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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Meine Herren, sagte Rvhrschach aufstehend, seien wir doch uicht weniger mutig
als diese edle Frau, meine geehrte Gönnerin und Freundin. Lassen Sie nicht ein
Werk von so eminenter Bedeutuug, von so eminent kulturellen Endzwecke zu einem
Geschäftsuntcrnehmen herabsinken. Wir werdeu einen unvergleichlichen Genuß haben,
wir werden einen Markstein in der Musikgeschichte Neusiedels aufrichten. In diesem
Sinne wollen wir uns als Freunde und Helfer um unsre Führerin scharen und
geloben ...

Hunding war leichenblaß ins Zimmer getreten und sagte mit erstickter Stimme:
Mama, eben ist Vater gestorben.

Hunding, rief Fran von Seidelbast entsetzt, was redest dn da? Unmöglich,
ganz unmöglich!

Ja, eben ist er gestorben, wiederholte Hunding.

Aber, mein Gott, rief Frau von Seidelbast, er war doch eben noch ganz Wohl.

Das war er nicht, Mama, erwiderte Hunding, er war sehr schwach, und eben
ist er mir unter den Händen gestorben.

Frau von Seidelbast verließ schwankenden Schrittes das Zimmer. Was sie in
diesem Augenblicke empfand, ist schwer zu sagen. Etwa das, was ein Mensch
empfindet, der auf festem Boden zu stehn glaubte, und nun zerfällt ihm mit einem-
mal alles zu Asche. Ihr Verhältnis zu ihrem Manne war immer nur ein kühles
gewesen. Sie wußte, daß er krank und alt sei, und daß er einmal sterben werde;
aber daß er eben jetzt starb, in dem Augenblicke, wo sie vor der Vollendung ihres
Werkes, vor dem stolzesten Augenblicke ihres Lebens stand, daß er starb und damit
alles in Trümmer warf, sie hätte ihm darum zürne" können. Aber da war ein
andrer Gedanke, der aus der Tiefe auftauchte, deu sie nicht zu denken wagte und
doch denken mußte. Sie hatte ihren Mann allein gelassen, sie hatte ihn allein ge¬
lassen in der Stunde, wo ein Mensch des andern am nötigsten bedarf. Sie hatte
Gäste empfangen und Pläne geschmiedet, und darüber war er gestorben, und nun
kam sie zu spät, um Lebewohl zu sagen.

Die Nachricht vom Tode des Herrn erregte in der Villa Seidelbast eine große
Bestürzung. Man hörte laufende Schritte, Türen schlage", Geschirr zu Boden fallen.
Nie hatte der Herr Geheimrat bei seinen Lebzeiten sein Hans so in Bewegung
gesetzt, wie er es bei seinem Tode tat.

Die Gäste standen in stummer Verlegenheit in Gruppen beieinander. Sie fühlten
die Schuld, die auf Frau von Seidelbast lag, sie fühlten auch ihre eigne Schuld.
Sie hatten Sekt getrunken, Hochs ausgebracht und Feste gefeiert, während der Herr
des Hauses mit dem Tode rang. Der Künstler-Sänger war offenbar höchst unangenehm
berührt, und er gab sich auch keine Mühe, seine Stimmung zu verbergen. Er trat
an die Tür und rief: Johann, meinen Koffer ans den Bahnhof. Aber gleich. Meine
Herrschaften, wandte er sich an die Gäste, der Hausherr hat die Laune gehabt, un¬
erwartet abzureisen, er wird es uns nicht verübeln, wenn wir das gleiche tun.

Hilda hatte im Philosophenwinkel gesessen, als Hunding die Nachricht vom Tode
ihres Vaters brachte. Sie hatte ihrer Mutter folgen wollen, aber diese hatte ihr
zugewinkt, zurückzubleiben. Hilda blieb, während sich Nohrschach verbeugte und ent¬
fernte, wie gelähmt stehn. O, Hunding hatte recht. Er war ein Mensch, der nichts
andres als sich selbst liebte.

Da ging die eine Sonne, die Hilda soviel Unruhe und Herzcnslämpfe gemacht
hatte, unter. Aber die andre Sonne blieb.

Die Gäste rüsteten sich zum Aufbruche. Sie fingen Fräulein Binz ein und
trugen ihr soviel herzliche, herzliche Teilnahme auf, daß es Fräulein Binz, wenn
es Kränze gewesen wären, nicht hätte tragen können. Aber Philipp Ermsdorf blieb
zurück, ergriff Hildas Hand und redete zu ihr schlichte und gute Worte.


Meine Herren, sagte Rvhrschach aufstehend, seien wir doch uicht weniger mutig
als diese edle Frau, meine geehrte Gönnerin und Freundin. Lassen Sie nicht ein
Werk von so eminenter Bedeutuug, von so eminent kulturellen Endzwecke zu einem
Geschäftsuntcrnehmen herabsinken. Wir werdeu einen unvergleichlichen Genuß haben,
wir werden einen Markstein in der Musikgeschichte Neusiedels aufrichten. In diesem
Sinne wollen wir uns als Freunde und Helfer um unsre Führerin scharen und
geloben ...

Hunding war leichenblaß ins Zimmer getreten und sagte mit erstickter Stimme:
Mama, eben ist Vater gestorben.

Hunding, rief Fran von Seidelbast entsetzt, was redest dn da? Unmöglich,
ganz unmöglich!

Ja, eben ist er gestorben, wiederholte Hunding.

Aber, mein Gott, rief Frau von Seidelbast, er war doch eben noch ganz Wohl.

Das war er nicht, Mama, erwiderte Hunding, er war sehr schwach, und eben
ist er mir unter den Händen gestorben.

Frau von Seidelbast verließ schwankenden Schrittes das Zimmer. Was sie in
diesem Augenblicke empfand, ist schwer zu sagen. Etwa das, was ein Mensch
empfindet, der auf festem Boden zu stehn glaubte, und nun zerfällt ihm mit einem-
mal alles zu Asche. Ihr Verhältnis zu ihrem Manne war immer nur ein kühles
gewesen. Sie wußte, daß er krank und alt sei, und daß er einmal sterben werde;
aber daß er eben jetzt starb, in dem Augenblicke, wo sie vor der Vollendung ihres
Werkes, vor dem stolzesten Augenblicke ihres Lebens stand, daß er starb und damit
alles in Trümmer warf, sie hätte ihm darum zürne» können. Aber da war ein
andrer Gedanke, der aus der Tiefe auftauchte, deu sie nicht zu denken wagte und
doch denken mußte. Sie hatte ihren Mann allein gelassen, sie hatte ihn allein ge¬
lassen in der Stunde, wo ein Mensch des andern am nötigsten bedarf. Sie hatte
Gäste empfangen und Pläne geschmiedet, und darüber war er gestorben, und nun
kam sie zu spät, um Lebewohl zu sagen.

Die Nachricht vom Tode des Herrn erregte in der Villa Seidelbast eine große
Bestürzung. Man hörte laufende Schritte, Türen schlage», Geschirr zu Boden fallen.
Nie hatte der Herr Geheimrat bei seinen Lebzeiten sein Hans so in Bewegung
gesetzt, wie er es bei seinem Tode tat.

Die Gäste standen in stummer Verlegenheit in Gruppen beieinander. Sie fühlten
die Schuld, die auf Frau von Seidelbast lag, sie fühlten auch ihre eigne Schuld.
Sie hatten Sekt getrunken, Hochs ausgebracht und Feste gefeiert, während der Herr
des Hauses mit dem Tode rang. Der Künstler-Sänger war offenbar höchst unangenehm
berührt, und er gab sich auch keine Mühe, seine Stimmung zu verbergen. Er trat
an die Tür und rief: Johann, meinen Koffer ans den Bahnhof. Aber gleich. Meine
Herrschaften, wandte er sich an die Gäste, der Hausherr hat die Laune gehabt, un¬
erwartet abzureisen, er wird es uns nicht verübeln, wenn wir das gleiche tun.

Hilda hatte im Philosophenwinkel gesessen, als Hunding die Nachricht vom Tode
ihres Vaters brachte. Sie hatte ihrer Mutter folgen wollen, aber diese hatte ihr
zugewinkt, zurückzubleiben. Hilda blieb, während sich Nohrschach verbeugte und ent¬
fernte, wie gelähmt stehn. O, Hunding hatte recht. Er war ein Mensch, der nichts
andres als sich selbst liebte.

Da ging die eine Sonne, die Hilda soviel Unruhe und Herzcnslämpfe gemacht
hatte, unter. Aber die andre Sonne blieb.

Die Gäste rüsteten sich zum Aufbruche. Sie fingen Fräulein Binz ein und
trugen ihr soviel herzliche, herzliche Teilnahme auf, daß es Fräulein Binz, wenn
es Kränze gewesen wären, nicht hätte tragen können. Aber Philipp Ermsdorf blieb
zurück, ergriff Hildas Hand und redete zu ihr schlichte und gute Worte.


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[0516] Meine Herren, sagte Rvhrschach aufstehend, seien wir doch uicht weniger mutig als diese edle Frau, meine geehrte Gönnerin und Freundin. Lassen Sie nicht ein Werk von so eminenter Bedeutuug, von so eminent kulturellen Endzwecke zu einem Geschäftsuntcrnehmen herabsinken. Wir werdeu einen unvergleichlichen Genuß haben, wir werden einen Markstein in der Musikgeschichte Neusiedels aufrichten. In diesem Sinne wollen wir uns als Freunde und Helfer um unsre Führerin scharen und geloben ... Hunding war leichenblaß ins Zimmer getreten und sagte mit erstickter Stimme: Mama, eben ist Vater gestorben. Hunding, rief Fran von Seidelbast entsetzt, was redest dn da? Unmöglich, ganz unmöglich! Ja, eben ist er gestorben, wiederholte Hunding. Aber, mein Gott, rief Frau von Seidelbast, er war doch eben noch ganz Wohl. Das war er nicht, Mama, erwiderte Hunding, er war sehr schwach, und eben ist er mir unter den Händen gestorben. Frau von Seidelbast verließ schwankenden Schrittes das Zimmer. Was sie in diesem Augenblicke empfand, ist schwer zu sagen. Etwa das, was ein Mensch empfindet, der auf festem Boden zu stehn glaubte, und nun zerfällt ihm mit einem- mal alles zu Asche. Ihr Verhältnis zu ihrem Manne war immer nur ein kühles gewesen. Sie wußte, daß er krank und alt sei, und daß er einmal sterben werde; aber daß er eben jetzt starb, in dem Augenblicke, wo sie vor der Vollendung ihres Werkes, vor dem stolzesten Augenblicke ihres Lebens stand, daß er starb und damit alles in Trümmer warf, sie hätte ihm darum zürne» können. Aber da war ein andrer Gedanke, der aus der Tiefe auftauchte, deu sie nicht zu denken wagte und doch denken mußte. Sie hatte ihren Mann allein gelassen, sie hatte ihn allein ge¬ lassen in der Stunde, wo ein Mensch des andern am nötigsten bedarf. Sie hatte Gäste empfangen und Pläne geschmiedet, und darüber war er gestorben, und nun kam sie zu spät, um Lebewohl zu sagen. Die Nachricht vom Tode des Herrn erregte in der Villa Seidelbast eine große Bestürzung. Man hörte laufende Schritte, Türen schlage», Geschirr zu Boden fallen. Nie hatte der Herr Geheimrat bei seinen Lebzeiten sein Hans so in Bewegung gesetzt, wie er es bei seinem Tode tat. Die Gäste standen in stummer Verlegenheit in Gruppen beieinander. Sie fühlten die Schuld, die auf Frau von Seidelbast lag, sie fühlten auch ihre eigne Schuld. Sie hatten Sekt getrunken, Hochs ausgebracht und Feste gefeiert, während der Herr des Hauses mit dem Tode rang. Der Künstler-Sänger war offenbar höchst unangenehm berührt, und er gab sich auch keine Mühe, seine Stimmung zu verbergen. Er trat an die Tür und rief: Johann, meinen Koffer ans den Bahnhof. Aber gleich. Meine Herrschaften, wandte er sich an die Gäste, der Hausherr hat die Laune gehabt, un¬ erwartet abzureisen, er wird es uns nicht verübeln, wenn wir das gleiche tun. Hilda hatte im Philosophenwinkel gesessen, als Hunding die Nachricht vom Tode ihres Vaters brachte. Sie hatte ihrer Mutter folgen wollen, aber diese hatte ihr zugewinkt, zurückzubleiben. Hilda blieb, während sich Nohrschach verbeugte und ent¬ fernte, wie gelähmt stehn. O, Hunding hatte recht. Er war ein Mensch, der nichts andres als sich selbst liebte. Da ging die eine Sonne, die Hilda soviel Unruhe und Herzcnslämpfe gemacht hatte, unter. Aber die andre Sonne blieb. Die Gäste rüsteten sich zum Aufbruche. Sie fingen Fräulein Binz ein und trugen ihr soviel herzliche, herzliche Teilnahme auf, daß es Fräulein Binz, wenn es Kränze gewesen wären, nicht hätte tragen können. Aber Philipp Ermsdorf blieb zurück, ergriff Hildas Hand und redete zu ihr schlichte und gute Worte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/516>, abgerufen am 12.12.2024.