Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.Jakob Julius David Man fühlt: in dieser tüchtigen, aber noch nicht bedeutenden Heimaterzählung Aber schon die kleinern Stücke, die dann die Sammlung "Die Wieder¬ David gibt gern Meuschen, die ein empfindliches Herz haben, das dnrch Und das ist ein Zeichen von Davids Kunst, daß er, wie schon im Jakob Julius David Man fühlt: in dieser tüchtigen, aber noch nicht bedeutenden Heimaterzählung Aber schon die kleinern Stücke, die dann die Sammlung „Die Wieder¬ David gibt gern Meuschen, die ein empfindliches Herz haben, das dnrch Und das ist ein Zeichen von Davids Kunst, daß er, wie schon im <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0660" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313011"/> <fw type="header" place="top"> Jakob Julius David</fw><lb/> <p xml:id="ID_2690" prev="#ID_2689"> Man fühlt: in dieser tüchtigen, aber noch nicht bedeutenden Heimaterzählung<lb/> ist David der Stoff nicht zugeströmt, sondern langsam gequollen, und er ver¬<lb/> schmäht es, durch Putz und Zntat das Gewordne zu dehnen und zu zerren.<lb/> Ein Mensch, der sich gibt, wie er ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2691"> Aber schon die kleinern Stücke, die dann die Sammlung „Die Wieder¬<lb/> geborenen" enthielt, zeigen David freier, zugleich feiner in der Charakteristik.<lb/> Es sind alles historische Novellen, Dichtungen, die zumeist in der Vergangenheit<lb/> Mährens spielen, und unter denen „Der neue Glaube" die beste ist, die Ge¬<lb/> schichte eines Ketzerrichters, der zum Ketzer wird, sich langsam, langsam von<lb/> allem, was ihn umgibt, loslöst, alle zarten Beziehungen seines Lebens zerreißt<lb/> und schließlich dem Hussitenheer zustößt. Dasselbe Thema wird dann in einer<lb/> meisterhaften Erzählung der spätern Reihe „Frühschein" noch einmal abge¬<lb/> wandelt, nun ganz reif, und fein ist es, wie da der Hexenrichter selbst in das<lb/> Grauenhafte hineingerissen wird, allmählich Menschliches menschlich versteh»<lb/> lernt und dem Frühschein eines neuen Tages nach dem großen Kriege ent¬<lb/> gegenflieht. David schildert überhaupt gern verstörte Zeit, wie sie eben nach<lb/> dem Dreißigjährigen Kriege über Deutschland lag, seltsame, aber doch nicht<lb/> gesuchte Verhältnisse und Menschen mit einem leisen Hauch von Geheimnis<lb/> wie die Gräfin Adriana Oudenwerdc auf Schloß Ripan, über der es schwebt<lb/> wie halbverschuldete Schickung düstrer Kämpfe, die ein Herz wohl brechen<lb/> können.</p><lb/> <p xml:id="ID_2692"> David gibt gern Meuschen, die ein empfindliches Herz haben, das dnrch<lb/> Ungerechtigkeit und Druck hineingesetzt wird in schwere Taten und Gedanken,<lb/> wie denn in „Ruzena Capet" die Heldin schließlich in ihrer unerträglichen<lb/> Not den Gatten erschlägt. In dieser Geschichte, wie gemeinhin in seinen<lb/> spätern Werken, hat er auch die Natur Mührens, wo seine Seele immer daheim<lb/> blieb, in ihrer düstern Schwere am reinsten gestaltet. Wie ein fein gemalter,<lb/> echter Hintergrund liegt sie in der „Mühle von Wranowitz" um die Liebe des<lb/> Barons Friedrich Branicky zu der Müllerstochter Hanka Dworzak, ein Ver¬<lb/> hältnis, das gegeben ist ohne eine Spur von unechter Süßlichkeit und zugleich<lb/> ohne die leiseste Spekulation auf unkünstlerische Triebe.</p><lb/> <p xml:id="ID_2693"> Und das ist ein Zeichen von Davids Kunst, daß er, wie schon im<lb/> „Höferecht", so auch in seinen spätern, reifern und wirkungsvollem Dichtungen<lb/> nicht rechts und links blickt und jedes billige Hindeuten auf effektvolle<lb/> Situationen, jedes Spielen unterläßt. Wie nah hätte solche Gefahr in seinen<lb/> Wiener Geschichten gelegen, und wie ist er ihr immer wieder aus dein Wege<lb/> gegangen. Da ist eine kurze und in ihrer Schlichtheit ergreifende Erzählung:<lb/> „Ein Poet?" Ein armer Journalist, der es zu nichts gebracht hat und nun<lb/> seinem Leben ein Ende macht, um der Witwe, für die als Lebender zu sorgen<lb/> ihm nicht gelingen will, durch deu Tod eine Versorgung zu bieten. Und<lb/> etwas ähnliches in der Geschichte „Digitalis", wo ein Arzt, der infolge eines<lb/> Kunstfehlers seine Praxis nicht mehr ausüben darf, in stillem Heldentum<lb/> langsam aus der Welt geht, um Frau und Kind die Möglichkeit einer Existenz<lb/> zu sichern. Ganz apart und durch und durch echt ist die Charakteristik des<lb/> berufsmäßigen Schachmeisters in der Skizze „Das königliche Spiel" oder in<lb/> der „Troika" die des großen Schauspielers, dem sein Dreigespann von Wille,<lb/> Temperament und Gedächtnis langsam versagt, und der dies allmähliche Nach¬<lb/> lassen empfindet wie den Strom, der zu Winters Ende leise gegen die Eis¬<lb/> decke klopft, bis der Läufer dann vor der Gewalt des hereinbrechenden, alles<lb/> zerschellenden Flusses untergeht.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0660]
Jakob Julius David
Man fühlt: in dieser tüchtigen, aber noch nicht bedeutenden Heimaterzählung
ist David der Stoff nicht zugeströmt, sondern langsam gequollen, und er ver¬
schmäht es, durch Putz und Zntat das Gewordne zu dehnen und zu zerren.
Ein Mensch, der sich gibt, wie er ist.
Aber schon die kleinern Stücke, die dann die Sammlung „Die Wieder¬
geborenen" enthielt, zeigen David freier, zugleich feiner in der Charakteristik.
Es sind alles historische Novellen, Dichtungen, die zumeist in der Vergangenheit
Mährens spielen, und unter denen „Der neue Glaube" die beste ist, die Ge¬
schichte eines Ketzerrichters, der zum Ketzer wird, sich langsam, langsam von
allem, was ihn umgibt, loslöst, alle zarten Beziehungen seines Lebens zerreißt
und schließlich dem Hussitenheer zustößt. Dasselbe Thema wird dann in einer
meisterhaften Erzählung der spätern Reihe „Frühschein" noch einmal abge¬
wandelt, nun ganz reif, und fein ist es, wie da der Hexenrichter selbst in das
Grauenhafte hineingerissen wird, allmählich Menschliches menschlich versteh»
lernt und dem Frühschein eines neuen Tages nach dem großen Kriege ent¬
gegenflieht. David schildert überhaupt gern verstörte Zeit, wie sie eben nach
dem Dreißigjährigen Kriege über Deutschland lag, seltsame, aber doch nicht
gesuchte Verhältnisse und Menschen mit einem leisen Hauch von Geheimnis
wie die Gräfin Adriana Oudenwerdc auf Schloß Ripan, über der es schwebt
wie halbverschuldete Schickung düstrer Kämpfe, die ein Herz wohl brechen
können.
David gibt gern Meuschen, die ein empfindliches Herz haben, das dnrch
Ungerechtigkeit und Druck hineingesetzt wird in schwere Taten und Gedanken,
wie denn in „Ruzena Capet" die Heldin schließlich in ihrer unerträglichen
Not den Gatten erschlägt. In dieser Geschichte, wie gemeinhin in seinen
spätern Werken, hat er auch die Natur Mührens, wo seine Seele immer daheim
blieb, in ihrer düstern Schwere am reinsten gestaltet. Wie ein fein gemalter,
echter Hintergrund liegt sie in der „Mühle von Wranowitz" um die Liebe des
Barons Friedrich Branicky zu der Müllerstochter Hanka Dworzak, ein Ver¬
hältnis, das gegeben ist ohne eine Spur von unechter Süßlichkeit und zugleich
ohne die leiseste Spekulation auf unkünstlerische Triebe.
Und das ist ein Zeichen von Davids Kunst, daß er, wie schon im
„Höferecht", so auch in seinen spätern, reifern und wirkungsvollem Dichtungen
nicht rechts und links blickt und jedes billige Hindeuten auf effektvolle
Situationen, jedes Spielen unterläßt. Wie nah hätte solche Gefahr in seinen
Wiener Geschichten gelegen, und wie ist er ihr immer wieder aus dein Wege
gegangen. Da ist eine kurze und in ihrer Schlichtheit ergreifende Erzählung:
„Ein Poet?" Ein armer Journalist, der es zu nichts gebracht hat und nun
seinem Leben ein Ende macht, um der Witwe, für die als Lebender zu sorgen
ihm nicht gelingen will, durch deu Tod eine Versorgung zu bieten. Und
etwas ähnliches in der Geschichte „Digitalis", wo ein Arzt, der infolge eines
Kunstfehlers seine Praxis nicht mehr ausüben darf, in stillem Heldentum
langsam aus der Welt geht, um Frau und Kind die Möglichkeit einer Existenz
zu sichern. Ganz apart und durch und durch echt ist die Charakteristik des
berufsmäßigen Schachmeisters in der Skizze „Das königliche Spiel" oder in
der „Troika" die des großen Schauspielers, dem sein Dreigespann von Wille,
Temperament und Gedächtnis langsam versagt, und der dies allmähliche Nach¬
lassen empfindet wie den Strom, der zu Winters Ende leise gegen die Eis¬
decke klopft, bis der Läufer dann vor der Gewalt des hereinbrechenden, alles
zerschellenden Flusses untergeht.
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