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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Henriette volge

Vorgespielt: "Interessanter Mensch, noch interessanteres Spiel -- es griff mich
seltsam an." Eine besondre Freude war es ihr, daß ihr verehrter Lehrer
Berger im November 1836 als Wohngast da war; im Stammbuch dankt er
"seiner lieben Freundin und Pflegemutter".

Nach der ersten Leipziger Aufführung des Paulus hatte Henriette zunächst
Rochlitz um öffentliche Besprechung ersucht. Dieser war jedoch durch seinen
Gesundheitszustand verhindert und verwies auf Schumann, der ihrer Bitte
Folge leistete, indem er in den berühmten "Fragmenten" ans Leipzig IV und V
Meyerbeers Hugenotten Mendelssohns Paulus entgegenstellte: "Sein Weg führt
zum Glück, jener zum Übel." Zum Danke schenkte Henriette ihm den Brief,
worin ihr Rochlitz seine freudige Zustimmung ausgedrückt hatte.

Im Dezember 1835 war Henriette eines Töchterchens genesen. Den beiden
Gatten war damit ein Herzenswunsch erfüllt. Einer der Paten war Mendels¬
sohn; er schenkte dem Kind ein Album, dessen erste Seite von ihm eigenhändig
mit Bibelsprüchen beschrieben war. Mit welcher Liebe Henriette um dem Kinde
hing, wie sie bestrebt war, in seiner Seele zu lesen, wie verständig sie die
Erziehung führte, davon geben ihre Aufzeichnungen beredtes Zeugnis. Hier
nur eine Stelle, 1836, "an Goethes Geburtstag" eingetragen: "Kein Buch,
und wäre es von Engeln geschrieben, ersetzt uns die Lehren und Offenbarungen
des unsichtbaren und doch so sichtbaren Werdens und Fortschreitens eines
Kindes. .. . Gewiß ist ein Kind der beste Lehrmeister für ein waches, tätiges
Gemüt." Als sie im Mai 1837 die Freunde in Kassel und die Schwägerin in
Weimar besuchte, nahm sie das Töchterchen mit. Wie sie dort aufgenommen
worden ist, zeigt am besten der Nachklang in einem Briefe von Hauptmann:
"Eine große Freude haben Sie uns durch Ihre lieben Briefe gemacht. Als
wir, Fr. v. Malsburg, Spohr und ich, einige Tage nach Empfang desselben
zusammentrafen, kam Fr. v. M. mir freudig entgegen: denken Sie sich, ich habe
einen Brief von der Voigt; ich auch, rief ich, ich auch, Spohr." In
Weimar -- dazwischen hatte sie die Wartburg und Wilhelmstal besticht -- durfte
Sie mit dem alten Hummel dessen As-Dur-Sonate spielen (vier Monate später
hatte sie sein Albumblatt mit einem Krenz zu bezeichnen). Dann sah sie, von
Kräuter geführt, "mit heiligem Schauer" Goethes Haus, musizierte mit Lobe,
Götze und Apel und empfing den Besuch des Kanzlers von Müller, der dann
Rochlitz zu einer solchen Freundin beglückwünschte. In, folgenden Jahre war
sie wieder ein paar Wochen in Berlin und hatte die Freude, endlich Schumanns
Kompositionen anerkannt zu sehn.

Schon in ihren frühern Aufzeichnungen finden wir hier und da Todes¬
ahnung und Ewigkeitssehnsucht ausgesprochen. Mit solchen Gedanken beginnt
sie das Jahr 1839, fügt aber hinzu: "Mut und Standhaftigkeit sollen mich
begleiten auf der dornigen Bahn, die bald meiner harret. Gott hilft mir gewiß,
gewiß, so oder so!!!" Damit schließt das Tagebuch. Der Schreibkalender ist
bis zum 7. April fortgeführt, dem Tage der Einweihung der Eisenbahn nach


Henriette volge

Vorgespielt: „Interessanter Mensch, noch interessanteres Spiel — es griff mich
seltsam an." Eine besondre Freude war es ihr, daß ihr verehrter Lehrer
Berger im November 1836 als Wohngast da war; im Stammbuch dankt er
„seiner lieben Freundin und Pflegemutter".

Nach der ersten Leipziger Aufführung des Paulus hatte Henriette zunächst
Rochlitz um öffentliche Besprechung ersucht. Dieser war jedoch durch seinen
Gesundheitszustand verhindert und verwies auf Schumann, der ihrer Bitte
Folge leistete, indem er in den berühmten „Fragmenten" ans Leipzig IV und V
Meyerbeers Hugenotten Mendelssohns Paulus entgegenstellte: „Sein Weg führt
zum Glück, jener zum Übel." Zum Danke schenkte Henriette ihm den Brief,
worin ihr Rochlitz seine freudige Zustimmung ausgedrückt hatte.

Im Dezember 1835 war Henriette eines Töchterchens genesen. Den beiden
Gatten war damit ein Herzenswunsch erfüllt. Einer der Paten war Mendels¬
sohn; er schenkte dem Kind ein Album, dessen erste Seite von ihm eigenhändig
mit Bibelsprüchen beschrieben war. Mit welcher Liebe Henriette um dem Kinde
hing, wie sie bestrebt war, in seiner Seele zu lesen, wie verständig sie die
Erziehung führte, davon geben ihre Aufzeichnungen beredtes Zeugnis. Hier
nur eine Stelle, 1836, „an Goethes Geburtstag" eingetragen: „Kein Buch,
und wäre es von Engeln geschrieben, ersetzt uns die Lehren und Offenbarungen
des unsichtbaren und doch so sichtbaren Werdens und Fortschreitens eines
Kindes. .. . Gewiß ist ein Kind der beste Lehrmeister für ein waches, tätiges
Gemüt." Als sie im Mai 1837 die Freunde in Kassel und die Schwägerin in
Weimar besuchte, nahm sie das Töchterchen mit. Wie sie dort aufgenommen
worden ist, zeigt am besten der Nachklang in einem Briefe von Hauptmann:
„Eine große Freude haben Sie uns durch Ihre lieben Briefe gemacht. Als
wir, Fr. v. Malsburg, Spohr und ich, einige Tage nach Empfang desselben
zusammentrafen, kam Fr. v. M. mir freudig entgegen: denken Sie sich, ich habe
einen Brief von der Voigt; ich auch, rief ich, ich auch, Spohr." In
Weimar — dazwischen hatte sie die Wartburg und Wilhelmstal besticht — durfte
Sie mit dem alten Hummel dessen As-Dur-Sonate spielen (vier Monate später
hatte sie sein Albumblatt mit einem Krenz zu bezeichnen). Dann sah sie, von
Kräuter geführt, „mit heiligem Schauer" Goethes Haus, musizierte mit Lobe,
Götze und Apel und empfing den Besuch des Kanzlers von Müller, der dann
Rochlitz zu einer solchen Freundin beglückwünschte. In, folgenden Jahre war
sie wieder ein paar Wochen in Berlin und hatte die Freude, endlich Schumanns
Kompositionen anerkannt zu sehn.

Schon in ihren frühern Aufzeichnungen finden wir hier und da Todes¬
ahnung und Ewigkeitssehnsucht ausgesprochen. Mit solchen Gedanken beginnt
sie das Jahr 1839, fügt aber hinzu: „Mut und Standhaftigkeit sollen mich
begleiten auf der dornigen Bahn, die bald meiner harret. Gott hilft mir gewiß,
gewiß, so oder so!!!" Damit schließt das Tagebuch. Der Schreibkalender ist
bis zum 7. April fortgeführt, dem Tage der Einweihung der Eisenbahn nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/411>, abgerufen am 26.06.2024.