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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Wir können somit in der amtlichen russischen Polenpolitik eine Ergänzung
der preußischen Polenpolitik erkennen. Dabei dürfen wir uns jedoch acht be¬
ruhigen. Denn mehr noch als unsre Ostmarkenpolitik ist die russische Westmarken-
Politik wesentlichen Schwankungen unterlegen, und geringer noch als unsre
Erfolge sind die der russischen Polenpolitik. So haben zum B^l ewige
finanztechnische und wirtschaftspolitische Maßregeln des Herrn Witte eme Reese
v°n politischen Vorschriften hinfällig gemacht. Die gegenwärtige Haltung der
russischen Regierung gibt uns keine Gewähr dafür, daß sie nun auch drei, sun
"der gar fünfzehn Jahre lang konsequent beibehalten wird.Gegenwärtig steh
man in Rußland noch unter dem Eindruck der letzten Revoliitwn insonderheit
der großen Eisenbahner-und Poststreiks. an denen hauptsächlich d.e Polen be¬
teiligt waren. Schon in wenig Jahren - die Zeit heilt bekanntlich alles - kann
der Eindruck verwischt sein, und wohl um so leichter, wenn von irgendeiner Seite
politischer Zwang hinzutreten sollte. Und so erwarte ich und mit mir zahlreiche
russische und polnische Politiker eine Wendung der russischen Politik den Polen
gegenüber nicht so von der Duma als von der Regierung aus. Die teilweise
Erfüllung der polnischen Hoffnungen machen die Russen abhängig von den
amtlichen Beziehungen zu England. Eine wichtige Frage ist deshalb für die
Russen und die Polen, wie viel englandfreundliche Elemente in die maßgebenden
Kreise Petersburgs an den Hof und in die Ministerien gelangen. Und da ist es
äußerst interessant, zu beobachten, wie gerade die mangelnde Bildung bei den
Moskowitern die Veranlassung dafür wird, daß Nichtrussen den gedachten
Einfluß gewinnen. Moskowiter haben nicht genügenden Bildungsüberschuß, um
imstande zu sein, das gewaltige Reich mit eignen Kräften zu verwalten. S,e
sind mit dem steigenden Fortschritt auch in steigendem Maße gezwungen. Fremd¬
völker, wie Deutsche. Polen. Letten, Ehlen. Kaukasier usw.. ja sogar Juden, die
doch strengen Ausnahmegesetzen unterworfen sind, in großer Zahl in ihre
Beamtcnkörper aufzunehmen. Die systematische, seit der Mitte der siebter >;ahre
betriebne Hetze gegen das Deutschtum innerhalb und außerhalb Rußlands hat
gegen die Aufnahme von Deutschen in die höchsten Stellen der Beamtenschaft
einen solchen Widerwillen erzeugt, daß wir deutsche Namen immer mehr aus
den Ranglisten verschwinden sehen. Wo wir ihnen aber begegnen, haben ste
ihr Deutschtum meist längst abgestreift und dieser Tatsache unter anderm Ausdruck
verliehen durch den Übertritt zum orthodoxen Glauben. Ich nenne die Namen
Plehwe. Meyendorf. Graf Lambsdorf - ihre Zahl ist ganz wesentlich zu ver¬
mehren. Das hervorragend gute Beamteumaterial aus Deutschen wird größten¬
teils ersetzt durch Polen und Letten. Ist es nun anch in friedlichen Zeiten
politisch belanglos, ob das technische Personal von Post. Telegraph und
Eisenbahn nicht durchgehend russisch bleibt, so muß es doch zur Aufmerksamkeit
Veranlassung geben, wenn zum Beispiel aus den obersten Justizbehörden, vor
allen Dingen aus dem Senat, das russische Element verdrängt wird. In den
Senat können tatsächlich nur hervorragende Juristen und makellose Männer


Wir können somit in der amtlichen russischen Polenpolitik eine Ergänzung
der preußischen Polenpolitik erkennen. Dabei dürfen wir uns jedoch acht be¬
ruhigen. Denn mehr noch als unsre Ostmarkenpolitik ist die russische Westmarken-
Politik wesentlichen Schwankungen unterlegen, und geringer noch als unsre
Erfolge sind die der russischen Polenpolitik. So haben zum B^l ewige
finanztechnische und wirtschaftspolitische Maßregeln des Herrn Witte eme Reese
v°n politischen Vorschriften hinfällig gemacht. Die gegenwärtige Haltung der
russischen Regierung gibt uns keine Gewähr dafür, daß sie nun auch drei, sun
»der gar fünfzehn Jahre lang konsequent beibehalten wird.Gegenwärtig steh
man in Rußland noch unter dem Eindruck der letzten Revoliitwn insonderheit
der großen Eisenbahner-und Poststreiks. an denen hauptsächlich d.e Polen be¬
teiligt waren. Schon in wenig Jahren - die Zeit heilt bekanntlich alles - kann
der Eindruck verwischt sein, und wohl um so leichter, wenn von irgendeiner Seite
politischer Zwang hinzutreten sollte. Und so erwarte ich und mit mir zahlreiche
russische und polnische Politiker eine Wendung der russischen Politik den Polen
gegenüber nicht so von der Duma als von der Regierung aus. Die teilweise
Erfüllung der polnischen Hoffnungen machen die Russen abhängig von den
amtlichen Beziehungen zu England. Eine wichtige Frage ist deshalb für die
Russen und die Polen, wie viel englandfreundliche Elemente in die maßgebenden
Kreise Petersburgs an den Hof und in die Ministerien gelangen. Und da ist es
äußerst interessant, zu beobachten, wie gerade die mangelnde Bildung bei den
Moskowitern die Veranlassung dafür wird, daß Nichtrussen den gedachten
Einfluß gewinnen. Moskowiter haben nicht genügenden Bildungsüberschuß, um
imstande zu sein, das gewaltige Reich mit eignen Kräften zu verwalten. S,e
sind mit dem steigenden Fortschritt auch in steigendem Maße gezwungen. Fremd¬
völker, wie Deutsche. Polen. Letten, Ehlen. Kaukasier usw.. ja sogar Juden, die
doch strengen Ausnahmegesetzen unterworfen sind, in großer Zahl in ihre
Beamtcnkörper aufzunehmen. Die systematische, seit der Mitte der siebter >;ahre
betriebne Hetze gegen das Deutschtum innerhalb und außerhalb Rußlands hat
gegen die Aufnahme von Deutschen in die höchsten Stellen der Beamtenschaft
einen solchen Widerwillen erzeugt, daß wir deutsche Namen immer mehr aus
den Ranglisten verschwinden sehen. Wo wir ihnen aber begegnen, haben ste
ihr Deutschtum meist längst abgestreift und dieser Tatsache unter anderm Ausdruck
verliehen durch den Übertritt zum orthodoxen Glauben. Ich nenne die Namen
Plehwe. Meyendorf. Graf Lambsdorf - ihre Zahl ist ganz wesentlich zu ver¬
mehren. Das hervorragend gute Beamteumaterial aus Deutschen wird größten¬
teils ersetzt durch Polen und Letten. Ist es nun anch in friedlichen Zeiten
politisch belanglos, ob das technische Personal von Post. Telegraph und
Eisenbahn nicht durchgehend russisch bleibt, so muß es doch zur Aufmerksamkeit
Veranlassung geben, wenn zum Beispiel aus den obersten Justizbehörden, vor
allen Dingen aus dem Senat, das russische Element verdrängt wird. In den
Senat können tatsächlich nur hervorragende Juristen und makellose Männer


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[0541] Wir können somit in der amtlichen russischen Polenpolitik eine Ergänzung der preußischen Polenpolitik erkennen. Dabei dürfen wir uns jedoch acht be¬ ruhigen. Denn mehr noch als unsre Ostmarkenpolitik ist die russische Westmarken- Politik wesentlichen Schwankungen unterlegen, und geringer noch als unsre Erfolge sind die der russischen Polenpolitik. So haben zum B^l ewige finanztechnische und wirtschaftspolitische Maßregeln des Herrn Witte eme Reese v°n politischen Vorschriften hinfällig gemacht. Die gegenwärtige Haltung der russischen Regierung gibt uns keine Gewähr dafür, daß sie nun auch drei, sun »der gar fünfzehn Jahre lang konsequent beibehalten wird.Gegenwärtig steh man in Rußland noch unter dem Eindruck der letzten Revoliitwn insonderheit der großen Eisenbahner-und Poststreiks. an denen hauptsächlich d.e Polen be¬ teiligt waren. Schon in wenig Jahren - die Zeit heilt bekanntlich alles - kann der Eindruck verwischt sein, und wohl um so leichter, wenn von irgendeiner Seite politischer Zwang hinzutreten sollte. Und so erwarte ich und mit mir zahlreiche russische und polnische Politiker eine Wendung der russischen Politik den Polen gegenüber nicht so von der Duma als von der Regierung aus. Die teilweise Erfüllung der polnischen Hoffnungen machen die Russen abhängig von den amtlichen Beziehungen zu England. Eine wichtige Frage ist deshalb für die Russen und die Polen, wie viel englandfreundliche Elemente in die maßgebenden Kreise Petersburgs an den Hof und in die Ministerien gelangen. Und da ist es äußerst interessant, zu beobachten, wie gerade die mangelnde Bildung bei den Moskowitern die Veranlassung dafür wird, daß Nichtrussen den gedachten Einfluß gewinnen. Moskowiter haben nicht genügenden Bildungsüberschuß, um imstande zu sein, das gewaltige Reich mit eignen Kräften zu verwalten. S,e sind mit dem steigenden Fortschritt auch in steigendem Maße gezwungen. Fremd¬ völker, wie Deutsche. Polen. Letten, Ehlen. Kaukasier usw.. ja sogar Juden, die doch strengen Ausnahmegesetzen unterworfen sind, in großer Zahl in ihre Beamtcnkörper aufzunehmen. Die systematische, seit der Mitte der siebter >;ahre betriebne Hetze gegen das Deutschtum innerhalb und außerhalb Rußlands hat gegen die Aufnahme von Deutschen in die höchsten Stellen der Beamtenschaft einen solchen Widerwillen erzeugt, daß wir deutsche Namen immer mehr aus den Ranglisten verschwinden sehen. Wo wir ihnen aber begegnen, haben ste ihr Deutschtum meist längst abgestreift und dieser Tatsache unter anderm Ausdruck verliehen durch den Übertritt zum orthodoxen Glauben. Ich nenne die Namen Plehwe. Meyendorf. Graf Lambsdorf - ihre Zahl ist ganz wesentlich zu ver¬ mehren. Das hervorragend gute Beamteumaterial aus Deutschen wird größten¬ teils ersetzt durch Polen und Letten. Ist es nun anch in friedlichen Zeiten politisch belanglos, ob das technische Personal von Post. Telegraph und Eisenbahn nicht durchgehend russisch bleibt, so muß es doch zur Aufmerksamkeit Veranlassung geben, wenn zum Beispiel aus den obersten Justizbehörden, vor allen Dingen aus dem Senat, das russische Element verdrängt wird. In den Senat können tatsächlich nur hervorragende Juristen und makellose Männer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/541>, abgerufen am 12.12.2024.