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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Licero

Gestalt der Annalen des Ennius zu Boden fallen, so sei damit "das Prinzip
suggeriert, auf dem die Erfindung der Buchdruckerkunst beruht". Kolumbus
habe aus Cicero die Ideen der Kugelgestalt der Erde und der Gegenfüßler
kennen gelernt. Kopernikus endlich habe sich ausdrücklich auf Cicero berufen.
In der Dedikation seines Werkes an den Papst Paul den Dritten schreibt
er, er habe alle Philosophen, deren er habhaft werden konnte, durchforscht.
..Da fand ich denn zuerst bei Cicero, daß Hiketas die Erde für beweglich
erklärt habe; später fand ich auch bei Plutarch das Zeugnis, daß einige
andre derselben Meinung gewesen wären. Das war für mich der Anlaß,
daß ich auch selbst über die Beweglichkeit der Erde nachzudenken anfing.
Wohl erschien mir diese Ansicht absurd; da ich indessen ersehen hatte, daß
schon andre vor mir sich die Freiheit genommen hatten, beliebige Kreis¬
bewegungen zu fingieren, um die Phänomene der Himmelslichter zu berechnen,
so hielt ich auch für mich den Versuch erlaubt, einmal nachzuforschen, ob bei
der Annahme einer gewissen Bewegung der Erde auch für die Bewegungen
der Himmelskörper sichrere Berechnungen als die meiner Vorgänger erzielt
werden könnten." Weiter wird dann gezeigt, wie die Lektüre Ciceros den
Glauben an unfehlbare Autoritäten erschüttert, wie der englische Deismus.
..an Calvin und Augustin vorbei, über Sozzini und Pelagius Cicero die Hand
gereicht" und die durch Kampflust und Propaganda von der Renaissance so
verschiedne Aufklärung eingeleitet. Cicero endlich auch Voltaire und die
Enzyklopädisten inspiriert, durch seine Reden die Revolutionsmänner geleitet,
sie durch das Vorbild des Rechtsstaats begeistert und aufgeklärt, namentlich
bei der Reform der Justiz wohltätig mitgewirkt habe. Man kennt Voltaires
enthusiastische Tätigkeit in dem Falle Calas. Er schreibt u. a.: bei den
Römern -- und woher kannte er deren Verfahren als aus Ciceros Gerichts¬
reden? -- "wurden die Zeugen öffentlich verhört, in Gegenwart des Ange¬
klagten, der ihnen zu antworten, sie einem Kreuzverhör zu unterwerfen
^ entweder in eigner Person oder durch seinen Verteidiger -- berechtigt
war. Das war eine edle, eine freimütige, eine der römischen Hochherzigkeit
würdige Bestimmung. Bei uns geschieht alles heimlich, es ist der Richter
allein, der mit seinem Sekretär die Zeugen verhört." Zielinski schließt den
sehr interessanten Abschnitt über diesen Gegenstand mit den Worten: "Wenn
der friedliche Bürger heutzutage nicht mehr zu beten braucht, daß Gott ihn
außer den vier Plagen der Litanei: Pest, Feuer. Hunger und Krieg auch noch
vorm Gericht bewahre, so ist es für ihn nur recht und billig, zuzeiten des
guten Geistes dankbar zu gedenken, der auch dieses Gespenst öden Jnquisitions-
prozeU hat bannen helfen." Nun dürfen sich die Schulpedanten stolz in die
Brust werfen, wenn sie wieder einmal mit ihrem ledernen Cicero gehöhnt
werden.

Um noch einmal auf Ferrero zurückzukommen: die vorliegenden beiden
Bände zeichnen sich nicht weniger durch fesselnde Darstellung und schöne


Licero

Gestalt der Annalen des Ennius zu Boden fallen, so sei damit „das Prinzip
suggeriert, auf dem die Erfindung der Buchdruckerkunst beruht". Kolumbus
habe aus Cicero die Ideen der Kugelgestalt der Erde und der Gegenfüßler
kennen gelernt. Kopernikus endlich habe sich ausdrücklich auf Cicero berufen.
In der Dedikation seines Werkes an den Papst Paul den Dritten schreibt
er, er habe alle Philosophen, deren er habhaft werden konnte, durchforscht.
..Da fand ich denn zuerst bei Cicero, daß Hiketas die Erde für beweglich
erklärt habe; später fand ich auch bei Plutarch das Zeugnis, daß einige
andre derselben Meinung gewesen wären. Das war für mich der Anlaß,
daß ich auch selbst über die Beweglichkeit der Erde nachzudenken anfing.
Wohl erschien mir diese Ansicht absurd; da ich indessen ersehen hatte, daß
schon andre vor mir sich die Freiheit genommen hatten, beliebige Kreis¬
bewegungen zu fingieren, um die Phänomene der Himmelslichter zu berechnen,
so hielt ich auch für mich den Versuch erlaubt, einmal nachzuforschen, ob bei
der Annahme einer gewissen Bewegung der Erde auch für die Bewegungen
der Himmelskörper sichrere Berechnungen als die meiner Vorgänger erzielt
werden könnten." Weiter wird dann gezeigt, wie die Lektüre Ciceros den
Glauben an unfehlbare Autoritäten erschüttert, wie der englische Deismus.
..an Calvin und Augustin vorbei, über Sozzini und Pelagius Cicero die Hand
gereicht" und die durch Kampflust und Propaganda von der Renaissance so
verschiedne Aufklärung eingeleitet. Cicero endlich auch Voltaire und die
Enzyklopädisten inspiriert, durch seine Reden die Revolutionsmänner geleitet,
sie durch das Vorbild des Rechtsstaats begeistert und aufgeklärt, namentlich
bei der Reform der Justiz wohltätig mitgewirkt habe. Man kennt Voltaires
enthusiastische Tätigkeit in dem Falle Calas. Er schreibt u. a.: bei den
Römern — und woher kannte er deren Verfahren als aus Ciceros Gerichts¬
reden? — „wurden die Zeugen öffentlich verhört, in Gegenwart des Ange¬
klagten, der ihnen zu antworten, sie einem Kreuzverhör zu unterwerfen
^ entweder in eigner Person oder durch seinen Verteidiger — berechtigt
war. Das war eine edle, eine freimütige, eine der römischen Hochherzigkeit
würdige Bestimmung. Bei uns geschieht alles heimlich, es ist der Richter
allein, der mit seinem Sekretär die Zeugen verhört." Zielinski schließt den
sehr interessanten Abschnitt über diesen Gegenstand mit den Worten: „Wenn
der friedliche Bürger heutzutage nicht mehr zu beten braucht, daß Gott ihn
außer den vier Plagen der Litanei: Pest, Feuer. Hunger und Krieg auch noch
vorm Gericht bewahre, so ist es für ihn nur recht und billig, zuzeiten des
guten Geistes dankbar zu gedenken, der auch dieses Gespenst öden Jnquisitions-
prozeU hat bannen helfen." Nun dürfen sich die Schulpedanten stolz in die
Brust werfen, wenn sie wieder einmal mit ihrem ledernen Cicero gehöhnt
werden.

Um noch einmal auf Ferrero zurückzukommen: die vorliegenden beiden
Bände zeichnen sich nicht weniger durch fesselnde Darstellung und schöne


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[0455] Licero Gestalt der Annalen des Ennius zu Boden fallen, so sei damit „das Prinzip suggeriert, auf dem die Erfindung der Buchdruckerkunst beruht". Kolumbus habe aus Cicero die Ideen der Kugelgestalt der Erde und der Gegenfüßler kennen gelernt. Kopernikus endlich habe sich ausdrücklich auf Cicero berufen. In der Dedikation seines Werkes an den Papst Paul den Dritten schreibt er, er habe alle Philosophen, deren er habhaft werden konnte, durchforscht. ..Da fand ich denn zuerst bei Cicero, daß Hiketas die Erde für beweglich erklärt habe; später fand ich auch bei Plutarch das Zeugnis, daß einige andre derselben Meinung gewesen wären. Das war für mich der Anlaß, daß ich auch selbst über die Beweglichkeit der Erde nachzudenken anfing. Wohl erschien mir diese Ansicht absurd; da ich indessen ersehen hatte, daß schon andre vor mir sich die Freiheit genommen hatten, beliebige Kreis¬ bewegungen zu fingieren, um die Phänomene der Himmelslichter zu berechnen, so hielt ich auch für mich den Versuch erlaubt, einmal nachzuforschen, ob bei der Annahme einer gewissen Bewegung der Erde auch für die Bewegungen der Himmelskörper sichrere Berechnungen als die meiner Vorgänger erzielt werden könnten." Weiter wird dann gezeigt, wie die Lektüre Ciceros den Glauben an unfehlbare Autoritäten erschüttert, wie der englische Deismus. ..an Calvin und Augustin vorbei, über Sozzini und Pelagius Cicero die Hand gereicht" und die durch Kampflust und Propaganda von der Renaissance so verschiedne Aufklärung eingeleitet. Cicero endlich auch Voltaire und die Enzyklopädisten inspiriert, durch seine Reden die Revolutionsmänner geleitet, sie durch das Vorbild des Rechtsstaats begeistert und aufgeklärt, namentlich bei der Reform der Justiz wohltätig mitgewirkt habe. Man kennt Voltaires enthusiastische Tätigkeit in dem Falle Calas. Er schreibt u. a.: bei den Römern — und woher kannte er deren Verfahren als aus Ciceros Gerichts¬ reden? — „wurden die Zeugen öffentlich verhört, in Gegenwart des Ange¬ klagten, der ihnen zu antworten, sie einem Kreuzverhör zu unterwerfen ^ entweder in eigner Person oder durch seinen Verteidiger — berechtigt war. Das war eine edle, eine freimütige, eine der römischen Hochherzigkeit würdige Bestimmung. Bei uns geschieht alles heimlich, es ist der Richter allein, der mit seinem Sekretär die Zeugen verhört." Zielinski schließt den sehr interessanten Abschnitt über diesen Gegenstand mit den Worten: „Wenn der friedliche Bürger heutzutage nicht mehr zu beten braucht, daß Gott ihn außer den vier Plagen der Litanei: Pest, Feuer. Hunger und Krieg auch noch vorm Gericht bewahre, so ist es für ihn nur recht und billig, zuzeiten des guten Geistes dankbar zu gedenken, der auch dieses Gespenst öden Jnquisitions- prozeU hat bannen helfen." Nun dürfen sich die Schulpedanten stolz in die Brust werfen, wenn sie wieder einmal mit ihrem ledernen Cicero gehöhnt werden. Um noch einmal auf Ferrero zurückzukommen: die vorliegenden beiden Bände zeichnen sich nicht weniger durch fesselnde Darstellung und schöne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/455>, abgerufen am 12.12.2024.