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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Die Reform des Erbrechts

auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gesamtheit, als längliches Mittel, das
Einzelwohl mit dein Gemeinwohl in Übereinstimmung zu bringen. Gerecht¬
fertigt aber ist es in der Erwägung, daß es die zur Entwicklung der Kräfte
des Einzelnen am meisten geeignete Form der Güterbeherrschung ist.

Das Erbrecht ist nicht nur die letzte Folgerung aus dem Gedanken des
Eigentums, sondern verleiht ihm erst seinen vollen Wert. Denn die Sorge
für die Familie ist die nächste und wichtigste soziale Aufgabe des Einzelnen,
und nur in Verbindung mit dem Erbrechte kann das Eigentum dem Einzelnen
bei Erfüllung dieser Aufgabe Dienste leisten. Noch ist "das Haus" die Stelle,
wo der heranwachsende Bürger des Staates seinen Unterhalt und seine Er¬
ziehung empfängt, noch bildet das Hans eine Wirtschaftsgemeinschaft, an der
die Frau neben dem Manne, die Kinder neben den Eltern beteiligt sind, uoch
ist das Hans die Pslegstätte idealer Güter. Ohne Erbrecht aber ist dieses
"Haus" nicht denkbar.

"Ohne Erbrecht, sagt Trendelenburg (Naturrecht, Paragraph 141)-, fehlte
dem Streben zur Sicherung der Familie ein natürlicher Antrieb, es fehlte ein
Stachel der Arbeit, ein großer Hebel der Tätigkeit. Der Erwerb würde in
dem Genuß des Augenblicks aufgehen. Dagegen liegt darin, daß Erwerb und
Erhaltung des Eigentums für Zwecke geschehen, welche über das einzelne Leben
hinausgehen, etwas menschlich Bedeutendes, indem der Wille Vergangenheit
und Zukunft in eins faßt und auch im Eigentum eine geschichtliche Stetigkeit
gründet, welche nicht mit jedem vergänglichen Leben abreißt, souderu sich
natürlich fortsetzt."

Mit dieser Rechtfertigung ist aber auch die Schranke des Erbrechts ge¬
geben. "Richtig" ist uur das Recht, das seinen Grundgedanken zu voll-
kommnem Ausdruck bringt. Je weniger es mit ihm übereinstimmt, desto
schwächer wird die Liebe zum Recht, und desto stärker der Widerstand derer,
die es als ungerecht empfinden. Ein unrichtiges, ungerechtes Recht
wirkt nicht stnatserhaltend, sondern staatsauflösend.

Das Erbrecht dient zur Erhaltung und Fruchtbarmachuug der Kräfte,
die in der Familiengemeinschnft gegeben sind. An ihm dürfen daher uur die
teilhaben, die zur Familiengcmeinschaft zu rechnen sind. "Wenn die Erb¬
schaft auf entfernte Verwandte geht, welche kaum noch von dem Bande der¬
selben Familie umfaßt werden, weil die Gesinnung der Einheit längst erloschen
ist, so verliert sich das Erbrecht aus der Notwendigkeit des innern Zweckes
in das Gegenteil, in das Spiel des Glücksloses." (Trendelenburg.)

Wie weit ist nun der Kreis zu ziehen, der die erbberechtigte Familie um¬
schließt? Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch macht sich die Antwort leicht:
es macht jeden Blutsverwandten zum Erbanwärter. Womit dann in der Tat
das Erbrecht zu einem "Spiel des Glücksloses" herabgewürdigt wird. Ist
hier das Wesen des Erbrechts, das heißt sein Zusammenhang mit der Familie,
oder ist die rechtliche Bedeutung der Familie verkannt, so, daß das Gesetz


Die Reform des Erbrechts

auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gesamtheit, als längliches Mittel, das
Einzelwohl mit dein Gemeinwohl in Übereinstimmung zu bringen. Gerecht¬
fertigt aber ist es in der Erwägung, daß es die zur Entwicklung der Kräfte
des Einzelnen am meisten geeignete Form der Güterbeherrschung ist.

Das Erbrecht ist nicht nur die letzte Folgerung aus dem Gedanken des
Eigentums, sondern verleiht ihm erst seinen vollen Wert. Denn die Sorge
für die Familie ist die nächste und wichtigste soziale Aufgabe des Einzelnen,
und nur in Verbindung mit dem Erbrechte kann das Eigentum dem Einzelnen
bei Erfüllung dieser Aufgabe Dienste leisten. Noch ist „das Haus" die Stelle,
wo der heranwachsende Bürger des Staates seinen Unterhalt und seine Er¬
ziehung empfängt, noch bildet das Hans eine Wirtschaftsgemeinschaft, an der
die Frau neben dem Manne, die Kinder neben den Eltern beteiligt sind, uoch
ist das Hans die Pslegstätte idealer Güter. Ohne Erbrecht aber ist dieses
„Haus" nicht denkbar.

„Ohne Erbrecht, sagt Trendelenburg (Naturrecht, Paragraph 141)-, fehlte
dem Streben zur Sicherung der Familie ein natürlicher Antrieb, es fehlte ein
Stachel der Arbeit, ein großer Hebel der Tätigkeit. Der Erwerb würde in
dem Genuß des Augenblicks aufgehen. Dagegen liegt darin, daß Erwerb und
Erhaltung des Eigentums für Zwecke geschehen, welche über das einzelne Leben
hinausgehen, etwas menschlich Bedeutendes, indem der Wille Vergangenheit
und Zukunft in eins faßt und auch im Eigentum eine geschichtliche Stetigkeit
gründet, welche nicht mit jedem vergänglichen Leben abreißt, souderu sich
natürlich fortsetzt."

Mit dieser Rechtfertigung ist aber auch die Schranke des Erbrechts ge¬
geben. „Richtig" ist uur das Recht, das seinen Grundgedanken zu voll-
kommnem Ausdruck bringt. Je weniger es mit ihm übereinstimmt, desto
schwächer wird die Liebe zum Recht, und desto stärker der Widerstand derer,
die es als ungerecht empfinden. Ein unrichtiges, ungerechtes Recht
wirkt nicht stnatserhaltend, sondern staatsauflösend.

Das Erbrecht dient zur Erhaltung und Fruchtbarmachuug der Kräfte,
die in der Familiengemeinschnft gegeben sind. An ihm dürfen daher uur die
teilhaben, die zur Familiengcmeinschaft zu rechnen sind. „Wenn die Erb¬
schaft auf entfernte Verwandte geht, welche kaum noch von dem Bande der¬
selben Familie umfaßt werden, weil die Gesinnung der Einheit längst erloschen
ist, so verliert sich das Erbrecht aus der Notwendigkeit des innern Zweckes
in das Gegenteil, in das Spiel des Glücksloses." (Trendelenburg.)

Wie weit ist nun der Kreis zu ziehen, der die erbberechtigte Familie um¬
schließt? Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch macht sich die Antwort leicht:
es macht jeden Blutsverwandten zum Erbanwärter. Womit dann in der Tat
das Erbrecht zu einem „Spiel des Glücksloses" herabgewürdigt wird. Ist
hier das Wesen des Erbrechts, das heißt sein Zusammenhang mit der Familie,
oder ist die rechtliche Bedeutung der Familie verkannt, so, daß das Gesetz


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[0482] Die Reform des Erbrechts auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gesamtheit, als längliches Mittel, das Einzelwohl mit dein Gemeinwohl in Übereinstimmung zu bringen. Gerecht¬ fertigt aber ist es in der Erwägung, daß es die zur Entwicklung der Kräfte des Einzelnen am meisten geeignete Form der Güterbeherrschung ist. Das Erbrecht ist nicht nur die letzte Folgerung aus dem Gedanken des Eigentums, sondern verleiht ihm erst seinen vollen Wert. Denn die Sorge für die Familie ist die nächste und wichtigste soziale Aufgabe des Einzelnen, und nur in Verbindung mit dem Erbrechte kann das Eigentum dem Einzelnen bei Erfüllung dieser Aufgabe Dienste leisten. Noch ist „das Haus" die Stelle, wo der heranwachsende Bürger des Staates seinen Unterhalt und seine Er¬ ziehung empfängt, noch bildet das Hans eine Wirtschaftsgemeinschaft, an der die Frau neben dem Manne, die Kinder neben den Eltern beteiligt sind, uoch ist das Hans die Pslegstätte idealer Güter. Ohne Erbrecht aber ist dieses „Haus" nicht denkbar. „Ohne Erbrecht, sagt Trendelenburg (Naturrecht, Paragraph 141)-, fehlte dem Streben zur Sicherung der Familie ein natürlicher Antrieb, es fehlte ein Stachel der Arbeit, ein großer Hebel der Tätigkeit. Der Erwerb würde in dem Genuß des Augenblicks aufgehen. Dagegen liegt darin, daß Erwerb und Erhaltung des Eigentums für Zwecke geschehen, welche über das einzelne Leben hinausgehen, etwas menschlich Bedeutendes, indem der Wille Vergangenheit und Zukunft in eins faßt und auch im Eigentum eine geschichtliche Stetigkeit gründet, welche nicht mit jedem vergänglichen Leben abreißt, souderu sich natürlich fortsetzt." Mit dieser Rechtfertigung ist aber auch die Schranke des Erbrechts ge¬ geben. „Richtig" ist uur das Recht, das seinen Grundgedanken zu voll- kommnem Ausdruck bringt. Je weniger es mit ihm übereinstimmt, desto schwächer wird die Liebe zum Recht, und desto stärker der Widerstand derer, die es als ungerecht empfinden. Ein unrichtiges, ungerechtes Recht wirkt nicht stnatserhaltend, sondern staatsauflösend. Das Erbrecht dient zur Erhaltung und Fruchtbarmachuug der Kräfte, die in der Familiengemeinschnft gegeben sind. An ihm dürfen daher uur die teilhaben, die zur Familiengcmeinschaft zu rechnen sind. „Wenn die Erb¬ schaft auf entfernte Verwandte geht, welche kaum noch von dem Bande der¬ selben Familie umfaßt werden, weil die Gesinnung der Einheit längst erloschen ist, so verliert sich das Erbrecht aus der Notwendigkeit des innern Zweckes in das Gegenteil, in das Spiel des Glücksloses." (Trendelenburg.) Wie weit ist nun der Kreis zu ziehen, der die erbberechtigte Familie um¬ schließt? Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch macht sich die Antwort leicht: es macht jeden Blutsverwandten zum Erbanwärter. Womit dann in der Tat das Erbrecht zu einem „Spiel des Glücksloses" herabgewürdigt wird. Ist hier das Wesen des Erbrechts, das heißt sein Zusammenhang mit der Familie, oder ist die rechtliche Bedeutung der Familie verkannt, so, daß das Gesetz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/482>, abgerufen am 23.07.2024.