Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ägypten im Jahre

Distrikten, in die die Stadt Kairo eingeteilt ist, überhaupt keine Wahl statt¬
gefunden hatte aus Mangel an geeigneten Kandidaten, und weil keiner der
Wähler an der Urne erschienen war.

In Alexandria mit einer erwachsnen Bevölkerung von etwa 70000 Köpfen
laufen etwa 14000 Wühler auf den Listen, von denen 750 abgestimmt haben,
das heißt 5,3 Prozent der berechtigten Wähler und 1,07 Prozent der gesamten
männlichen Bevölkerung.

Noch geringer war die Beteiligung in den Provinzialstüdten; so haben
in Mcmsourah von 5000 Wählern nur 2 Prozent abgestimmt und in Tanthci
von 8600 nur 182, und diese hatte man fast gewaltsam zur Wahl treiben
müssen.

Erst wenn der zweite Akt der Wahl erreicht ist, und sich die Delegierten
zur Wahl versammeln, beginnt das Interesse zu wachsen.

Die Umstände, unter denen in Ägypten eine allgemeine Wahl zustande
kommt, zeigen deutlich, daß das Land noch weit davon entfernt ist, die Re¬
gierung durch seine eignen Vertreter führen zu können. Eine derartige Re¬
gierungsform läßt sich ja wohl einführen, man darf sich aber keineswegs der
Meinung hingeben, in ihr eine Vertretung der Mehrheit des Volkes zu sehen.
Man kann ohne weiteres behaupten, daß die obern und die mittlern Klassen
der Bevölkerung eine weitere Ausdehnung zurzeit gar nicht wünschen und
selbst das Land hierfür noch nicht für reif erachten. Die Fellachen aber, die
die Hauptmasse der Bevölkerung ausmachen, sind noch nicht einmal imstande,
die Unterschiede der verschiednen Regierungsformen zu erkennen. Solange
das Volk nicht bedeutende Fortschritte in der Richtung seiner moralischen und
intellektuellen Entwicklung gemacht hat, erscheint die Schaffung von Selbst¬
vertretungen keineswegs zweckentsprechend, sondern vielmehr geeignet, für die
zurzeit gehandhabte Politik der Verwaltungsreform ein bedeutendes Hindernis
zu- bilden. , ^ , , , v, i,,.

Aus diesen Gründen ist eine Ausdehnung der Macht des Gesetzgebenden
Rates und der Generalversammlung nicht wünschenswert, wenngleich es in ver¬
gangnen Jahren des öftern möglich gewesen ist, den von diesen Behörden aus-
gegangnen Anregungen Folge zu leisten. Mit zunehmender Erfahrung jedoch
und bei wachsendem Verständnis für die ihnen unterbreiteten Verwaltungs-
fragen ist eine weitere Ausdehnung ihres Einflusses auf die Regierung wohl
denkbar und sogar wünschenswert.

Zur Hebung der lokalen Selbstverwaltung hat die Regierung einen Ge¬
setzesentwurf vorbereitet, der darauf hinzielt, die Provinzialryte in bezug auf
ihre Zusammensetzung zu ändern und ihre Machtbefugnis zu erweitern. Die
Zahl der Mitglieder soll bedeutend vermehrt, Vertreter der verschiednen Distrikte
der einzelnen Provinzen sollen geschaffen und die Dauer des Maubads verkürzt
werden. Ferner sollen diese Ratsversammlungen das Recht erhalten, sich nach
ihren eignen Bestimmungen zu versammeln, während sie früher durch einen


Ägypten im Jahre

Distrikten, in die die Stadt Kairo eingeteilt ist, überhaupt keine Wahl statt¬
gefunden hatte aus Mangel an geeigneten Kandidaten, und weil keiner der
Wähler an der Urne erschienen war.

In Alexandria mit einer erwachsnen Bevölkerung von etwa 70000 Köpfen
laufen etwa 14000 Wühler auf den Listen, von denen 750 abgestimmt haben,
das heißt 5,3 Prozent der berechtigten Wähler und 1,07 Prozent der gesamten
männlichen Bevölkerung.

Noch geringer war die Beteiligung in den Provinzialstüdten; so haben
in Mcmsourah von 5000 Wählern nur 2 Prozent abgestimmt und in Tanthci
von 8600 nur 182, und diese hatte man fast gewaltsam zur Wahl treiben
müssen.

Erst wenn der zweite Akt der Wahl erreicht ist, und sich die Delegierten
zur Wahl versammeln, beginnt das Interesse zu wachsen.

Die Umstände, unter denen in Ägypten eine allgemeine Wahl zustande
kommt, zeigen deutlich, daß das Land noch weit davon entfernt ist, die Re¬
gierung durch seine eignen Vertreter führen zu können. Eine derartige Re¬
gierungsform läßt sich ja wohl einführen, man darf sich aber keineswegs der
Meinung hingeben, in ihr eine Vertretung der Mehrheit des Volkes zu sehen.
Man kann ohne weiteres behaupten, daß die obern und die mittlern Klassen
der Bevölkerung eine weitere Ausdehnung zurzeit gar nicht wünschen und
selbst das Land hierfür noch nicht für reif erachten. Die Fellachen aber, die
die Hauptmasse der Bevölkerung ausmachen, sind noch nicht einmal imstande,
die Unterschiede der verschiednen Regierungsformen zu erkennen. Solange
das Volk nicht bedeutende Fortschritte in der Richtung seiner moralischen und
intellektuellen Entwicklung gemacht hat, erscheint die Schaffung von Selbst¬
vertretungen keineswegs zweckentsprechend, sondern vielmehr geeignet, für die
zurzeit gehandhabte Politik der Verwaltungsreform ein bedeutendes Hindernis
zu- bilden. , ^ , , , v, i,,.

Aus diesen Gründen ist eine Ausdehnung der Macht des Gesetzgebenden
Rates und der Generalversammlung nicht wünschenswert, wenngleich es in ver¬
gangnen Jahren des öftern möglich gewesen ist, den von diesen Behörden aus-
gegangnen Anregungen Folge zu leisten. Mit zunehmender Erfahrung jedoch
und bei wachsendem Verständnis für die ihnen unterbreiteten Verwaltungs-
fragen ist eine weitere Ausdehnung ihres Einflusses auf die Regierung wohl
denkbar und sogar wünschenswert.

Zur Hebung der lokalen Selbstverwaltung hat die Regierung einen Ge¬
setzesentwurf vorbereitet, der darauf hinzielt, die Provinzialryte in bezug auf
ihre Zusammensetzung zu ändern und ihre Machtbefugnis zu erweitern. Die
Zahl der Mitglieder soll bedeutend vermehrt, Vertreter der verschiednen Distrikte
der einzelnen Provinzen sollen geschaffen und die Dauer des Maubads verkürzt
werden. Ferner sollen diese Ratsversammlungen das Recht erhalten, sich nach
ihren eignen Bestimmungen zu versammeln, während sie früher durch einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312782"/>
          <fw type="header" place="top"> Ägypten im Jahre</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1659" prev="#ID_1658"> Distrikten, in die die Stadt Kairo eingeteilt ist, überhaupt keine Wahl statt¬<lb/>
gefunden hatte aus Mangel an geeigneten Kandidaten, und weil keiner der<lb/>
Wähler an der Urne erschienen war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1660"> In Alexandria mit einer erwachsnen Bevölkerung von etwa 70000 Köpfen<lb/>
laufen etwa 14000 Wühler auf den Listen, von denen 750 abgestimmt haben,<lb/>
das heißt 5,3 Prozent der berechtigten Wähler und 1,07 Prozent der gesamten<lb/>
männlichen Bevölkerung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1661"> Noch geringer war die Beteiligung in den Provinzialstüdten; so haben<lb/>
in Mcmsourah von 5000 Wählern nur 2 Prozent abgestimmt und in Tanthci<lb/>
von 8600 nur 182, und diese hatte man fast gewaltsam zur Wahl treiben<lb/>
müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1662"> Erst wenn der zweite Akt der Wahl erreicht ist, und sich die Delegierten<lb/>
zur Wahl versammeln, beginnt das Interesse zu wachsen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1663"> Die Umstände, unter denen in Ägypten eine allgemeine Wahl zustande<lb/>
kommt, zeigen deutlich, daß das Land noch weit davon entfernt ist, die Re¬<lb/>
gierung durch seine eignen Vertreter führen zu können. Eine derartige Re¬<lb/>
gierungsform läßt sich ja wohl einführen, man darf sich aber keineswegs der<lb/>
Meinung hingeben, in ihr eine Vertretung der Mehrheit des Volkes zu sehen.<lb/>
Man kann ohne weiteres behaupten, daß die obern und die mittlern Klassen<lb/>
der Bevölkerung eine weitere Ausdehnung zurzeit gar nicht wünschen und<lb/>
selbst das Land hierfür noch nicht für reif erachten. Die Fellachen aber, die<lb/>
die Hauptmasse der Bevölkerung ausmachen, sind noch nicht einmal imstande,<lb/>
die Unterschiede der verschiednen Regierungsformen zu erkennen. Solange<lb/>
das Volk nicht bedeutende Fortschritte in der Richtung seiner moralischen und<lb/>
intellektuellen Entwicklung gemacht hat, erscheint die Schaffung von Selbst¬<lb/>
vertretungen keineswegs zweckentsprechend, sondern vielmehr geeignet, für die<lb/>
zurzeit gehandhabte Politik der Verwaltungsreform ein bedeutendes Hindernis<lb/>
zu- bilden. , ^ , , ,   v, i,,.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1664"> Aus diesen Gründen ist eine Ausdehnung der Macht des Gesetzgebenden<lb/>
Rates und der Generalversammlung nicht wünschenswert, wenngleich es in ver¬<lb/>
gangnen Jahren des öftern möglich gewesen ist, den von diesen Behörden aus-<lb/>
gegangnen Anregungen Folge zu leisten. Mit zunehmender Erfahrung jedoch<lb/>
und bei wachsendem Verständnis für die ihnen unterbreiteten Verwaltungs-<lb/>
fragen ist eine weitere Ausdehnung ihres Einflusses auf die Regierung wohl<lb/>
denkbar und sogar wünschenswert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1665" next="#ID_1666"> Zur Hebung der lokalen Selbstverwaltung hat die Regierung einen Ge¬<lb/>
setzesentwurf vorbereitet, der darauf hinzielt, die Provinzialryte in bezug auf<lb/>
ihre Zusammensetzung zu ändern und ihre Machtbefugnis zu erweitern. Die<lb/>
Zahl der Mitglieder soll bedeutend vermehrt, Vertreter der verschiednen Distrikte<lb/>
der einzelnen Provinzen sollen geschaffen und die Dauer des Maubads verkürzt<lb/>
werden. Ferner sollen diese Ratsversammlungen das Recht erhalten, sich nach<lb/>
ihren eignen Bestimmungen zu versammeln, während sie früher durch einen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0431] Ägypten im Jahre Distrikten, in die die Stadt Kairo eingeteilt ist, überhaupt keine Wahl statt¬ gefunden hatte aus Mangel an geeigneten Kandidaten, und weil keiner der Wähler an der Urne erschienen war. In Alexandria mit einer erwachsnen Bevölkerung von etwa 70000 Köpfen laufen etwa 14000 Wühler auf den Listen, von denen 750 abgestimmt haben, das heißt 5,3 Prozent der berechtigten Wähler und 1,07 Prozent der gesamten männlichen Bevölkerung. Noch geringer war die Beteiligung in den Provinzialstüdten; so haben in Mcmsourah von 5000 Wählern nur 2 Prozent abgestimmt und in Tanthci von 8600 nur 182, und diese hatte man fast gewaltsam zur Wahl treiben müssen. Erst wenn der zweite Akt der Wahl erreicht ist, und sich die Delegierten zur Wahl versammeln, beginnt das Interesse zu wachsen. Die Umstände, unter denen in Ägypten eine allgemeine Wahl zustande kommt, zeigen deutlich, daß das Land noch weit davon entfernt ist, die Re¬ gierung durch seine eignen Vertreter führen zu können. Eine derartige Re¬ gierungsform läßt sich ja wohl einführen, man darf sich aber keineswegs der Meinung hingeben, in ihr eine Vertretung der Mehrheit des Volkes zu sehen. Man kann ohne weiteres behaupten, daß die obern und die mittlern Klassen der Bevölkerung eine weitere Ausdehnung zurzeit gar nicht wünschen und selbst das Land hierfür noch nicht für reif erachten. Die Fellachen aber, die die Hauptmasse der Bevölkerung ausmachen, sind noch nicht einmal imstande, die Unterschiede der verschiednen Regierungsformen zu erkennen. Solange das Volk nicht bedeutende Fortschritte in der Richtung seiner moralischen und intellektuellen Entwicklung gemacht hat, erscheint die Schaffung von Selbst¬ vertretungen keineswegs zweckentsprechend, sondern vielmehr geeignet, für die zurzeit gehandhabte Politik der Verwaltungsreform ein bedeutendes Hindernis zu- bilden. , ^ , , , v, i,,. Aus diesen Gründen ist eine Ausdehnung der Macht des Gesetzgebenden Rates und der Generalversammlung nicht wünschenswert, wenngleich es in ver¬ gangnen Jahren des öftern möglich gewesen ist, den von diesen Behörden aus- gegangnen Anregungen Folge zu leisten. Mit zunehmender Erfahrung jedoch und bei wachsendem Verständnis für die ihnen unterbreiteten Verwaltungs- fragen ist eine weitere Ausdehnung ihres Einflusses auf die Regierung wohl denkbar und sogar wünschenswert. Zur Hebung der lokalen Selbstverwaltung hat die Regierung einen Ge¬ setzesentwurf vorbereitet, der darauf hinzielt, die Provinzialryte in bezug auf ihre Zusammensetzung zu ändern und ihre Machtbefugnis zu erweitern. Die Zahl der Mitglieder soll bedeutend vermehrt, Vertreter der verschiednen Distrikte der einzelnen Provinzen sollen geschaffen und die Dauer des Maubads verkürzt werden. Ferner sollen diese Ratsversammlungen das Recht erhalten, sich nach ihren eignen Bestimmungen zu versammeln, während sie früher durch einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/431
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/431>, abgerufen am 26.06.2024.