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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Cicero

Heidentum gezüchtigt worden sei. Die Umstehenden hätten den Richter ge¬
beten, dem Sünder seiner Jugend wegen zu verzeihen, und Verzeihung sei
ihm bewilligt worden, nachdem er geschworen hatte, keine heidnischen Bücher
mehr zu lesen. Er habe jedoch, schreibt Zielinski -- und auch seine Feinde
warfen es ihm vor --, diesen Schwur nicht zu halten vermocht; er zitiere
Cicero unendlich oft, und der Cicerokenner ertappe ihn fast bei jedem Schritt
auf ciceronianischen Gedanken und Wendungen. Es ist nun nicht zu ver¬
wundern, daß der Abscheu vor dem Heidentum die gebildeten Christen heidnische
Lektüre, die sie eben doch bei der Dürftigkeit und den formellen Mängeln der
christlichen Literatur nicht entbehren konnten, als eine Sünde empfinden ließ,
aber es gab doch auch Kirchenlehrer, die das Heidentum anders ansahen.
Clemens von Alexandrien läßt bekanntlich den göttlichen Pädagogen, den
Logos, nicht bloß in den jüdischen Propheten, sondern auch in den heidnischen
Weisen zur Vorbereitung der Menschheit aufs Christentum tätig sein. Wunder¬
licherweise erwähnt Zielinski nicht diesen für die alexandrinische Theologie ma߬
gebenden Gedanken des genannten Lehrers, sondern nur die Stelle, wo er die
"unwissenden Schreier", die gegen die hellenische Philosophie ankämpfen, mit
den Gefährten des Odysseus vergleicht, die sich die Ohren mit Wachs verstopften,
um den Gesang der Sirenen nicht zu hören. Dieser hübsche Vergleich beweise
bestenfalls die Unschädlichkeit der heidnischen Philosophie für glaubensstarke
Christen, nicht aber ihren Nutzen und noch viel weniger ihre Notwendigkeit.
Vom christlichen Standpunkt aus betrachtet sei die heidnische Philosophie
wirklich nichts andres als Sirenengesang. Dazu stimmt es doch nicht, wenn
Lactantius mit Entzücken die gegen das Götterwesen und andern heidnischen
Aberglauben gerichteten Vernunftbeweise Ciceros benutzt, und wenn er von der
Darstellung des Sittengesetzes als einer lsx vel in Ciceros Staatslehre schreibt:
"Wer von uns, die wir der göttlichen Weihen teilhaftig sind, könnte das
Gesetz Gottes ebenso eindrucksvoll verkünde", als es dieser Mann getan hat,
der doch von der Erkenntnis der Wahrheit soweit entfernt war?" Man muß
jedoch leider Zielinski recht geben, wenn er gegenüber der Anerkennung des
Verdienstes, das sich der Heide um die Zerstörung des polytheistischen Aber¬
glaubens erworben habe, daran erinnert, daß die Kirchenväter, durch Stellen
des Neuen Testaments verleitet, selbst einen sehr gefährlichen Teil des helle¬
nischen Aberglaubens, durch orientalischen verschlimmert, sich angeeignet und
"den gesunden Aufklärungsgeist des republikanischen Philosophen im Nebelmeer
einer wüsten Dämonologie" ertränkt haben. Durch Ambrosius, dessen Bücher
ä" oküviis niillistrornin "viele Jahrhunderte lang als das wesentlichste, wo
nicht das einzige Lehrbuch der christlichen Moral in Geltung waren", sei, "der
natürlichen Entwicklung der christlichen Heilslehre zum Trotz, die Ethik Ciceros
die anerkannte christliche Ethik geworden". Sagen wir: soweit die christliche
Ethik, abgesehen von ihrem heroisch-mystischen Überbau, eben nur die natürliche
Vernunftmoral war, hat sie von Cicero die Form empfangen. Es mag


Cicero

Heidentum gezüchtigt worden sei. Die Umstehenden hätten den Richter ge¬
beten, dem Sünder seiner Jugend wegen zu verzeihen, und Verzeihung sei
ihm bewilligt worden, nachdem er geschworen hatte, keine heidnischen Bücher
mehr zu lesen. Er habe jedoch, schreibt Zielinski — und auch seine Feinde
warfen es ihm vor —, diesen Schwur nicht zu halten vermocht; er zitiere
Cicero unendlich oft, und der Cicerokenner ertappe ihn fast bei jedem Schritt
auf ciceronianischen Gedanken und Wendungen. Es ist nun nicht zu ver¬
wundern, daß der Abscheu vor dem Heidentum die gebildeten Christen heidnische
Lektüre, die sie eben doch bei der Dürftigkeit und den formellen Mängeln der
christlichen Literatur nicht entbehren konnten, als eine Sünde empfinden ließ,
aber es gab doch auch Kirchenlehrer, die das Heidentum anders ansahen.
Clemens von Alexandrien läßt bekanntlich den göttlichen Pädagogen, den
Logos, nicht bloß in den jüdischen Propheten, sondern auch in den heidnischen
Weisen zur Vorbereitung der Menschheit aufs Christentum tätig sein. Wunder¬
licherweise erwähnt Zielinski nicht diesen für die alexandrinische Theologie ma߬
gebenden Gedanken des genannten Lehrers, sondern nur die Stelle, wo er die
„unwissenden Schreier", die gegen die hellenische Philosophie ankämpfen, mit
den Gefährten des Odysseus vergleicht, die sich die Ohren mit Wachs verstopften,
um den Gesang der Sirenen nicht zu hören. Dieser hübsche Vergleich beweise
bestenfalls die Unschädlichkeit der heidnischen Philosophie für glaubensstarke
Christen, nicht aber ihren Nutzen und noch viel weniger ihre Notwendigkeit.
Vom christlichen Standpunkt aus betrachtet sei die heidnische Philosophie
wirklich nichts andres als Sirenengesang. Dazu stimmt es doch nicht, wenn
Lactantius mit Entzücken die gegen das Götterwesen und andern heidnischen
Aberglauben gerichteten Vernunftbeweise Ciceros benutzt, und wenn er von der
Darstellung des Sittengesetzes als einer lsx vel in Ciceros Staatslehre schreibt:
„Wer von uns, die wir der göttlichen Weihen teilhaftig sind, könnte das
Gesetz Gottes ebenso eindrucksvoll verkünde«, als es dieser Mann getan hat,
der doch von der Erkenntnis der Wahrheit soweit entfernt war?" Man muß
jedoch leider Zielinski recht geben, wenn er gegenüber der Anerkennung des
Verdienstes, das sich der Heide um die Zerstörung des polytheistischen Aber¬
glaubens erworben habe, daran erinnert, daß die Kirchenväter, durch Stellen
des Neuen Testaments verleitet, selbst einen sehr gefährlichen Teil des helle¬
nischen Aberglaubens, durch orientalischen verschlimmert, sich angeeignet und
„den gesunden Aufklärungsgeist des republikanischen Philosophen im Nebelmeer
einer wüsten Dämonologie" ertränkt haben. Durch Ambrosius, dessen Bücher
ä« oküviis niillistrornin „viele Jahrhunderte lang als das wesentlichste, wo
nicht das einzige Lehrbuch der christlichen Moral in Geltung waren", sei, „der
natürlichen Entwicklung der christlichen Heilslehre zum Trotz, die Ethik Ciceros
die anerkannte christliche Ethik geworden". Sagen wir: soweit die christliche
Ethik, abgesehen von ihrem heroisch-mystischen Überbau, eben nur die natürliche
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[0450] Cicero Heidentum gezüchtigt worden sei. Die Umstehenden hätten den Richter ge¬ beten, dem Sünder seiner Jugend wegen zu verzeihen, und Verzeihung sei ihm bewilligt worden, nachdem er geschworen hatte, keine heidnischen Bücher mehr zu lesen. Er habe jedoch, schreibt Zielinski — und auch seine Feinde warfen es ihm vor —, diesen Schwur nicht zu halten vermocht; er zitiere Cicero unendlich oft, und der Cicerokenner ertappe ihn fast bei jedem Schritt auf ciceronianischen Gedanken und Wendungen. Es ist nun nicht zu ver¬ wundern, daß der Abscheu vor dem Heidentum die gebildeten Christen heidnische Lektüre, die sie eben doch bei der Dürftigkeit und den formellen Mängeln der christlichen Literatur nicht entbehren konnten, als eine Sünde empfinden ließ, aber es gab doch auch Kirchenlehrer, die das Heidentum anders ansahen. Clemens von Alexandrien läßt bekanntlich den göttlichen Pädagogen, den Logos, nicht bloß in den jüdischen Propheten, sondern auch in den heidnischen Weisen zur Vorbereitung der Menschheit aufs Christentum tätig sein. Wunder¬ licherweise erwähnt Zielinski nicht diesen für die alexandrinische Theologie ma߬ gebenden Gedanken des genannten Lehrers, sondern nur die Stelle, wo er die „unwissenden Schreier", die gegen die hellenische Philosophie ankämpfen, mit den Gefährten des Odysseus vergleicht, die sich die Ohren mit Wachs verstopften, um den Gesang der Sirenen nicht zu hören. Dieser hübsche Vergleich beweise bestenfalls die Unschädlichkeit der heidnischen Philosophie für glaubensstarke Christen, nicht aber ihren Nutzen und noch viel weniger ihre Notwendigkeit. Vom christlichen Standpunkt aus betrachtet sei die heidnische Philosophie wirklich nichts andres als Sirenengesang. Dazu stimmt es doch nicht, wenn Lactantius mit Entzücken die gegen das Götterwesen und andern heidnischen Aberglauben gerichteten Vernunftbeweise Ciceros benutzt, und wenn er von der Darstellung des Sittengesetzes als einer lsx vel in Ciceros Staatslehre schreibt: „Wer von uns, die wir der göttlichen Weihen teilhaftig sind, könnte das Gesetz Gottes ebenso eindrucksvoll verkünde«, als es dieser Mann getan hat, der doch von der Erkenntnis der Wahrheit soweit entfernt war?" Man muß jedoch leider Zielinski recht geben, wenn er gegenüber der Anerkennung des Verdienstes, das sich der Heide um die Zerstörung des polytheistischen Aber¬ glaubens erworben habe, daran erinnert, daß die Kirchenväter, durch Stellen des Neuen Testaments verleitet, selbst einen sehr gefährlichen Teil des helle¬ nischen Aberglaubens, durch orientalischen verschlimmert, sich angeeignet und „den gesunden Aufklärungsgeist des republikanischen Philosophen im Nebelmeer einer wüsten Dämonologie" ertränkt haben. Durch Ambrosius, dessen Bücher ä« oküviis niillistrornin „viele Jahrhunderte lang als das wesentlichste, wo nicht das einzige Lehrbuch der christlichen Moral in Geltung waren", sei, „der natürlichen Entwicklung der christlichen Heilslehre zum Trotz, die Ethik Ciceros die anerkannte christliche Ethik geworden". Sagen wir: soweit die christliche Ethik, abgesehen von ihrem heroisch-mystischen Überbau, eben nur die natürliche Vernunftmoral war, hat sie von Cicero die Form empfangen. Es mag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/450>, abgerufen am 23.07.2024.