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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Ferdinand Georg lValdmüller

eignen, "auf die schlichte Wiedergabe der Natur gerichteten Bestrebungen" nicht
blind war.

Und so sind denn seine Genrebilder aus dem österreichischen Bauernleben
trotz eines gewissen bühnenmäßigen Arrangements der Gruppen frei von allem
falschen Pathos, dafür aber im Detail von einer überzeugenden Natürlichkeit,
die uns heute noch verblüfft, und die durch das sorgfältig beobachtete und
wiedergegebne Milieu, vor allem auch durch die enge Verbindung mit der
Landschaft gesteigert wird. Ja bei einer Reihe solcher Bilder tritt das
Figürliche mehr und mehr hinter das Landschaftliche zurück, und wir
können an ihnen den Übergang zur reinen Landschaft gleichsam etappenweise
verfolgen.

Man hat in Waldmüller lange Zeit hauptsächlich den Genremaler be¬
wundert. Seine Bedeutung für uns liegt jedoch in seiner Wirksamkeit als
Landschafter und Porträtist. Was er auf diesen Gebieten geleistet hat, stellt
ihn neben die Größten aller Zeiten. In der Darstellung der atmosphärischen
Stimmungen und des Sonnenlichts erscheint er geradezu als ein Bahnbrecher,
neben dem die großen Niederländer verblassen. Er legt nichts in die Land¬
schaft hinein, aber er holt aus ihr heraus, was darin steckt -- nicht nur die
Struktur des Bodens und das Vegetationskleid, sondern auch ihre Seele, den
SsruiiZ loci. Da wird nichts frisiert, nichts "schön gemacht", nichts "aus
künstlerischen Gründen" weggelassen oder hinzugetan, und eben deshalb wirken
diese Bilder wie Ausblicke in die Natur selbst. Und wie versteht Waldmüller
die Bäume zu malen! Von dem berüchtigten akademischen "Baumschlag", der
jeden Baum nach einer bestimmten Schablone behandelte, ist da nichts zu spüren.
Hier sehen wir Baumindividualitäten, die in der Welt nur einmal vorkommen
können, deren Eigenart aber so fein erfaßt und mit so wundervoller Charakteristik
wiedergegeben ist, daß sie als typische Repräsentanten ihrer Gattung erscheinen.
Ob Waldmüller nun die Tannen am Waldbach Strubb oder die Olivenbäume
bei Riva oder die Buchen im Wiener Walde oder endlich die Eichen und Silber¬
pappeln der Praterauen malt -- immer gibt er Baumporträts, die den Be¬
schauer wie Bildnisse lieber Bekannten anmuten.

Es ist für den Künstler bezeichnend, daß er auch Menschenbildnisse mit
reichem landschaftlichen Hintergrund geschaffen hat. Auf zweien der in dem
Buche reproduzierten Bilder sind die dargestellten Personen untrennbar mit
der Landschaft verbunden: auf dem Familienporträt des Notars Eltz, wo eine
zehnköpfige Gesellschaft bei einer Bergfahrt rastet, und auf dem unter dem
Namen "Die entblätterte Rose" bekannten angeblichen Bildnis der Sängerin
Malibran, die in träumerisch-nachlässiger Haltung auf der Steinbank eines
südlich-üppigen Terrassengartens sitzt. Zwischen diesem Garten und dem im
Hintergrunde aufsteigenden Hochgebirge dehnt sich ein Tal, aus dessen Grunde
der Spiegel eines Sees aufleuchtet. Es liegt etwas wie die Stimmung aus
Mignons Sehnsuchtslied über diesem Bilde, nicht zum wenigsten über Gestalt


Ferdinand Georg lValdmüller

eignen, „auf die schlichte Wiedergabe der Natur gerichteten Bestrebungen" nicht
blind war.

Und so sind denn seine Genrebilder aus dem österreichischen Bauernleben
trotz eines gewissen bühnenmäßigen Arrangements der Gruppen frei von allem
falschen Pathos, dafür aber im Detail von einer überzeugenden Natürlichkeit,
die uns heute noch verblüfft, und die durch das sorgfältig beobachtete und
wiedergegebne Milieu, vor allem auch durch die enge Verbindung mit der
Landschaft gesteigert wird. Ja bei einer Reihe solcher Bilder tritt das
Figürliche mehr und mehr hinter das Landschaftliche zurück, und wir
können an ihnen den Übergang zur reinen Landschaft gleichsam etappenweise
verfolgen.

Man hat in Waldmüller lange Zeit hauptsächlich den Genremaler be¬
wundert. Seine Bedeutung für uns liegt jedoch in seiner Wirksamkeit als
Landschafter und Porträtist. Was er auf diesen Gebieten geleistet hat, stellt
ihn neben die Größten aller Zeiten. In der Darstellung der atmosphärischen
Stimmungen und des Sonnenlichts erscheint er geradezu als ein Bahnbrecher,
neben dem die großen Niederländer verblassen. Er legt nichts in die Land¬
schaft hinein, aber er holt aus ihr heraus, was darin steckt — nicht nur die
Struktur des Bodens und das Vegetationskleid, sondern auch ihre Seele, den
SsruiiZ loci. Da wird nichts frisiert, nichts „schön gemacht", nichts „aus
künstlerischen Gründen" weggelassen oder hinzugetan, und eben deshalb wirken
diese Bilder wie Ausblicke in die Natur selbst. Und wie versteht Waldmüller
die Bäume zu malen! Von dem berüchtigten akademischen „Baumschlag", der
jeden Baum nach einer bestimmten Schablone behandelte, ist da nichts zu spüren.
Hier sehen wir Baumindividualitäten, die in der Welt nur einmal vorkommen
können, deren Eigenart aber so fein erfaßt und mit so wundervoller Charakteristik
wiedergegeben ist, daß sie als typische Repräsentanten ihrer Gattung erscheinen.
Ob Waldmüller nun die Tannen am Waldbach Strubb oder die Olivenbäume
bei Riva oder die Buchen im Wiener Walde oder endlich die Eichen und Silber¬
pappeln der Praterauen malt — immer gibt er Baumporträts, die den Be¬
schauer wie Bildnisse lieber Bekannten anmuten.

Es ist für den Künstler bezeichnend, daß er auch Menschenbildnisse mit
reichem landschaftlichen Hintergrund geschaffen hat. Auf zweien der in dem
Buche reproduzierten Bilder sind die dargestellten Personen untrennbar mit
der Landschaft verbunden: auf dem Familienporträt des Notars Eltz, wo eine
zehnköpfige Gesellschaft bei einer Bergfahrt rastet, und auf dem unter dem
Namen „Die entblätterte Rose" bekannten angeblichen Bildnis der Sängerin
Malibran, die in träumerisch-nachlässiger Haltung auf der Steinbank eines
südlich-üppigen Terrassengartens sitzt. Zwischen diesem Garten und dem im
Hintergrunde aufsteigenden Hochgebirge dehnt sich ein Tal, aus dessen Grunde
der Spiegel eines Sees aufleuchtet. Es liegt etwas wie die Stimmung aus
Mignons Sehnsuchtslied über diesem Bilde, nicht zum wenigsten über Gestalt


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[0610] Ferdinand Georg lValdmüller eignen, „auf die schlichte Wiedergabe der Natur gerichteten Bestrebungen" nicht blind war. Und so sind denn seine Genrebilder aus dem österreichischen Bauernleben trotz eines gewissen bühnenmäßigen Arrangements der Gruppen frei von allem falschen Pathos, dafür aber im Detail von einer überzeugenden Natürlichkeit, die uns heute noch verblüfft, und die durch das sorgfältig beobachtete und wiedergegebne Milieu, vor allem auch durch die enge Verbindung mit der Landschaft gesteigert wird. Ja bei einer Reihe solcher Bilder tritt das Figürliche mehr und mehr hinter das Landschaftliche zurück, und wir können an ihnen den Übergang zur reinen Landschaft gleichsam etappenweise verfolgen. Man hat in Waldmüller lange Zeit hauptsächlich den Genremaler be¬ wundert. Seine Bedeutung für uns liegt jedoch in seiner Wirksamkeit als Landschafter und Porträtist. Was er auf diesen Gebieten geleistet hat, stellt ihn neben die Größten aller Zeiten. In der Darstellung der atmosphärischen Stimmungen und des Sonnenlichts erscheint er geradezu als ein Bahnbrecher, neben dem die großen Niederländer verblassen. Er legt nichts in die Land¬ schaft hinein, aber er holt aus ihr heraus, was darin steckt — nicht nur die Struktur des Bodens und das Vegetationskleid, sondern auch ihre Seele, den SsruiiZ loci. Da wird nichts frisiert, nichts „schön gemacht", nichts „aus künstlerischen Gründen" weggelassen oder hinzugetan, und eben deshalb wirken diese Bilder wie Ausblicke in die Natur selbst. Und wie versteht Waldmüller die Bäume zu malen! Von dem berüchtigten akademischen „Baumschlag", der jeden Baum nach einer bestimmten Schablone behandelte, ist da nichts zu spüren. Hier sehen wir Baumindividualitäten, die in der Welt nur einmal vorkommen können, deren Eigenart aber so fein erfaßt und mit so wundervoller Charakteristik wiedergegeben ist, daß sie als typische Repräsentanten ihrer Gattung erscheinen. Ob Waldmüller nun die Tannen am Waldbach Strubb oder die Olivenbäume bei Riva oder die Buchen im Wiener Walde oder endlich die Eichen und Silber¬ pappeln der Praterauen malt — immer gibt er Baumporträts, die den Be¬ schauer wie Bildnisse lieber Bekannten anmuten. Es ist für den Künstler bezeichnend, daß er auch Menschenbildnisse mit reichem landschaftlichen Hintergrund geschaffen hat. Auf zweien der in dem Buche reproduzierten Bilder sind die dargestellten Personen untrennbar mit der Landschaft verbunden: auf dem Familienporträt des Notars Eltz, wo eine zehnköpfige Gesellschaft bei einer Bergfahrt rastet, und auf dem unter dem Namen „Die entblätterte Rose" bekannten angeblichen Bildnis der Sängerin Malibran, die in träumerisch-nachlässiger Haltung auf der Steinbank eines südlich-üppigen Terrassengartens sitzt. Zwischen diesem Garten und dem im Hintergrunde aufsteigenden Hochgebirge dehnt sich ein Tal, aus dessen Grunde der Spiegel eines Sees aufleuchtet. Es liegt etwas wie die Stimmung aus Mignons Sehnsuchtslied über diesem Bilde, nicht zum wenigsten über Gestalt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/610>, abgerufen am 12.12.2024.