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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die Reichsfinanzreform

Dieser Anleihepolitik entsprechend stellte sich der Durchschnittskurs für die
englischen und französischen Anleihen wesentlich günstiger, er betrug 1907

für die englischen Konsols , , ,100,60
" " französische Rente , , .S4,47
" " Sprozentige Reichsanleihe84,1K
" " 3^/zprozentige Roichsanleihe81,14

Eine der bedenklichsten Erscheinungen in der Finanzgebarung des Reiches liegt
in der Zunahme der schwebenden Schulden, die in kurzfristigen unverzins¬
lichen Schatzanweisungen und langfristigen verzinslichen Schatzscheinen bestehn.
Namentlich die zuletzt genannten haben eine enorme Steigerung erfahren. Sie
sind vom Jahre 1901 mit 175 Millionen Mark 1902/04 auf 275, 1905/07
auf 350 und 1908 auf 475 Millionen Mark angeschwollen; für 1909 ist der
Höchstbetrag sogar mit 600 Millionen Mark in Aussicht genommen.

Im dritten Buch wird dann Deutschlands Bedarf und Leistungs¬
fähigkeit behandelt und die Frage, wie wir aus der Finanznot hinauskommen,
dahin beantwortet, daß eine energische Schuldentilgung vorgenommen, ferner
auf Jahre hinaus das Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen her¬
gestellt und endlich das Verhältnis zwischen Reich und Einzelstaaten endgiltig
geregelt werden müsse. Das Finanzgesetz schlägt in Paragraph 2 vor, die
Tilgung der Reichsanleiheschuld nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen
vorzunehmen:

Die Bestimmungen, welche für die Tilgung der zu werbenden Zwecken
bereits ausgegebnen Anleihen gelten, bleiben in Kraft. Zur Tilgung der bis
30. September 1909 begehren sonstigen Anleihen ist jährlich mindestens eins
vom Hundert des an diesem Tage vorhandnen Schuldkapitals unter Hinzu¬
nehmung der ersparten Zinsen zu verwenden.

Zur Tilgung des vom 1. Oktober 1909 ab begehren Schuldkapitals sind
jährlich

g.) von dem für werbende Zwecke bewilligten Anleihebetrage mindestens
1,9 vom Hundert,

d) im übrigen mindestens drei vom Hundert, in beiden Fällen unter Hinzu¬
rechnung der ersparten Zinsen zu verwenden.

Als ersparte Zinsen sind 5^ vom Hundert der zur Tilgung aufgewendeten
Summe anzusetzen.

Die danach zur Schuldentilgung erforderlichen Beträge sind jährlich durch
den Reichshaushaltsetat bereitzustellen. Abschreibungen vom Anleihesoll und
Anrechnungen auf offne Kredite bis zur Höhe der zur Schuldentilgung zur
Verfügung stehenden Beträge sind einer Tilgung gleichzuachten.

Im Beginn der Schuldentilgung stehen also wiederum auch neue An¬
forderungen. Es ist klar, daß man ohne neue Steuern die Schulden nicht
tilgen kann.


Die Reichsfinanzreform

Dieser Anleihepolitik entsprechend stellte sich der Durchschnittskurs für die
englischen und französischen Anleihen wesentlich günstiger, er betrug 1907

für die englischen Konsols , , ,100,60
„ „ französische Rente , , .S4,47
„ „ Sprozentige Reichsanleihe84,1K
„ „ 3^/zprozentige Roichsanleihe81,14

Eine der bedenklichsten Erscheinungen in der Finanzgebarung des Reiches liegt
in der Zunahme der schwebenden Schulden, die in kurzfristigen unverzins¬
lichen Schatzanweisungen und langfristigen verzinslichen Schatzscheinen bestehn.
Namentlich die zuletzt genannten haben eine enorme Steigerung erfahren. Sie
sind vom Jahre 1901 mit 175 Millionen Mark 1902/04 auf 275, 1905/07
auf 350 und 1908 auf 475 Millionen Mark angeschwollen; für 1909 ist der
Höchstbetrag sogar mit 600 Millionen Mark in Aussicht genommen.

Im dritten Buch wird dann Deutschlands Bedarf und Leistungs¬
fähigkeit behandelt und die Frage, wie wir aus der Finanznot hinauskommen,
dahin beantwortet, daß eine energische Schuldentilgung vorgenommen, ferner
auf Jahre hinaus das Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen her¬
gestellt und endlich das Verhältnis zwischen Reich und Einzelstaaten endgiltig
geregelt werden müsse. Das Finanzgesetz schlägt in Paragraph 2 vor, die
Tilgung der Reichsanleiheschuld nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen
vorzunehmen:

Die Bestimmungen, welche für die Tilgung der zu werbenden Zwecken
bereits ausgegebnen Anleihen gelten, bleiben in Kraft. Zur Tilgung der bis
30. September 1909 begehren sonstigen Anleihen ist jährlich mindestens eins
vom Hundert des an diesem Tage vorhandnen Schuldkapitals unter Hinzu¬
nehmung der ersparten Zinsen zu verwenden.

Zur Tilgung des vom 1. Oktober 1909 ab begehren Schuldkapitals sind
jährlich

g.) von dem für werbende Zwecke bewilligten Anleihebetrage mindestens
1,9 vom Hundert,

d) im übrigen mindestens drei vom Hundert, in beiden Fällen unter Hinzu¬
rechnung der ersparten Zinsen zu verwenden.

Als ersparte Zinsen sind 5^ vom Hundert der zur Tilgung aufgewendeten
Summe anzusetzen.

Die danach zur Schuldentilgung erforderlichen Beträge sind jährlich durch
den Reichshaushaltsetat bereitzustellen. Abschreibungen vom Anleihesoll und
Anrechnungen auf offne Kredite bis zur Höhe der zur Schuldentilgung zur
Verfügung stehenden Beträge sind einer Tilgung gleichzuachten.

Im Beginn der Schuldentilgung stehen also wiederum auch neue An¬
forderungen. Es ist klar, daß man ohne neue Steuern die Schulden nicht
tilgen kann.


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[0640] Die Reichsfinanzreform Dieser Anleihepolitik entsprechend stellte sich der Durchschnittskurs für die englischen und französischen Anleihen wesentlich günstiger, er betrug 1907 für die englischen Konsols , , ,100,60 „ „ französische Rente , , .S4,47 „ „ Sprozentige Reichsanleihe84,1K „ „ 3^/zprozentige Roichsanleihe81,14 Eine der bedenklichsten Erscheinungen in der Finanzgebarung des Reiches liegt in der Zunahme der schwebenden Schulden, die in kurzfristigen unverzins¬ lichen Schatzanweisungen und langfristigen verzinslichen Schatzscheinen bestehn. Namentlich die zuletzt genannten haben eine enorme Steigerung erfahren. Sie sind vom Jahre 1901 mit 175 Millionen Mark 1902/04 auf 275, 1905/07 auf 350 und 1908 auf 475 Millionen Mark angeschwollen; für 1909 ist der Höchstbetrag sogar mit 600 Millionen Mark in Aussicht genommen. Im dritten Buch wird dann Deutschlands Bedarf und Leistungs¬ fähigkeit behandelt und die Frage, wie wir aus der Finanznot hinauskommen, dahin beantwortet, daß eine energische Schuldentilgung vorgenommen, ferner auf Jahre hinaus das Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen her¬ gestellt und endlich das Verhältnis zwischen Reich und Einzelstaaten endgiltig geregelt werden müsse. Das Finanzgesetz schlägt in Paragraph 2 vor, die Tilgung der Reichsanleiheschuld nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen vorzunehmen: Die Bestimmungen, welche für die Tilgung der zu werbenden Zwecken bereits ausgegebnen Anleihen gelten, bleiben in Kraft. Zur Tilgung der bis 30. September 1909 begehren sonstigen Anleihen ist jährlich mindestens eins vom Hundert des an diesem Tage vorhandnen Schuldkapitals unter Hinzu¬ nehmung der ersparten Zinsen zu verwenden. Zur Tilgung des vom 1. Oktober 1909 ab begehren Schuldkapitals sind jährlich g.) von dem für werbende Zwecke bewilligten Anleihebetrage mindestens 1,9 vom Hundert, d) im übrigen mindestens drei vom Hundert, in beiden Fällen unter Hinzu¬ rechnung der ersparten Zinsen zu verwenden. Als ersparte Zinsen sind 5^ vom Hundert der zur Tilgung aufgewendeten Summe anzusetzen. Die danach zur Schuldentilgung erforderlichen Beträge sind jährlich durch den Reichshaushaltsetat bereitzustellen. Abschreibungen vom Anleihesoll und Anrechnungen auf offne Kredite bis zur Höhe der zur Schuldentilgung zur Verfügung stehenden Beträge sind einer Tilgung gleichzuachten. Im Beginn der Schuldentilgung stehen also wiederum auch neue An¬ forderungen. Es ist klar, daß man ohne neue Steuern die Schulden nicht tilgen kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/640>, abgerufen am 23.07.2024.