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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Das allslawische Problem und der deutsche Nationalstaat

Seite herzlich wenig getan worden, um so mehr von den Polen, Tschechen
und neuerdings auch von den Russen.

In dem Maße, wie die allslawischen Bestrebungen in Österreich an Boden
gewinnen und das slawische Element die Oberhand in der Politik nimmt,
wird Rußland genötigt sein, auch die von den gebildeten Kreisen angestrebte
Aussöhnung mit den Polen in das Programm der amtlichen Politik aufzu¬
nehmen oder aber auf seinen Einfluß auf die Tschechen und Südslawen zu
verzichten. Die Polen sind für Rußland ein Kulturfaktor, den jene weiten
Schichten der russischen Gesellschaft gern bei sich aufnehmen, die unter der
Bezeichnung "Westler" bekannt sind.

Rußland müßte aufhören, die eignen Polen zu bekämpfen, und müßte sich
selbst zum Träger der polnischen Pläne machen, die auf die Gewinnung der
ehemals polnischen Lande Preußens einschließlich der Weichselmündung aus¬
gehn. Wir haben im ersten Teile dieses Aufsatzes*) angedeutet, wo Rußland
für eine solche Politik Bundesgenossen finden könnte.

Der hauptsächlichste Widerstand hiergegen liegt bei der russischen Geist¬
lichkeit und bei einem Teil der Moskaner und südrussischen Industrie. Es
hängt nun meines Trachtens besonders von der innern Zersetzung der rus¬
sischen Kirche ab, die -- das sei hervorgehoben -- schon sehr stark vorge¬
schritten ist, ob und wann die genannten Widerstände beseitigt werden können.
Gegenwärtig gibt es noch einige einflußreiche Männer in Rußland, die bereit
wären, das Zartum Polen bis zur Weichsellinie an Preußen abzutreten --
nicht an Österreich. Aber ich glaube, in etwa fünfzehn Jahren wird auch diese
Richtung vollständig verschwunden sein. Die junge Generation des Adels
wächst schon heran, geleitet durch den Moskaner Kreis, der sich um die Namen
Trubetzkoj, Struve geschart hat.

Dennoch stehn wir nicht unbewehrt da. Gegen die oben angedeutete Ge¬
fahr können wir unsre preußische Ostmark schützen durch rücksichtslose Ver¬
drängung des polnischen Einflusses. Das geschieht aber am besten durch An¬
sehung deutscher Bauern und durch Aufteilung aller großen Güter, die nicht
imstande sind, sich deutsche Arbeitskräfte zu halten. Unser Osten fordert im
Interesse der Neichssicherheit gebieterisch eine tiefgreifende Reform der Agrar-
verhältnisse nach demokratischen, ja bodenreformerischen Grundsätzen, die vor
der Verwaltungsreform nicht haltmachen darf.**) Das ist eine Aufgabe der
nationalen Parteien in Preußen.

Die Gefahr von Osten wird meines Erachtens gemildert durch ein sla¬
wisches und demokratisches Österreich. Ein solches ist der natürliche Gegner
Rußlands auf dem Balkan -- es ist der geborne Feind des reaktionären




*) Grenzboten Heft 11.
**
) Vergleiche hierzu meine Reisebriefe aus der Ostmark im Sommer 1908. Grenzboten
Ur. 33, 3S. 37, 39.
Grenzboten I 1909 76
Das allslawische Problem und der deutsche Nationalstaat

Seite herzlich wenig getan worden, um so mehr von den Polen, Tschechen
und neuerdings auch von den Russen.

In dem Maße, wie die allslawischen Bestrebungen in Österreich an Boden
gewinnen und das slawische Element die Oberhand in der Politik nimmt,
wird Rußland genötigt sein, auch die von den gebildeten Kreisen angestrebte
Aussöhnung mit den Polen in das Programm der amtlichen Politik aufzu¬
nehmen oder aber auf seinen Einfluß auf die Tschechen und Südslawen zu
verzichten. Die Polen sind für Rußland ein Kulturfaktor, den jene weiten
Schichten der russischen Gesellschaft gern bei sich aufnehmen, die unter der
Bezeichnung „Westler" bekannt sind.

Rußland müßte aufhören, die eignen Polen zu bekämpfen, und müßte sich
selbst zum Träger der polnischen Pläne machen, die auf die Gewinnung der
ehemals polnischen Lande Preußens einschließlich der Weichselmündung aus¬
gehn. Wir haben im ersten Teile dieses Aufsatzes*) angedeutet, wo Rußland
für eine solche Politik Bundesgenossen finden könnte.

Der hauptsächlichste Widerstand hiergegen liegt bei der russischen Geist¬
lichkeit und bei einem Teil der Moskaner und südrussischen Industrie. Es
hängt nun meines Trachtens besonders von der innern Zersetzung der rus¬
sischen Kirche ab, die — das sei hervorgehoben — schon sehr stark vorge¬
schritten ist, ob und wann die genannten Widerstände beseitigt werden können.
Gegenwärtig gibt es noch einige einflußreiche Männer in Rußland, die bereit
wären, das Zartum Polen bis zur Weichsellinie an Preußen abzutreten —
nicht an Österreich. Aber ich glaube, in etwa fünfzehn Jahren wird auch diese
Richtung vollständig verschwunden sein. Die junge Generation des Adels
wächst schon heran, geleitet durch den Moskaner Kreis, der sich um die Namen
Trubetzkoj, Struve geschart hat.

Dennoch stehn wir nicht unbewehrt da. Gegen die oben angedeutete Ge¬
fahr können wir unsre preußische Ostmark schützen durch rücksichtslose Ver¬
drängung des polnischen Einflusses. Das geschieht aber am besten durch An¬
sehung deutscher Bauern und durch Aufteilung aller großen Güter, die nicht
imstande sind, sich deutsche Arbeitskräfte zu halten. Unser Osten fordert im
Interesse der Neichssicherheit gebieterisch eine tiefgreifende Reform der Agrar-
verhältnisse nach demokratischen, ja bodenreformerischen Grundsätzen, die vor
der Verwaltungsreform nicht haltmachen darf.**) Das ist eine Aufgabe der
nationalen Parteien in Preußen.

Die Gefahr von Osten wird meines Erachtens gemildert durch ein sla¬
wisches und demokratisches Österreich. Ein solches ist der natürliche Gegner
Rußlands auf dem Balkan — es ist der geborne Feind des reaktionären




*) Grenzboten Heft 11.
**
) Vergleiche hierzu meine Reisebriefe aus der Ostmark im Sommer 1908. Grenzboten
Ur. 33, 3S. 37, 39.
Grenzboten I 1909 76
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[0593] Das allslawische Problem und der deutsche Nationalstaat Seite herzlich wenig getan worden, um so mehr von den Polen, Tschechen und neuerdings auch von den Russen. In dem Maße, wie die allslawischen Bestrebungen in Österreich an Boden gewinnen und das slawische Element die Oberhand in der Politik nimmt, wird Rußland genötigt sein, auch die von den gebildeten Kreisen angestrebte Aussöhnung mit den Polen in das Programm der amtlichen Politik aufzu¬ nehmen oder aber auf seinen Einfluß auf die Tschechen und Südslawen zu verzichten. Die Polen sind für Rußland ein Kulturfaktor, den jene weiten Schichten der russischen Gesellschaft gern bei sich aufnehmen, die unter der Bezeichnung „Westler" bekannt sind. Rußland müßte aufhören, die eignen Polen zu bekämpfen, und müßte sich selbst zum Träger der polnischen Pläne machen, die auf die Gewinnung der ehemals polnischen Lande Preußens einschließlich der Weichselmündung aus¬ gehn. Wir haben im ersten Teile dieses Aufsatzes*) angedeutet, wo Rußland für eine solche Politik Bundesgenossen finden könnte. Der hauptsächlichste Widerstand hiergegen liegt bei der russischen Geist¬ lichkeit und bei einem Teil der Moskaner und südrussischen Industrie. Es hängt nun meines Trachtens besonders von der innern Zersetzung der rus¬ sischen Kirche ab, die — das sei hervorgehoben — schon sehr stark vorge¬ schritten ist, ob und wann die genannten Widerstände beseitigt werden können. Gegenwärtig gibt es noch einige einflußreiche Männer in Rußland, die bereit wären, das Zartum Polen bis zur Weichsellinie an Preußen abzutreten — nicht an Österreich. Aber ich glaube, in etwa fünfzehn Jahren wird auch diese Richtung vollständig verschwunden sein. Die junge Generation des Adels wächst schon heran, geleitet durch den Moskaner Kreis, der sich um die Namen Trubetzkoj, Struve geschart hat. Dennoch stehn wir nicht unbewehrt da. Gegen die oben angedeutete Ge¬ fahr können wir unsre preußische Ostmark schützen durch rücksichtslose Ver¬ drängung des polnischen Einflusses. Das geschieht aber am besten durch An¬ sehung deutscher Bauern und durch Aufteilung aller großen Güter, die nicht imstande sind, sich deutsche Arbeitskräfte zu halten. Unser Osten fordert im Interesse der Neichssicherheit gebieterisch eine tiefgreifende Reform der Agrar- verhältnisse nach demokratischen, ja bodenreformerischen Grundsätzen, die vor der Verwaltungsreform nicht haltmachen darf.**) Das ist eine Aufgabe der nationalen Parteien in Preußen. Die Gefahr von Osten wird meines Erachtens gemildert durch ein sla¬ wisches und demokratisches Österreich. Ein solches ist der natürliche Gegner Rußlands auf dem Balkan — es ist der geborne Feind des reaktionären *) Grenzboten Heft 11. ** ) Vergleiche hierzu meine Reisebriefe aus der Ostmark im Sommer 1908. Grenzboten Ur. 33, 3S. 37, 39. Grenzboten I 1909 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/593>, abgerufen am 12.12.2024.