Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
OatKolios,

Bedürfnis gewesen sind, und daß nicht die Staatsgesetze, wohl aber die Ordens¬
regeln etwas fordern, was dem Durchschnittsmenschen unmöglich ist. Freilich
hat Albing diese Unmöglichkeit nicht empfunden, und eben darin liegt das
Interessante. In einem seiner Briefe entwickelt er seine Ansichten über Erziehung.
In den deutschen Gymnasien werde nur unterrichtet, nicht erzogen. Der Lehrer
solle aber zugleich Erzieher sein. Er wolle daraus seinen Lehrern, denen er für
den genoßnen Unterricht dankbar sei, keinen Vorwurf machen: sie hätten eben
keinen andern Auftrag als den, zu unterrichten. Die Zeiten des Hellenentums,
wo der ältere Maun dem jüngern Erzieher wurde, wo persönliche Neigung
und persönliches Interesse Erzieher und Zögling verbanden, seien vorüber. Er
glaube aber, daß eine ähnliche Freundschaft, wie sie die Alten gekannt, dort
noch geübt werden könne, wo Ordensleute als Erzieher in Pensionaten wirken,
"natürlich eine Freundschaft, die, als christliche, von reinern Motiven eingegeben
wird als die oft zu sinnlich aufgefaßte Freundesliebe der Antike". Ja, wenn
sich nur diese sinnlichen Motive wirklich fernhalten ließen! Die Erfahrung lehrt,
daß sie sich sehr oft dem Erzieher, der ausschließlich von ganz reinen Motiven
geleitet zu sein glaubt, unbewußt einschleichen. Gerade deswegen verbieten die
asketischen Schriftsteller -- und in diesem Punkte irrt ihre Psychologie keines¬
wegs -- dein Seelenleiter und Erzieher individuelle Zuneigungen und Freund¬
schaften.

Übrigens wird der Wert dessen, was man sich -- dunkel und verworren
genug -- unter Erziehung vorstellt, nicht bloß von Albing sondern auch von
vielen andern, die unaufhörlich nach Erziehung schreien, außerordentlich über¬
schätzt. Ich und meine Schulkameraden, wir sind gar nicht erzogen worden,
und ich finde, daß dieses das beste für uns gewesen ist. Wenn die Eltern
und Lehrer den jungen Leuten einige wenige feste Grundsätze einpflanzen und
durch ihr Beispiel zeigen, wie man diesen Grundsätzen nachlebt -- oder auch,
wie häßlich es aussieht, wenn man ihnen nicht nachlebt --, wenn sie einem
die Manieren beibringen, die man haben muß, um im Verkehr nicht anzu¬
stoßen, und durch Schranken, die der jugendliche:: Willkür und dem unver¬
ständigen Gelüst gesteckt werden -- Schranken, die nicht zu eng gezogen
werden sollen --, den jungen Menschen in die soziale Ordnung einfügen, so
ist das Erziehung genug, und das geschieht ja wohl auf unsern Gymnasien-
Das Leben in Wechselwirkung mit der eignen Vernunft, die allerdings im
Gymnasium geweckt und geübt werden soll, vollenden dann schon die Er¬
ziehung. Was die Erziehungssüchtigen wollen, das ist Modeluug der Natur
nach einer Idealform, wobei sie gewöhnlich sich selbst für die Idealform
halten. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob der so auf den Zögling ausgeübte
Zwang diesem, und ob die Vervielfältigung jenes Typus der Gesellschaft zum
Heile gereichen würde; jedenfalls könnten, wenn ein einzelner solcher Typ im
Staate die Herrschaft erlangte, sich die in den Individuen vorhandnen ver-
schiednen Anlagen nicht frei entfalten. Mehr Beachtung verdient es, wenn


OatKolios,

Bedürfnis gewesen sind, und daß nicht die Staatsgesetze, wohl aber die Ordens¬
regeln etwas fordern, was dem Durchschnittsmenschen unmöglich ist. Freilich
hat Albing diese Unmöglichkeit nicht empfunden, und eben darin liegt das
Interessante. In einem seiner Briefe entwickelt er seine Ansichten über Erziehung.
In den deutschen Gymnasien werde nur unterrichtet, nicht erzogen. Der Lehrer
solle aber zugleich Erzieher sein. Er wolle daraus seinen Lehrern, denen er für
den genoßnen Unterricht dankbar sei, keinen Vorwurf machen: sie hätten eben
keinen andern Auftrag als den, zu unterrichten. Die Zeiten des Hellenentums,
wo der ältere Maun dem jüngern Erzieher wurde, wo persönliche Neigung
und persönliches Interesse Erzieher und Zögling verbanden, seien vorüber. Er
glaube aber, daß eine ähnliche Freundschaft, wie sie die Alten gekannt, dort
noch geübt werden könne, wo Ordensleute als Erzieher in Pensionaten wirken,
„natürlich eine Freundschaft, die, als christliche, von reinern Motiven eingegeben
wird als die oft zu sinnlich aufgefaßte Freundesliebe der Antike". Ja, wenn
sich nur diese sinnlichen Motive wirklich fernhalten ließen! Die Erfahrung lehrt,
daß sie sich sehr oft dem Erzieher, der ausschließlich von ganz reinen Motiven
geleitet zu sein glaubt, unbewußt einschleichen. Gerade deswegen verbieten die
asketischen Schriftsteller — und in diesem Punkte irrt ihre Psychologie keines¬
wegs — dein Seelenleiter und Erzieher individuelle Zuneigungen und Freund¬
schaften.

Übrigens wird der Wert dessen, was man sich — dunkel und verworren
genug — unter Erziehung vorstellt, nicht bloß von Albing sondern auch von
vielen andern, die unaufhörlich nach Erziehung schreien, außerordentlich über¬
schätzt. Ich und meine Schulkameraden, wir sind gar nicht erzogen worden,
und ich finde, daß dieses das beste für uns gewesen ist. Wenn die Eltern
und Lehrer den jungen Leuten einige wenige feste Grundsätze einpflanzen und
durch ihr Beispiel zeigen, wie man diesen Grundsätzen nachlebt — oder auch,
wie häßlich es aussieht, wenn man ihnen nicht nachlebt —, wenn sie einem
die Manieren beibringen, die man haben muß, um im Verkehr nicht anzu¬
stoßen, und durch Schranken, die der jugendliche:: Willkür und dem unver¬
ständigen Gelüst gesteckt werden — Schranken, die nicht zu eng gezogen
werden sollen —, den jungen Menschen in die soziale Ordnung einfügen, so
ist das Erziehung genug, und das geschieht ja wohl auf unsern Gymnasien-
Das Leben in Wechselwirkung mit der eignen Vernunft, die allerdings im
Gymnasium geweckt und geübt werden soll, vollenden dann schon die Er¬
ziehung. Was die Erziehungssüchtigen wollen, das ist Modeluug der Natur
nach einer Idealform, wobei sie gewöhnlich sich selbst für die Idealform
halten. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob der so auf den Zögling ausgeübte
Zwang diesem, und ob die Vervielfältigung jenes Typus der Gesellschaft zum
Heile gereichen würde; jedenfalls könnten, wenn ein einzelner solcher Typ im
Staate die Herrschaft erlangte, sich die in den Individuen vorhandnen ver-
schiednen Anlagen nicht frei entfalten. Mehr Beachtung verdient es, wenn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0654" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313005"/>
          <fw type="header" place="top"> OatKolios,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2674" prev="#ID_2673"> Bedürfnis gewesen sind, und daß nicht die Staatsgesetze, wohl aber die Ordens¬<lb/>
regeln etwas fordern, was dem Durchschnittsmenschen unmöglich ist. Freilich<lb/>
hat Albing diese Unmöglichkeit nicht empfunden, und eben darin liegt das<lb/>
Interessante. In einem seiner Briefe entwickelt er seine Ansichten über Erziehung.<lb/>
In den deutschen Gymnasien werde nur unterrichtet, nicht erzogen. Der Lehrer<lb/>
solle aber zugleich Erzieher sein. Er wolle daraus seinen Lehrern, denen er für<lb/>
den genoßnen Unterricht dankbar sei, keinen Vorwurf machen: sie hätten eben<lb/>
keinen andern Auftrag als den, zu unterrichten. Die Zeiten des Hellenentums,<lb/>
wo der ältere Maun dem jüngern Erzieher wurde, wo persönliche Neigung<lb/>
und persönliches Interesse Erzieher und Zögling verbanden, seien vorüber. Er<lb/>
glaube aber, daß eine ähnliche Freundschaft, wie sie die Alten gekannt, dort<lb/>
noch geübt werden könne, wo Ordensleute als Erzieher in Pensionaten wirken,<lb/>
&#x201E;natürlich eine Freundschaft, die, als christliche, von reinern Motiven eingegeben<lb/>
wird als die oft zu sinnlich aufgefaßte Freundesliebe der Antike". Ja, wenn<lb/>
sich nur diese sinnlichen Motive wirklich fernhalten ließen! Die Erfahrung lehrt,<lb/>
daß sie sich sehr oft dem Erzieher, der ausschließlich von ganz reinen Motiven<lb/>
geleitet zu sein glaubt, unbewußt einschleichen. Gerade deswegen verbieten die<lb/>
asketischen Schriftsteller &#x2014; und in diesem Punkte irrt ihre Psychologie keines¬<lb/>
wegs &#x2014; dein Seelenleiter und Erzieher individuelle Zuneigungen und Freund¬<lb/>
schaften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2675" next="#ID_2676"> Übrigens wird der Wert dessen, was man sich &#x2014; dunkel und verworren<lb/>
genug &#x2014; unter Erziehung vorstellt, nicht bloß von Albing sondern auch von<lb/>
vielen andern, die unaufhörlich nach Erziehung schreien, außerordentlich über¬<lb/>
schätzt. Ich und meine Schulkameraden, wir sind gar nicht erzogen worden,<lb/>
und ich finde, daß dieses das beste für uns gewesen ist. Wenn die Eltern<lb/>
und Lehrer den jungen Leuten einige wenige feste Grundsätze einpflanzen und<lb/>
durch ihr Beispiel zeigen, wie man diesen Grundsätzen nachlebt &#x2014; oder auch,<lb/>
wie häßlich es aussieht, wenn man ihnen nicht nachlebt &#x2014;, wenn sie einem<lb/>
die Manieren beibringen, die man haben muß, um im Verkehr nicht anzu¬<lb/>
stoßen, und durch Schranken, die der jugendliche:: Willkür und dem unver¬<lb/>
ständigen Gelüst gesteckt werden &#x2014; Schranken, die nicht zu eng gezogen<lb/>
werden sollen &#x2014;, den jungen Menschen in die soziale Ordnung einfügen, so<lb/>
ist das Erziehung genug, und das geschieht ja wohl auf unsern Gymnasien-<lb/>
Das Leben in Wechselwirkung mit der eignen Vernunft, die allerdings im<lb/>
Gymnasium geweckt und geübt werden soll, vollenden dann schon die Er¬<lb/>
ziehung. Was die Erziehungssüchtigen wollen, das ist Modeluug der Natur<lb/>
nach einer Idealform, wobei sie gewöhnlich sich selbst für die Idealform<lb/>
halten. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob der so auf den Zögling ausgeübte<lb/>
Zwang diesem, und ob die Vervielfältigung jenes Typus der Gesellschaft zum<lb/>
Heile gereichen würde; jedenfalls könnten, wenn ein einzelner solcher Typ im<lb/>
Staate die Herrschaft erlangte, sich die in den Individuen vorhandnen ver-<lb/>
schiednen Anlagen nicht frei entfalten.  Mehr Beachtung verdient es, wenn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0654] OatKolios, Bedürfnis gewesen sind, und daß nicht die Staatsgesetze, wohl aber die Ordens¬ regeln etwas fordern, was dem Durchschnittsmenschen unmöglich ist. Freilich hat Albing diese Unmöglichkeit nicht empfunden, und eben darin liegt das Interessante. In einem seiner Briefe entwickelt er seine Ansichten über Erziehung. In den deutschen Gymnasien werde nur unterrichtet, nicht erzogen. Der Lehrer solle aber zugleich Erzieher sein. Er wolle daraus seinen Lehrern, denen er für den genoßnen Unterricht dankbar sei, keinen Vorwurf machen: sie hätten eben keinen andern Auftrag als den, zu unterrichten. Die Zeiten des Hellenentums, wo der ältere Maun dem jüngern Erzieher wurde, wo persönliche Neigung und persönliches Interesse Erzieher und Zögling verbanden, seien vorüber. Er glaube aber, daß eine ähnliche Freundschaft, wie sie die Alten gekannt, dort noch geübt werden könne, wo Ordensleute als Erzieher in Pensionaten wirken, „natürlich eine Freundschaft, die, als christliche, von reinern Motiven eingegeben wird als die oft zu sinnlich aufgefaßte Freundesliebe der Antike". Ja, wenn sich nur diese sinnlichen Motive wirklich fernhalten ließen! Die Erfahrung lehrt, daß sie sich sehr oft dem Erzieher, der ausschließlich von ganz reinen Motiven geleitet zu sein glaubt, unbewußt einschleichen. Gerade deswegen verbieten die asketischen Schriftsteller — und in diesem Punkte irrt ihre Psychologie keines¬ wegs — dein Seelenleiter und Erzieher individuelle Zuneigungen und Freund¬ schaften. Übrigens wird der Wert dessen, was man sich — dunkel und verworren genug — unter Erziehung vorstellt, nicht bloß von Albing sondern auch von vielen andern, die unaufhörlich nach Erziehung schreien, außerordentlich über¬ schätzt. Ich und meine Schulkameraden, wir sind gar nicht erzogen worden, und ich finde, daß dieses das beste für uns gewesen ist. Wenn die Eltern und Lehrer den jungen Leuten einige wenige feste Grundsätze einpflanzen und durch ihr Beispiel zeigen, wie man diesen Grundsätzen nachlebt — oder auch, wie häßlich es aussieht, wenn man ihnen nicht nachlebt —, wenn sie einem die Manieren beibringen, die man haben muß, um im Verkehr nicht anzu¬ stoßen, und durch Schranken, die der jugendliche:: Willkür und dem unver¬ ständigen Gelüst gesteckt werden — Schranken, die nicht zu eng gezogen werden sollen —, den jungen Menschen in die soziale Ordnung einfügen, so ist das Erziehung genug, und das geschieht ja wohl auf unsern Gymnasien- Das Leben in Wechselwirkung mit der eignen Vernunft, die allerdings im Gymnasium geweckt und geübt werden soll, vollenden dann schon die Er¬ ziehung. Was die Erziehungssüchtigen wollen, das ist Modeluug der Natur nach einer Idealform, wobei sie gewöhnlich sich selbst für die Idealform halten. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob der so auf den Zögling ausgeübte Zwang diesem, und ob die Vervielfältigung jenes Typus der Gesellschaft zum Heile gereichen würde; jedenfalls könnten, wenn ein einzelner solcher Typ im Staate die Herrschaft erlangte, sich die in den Individuen vorhandnen ver- schiednen Anlagen nicht frei entfalten. Mehr Beachtung verdient es, wenn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/654
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/654>, abgerufen am 23.07.2024.