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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Ägypten im Jahre l.HO?

Erlaß des Khediven einberufen wurden. Hatten diese Provinzialräte bisher
tatsächlich beinahe keine Machtbefugnis, so sollen sie nun mit größerer Macht¬
vollkommenheit ausgestattet werdeu und in Fragen des Ackerbaues, der Be¬
wässerung, der Verkehrsmittel, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen
Gesundheitspflege und des Erziehungswesens eine beratende Stimme erhalten.
Durch diese Erweiterung ihrer Machtbefugnis hofft man in den Provinzial-
räten eine Schule für eine spätere weitergehende Selbstregierung zu schaffen.

Die sich auch anderwärts fühlbar machende finanzielle Krisis hat der
günstigen finanziellen und kommerziellen Entwicklung, wie sie Ägypten in den
letzten Jahren durchgemacht hat, einen schweren Stoß versetzt.

Vom Jahre 1903 ab stieg der Preis der Baumwolle fortwährend und
erreichte eine Höhe, die fünfzehn Jahre vorher unbekannt war. Die Ausfuhr,
bei der die Baumwolle die weitaus größte Rolle spielt, vermehrte sich be¬
deutend. Neue Banken und Hypothekenanstalten wurden gegründet; der Wert
von Grund und Boden stieg bedeutend, die Preise für Lebensmittel und
Arbeitskräfte wuchsen, und nach und nach setzte eine Spekulation ein, die immer
größere Ausdehnung annahm.

Die hohen Preise hielten an, und eine Reihe guter Jahre, die in der
glänzenden Baumwollernte des Jahres 1906 ihren Höhepunkt erreichten und
in diesem Jahr eine Summe von ungefähr 540 Millionen Mark abwarfen,
gab dieser Bewegung eine neue Anregung. Mit Leichtigkeit wurde auf euro¬
päischen Märkten Geld flüssig gemacht und in Ägypten angelegt. Trotz ver-
schiedner Rückschläge dauerte die Hochflut der Spekulation bis ins Jahr 1907,
wo endlich eine Reaktion eintrat. Zu Anfang des Jahres 1907 begann man
in deu Finanzmittelpunkten das Ungesunde der Lage allmählich zu erkennen.
Ein allgemeiner Rückgang war die Folge. Die Einschränkung des Kredits
machte sich bis in die ländlichen Distrikte fühlbar; man fürchtete, nicht das
genügende Kapital zur Einbringung der Baumwollernte zu erhalten, die für
die Bauern den Grundstock bildet, ans dein sie ihre Steuern, ihre Renten und
ihre Schulden bezahlen.

Glücklicherweise war das akute Stadium der Krisis nur von kurzer Dauer;
man erkannte bald, daß die gesunde Grundlage des ägyptischen Handels und
der ägyptischen Finanzen durch eine Überspeknlation nicht in ihrem innersten
Zustand geschädigt werden könne.

Leider wurde jedoch im Herbst, zu einer Zeit, wo man eben auf dem
besten Wege war, die Hauptschwierigkeiten zu überwinden, eine Verschlimmerung
der Lage herbeigeführt durch die ungünstigen Verhältnisse, die plötzlich auf dem
Geldmarkt in Amerika und in Europa zutage traten. Dies hatte eine zweite
ungünstige Periode zur Folge, die jedoch weder die ackerbautreibende Be¬
völkerung als ganzes noch die allgemeine Finanzlage in Mitleidenschaft zog.
Die Baumwollernte wurde in regelmäßiger Weise abgesetzt, und der größere
Teil wurde zu günstigern Preisen als im Vorjahre ausgeführt. Die Bauern


Ägypten im Jahre l.HO?

Erlaß des Khediven einberufen wurden. Hatten diese Provinzialräte bisher
tatsächlich beinahe keine Machtbefugnis, so sollen sie nun mit größerer Macht¬
vollkommenheit ausgestattet werdeu und in Fragen des Ackerbaues, der Be¬
wässerung, der Verkehrsmittel, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen
Gesundheitspflege und des Erziehungswesens eine beratende Stimme erhalten.
Durch diese Erweiterung ihrer Machtbefugnis hofft man in den Provinzial-
räten eine Schule für eine spätere weitergehende Selbstregierung zu schaffen.

Die sich auch anderwärts fühlbar machende finanzielle Krisis hat der
günstigen finanziellen und kommerziellen Entwicklung, wie sie Ägypten in den
letzten Jahren durchgemacht hat, einen schweren Stoß versetzt.

Vom Jahre 1903 ab stieg der Preis der Baumwolle fortwährend und
erreichte eine Höhe, die fünfzehn Jahre vorher unbekannt war. Die Ausfuhr,
bei der die Baumwolle die weitaus größte Rolle spielt, vermehrte sich be¬
deutend. Neue Banken und Hypothekenanstalten wurden gegründet; der Wert
von Grund und Boden stieg bedeutend, die Preise für Lebensmittel und
Arbeitskräfte wuchsen, und nach und nach setzte eine Spekulation ein, die immer
größere Ausdehnung annahm.

Die hohen Preise hielten an, und eine Reihe guter Jahre, die in der
glänzenden Baumwollernte des Jahres 1906 ihren Höhepunkt erreichten und
in diesem Jahr eine Summe von ungefähr 540 Millionen Mark abwarfen,
gab dieser Bewegung eine neue Anregung. Mit Leichtigkeit wurde auf euro¬
päischen Märkten Geld flüssig gemacht und in Ägypten angelegt. Trotz ver-
schiedner Rückschläge dauerte die Hochflut der Spekulation bis ins Jahr 1907,
wo endlich eine Reaktion eintrat. Zu Anfang des Jahres 1907 begann man
in deu Finanzmittelpunkten das Ungesunde der Lage allmählich zu erkennen.
Ein allgemeiner Rückgang war die Folge. Die Einschränkung des Kredits
machte sich bis in die ländlichen Distrikte fühlbar; man fürchtete, nicht das
genügende Kapital zur Einbringung der Baumwollernte zu erhalten, die für
die Bauern den Grundstock bildet, ans dein sie ihre Steuern, ihre Renten und
ihre Schulden bezahlen.

Glücklicherweise war das akute Stadium der Krisis nur von kurzer Dauer;
man erkannte bald, daß die gesunde Grundlage des ägyptischen Handels und
der ägyptischen Finanzen durch eine Überspeknlation nicht in ihrem innersten
Zustand geschädigt werden könne.

Leider wurde jedoch im Herbst, zu einer Zeit, wo man eben auf dem
besten Wege war, die Hauptschwierigkeiten zu überwinden, eine Verschlimmerung
der Lage herbeigeführt durch die ungünstigen Verhältnisse, die plötzlich auf dem
Geldmarkt in Amerika und in Europa zutage traten. Dies hatte eine zweite
ungünstige Periode zur Folge, die jedoch weder die ackerbautreibende Be¬
völkerung als ganzes noch die allgemeine Finanzlage in Mitleidenschaft zog.
Die Baumwollernte wurde in regelmäßiger Weise abgesetzt, und der größere
Teil wurde zu günstigern Preisen als im Vorjahre ausgeführt. Die Bauern


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[0432] Ägypten im Jahre l.HO? Erlaß des Khediven einberufen wurden. Hatten diese Provinzialräte bisher tatsächlich beinahe keine Machtbefugnis, so sollen sie nun mit größerer Macht¬ vollkommenheit ausgestattet werdeu und in Fragen des Ackerbaues, der Be¬ wässerung, der Verkehrsmittel, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheitspflege und des Erziehungswesens eine beratende Stimme erhalten. Durch diese Erweiterung ihrer Machtbefugnis hofft man in den Provinzial- räten eine Schule für eine spätere weitergehende Selbstregierung zu schaffen. Die sich auch anderwärts fühlbar machende finanzielle Krisis hat der günstigen finanziellen und kommerziellen Entwicklung, wie sie Ägypten in den letzten Jahren durchgemacht hat, einen schweren Stoß versetzt. Vom Jahre 1903 ab stieg der Preis der Baumwolle fortwährend und erreichte eine Höhe, die fünfzehn Jahre vorher unbekannt war. Die Ausfuhr, bei der die Baumwolle die weitaus größte Rolle spielt, vermehrte sich be¬ deutend. Neue Banken und Hypothekenanstalten wurden gegründet; der Wert von Grund und Boden stieg bedeutend, die Preise für Lebensmittel und Arbeitskräfte wuchsen, und nach und nach setzte eine Spekulation ein, die immer größere Ausdehnung annahm. Die hohen Preise hielten an, und eine Reihe guter Jahre, die in der glänzenden Baumwollernte des Jahres 1906 ihren Höhepunkt erreichten und in diesem Jahr eine Summe von ungefähr 540 Millionen Mark abwarfen, gab dieser Bewegung eine neue Anregung. Mit Leichtigkeit wurde auf euro¬ päischen Märkten Geld flüssig gemacht und in Ägypten angelegt. Trotz ver- schiedner Rückschläge dauerte die Hochflut der Spekulation bis ins Jahr 1907, wo endlich eine Reaktion eintrat. Zu Anfang des Jahres 1907 begann man in deu Finanzmittelpunkten das Ungesunde der Lage allmählich zu erkennen. Ein allgemeiner Rückgang war die Folge. Die Einschränkung des Kredits machte sich bis in die ländlichen Distrikte fühlbar; man fürchtete, nicht das genügende Kapital zur Einbringung der Baumwollernte zu erhalten, die für die Bauern den Grundstock bildet, ans dein sie ihre Steuern, ihre Renten und ihre Schulden bezahlen. Glücklicherweise war das akute Stadium der Krisis nur von kurzer Dauer; man erkannte bald, daß die gesunde Grundlage des ägyptischen Handels und der ägyptischen Finanzen durch eine Überspeknlation nicht in ihrem innersten Zustand geschädigt werden könne. Leider wurde jedoch im Herbst, zu einer Zeit, wo man eben auf dem besten Wege war, die Hauptschwierigkeiten zu überwinden, eine Verschlimmerung der Lage herbeigeführt durch die ungünstigen Verhältnisse, die plötzlich auf dem Geldmarkt in Amerika und in Europa zutage traten. Dies hatte eine zweite ungünstige Periode zur Folge, die jedoch weder die ackerbautreibende Be¬ völkerung als ganzes noch die allgemeine Finanzlage in Mitleidenschaft zog. Die Baumwollernte wurde in regelmäßiger Weise abgesetzt, und der größere Teil wurde zu günstigern Preisen als im Vorjahre ausgeführt. Die Bauern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/432>, abgerufen am 29.06.2024.