zwischen den Armeniern und den Türken eine be¬ deutsame Annäherung stattgefunden. Die armenische» Komitees in London »lib in Genf haben sich wenig Monate vor der Proklamierung der Verfassung auf einer Konferenz in Paris mit den Führern der jungtürkischen Partei zusammen¬ gefunden, ihre gemeinsamen Bestrebungen festgestellt und die Solidarität der beiden Parteien proklamiert. Diese politische Solidarität hat sich seitdem durchaus bewährt und besonders die Wahlen stark beeinflußt. Sie wird mög¬ licherweise im neuen Parlament zu einer Art Kartell führen, das der griechisch- oppositionellen Partei gegenüberstelln wird. v ^ Die Bulgaren tut Wirth mit der Bemerkung ab: das eine sei sicher, daß Bulgarien im Ernstfalle von den Türken nach allen Regeln der Kunst ab¬ geführt werden würde, aber das Bedenkliche bei allen Balkanfragen sei gerade,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/78>, abgerufen am 12.12.2024.