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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der Roman Lothringens

ich in Nürnberg betrunken torkele, so ist das durchaus in der Ordnung, aber
ich wäre untröstlich, wenn ich mich auf der Place Stanislas ungehörig be¬
nehmen würde." Er fängt an, für die Gemeinden Partei zu ergreifen, die
sich gegen deutschen Unterricht wehren; er nimmt einen Schüler in Schutz,
der sich wegen einer Verunglimpfung Bonapartes im Lesebuch empört, er stellt
Deutsche zur Rede, die sich seiner Meinung nach nicht taktvoll gegen die Ein-
gebornen benehmen, und macht die französisch-lothringische Sache so sehr zu
der seinen, daß er Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten und Kollegen
bekommt.

Allen diesen Deutschen gegenüber stehen die beiden Damen Baudoche, die
Vertreterinnen einer lebendigen Kultur, die nicht Büchergelehrsamkeit ist. Die
Französinnen lesen nur alte Jahrgänge der illustrierten Zeitschrift ^ustrasie
und lehnen sogar die Bekanntschaft mit den französischen Klassikern ab. Asmus
selbst sagt: "Meine eigne Erfahrung hat mich die Berechtigung dessen erkennen
lassen, was wir bei den Eingebornen Chauvinismus nennen, und was in
Wahrheit das vernünftige Bewußtsein einer Kultur ist. die man dein hellenischen
Attizismus an die Seite stellen muß. Auf unsern Universitäten machen wir
die Hellenen zu uusern Vorbildern, aber keine erworbne Schulweisheit wird
uns ihnen näher bringen. Ihr ganzes Leben war von einem Geist durchdrungen
und harmonisch gestaltet. Hier in Metz finde ich etwas von dieser Einheit."
Und Asmus beruft sich dabei auf Goethe. Barres sieht das hellenische Ideal
in der lothringischen Landschaft, in den lothringischen Bauten, im geistigen
Leben der Bewohner, ihrem Sinn für das schöne Maß. für Einfachheit, für
Ausgleich des Denkens und Fühlens. In ^.n sorvies as l'^IIsmaMs hatte
^ noch Taine gescholten, weil dieser auf dem Odilienberg die Goethische
Iphigenie gelesen habe, statt den romanisch-fränkisch-katholischen Charakter der
Vogesenlandschaft zu erkennen. Hat Barres seine Ansichten geändert, oder ist
Lothringen griechisch und das Elsaß gotisch?

Im Vorwort zu den Lastions ac l'Lst macht Barres darauf aufmerksam,
daß er als französischer Lothringer schreibe, und daß er als Kämpfer in den
Streit der Rassen eingreifen wolle. Auch die Lote^e Lg.nao<ZU6 ist eine Tendenz¬
schrift. Es soll bewiesen werden, daß die französische Kultur der deutschen
überlegen ist. und daß das elsaß-lothringische Grenzland noch heute wie vor
Jahrhunderten die Barbaren latinisiert und die Eroberer der romanischen
Kultur Untertan macht. Auch die heutigen französischen Lothringer stellen eine
nnnmiütv suxÄ-iLure dar. sind beseelt "von dem Willen, nichts anzunehmen,
was nicht ihren innern Gefühlen entspricht". Die Deutschen können mit roher
Gewalt die Zeugen französischer Vergangenheit zerstören, aber der französische
Kulturgedanke selbst ist unsterblich und veredelt selbst die noch, die kommen, ihn
auszurotten. Die heutige Unterdrückung Lothringens ist nur ein vorübergehender
Akt in dem ewigen Kampf der Nassen am Rhein, der ebensowenig aufhört
wie der Kampf zwischen Regen und Sonnenschein. Die Völker jenseits des


Der Roman Lothringens

ich in Nürnberg betrunken torkele, so ist das durchaus in der Ordnung, aber
ich wäre untröstlich, wenn ich mich auf der Place Stanislas ungehörig be¬
nehmen würde." Er fängt an, für die Gemeinden Partei zu ergreifen, die
sich gegen deutschen Unterricht wehren; er nimmt einen Schüler in Schutz,
der sich wegen einer Verunglimpfung Bonapartes im Lesebuch empört, er stellt
Deutsche zur Rede, die sich seiner Meinung nach nicht taktvoll gegen die Ein-
gebornen benehmen, und macht die französisch-lothringische Sache so sehr zu
der seinen, daß er Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten und Kollegen
bekommt.

Allen diesen Deutschen gegenüber stehen die beiden Damen Baudoche, die
Vertreterinnen einer lebendigen Kultur, die nicht Büchergelehrsamkeit ist. Die
Französinnen lesen nur alte Jahrgänge der illustrierten Zeitschrift ^ustrasie
und lehnen sogar die Bekanntschaft mit den französischen Klassikern ab. Asmus
selbst sagt: „Meine eigne Erfahrung hat mich die Berechtigung dessen erkennen
lassen, was wir bei den Eingebornen Chauvinismus nennen, und was in
Wahrheit das vernünftige Bewußtsein einer Kultur ist. die man dein hellenischen
Attizismus an die Seite stellen muß. Auf unsern Universitäten machen wir
die Hellenen zu uusern Vorbildern, aber keine erworbne Schulweisheit wird
uns ihnen näher bringen. Ihr ganzes Leben war von einem Geist durchdrungen
und harmonisch gestaltet. Hier in Metz finde ich etwas von dieser Einheit."
Und Asmus beruft sich dabei auf Goethe. Barres sieht das hellenische Ideal
in der lothringischen Landschaft, in den lothringischen Bauten, im geistigen
Leben der Bewohner, ihrem Sinn für das schöne Maß. für Einfachheit, für
Ausgleich des Denkens und Fühlens. In ^.n sorvies as l'^IIsmaMs hatte
^ noch Taine gescholten, weil dieser auf dem Odilienberg die Goethische
Iphigenie gelesen habe, statt den romanisch-fränkisch-katholischen Charakter der
Vogesenlandschaft zu erkennen. Hat Barres seine Ansichten geändert, oder ist
Lothringen griechisch und das Elsaß gotisch?

Im Vorwort zu den Lastions ac l'Lst macht Barres darauf aufmerksam,
daß er als französischer Lothringer schreibe, und daß er als Kämpfer in den
Streit der Rassen eingreifen wolle. Auch die Lote^e Lg.nao<ZU6 ist eine Tendenz¬
schrift. Es soll bewiesen werden, daß die französische Kultur der deutschen
überlegen ist. und daß das elsaß-lothringische Grenzland noch heute wie vor
Jahrhunderten die Barbaren latinisiert und die Eroberer der romanischen
Kultur Untertan macht. Auch die heutigen französischen Lothringer stellen eine
nnnmiütv suxÄ-iLure dar. sind beseelt „von dem Willen, nichts anzunehmen,
was nicht ihren innern Gefühlen entspricht». Die Deutschen können mit roher
Gewalt die Zeugen französischer Vergangenheit zerstören, aber der französische
Kulturgedanke selbst ist unsterblich und veredelt selbst die noch, die kommen, ihn
auszurotten. Die heutige Unterdrückung Lothringens ist nur ein vorübergehender
Akt in dem ewigen Kampf der Nassen am Rhein, der ebensowenig aufhört
wie der Kampf zwischen Regen und Sonnenschein. Die Völker jenseits des


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[0511] Der Roman Lothringens ich in Nürnberg betrunken torkele, so ist das durchaus in der Ordnung, aber ich wäre untröstlich, wenn ich mich auf der Place Stanislas ungehörig be¬ nehmen würde." Er fängt an, für die Gemeinden Partei zu ergreifen, die sich gegen deutschen Unterricht wehren; er nimmt einen Schüler in Schutz, der sich wegen einer Verunglimpfung Bonapartes im Lesebuch empört, er stellt Deutsche zur Rede, die sich seiner Meinung nach nicht taktvoll gegen die Ein- gebornen benehmen, und macht die französisch-lothringische Sache so sehr zu der seinen, daß er Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten und Kollegen bekommt. Allen diesen Deutschen gegenüber stehen die beiden Damen Baudoche, die Vertreterinnen einer lebendigen Kultur, die nicht Büchergelehrsamkeit ist. Die Französinnen lesen nur alte Jahrgänge der illustrierten Zeitschrift ^ustrasie und lehnen sogar die Bekanntschaft mit den französischen Klassikern ab. Asmus selbst sagt: „Meine eigne Erfahrung hat mich die Berechtigung dessen erkennen lassen, was wir bei den Eingebornen Chauvinismus nennen, und was in Wahrheit das vernünftige Bewußtsein einer Kultur ist. die man dein hellenischen Attizismus an die Seite stellen muß. Auf unsern Universitäten machen wir die Hellenen zu uusern Vorbildern, aber keine erworbne Schulweisheit wird uns ihnen näher bringen. Ihr ganzes Leben war von einem Geist durchdrungen und harmonisch gestaltet. Hier in Metz finde ich etwas von dieser Einheit." Und Asmus beruft sich dabei auf Goethe. Barres sieht das hellenische Ideal in der lothringischen Landschaft, in den lothringischen Bauten, im geistigen Leben der Bewohner, ihrem Sinn für das schöne Maß. für Einfachheit, für Ausgleich des Denkens und Fühlens. In ^.n sorvies as l'^IIsmaMs hatte ^ noch Taine gescholten, weil dieser auf dem Odilienberg die Goethische Iphigenie gelesen habe, statt den romanisch-fränkisch-katholischen Charakter der Vogesenlandschaft zu erkennen. Hat Barres seine Ansichten geändert, oder ist Lothringen griechisch und das Elsaß gotisch? Im Vorwort zu den Lastions ac l'Lst macht Barres darauf aufmerksam, daß er als französischer Lothringer schreibe, und daß er als Kämpfer in den Streit der Rassen eingreifen wolle. Auch die Lote^e Lg.nao<ZU6 ist eine Tendenz¬ schrift. Es soll bewiesen werden, daß die französische Kultur der deutschen überlegen ist. und daß das elsaß-lothringische Grenzland noch heute wie vor Jahrhunderten die Barbaren latinisiert und die Eroberer der romanischen Kultur Untertan macht. Auch die heutigen französischen Lothringer stellen eine nnnmiütv suxÄ-iLure dar. sind beseelt „von dem Willen, nichts anzunehmen, was nicht ihren innern Gefühlen entspricht». Die Deutschen können mit roher Gewalt die Zeugen französischer Vergangenheit zerstören, aber der französische Kulturgedanke selbst ist unsterblich und veredelt selbst die noch, die kommen, ihn auszurotten. Die heutige Unterdrückung Lothringens ist nur ein vorübergehender Akt in dem ewigen Kampf der Nassen am Rhein, der ebensowenig aufhört wie der Kampf zwischen Regen und Sonnenschein. Die Völker jenseits des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/511>, abgerufen am 03.07.2024.