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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der Roman Lothringens

Rheins sind achtundzwanzigmal in Frankreich eingedrungen. Und die romani-
siertcn Frcmko-Gankler sind ihrerseits oft genug ins alte Deutschland eingebrochen.
Es werden auch wieder andre Zeiten kommen. "Die Wechselfälle der politischen
Geschichte können es mit sich bringen, daß Herren fremden Bluts uns unter¬
werfen, aber der Wille der Sieger vermag nicht, auch das Blut der Besiegten
zu ändern." Aber zur Zeit Heinrichs des Voglers war Metz doch deutsch! "Ich
weiß nicht -- antwortet Colette --, was die Bewohner von Metz vor tausend
Jahren gedacht haben, aber ich weiß, daß ich nicht Deutsche sein kann. Wir
fragen nur unser Herz. Haben Sie, als Sie sich Ihre Braut wählten, auch die
alten Geschichtsbücher befragt?"

Welche Haltung sollen nach der Meinung des Dichters die Deutschen den
Lothringern gegenüber einnehmen? Sie sollen vor allem nicht den organischen
Zusammenhang der Kulturentwicklung zerreißen, die Eingebornen ihren Über¬
lieferungen Treue halten lassen und ihnen nicht Anschauungen und Gefühle
sowie eine Sprache aufzwingen wollen, die ihnen ewig fremd bleiben werden.
Nsmus sagt darüber: "Unser Erscheinen bedeutet eine Krise für die lothringische
Gesellschaft; wir sollten helfen, diese Krise zu überwinden, sollten die Pflege
der allgemeinen Wohlfahrt leiten, und das Land wird uns liefern, was uns
fehlt. Wir siud nicht mehr aufgeregte Soldaten, sondern glückliche Erben eines
alten und herrlichen Besitzes. Wir dürfen auf diesem Boden nichts zerstören,
ohne geprüft und erforscht zu haben, was es an Werten in sich schließt. Ich
glaube, daß diese Werte Deutschland bereichern können---- Es ist etwas Schönes
und Reines um das Herz eines wahrhaften Deutschen; ich möchte es daher
nicht verderben durch Haß gegen ein edles Volk. Wir sollten glücklich sein,
daß dieses Land uns etwas von Frankreich zur Verfügung stellt. Goethe,
Schiller und viele andre große Männer haben erklärt, daß dem deutschen Teig
etwas französische Hefe fehle. Deshalb scheint mir der Widerstand Lothringens
gut, nützlich und unsern Interessen gemäß. Möglicherweise ist das lothringische
Leben noch nicht für alle unsre Landsleute bekömmlich, aber allmählich werden
sie es erkennen und dann nicht mehr entbehren können. Es wird sie nicht
ihrer Natur entfremden, sondern ihre Sitten mit ihren Träumen in Einklang
bringen, ihren tiefsten Neigungen entsprechen, ihre Welt erweitern und sie
erhöhen." Selbstverständlich will Asmus den Lothringern auch die französische
Sprache lassen. "Wir kommen hierher, um Französisch zu lernen und wollen
trotzdem bei den Eingebornen gerade das vernichten, was wir bei ihnen suchen?"

Es liegt uns fern, Maurice Barres wegen seinen Anschauungen an sich
tadeln zu wollen. Wir finden nur, daß er seine Tendenz durch die Verzerrungen
seines Romans nicht glücklich vertreten hat. Jeder Kenner der tatsächlichen
Verhältnisse, ob Franzose oder Deutscher, sagt sich, daß die Wahrheit' nicht da
liegen kann, wo man ihr solche Gewalt antun muß, um eine Behauptung zu
beweisen. Die Methode, jeden Deutschen eben von vornherein in Äußerlich¬
keiten lächerlich erscheinen zu lassen, ist eines Barres unwürdig. Der einzige,


Der Roman Lothringens

Rheins sind achtundzwanzigmal in Frankreich eingedrungen. Und die romani-
siertcn Frcmko-Gankler sind ihrerseits oft genug ins alte Deutschland eingebrochen.
Es werden auch wieder andre Zeiten kommen. „Die Wechselfälle der politischen
Geschichte können es mit sich bringen, daß Herren fremden Bluts uns unter¬
werfen, aber der Wille der Sieger vermag nicht, auch das Blut der Besiegten
zu ändern." Aber zur Zeit Heinrichs des Voglers war Metz doch deutsch! „Ich
weiß nicht — antwortet Colette —, was die Bewohner von Metz vor tausend
Jahren gedacht haben, aber ich weiß, daß ich nicht Deutsche sein kann. Wir
fragen nur unser Herz. Haben Sie, als Sie sich Ihre Braut wählten, auch die
alten Geschichtsbücher befragt?"

Welche Haltung sollen nach der Meinung des Dichters die Deutschen den
Lothringern gegenüber einnehmen? Sie sollen vor allem nicht den organischen
Zusammenhang der Kulturentwicklung zerreißen, die Eingebornen ihren Über¬
lieferungen Treue halten lassen und ihnen nicht Anschauungen und Gefühle
sowie eine Sprache aufzwingen wollen, die ihnen ewig fremd bleiben werden.
Nsmus sagt darüber: „Unser Erscheinen bedeutet eine Krise für die lothringische
Gesellschaft; wir sollten helfen, diese Krise zu überwinden, sollten die Pflege
der allgemeinen Wohlfahrt leiten, und das Land wird uns liefern, was uns
fehlt. Wir siud nicht mehr aufgeregte Soldaten, sondern glückliche Erben eines
alten und herrlichen Besitzes. Wir dürfen auf diesem Boden nichts zerstören,
ohne geprüft und erforscht zu haben, was es an Werten in sich schließt. Ich
glaube, daß diese Werte Deutschland bereichern können---- Es ist etwas Schönes
und Reines um das Herz eines wahrhaften Deutschen; ich möchte es daher
nicht verderben durch Haß gegen ein edles Volk. Wir sollten glücklich sein,
daß dieses Land uns etwas von Frankreich zur Verfügung stellt. Goethe,
Schiller und viele andre große Männer haben erklärt, daß dem deutschen Teig
etwas französische Hefe fehle. Deshalb scheint mir der Widerstand Lothringens
gut, nützlich und unsern Interessen gemäß. Möglicherweise ist das lothringische
Leben noch nicht für alle unsre Landsleute bekömmlich, aber allmählich werden
sie es erkennen und dann nicht mehr entbehren können. Es wird sie nicht
ihrer Natur entfremden, sondern ihre Sitten mit ihren Träumen in Einklang
bringen, ihren tiefsten Neigungen entsprechen, ihre Welt erweitern und sie
erhöhen." Selbstverständlich will Asmus den Lothringern auch die französische
Sprache lassen. „Wir kommen hierher, um Französisch zu lernen und wollen
trotzdem bei den Eingebornen gerade das vernichten, was wir bei ihnen suchen?"

Es liegt uns fern, Maurice Barres wegen seinen Anschauungen an sich
tadeln zu wollen. Wir finden nur, daß er seine Tendenz durch die Verzerrungen
seines Romans nicht glücklich vertreten hat. Jeder Kenner der tatsächlichen
Verhältnisse, ob Franzose oder Deutscher, sagt sich, daß die Wahrheit' nicht da
liegen kann, wo man ihr solche Gewalt antun muß, um eine Behauptung zu
beweisen. Die Methode, jeden Deutschen eben von vornherein in Äußerlich¬
keiten lächerlich erscheinen zu lassen, ist eines Barres unwürdig. Der einzige,


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[0512] Der Roman Lothringens Rheins sind achtundzwanzigmal in Frankreich eingedrungen. Und die romani- siertcn Frcmko-Gankler sind ihrerseits oft genug ins alte Deutschland eingebrochen. Es werden auch wieder andre Zeiten kommen. „Die Wechselfälle der politischen Geschichte können es mit sich bringen, daß Herren fremden Bluts uns unter¬ werfen, aber der Wille der Sieger vermag nicht, auch das Blut der Besiegten zu ändern." Aber zur Zeit Heinrichs des Voglers war Metz doch deutsch! „Ich weiß nicht — antwortet Colette —, was die Bewohner von Metz vor tausend Jahren gedacht haben, aber ich weiß, daß ich nicht Deutsche sein kann. Wir fragen nur unser Herz. Haben Sie, als Sie sich Ihre Braut wählten, auch die alten Geschichtsbücher befragt?" Welche Haltung sollen nach der Meinung des Dichters die Deutschen den Lothringern gegenüber einnehmen? Sie sollen vor allem nicht den organischen Zusammenhang der Kulturentwicklung zerreißen, die Eingebornen ihren Über¬ lieferungen Treue halten lassen und ihnen nicht Anschauungen und Gefühle sowie eine Sprache aufzwingen wollen, die ihnen ewig fremd bleiben werden. Nsmus sagt darüber: „Unser Erscheinen bedeutet eine Krise für die lothringische Gesellschaft; wir sollten helfen, diese Krise zu überwinden, sollten die Pflege der allgemeinen Wohlfahrt leiten, und das Land wird uns liefern, was uns fehlt. Wir siud nicht mehr aufgeregte Soldaten, sondern glückliche Erben eines alten und herrlichen Besitzes. Wir dürfen auf diesem Boden nichts zerstören, ohne geprüft und erforscht zu haben, was es an Werten in sich schließt. Ich glaube, daß diese Werte Deutschland bereichern können---- Es ist etwas Schönes und Reines um das Herz eines wahrhaften Deutschen; ich möchte es daher nicht verderben durch Haß gegen ein edles Volk. Wir sollten glücklich sein, daß dieses Land uns etwas von Frankreich zur Verfügung stellt. Goethe, Schiller und viele andre große Männer haben erklärt, daß dem deutschen Teig etwas französische Hefe fehle. Deshalb scheint mir der Widerstand Lothringens gut, nützlich und unsern Interessen gemäß. Möglicherweise ist das lothringische Leben noch nicht für alle unsre Landsleute bekömmlich, aber allmählich werden sie es erkennen und dann nicht mehr entbehren können. Es wird sie nicht ihrer Natur entfremden, sondern ihre Sitten mit ihren Träumen in Einklang bringen, ihren tiefsten Neigungen entsprechen, ihre Welt erweitern und sie erhöhen." Selbstverständlich will Asmus den Lothringern auch die französische Sprache lassen. „Wir kommen hierher, um Französisch zu lernen und wollen trotzdem bei den Eingebornen gerade das vernichten, was wir bei ihnen suchen?" Es liegt uns fern, Maurice Barres wegen seinen Anschauungen an sich tadeln zu wollen. Wir finden nur, daß er seine Tendenz durch die Verzerrungen seines Romans nicht glücklich vertreten hat. Jeder Kenner der tatsächlichen Verhältnisse, ob Franzose oder Deutscher, sagt sich, daß die Wahrheit' nicht da liegen kann, wo man ihr solche Gewalt antun muß, um eine Behauptung zu beweisen. Die Methode, jeden Deutschen eben von vornherein in Äußerlich¬ keiten lächerlich erscheinen zu lassen, ist eines Barres unwürdig. Der einzige,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/512>, abgerufen am 03.07.2024.